Porträt

26. Febr. 2024

Der erste Verteidiger Polens

Er ist der Außenminister mit der längsten Amtszeit in der polnischen Geschichte. Jetzt will Radosław Sikorski sein Land wieder zu einem solidarischen EU-Mitglied machen – und zu einem regionalen Schwergewicht.

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Bild:  Radek Sikorskis betritt Gebäude
Welcome back: Die Rückkehr Radek Sikorskis ist gerade aus deutscher Sicht eine gute Nachricht. Ein Schmusekurs gegenüber Berlin ist von ihm allerdings nicht zu erwarten.
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Diplomatie sei „die erste Verteidigungslinie“ Polens, und er werde darauf achten, dass „Unparteilichkeit und Professionalität“ ins diplomatische Korps zurückkehrten, erklärte Radosław Sikorski trocken, aber mit einem Lächeln auf den Lippen, nachdem er kurz vor Neujahr die Berufungsurkunde zum Außenminister aus den Händen von Staatspräsident Andrzej Duda empfangen hatte. 

Duda hatte an jenem historischen 13. Dezember, zugleich der Jahrestag der Verhängung des Kriegsrechts durch General Wojciech Jaruzelski im Jahre 1981, gute Miene zu Donald Tusks neuem Kabinett gemacht. Nach der Wahlniederlage von Jarosław Kaczyńskis konservativ-populistischer Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) musste Duda die ­Regierungsmacht dessen Erzfeind Tusk übertragen. 

Das Schlimmste, das Polen neben Tusk passieren könne, sei die Rückkehr Sikorskis, hatte die PiS im Wahlkampf gewarnt, denn der habe in seiner Amtszeit von 2007 bis 2014 mit Polens Feinden Russland und Deutschland gemeinsame Sache gemacht. 

Radosław Sikorski ist für die PiS auch deshalb ein „rotes Tuch“, weil sie ihn als „Verräter“ betrachtet. Zu einem wichtigen polnischen Politiker wurde Sikorski nämlich ausgerechnet in der ersten Kaczyński-Regierung 2005 bis 2007, der er als parteiloser Verteidigungsminister diente. Dabei ist der gelernte Historiker politisch durchaus konservativ; zudem hat er eine antikommunistische Dissidentenvergangenheit vorzuweisen.

England, Angola, Afghanistan

„Den Antikommunismus habe ich wohl mit der Muttermilch aufgesogen“, sagt Sikorski, dessen Eltern im Untergrund für die Gewerkschaft Solidarność aktiv waren. Noch im Gymnasium hatte er mit Mitschülern die „Volksbefreiungsunion“ gegründet. In seinem Buch „Das polnische Haus“ schreibt er: „Während unsere rebellischen Zeitgenossen im Westen sich anarchistischen Gruppierungen anschlossen oder Drogen durchprobierten, äußerte unser Protest sich darin, dass wir Pilgerfahrten unternahmen, einen Straßenaltar für die Corpus-Christi-Prozession bastelten oder die Kapelle putzten.“

Kurz nach dem Abitur in der zu Solidarność-Zeiten besonders aufrührerischen Stadt ­Bydgoszcz war der 18-Jährige im Sommer 1981 nach London gegangen, um seine Englischkenntnisse aufzubessern. Am 13. Dezember erreichte ihn dort die Nachricht von der Ausrufung des Kriegsrechts in Polen. Sikorski erhielt politisches Asyl in Großbritannien und ein Stipendium, das ihm die Aufnahme eines Philosophie-, Politolo­gie und Ökonomiestudiums am Pembroke College in Oxford ermöglichte. 

Nach dem Studium verschlug es Sikorski 1986 als Kriegsberichterstatter nach Afghanistan. Drei Reportage-Reisen unternahm er als teilnehmender Beobachter unter den antisowjetischen Mudschaheddin. „Ich habe mich mit den Kämpfern identifiziert“, bekannte Sikorski, der in den Warschauer Salons Anfang der 1990er Jahre als Af­gha­nistan-Kämpfer Furore machte, im Interview mit der Gazeta Wyborcza. Der Frage, ob er selbst sowjetische Soldaten getötet habe, weicht er bis heute aus: „Das bleibt mein Geheimnis.“ Später berichtete Sikorski für britische Medien aus dem Bürgerkrieg in Angola. 

Zu Zeiten des Mauerfalls lernte Sikorski, der im Spätsommer 1989 aus London als freier Korres­pondent nach Warschau zurückgekehrt war, seine spätere Frau kennen, die Amerikanerin Anne Applebaum. „Das waren tolle Tage“, erinnert er sich, „die Ereignisse von 1989 haben uns für immer zusammengeschweißt.“ 

Applebaum zog sich mit ihrem Mann in ein Gutshaus bei Chobelin in Zentralpolen zurück, schrieb dort ihr Pulitzer-Preis-­gekröntes Buch „Gulag“, und das Paar bekam zwei Söhne. Unterdessen war Sikorski als Berater des Pressezaren Rupert Murdoch in Polen tätig.

Sikorski trat der rechtskonser­vativen „Bewegung für die Wiedergeburt Polens“ (ROP) bei und prägte in der Regierung von Ministerpräsident Jan Olszewski 1992 als Vize-Verteidigungs­minister Polens erste Schritte als künftiges NATO-Mitglied. In der konservativen Regierung von Jerzy Buzek diente er 1998 bis 2001 als Vize-Außenminister, um dann für PiS zurück ins Verteidigungsministerium zu kommen. 

Nach einem Streit mit dem damaligen Geheimdienstkoordinator Antoni Macierewicz trat Sikorski Anfang 2007 als Verteidigungsminister zurück, wechselte seine konservative politische Heimat und trat im Herbst bei den vorgezogenen Parlamentswahlen als parteiloser Senator für Donald Tusks liberale „Bürgerplattform“ (PO) an. 

Den beiden Regierungen Tusk diente Sikorski von 2007 bis 2014 als Außenminister, eine Rolle, auf die er bis heute festgelegt wird, nicht nur in Deutschland. Sikorski trug damals den von Barack Obama beschlossenen „Reset“ mit Russland mit, warnte aber stets vor Zugeständnissen an den Kreml. So unterstützte er die NATO-Ambitionen Kiews lange vor der ukrainischen Maidan-Revolution von 2013/14. 

Weltberühmt geworden ist Sikorski dank der EU-Vermittlungsmission mit Frank-Walter Steinmeier und Laurent Fabius Ende Februar 2014 in Kiew, als die drei EU-Außenminister einen Ausgleich zwischen der demokratischen Opposition und Präsident Wiktor Janukowitsch aushandelten – und damit ein größeres Blutvergießen verhinderten. Dass der Einsatz nur aufschiebende Wirkung hatte, konnte damals niemand vorhersehen. 

Sieg gegen den Populismus

Wie sich Mitte Januar auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos zeigte, vertreten Außenminister Sikorski und Staatspräsident Duda unterschiedliche Weltanschauungen und Politikkonzepte, sind sich aber in einer Frage einig: Die freie Welt müsse der Ukraine gegen die russische Invasion besser unter die Arme greifen; und die Ukraine könne vom Westen nicht zu Verhandlungen mit dem Angreiferstaat Russland und schon gar nicht zu territorialen Zugeständnissen gezwungen werden.

Sikorski machte in der Schweiz auch klar, dass er Polen zusammen mit dem erst 39-jährigen liberalen Europaminister Adam Szłapka wieder enger an die EU ankoppeln will. Er sei nach Davos gekommen, um zu unterstreichen, dass „Polen von seiner langen Reise in die Abwege des Populismus“ zurückgekehrt sei. „Gegen Populismus kann man siegen“, erklärte Sikorski bei einem Pressetermin in Davos. „Wir sind eine Inspiration für Demokraten, nicht nur in Europa, sondern in der ganzen Welt.“ 

Mit dem 60-jährigen Sikorski ist ein Schwergewicht der polnischen Politik in den Staatsdienst zurückgekehrt. Das Verhältnis zu Deutschland dürfte sich unter ihm nach acht Jahren PiS-Herrschaft entspannen. Deutschland sei ein „Verbündeter“ und es brauche „einen konstruktiven und freundlichen Umgang“ mit Berlin, sagte Sikorski kurz vor seinem Amtsantritt. 

Doch einen Schmusekurs kann Berlin von dem Mann, der die beiden deutsch-russischen Nord-Stream-Pipelines mit dem Molotow-Ribbentrop-Pakt verglichen hatte, nicht erwarten. Zwar hatte Sikorski in seiner denkwürdigen Berliner Rede vom November 2011 eine weit forschere deutsche EU-Politik gefordert. „Deutsche Macht fürchte ich heute weniger als deutsche Untätigkeit“, appellierte er damals auf der Höhe der Euro-Finanzkrise an die Bundesregierung.

Doch wird diese Rede gerade von Polens konservativer Opposition gerne jenseits des Kontexts gesehen. Der Radosław Sikorski von heute ist angesichts des mangelnden Tempos bei der Ukraine-Hilfe ein anderer: „Deutschland hat wirtschaftliche Interessen über die Sicherheitsinteressen Mitteleuropas gestellt.“ Er persönlich habe das deutschen Politikern 20 Jahre lang erklärt, sagte Sikorski kürzlich in einem Gespräch mit der ZEIT, aber: „Man hat uns für dumm gehalten. Lassen Sie mich das ganz klar sagen: Diese herablassende Art werden wir nicht mehr hinnehmen.“

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März/April 2024, S. 9-11

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