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01. März 2016

Brasilien: Inspiration und Ambition

Wenn es um die Klimapolitik geht, nimmt Brasilien für sich traditionell eine Führungsrolle in Anspruch. In der Tat hat man viel zum Gelingen von Paris beigetragen. Doch zuhause bleibt noch Spielraum für ein ehrgeizigeres Vorgehen.

Die Schwellenländer rund um das Staatenbündnis BRICS sind in kurzer Zeit von den Hoffnungsträgern der Weltwirtschaft zu ihren Problemkindern geworden. Das gilt nicht nur für China oder Russland, das gilt auch und gerade für Brasilien. Das Land am Amazonas leidet unter einer politischen, institutionellen und wirtschaftlichen Krise, die vor wenigen Jahren undenkbar schien.

Noch 2013 hatte es den Anschein, als könne nichts den rasanten Aufstieg des lateinamerikanischen Schwergewichts bremsen. Ein zentrales Element der wirtschaftlichen Stärke war damals die Energiepolitik: Das Land ist weitestgehend energieautark, fördert Tiefseeöl und verfügt über einen herausragenden Anteil an erneuerbaren Energiequellen, allen voran Ethanol und Wasserkraft. Auch in der aktuellen Krise spielt der Energiesektor eine prominente Rolle, steht doch der halbstaatliche Energieriese Petrobras im Zentrum eines gigantischen Korruptionsskandals. Zudem leidet er unter den Tiefpreisen am Ölmarkt.
 
Doch ungeachtet der Krise spielte Brasiliens Regierung bei den Klimaverhandlungen in Paris eine Führungsrolle. Das entspricht auch dem Selbstverständnis der Brasilianer, wenn es um Klimapolitik geht. Als Brasilien erklärte, sich der informellen „high ambition coalition“ anzuschließen, rückte der Durchbruch in greifbare Nähe. Durch diesen Schritt wurde die traditionelle Aufteilung in Industriestaaten einerseits und Schwellen- und Entwicklungsländer andererseits symbolträchtig aufgebrochen. Bereits zuvor waren die Brasilianer Vorbild unter den Schwellenländern, als es darum ging, dass auch diese sich zu einer Abkehr vom Business-as-usual-Pfad bekennen müssten.

Einen weiteren Schritt machte das Land, als es im vergangenen September eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um 37 Prozent bis 2025 und um 43 Prozent bis 2030 (gemessen am Basisjahr 2005) ankündigte. Verglichen mit den Zusagen anderer Länder zeigte sich Brasilien durchaus ambitioniert. Gemessen an seinen Möglichkeiten wäre aber mehr drin gewesen. Zudem gilt für Brasilien ebenso wie für andere Protagonisten einschließlich Deutschland: Zwischen den ambitionierten Zusagen und der Praxis tun sich große Widersprüche auf.

Diese aufzulösen, wird ein Kraftakt – umso mehr, als die wirtschaftliche und politische Krise längst noch nicht überwunden ist. Andererseits verfügt Brasilien ungeachtet aller Schwierigkeiten über ausgezeichnete Voraussetzungen für eine ambitionierte Klimapolitik, sofern der politische und gesellschaftliche Wille dazu vorhanden ist. Die prominente Rolle des Landes beim Abschluss des Vertrags kann hier eine Chance sein – der Druck zur Umsetzung der eigenen Ziele wird erhöht. Es war übrigens auch im Sinne der brasilianischen Regierung, dass der Vertrag von Paris rechtlich nicht bindend ist, denn ähnlich wie in den USA standen auch hier die Aussichten, den Vertrag durch den Kongress zu bekommen, angesichts der Mehrheitsverhältnisse schlecht.

Brasiliens Verpflichtungen basieren großteils auf bereits bestehenden Gesetzen und Regelungen, etwa dem Gesetz zur nationalen Klimapolitik von 2009. Im Agrarsektor sind die Restauration von 15 Millionen Hektar degradierten Weidelands und die Ausweitung integrierter Acker-Viehzucht-Forstwirtschaft-Systeme um fünf Millionen Hektar vorgesehen. Die illegalen Rodungen im Amazonas-Gebiet sollen bis 2030 gestoppt, die aus legalem Holzeinschlag entstehenden Emissionen ausgeglichen werden. Eine Fläche von zwölf Millionen Hektar soll wieder aufgeforstet werden.
Mittlerweile haben der Energie- und der Transportsektor erheblich an Bedeutung für Brasiliens Klimabilanz gewonnen. Letzterer ist für rund 45 Prozent der Emissionen verantwortlich. Effizienzsteigerungen und ein Ausbau des öffentlichen Verkehrsnetzes sollen hier Abhilfe schaffen.

Der Anteil erneuerbarer Energien am Energiemix soll auf 45 Prozent steigen – nicht sonderlich ambitioniert angesichts der Tatsache, dass dieser Wert derzeit schon fast erreicht wird. Ähnliches gilt für den Anteil von Biotreibstoffen, der bis 2030 auf 18 Prozent steigen soll. Der Anteil von Wind, Sonne, Biomasse und Ethanol an der Stromproduktion soll von derzeit 9 auf 23 Prozent erhöht werden. Dieses Ziel ist schon deutlich ambitionierter und dürfte im Wesentlichen auf Kosten des Ausbaus der Wasserkraft gehen. Bislang setzt das Land sehr stark auf diese Energiequelle, die allerdings wegen ihrer sozialen und ökologischen Kosten stark in der Kritik steht.

Auf dem Feld der Niedrig-Emissions-Landwirtschaft sieht sich Brasilien als Inspiration und Hoffnung für die internationale Gemeinschaft. Denn anders als vergleichbare Länder hat man hier einen nationalen Plan verabschiedet. Doch die Implementierung des Planes kommt nicht so recht voran. Brasiliens Regierung weist zudem darauf hin, dass eine solche Low-carbon-Landwirtschaft nur realisierbar sei, wenn andere Länder gleichzögen. Die ansonsten drohenden Wettbewerbs- und Handelsnachteile seien nicht hinnehmbar. Doch ganz unabhängig vom Verhalten anderer Länder wird die starke Lobby der Agrarproduzenten im Kongress die Umsetzung des Planes erheblich erschweren.

Jüngste Entwicklungen wie der Entwurf einer Verfassungsänderung, die der Regierung die Hoheit über die Demarkation und Schutzgewalt indigener Gebiete und Naturreservate entziehen und sie auf den Kongress übertragen soll, zeugen von der Macht dieser Lobby. Ähnlich verhält es sich beim Gesetz zum Waldschutz, dem „código florestal“: Lobbyismus, Bürokratie und Korruption erschweren die Umsetzung. Umweltverbände kritisieren zudem, dass das Augenmerk einseitig auf dem Amazonas-Gebiet liege, andere waldreiche Ökosysteme dagegen vernachlässigt würden. Umweltschützer fordern zudem eine Abkehr von der Ölförderung vor der Küste Rios; dort lagern gigantische Vorkommen in großer Tiefe unter einer dicken Salzschicht. Wegen des niedrigen Ölpreises wäre eine Förderung derzeit aber ohnehin nicht rentabel.

Grundsätzlich schöpft Brasilien seine Möglichkeiten bei der Energiegewinnung nur unzureichend aus. So wird bei der Windenergie derzeit nur 1 Prozent des vorhandenen Potenzials genutzt. Um den Anteil auszubauen, müssen allerdings auch die Speicherkapazitäten im Stromnetz erweitert werden. Dafür sollte der Austausch mit anderen Ländern intensiviert werden, auch und gerade mit Deutschland. Ein Vorbild ist da – ausgerechnet – der krisengebeutelte Ölkonzern Petrobras. Das Unternehmen hat in den vergangenen Jahren immer wieder erfolgreich mit internationalen Partnern in Forschung und Entwicklung kooperiert. Diesem Beispiel sollten nun staatliche und private Unternehmen aus dem Erneuerbare-Energien-Sektor folgen.

­Claudia Detsch ist Leiterin der Zeitschrift Nueva Sociedad bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in 
Buenos Aires.

Andreas Wille ist Referent für Brasilien im Referat Lateinamerika und Karibik der FES.
 

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März/April 2016, S. 58-60

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