China: Trippelschritte in die richtige Richtung
Ohne China, das Land, das über ein Viertel der globalen CO2-Emissionen verantwortet, wäre jede Klimavereinbarung ohne Sinn. In Paris hat man sich konstruktiv gezeigt. Doch Peking kann mehr leisten, und es wird auch mehr leisten müssen.
Immerhin. Die Welt ist um ein Klimaabkommen reicher und China ist an Bord. Das macht Mut, denn die Volksrepublik hat ihre Blockadehaltung gegenüber internationalen Zielvereinbarungen aufgegeben. Ohne China, das für 27 Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich ist, wäre jede internationale Vereinbarung ohne Sinn. Pekings Auftritt in Paris war überaus konstruktiv. Den Weg dafür hatte eine gemeinsame Erklärung mit den USA geebnet: Beide Länder hatten sich Ende 2014 darauf verständigt, gemeinsam gegen den Klimawandel vorzugehen – eine historische Absprache, ohne die Paris nicht möglich gewesen wäre.
Jubelstimmung ist dennoch fehl am Platz. Für den Kampf gegen den Klimawandel ist das Ergebnis von Paris nicht ausreichend. Trotz des neuen Vertrags wird die Menschheit die globale Erwärmung nicht aufhalten.
China steht dabei in der ersten Reihe. Diplomatisch hat sich China in Paris gut aus der Affäre gezogen. Einem Gesichtsverlust wie in den gescheiterten Kopenhagener Verhandlungen 2009 ging man aus dem Weg. Für die nationale Klimapolitik sind allerdings nur schwache Impulse zu erwarten. Trotz der drohenden Klimakatastrophe will China sich nicht einschränken. Im kommenden Jahrzehnt werden die Emissionen des Landes weiter kräftig steigen.
Peking verspricht zwar, vor 2030 den Höchststand seiner CO2-Emissionen zu erreichen. Wie hoch genau diese dann aber sein sollen, darüber schweigt man sich aus. Und wenn die Regierung zusichert, die „CO2-Intensität“ bis 2030 deutlich zu senken, dann ist das eine Art Taschenspielertrick: Die „CO2-Intensität“ setzt die absoluten Emissionen in Relation zum Bruttoinlandsprodukt. Je stärker die chinesische Wirtschaft also wächst, desto mehr Klimagase darf das Land in die Luft blasen. Damit ist nicht garantiert, dass China seinen Ausstoß kontrolliert.
Wenn China den Klimawandel wirklich aufhalten wollte, wäre ohnehin ein noch größerer Kraftakt notwendig. Das große Hindernis für die chinesische Energiewende ist die Kohle. Kohle ist der billige Kraftstoff, der den chinesischen Wirtschaftsmotor antreibt. Zwei Drittel der Energie stammen aus Kohle, das Land verbrennt etwa so viel davon wie der gesamte Rest der Welt. Dabei bemüht sich China durchaus, seine Wirtschaft umweltfreundlicher zu gestalten. Einige positive Überraschungen geben Hoffnung für die Umsetzung des Abkommens. So war es über Jahre vollkommen selbstverständlich, dass der Kohleverbrauch anstieg. Die Regierung rechnete erst 2020 mit dem Höchststand. Doch ab 2014 sank der Kohleverbrauch plötzlich. Das war das Ergebnis milder Wintertemperaturen, aber auch eines ambitionierten Luftreinhalteplans, den die Regierung zur Bekämpfung des Smogs ins Leben gerufen hatte.
Und China ist mittlerweile Weltmeister bei erneuerbaren Energien. Die Windkapazitäten lagen 2014 bei knapp 115 Gigawatt, bis 2020 könnten es 250 GW werden. In keinem Land stehen mehr Windkraftanlagen. Seit Kurzem verbreiten sich auch Solarzellen rasend schnell im Land. Noch vor wenigen Jahren standen in Bayern mehr Solaranlagen als in ganz China. 2015 hat China den früheren Spitzenreiter Deutschland überholt. Mit 24 Reaktoren, die sich im Bau befinden, ist auch die Atomkraft eine wesentliche Triebkraft der Energiewende.
Diese Trends haben für viel Optimismus gesorgt. Es ist bereits von der „Kohlewende“ die Rede. Obwohl China sich bei den erneuerbaren Energien an die Weltspitze gesetzt hat, ist das bei Weitem nicht genug. Wind- und Solarkraft machen nicht einmal 2 Prozent des Energiemixes aus. Zählt man Wasserkraft dazu, sind es etwa 9 Prozent. Auch in den kommenden Jahrzehnten wird Kohle der wichtigste Energieträger bleiben.
Die internationalen Klimaziele werden an der Geschwindigkeit und Richtung der chinesischen Energiewende nur wenig ändern. Es kommt auf die Dynamiken im eigenen Land an. Drei wichtige Entwicklungen können der Klimapolitik zupass kommen. Wenn die Regierung aber nicht richtig reagiert, können dieselben Entwicklungen Chinas Klimaziele unterlaufen. Die Klimapolitik kann erstens vom Vorgehen der Regierung gegen die städtische Luftverschmutzung profitieren. Im Unterschied zum Klimawandel protestieren die Bürger lauthals gegen den Smog. Die Stadtbevölkerung will, dass die Regierung Maßnahmen ergreift, die dem dichten Smog in den Großstädten ein Ende machen. Um die Feinstaubbelastung zu reduzieren, haben die Behörden einige Kohlekraftwerke stillgelegt und viele der ausgesprochen „schmutzig“ produzierenden Unternehmen dichtgemacht. Das hat positive Nebeneffekte für die CO2-Bilanz. Der Nutzen ist aber begrenzt: Im Zweifel werden die Kohlekapazitäten und Fabrikanlagen einfach weiter ins Landesinnere verlegt. In den Fabriken wiederum verringern die Filteranlagen für Schwefeldioxid die Energieeffizienz und steigern so den Energieverbrauch der Produktion.
Als große Chance für Chinas Klimapolitik könnte sich, zweitens, auch der wirtschaftliche Abschwung erweisen. Der Abbau der Überkapazitäten in der Schwerindustrie wird die Energienachfrage nach unten drücken, der CO2-Ausstoß könnte kurzfristig abnehmen. Wenn China zugleich den Übergang von der Werkbank der Welt hin zur Dienstleistungs- und Innovationsökonomie beschleunigt, könnte viel CO2 eingespart werden. Das ist aber eher unrealistisch. Die Abnahme des CO2-Ausstoßes während der wirtschaftlichen Schwächephase ist kein Selbstläufer. Es könnte sogar noch schlimmer kommen, wenn die Regierung wichtige Strukturmaßnahmen vertagt und durch Konjunkturmaßnahmen die Schwerindustrie fördert. Die Folge wäre der gegenläufige Trend: Die CO2-Emissionen steigen stärker als gedacht.
Es gibt bereits Anzeichen für Konjunkturmaßnahmen, die „schmutzigen“ Industrien wie Stahl und Zement zugute kommen. Dazu gehören Investitionspakete in den Eisenbahn- und Pipelinebau, den Immobiliensektor sowie Steuererleichterungen für Pkws. Die Unterstützung der kriselnden Schwerindustrie hat gute Gründe. Die Führung kann es sich nicht leisten, das riesige Arbeiterheer in der Kohle- und Stahlindustrie einfach auf die Straße zu setzen. Der Jobtransfer in den Dienstleistungssektor sowie in die Hightech- und Umweltindustrie wird nicht von heute auf morgen funktionieren. Ein hohes gesellschaftliches Unruhepotenzial mit systemgefährdenden Arbeiterprotesten wäre das Resultat.
Drittens befeuern wirtschaftliche Interessen die Klimapolitik. Peking sieht Elektroautos und erneuerbare Energien als strategische Industrien, mit denen sich in Zukunft viel Geld verdienen lässt. Wenn China sich ambitionierte Ziele für Elektroautos von fünf Millionen bis 2020 setzt, dann vor allem, um mit dem wachsenden Markt heimische Autohersteller zu fördern. Ebenso ist der fulminante Ausbau der Photovoltaik-Anlagen ein gigantisches Konjunkturprogramm für die defizitäre und von Überkapazitäten geplagte Photovoltaik-Industrie.
Doch all das führt bisweilen auch zu grotesken Fehlplanungen. Chinas Energieunternehmen stellen so viele Windturbinen auf, dass der Netzausbau nicht mehr hinterher kommt. Und so stehen viele der Windanlagen nutzlos in der Landschaft – sie „sonnen“ sich, wie es spöttisch heißt. Der Nutzen für die Klimapolitik verpufft dann in der Steppe zwischen stillstehenden Windrädern.
Die genannten Entwicklungen könnten also Chinas Sprungbrett zur kohlenstoffarmen Wirtschaft sein. Dazu muss Peking aber die zentralen Hemmnisse gezielt aus dem Weg räumen. Erste Trippelschritte in die richtige Richtung sind gemacht. Diese können aber nur der Anfang für den Kampf gegen den Klimawandel sein. China nutzt seine Potenziale noch nicht ausreichend und agiert ohne Ehrgeiz auf dem internationalen Parkett. Das Land kann mehr leisten und wird mehr leisten müssen. Eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes vor 2025 ist mindestens notwendig, um dem Klimawandel Einhalt zu gebieten. Wenn die Überprüfung der Pariser Ziele in den kommenden Jahren ansteht, hat Peking die Gelegenheit, seine Ziele anzupassen und nach oben zu korrigieren. Dann wird es zeigen können, ob es die Klimapolitik ernst nimmt.
Jost Wübbeke, Programmleiter Wirtschaft u. Technologie, Mercator Institute for China Studies MERICS.
Internationale Politik 2, März/April 2016, S.52-55