„Das Militär ist keine Lösung“
Die deutsche sicherheitspolitische Debatte ist nicht gerade für ihren strategischen Überschwang berühmt, freundlich gesagt. Schlimm ist das nicht. Schlecht hingegen für die Debatte sind sinnfreie Phrasen und insbesondere Sätze, die eine Diskussion, also den Treibstoff der Demokratie, beenden sollen, bevor sie überhaupt beginnt. Der gut gereifte Klassiker dieses Segments ist der Satz „Das Militär ist keine Lösung“, der einen festen Platz im mentalen Stehsatz der deutschen politischen Klasse hat.
Sobald irgendwo ein gewaltsamer Konflikt ausbricht, der Deutschland irgendwie betrifft, dient dieser Vers dazu, einen Einsatz der Bundeswehr kategorisch auszuschließen, am besten noch bevor jemand danach gefragt hat oder man genau weiß, worum es überhaupt geht.
Die Angst der Deutschen vor sich selbst
Die eilfertige, reflexartige Verwendung dieser Phrase ist psychologisch einigermaßen bemerkenswert. Sie legt die bekannte Befangenheit Deutschlands beim Militärischen bloß, und damit exemplarisch die kollektive Angst vorm erneuten moralischen Versagen.
Zum einen ist der Satz die Selbstbeschwörung eines Landes, das kein Vertrauen in seine eigenen guten Absichten hat und sich deswegen mit einem „Du wirst doch nicht etwa“ prophylaktisch selbst zur Räson ruft. Zum anderen ist es die vorauseilende Exkulpierung fürs bereits beschlossene Nichtstun, bei der zweierlei mitschwingt: erstens, dass es ja wohl eine Zumutung ist, uns Deutschen mit sowas wie Militär überhaupt zu kommen, zweitens die passiv-aggressive Verurteilung all jener, die moralisch so verkommen sind, dass sie allen Ernstes den Einsatz von Soldaten – Soldaten! – in Erwägung ziehen.
Der Satz, so wohlig er sich im deutschen Gehörgang eingerichtet hat, ist intellektuell eine Zumutung. Denn entweder ist er eine Binsenweisheit, nämlich wenn er eigentlich sagen will: „Das Militär allein kann keine komplexen Konflikte lösen.“ Oder er ist schlicht falsch, wenn er meint, dass „das Militär niemals einen Beitrag zur Konfliktlösung leisten kann“.
In seiner höchsten Ausbaustufe kommt es sogar noch schlimmer, nämlich wenn er mit belegtem Vibrato insinuiert: „Also Krieg und Gewalt, die sind doch eigentlich von gestern, das kann man doch nicht wollen.“ Hier überschreitet die Semantik den Tatbestand des moralistischen Selbstbetrugs, der eigentlich durch einen simplen Blick in die Zeitung geheilt werden könnte. Natürlich kann das keiner wollen, aber wie verhindere ich, dass ein Aggressor sich einfach nimmt, was er will? Die eigene Armee nicht einsetzen? Aha.
Denn das ist letztlich das Schlimmste (und zugleich das Nützlichste) an dieser Hit-Phrase: Sie zeigt, dass weite Teile der politischen Klasse die Kernkategorie von Außenpolitik nicht verstehen: Macht. Und dass die bessere, friedlichere Welt, die wir so dringend brauchen, nur dann kommt, wenn wir die Macht, auch die militärische, in den Dienst des Rechts und unserer friedlichen Absichten stellen.
Schließen wir die Anwendung des Militärs von Vornherein aus, machen wir uns letztlich am Verlust des Friedens mitschuldig. So hart ist die Wahrheit, die sich hinter diesem stets besonders gut gemeinten Satz verbirgt.
Jan Techau ist Senior Fellow und Direktor des Europaprogramms des German Marshall Fund of the United States (GMF) in Berlin.
Internationale Politik 6, November/Dezember 2019, S. 15