Das unendliche Duell der Caudillos
Brief aus … Bogotá
Bacatá, hochgelegenes Feld, nannten die Muisca-Indígenas den Ort, wo sich heute die kolumbianische Hauptstadt erstreckt. An die zehn Millionen Menschen leben auf der fruchtbaren Hochebene in den Anden und machen Bogotá zu einer der liebenswertesten Metropolen Lateinamerikas.
Sonntags verwandeln sich 120 Kilometer seiner Hauptverkehrsadern in Fahrradwege. Klein und Groß, Arm und Reich tummeln sich dort, keine Spur von Smog und Großstadthektik. Einmal im Jahr gibt es einen weiteren Moment gelebter Utopie: den autofreien Tag, den Bogotá früher und konsequenter als die meisten Städte umgesetzt hat.
Auch in puncto politischer Kultur sind die Bogotaner nicht schlecht aufgestellt. 1994 wählten sie den parteilosen Philosophen und Mathematiker Antanas Mockus zum Bürgermeister. Dem unorthodoxen Pädagogen gelang es, mit originellen Kampagnen den Straßenverkehr ziviler zu gestalten und auch die Mordraten deutlich zu senken. Die beiden letzten Bürgermeister vom linken „Demokratischen Alternativen Pol“ haben auch viel für die Armutsbekämpfung getan.
Bei seiner Wiederwahl 2006 siegte Präsident Álvaro Uribe auch in der Hauptstadt. Richtig heimisch fühlt sich der Großgrundbesitzer aus der Provinz Antioquia in Bogotá allerdings nicht. Die Menschen genießen es zwar, wieder ohne Angst vor Überfällen oder Entführungen durch die FARC-Guerilla ins Umland fahren zu können, aber der autoritäre Populismus des Rechtsauslegers im hochgesicherten Palacio Nariño verfängt bei ihnen weniger.
Dauerbrenner in den Hauptstadtlokalen sind Uribes Scharmützel mit einem anderen Caudillo, dem Venezolaner Hugo Chávez. Den stört vor allem das neue Militärabkommen zwischen den USA und Kolumbien. Der endlose „Kampf gegen Terrorismus und Drogenhandel“ erfordert es angeblich, dass US-Militärs nicht nur freien Zugang zu sieben kolumbianischen Stützpunkten erhalten, sondern auch zu zivilen Flughäfen und dem gesamten Funkverkehr. Wegen seiner alten Verstrickungen mit Paramilitärs und Drogenmafia sei Uribe so erpressbar, dass er den Yankees sein Land überlassen habe, lästert der Ölsozialist. Die Regierung in Bogotá sei eine Marionette Washingtons.
Dabei hatte zunächst eine eigenartige Hassliebe die ideologischen Antipoden jahrelang verbunden. Nach Uribes Amtsantritt 2002 bauten sie ganz pragmatisch die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Kolumbien und Venezuela aus. Auch im Hang zu patriotischem Budenzauber, feudalem Regierungsstil und der Verachtung herkömmlicher Parteipolitik waren sie sich einig. Getrübt wurde die Männerfreundschaft vor allem durch ihre konträre Sichtweise auf die kolumbianische FARC-Guerilla: Als die Rebellen 1983 seinen Vater ermordeten, schwor Uribe ihnen ewige Rache. Der militärische Sieg über die Guerilla ist seine Obsession. Chávez hingegen betrachtet die FARC als Gesinnungsbrüder im Kampf gegen „das Imperium“.
Zur ersten Krise kam es Anfang 2005, nachdem ein hoher Guerillero in Caracas verschleppt worden war. Bogotá zahlte den Häschern eine Belohnung, doch man versöhnte sich – so sehr, dass Chávez im Jahr darauf sogar Uribes Wiederwahl begrüßte. Im September 2007 wurde er vom kolumbianischen Präsidenten mit einem Mandat für Gespräche mit den Aufständischen ausgestattet. Zwei Monate später war die Friedensmission aber schon wieder beendet, weil Plaudertasche Chávez, sehr zum Unmut Washingtons, die Entführungsspezialisten der FARC groß herausgebracht hatte. Seither ist das Verhältnis der ungleichen Caudillos heillos zerrüttet.
Für die Andenregion ist das bedrohlich. Auch kolumbianische Juristen und Politiker wandten sich gegen das Militärabkommen mit den USA – doch mehr Beachtung als diese Proteste fanden wieder einmal die Äußerungen von Hugo Chávez. Nach dem klassischen Motto „si vis pacem, para bellum“ rief der frühere Fallschirmjäger seine Landsleute zu Kriegsvorbereitungen auf. In Moskau orderte Chávez Panzer und Luftabwehrraketen, an der Grenze lässt er Fußgängerbrücken niederreißen. Handelsbeziehungen erschwert er nach Kräften.
Während Uribe zumindest außenpolitisch den „gewundeneren und subtileren Stil eines jesuitischen Paters“ einsetze, analysiert der kolumbianische Schriftsteller Héctor Abad Faciolince, zeichne sich Chávez durch die „Geschwätzigkeit eines evangelikalen Pastors“ aus: „Man wünscht sich, dass ihn ab und zu wieder ein König fragt, warum er nicht die Klappe hält.“ Mit seinen Dauerattacken läuft der passionierte Geopolitiker Chávez der FARC gerade den Rang als bester Wahlhelfer Uribes ab. Der nämlich eifert seinem Gegenspieler nach und strebt eine erneute Wiederwahl im Mai 2010 an, nach einer noch zu bestätigenden Verfassungsänderung.
Noch nehmen die meisten Bogotaner die Aussicht auf viereinhalb weitere Jahre Uribe/Chávez mit resigniertem Schulterzucken hin. Und wenn sie wieder einmal eine Tirade aus Caracas hören, suchen sie Trost in einer Volksweisheit: „Ein Hund, der bellt, beißt nicht.“
Internationale Politik 1, Januar/Februar 2011, S. 120 - 121
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