Perspektiven

27. Okt. 2025

Brandstiften, zerstören, verunsichern

Russland intensiviert seinen hybriden Krieg drastisch. Deutschland muss wirksamere Gegenmaßnahmen ergreifen – schnell, umfassend und koordiniert.

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Bild: Löschzüge der Feuerwehr vor einem Großbrand in Berlin
Was zunächst mit einem technischen Defekt erklärt wurde, entpuppte sich als russische Sabotageaktion: Feuerwehreinsatz nach dem Brand beim Rüstungsunternehmen Diehl in Berlin, Mai 2024.
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Deutschland und seine Partner haben beschlossen, ihre Streitkräfte zu modernisieren, um einen drohenden russischen Angriff abzuschrecken und notfalls abzuwehren. Doch hat die Bedrohung durch Russland zwei Seiten. Seit vielen Jahren führt Moskau neben seiner offenen militärischen Aggression auch einen hybriden Schattenkrieg gegen den Westen, durch Sabotage, Cyberattacken und Desinformation. Während wir die kinetischen und nichtmilitärischen Maßnahmen als voneinander getrennt wahrnehmen, betrachtet sie Russland als Teil eines Kontinuums, das darauf abzielt, unsere Demokratien und Allianzen zu schwächen und letztlich zu zerstören. 

Moskaus hybrider Krieg hat seit der „Spezialoperation“ gegen die Ukraine 2022 dramatisch an Intensität zugenommen, siehe massive Zunahme von Drohnenüberflügen in Polen, Skandinavien und Deutschland. Von den 550 bestätigten und vermuteten russischen Hybridaktionen seit 2022 in Europa ist Deutschland das häufigste Ziel. Ein Drittel der Angriffe zielt darauf ab, die deutsche Verteidigungsindustrie zu unterminieren. Einige sind bekannt, wie das geplante Attentat auf den Vorstandsvorsitzenden von Rheinmetall, Armin Papperger. Andere wurden nie Russland zugeschrieben, wirken aber zu verdächtig, um sie zu ignorieren.

Russland nutzt Deutschlands Zurückhaltung und zersplitterte Zuständig­keiten gnadenlos aus

Oder nehmen wir den Brand in der Diehl-Fabrik im Mai 2024. Zunächst wurde dies als technischer Defekt bezeichnet, doch später berichtete das Wall Street Journal, dass Geheimdienstmitarbeiter Russland verdächtigten: Es handele sich um die Tat professioneller Krimineller, die online angeheuert und mit Kryptowährung bezahlt worden seien. Eine Medienrecherche ergab, dass vor dem Anschlag russische Online-Suchen nach Brandschutzprotokollen für das Werk durchgeführt wurden, darunter auch nach der Herkunft der Feuerwehrfahrzeuge. Mehrere andere Einrichtungen, die mit der Herstellung von Waffen für die Ukraine in Verbindung stehen – darunter ein weiteres Diehl-Werk – sind ebenfalls in Brand geraten.

2024 gab es eine Reihe von Sabotageangriffen auf die deutsche Marine. In die Motoren deutscher Fregatten wurde ­Metallspäne geschüttet, ihre Kabel durch­trennt und ihr Wasser mit Öl verseucht. Im Februar dieses Jahres hat der Oberbefehlshaber der deutschen Marine, Vizeadmiral Jan Christian Kaack, Russland zwar nicht öffentlich beschuldigt, aber gesagt, dass Sabotageangriffe ein Mittel seien, um die NATO zu „testen“.

Dabei ist dies sicher nur der Anfang. Mit der geplanten Aufrüstung wird Deutschland weiter ins Visier Moskaus geraten und muss mit zunehmenden Angriffen auf kritische Infrastruktur und Informationsoperationen rechnen. Bisher galt der Fokus KI-unterstützter Online-Desinformationskampagnen der deutschen Politik und Gesellschaft – zuletzt unter Verwendung von KI-generierten Videos, um Wählern mit Bombenanschlägen zu drohen. Denkbar sind aber auch Kampagnen gegen Rüstungsunternehmen, um deren Ruf und Aktienkurse zu untergraben und die Deutschen hinsichtlich des Zustands kritischer Infrastrukturen zu verunsichern. In den USA hacken Hackergruppen, die mit Russland und dem Iran zusammenarbeiten, Krankenhäuser und Wasseraufbereitungsanlagen und prahlen anschließend damit. Die ersten Anzeichen dafür gab es in diesem Jahr auch in Deutschland, als prorussische Hacker behaupteten, den Chlorgehalt im Wasser manipuliert zu haben.

Trotzdem bleiben unsere Gegenmaßnahmen zaghaft und ineffektiv. Einzig im Cyberbereich hat Deutschland professionelle Abwehrfähigkeiten aufgebaut, zivil (mit dem Ausbau des Bundesamts für Informationssicherheit) ebenso wie militärisch (mit der Cyberdivision der Bundeswehr). Aber beim Schutz kritischer Infrastrukturen – Bahn, Häfen, Kraftwerke, IT- und Energienetze – klaffen riesige Lücken. Den massiven Manipulationen im Internet und sozialen Netzwerken haben wir kaum etwas entgegenzusetzen. Für die Aufklärung und Abwehr hybrider Angriffe hat die Regierung zwar Koordinationsstrukturen im Innenministerium geschaffen, doch verfügen diese weder über ausreichende Befugnisse noch über genügend Personal. Deutschlands Geheimdienste spielen weiter nicht in der Champions League und brauchen endlich Befugnisse wie ihre europäischen Partner. 

Vor allem aber ist Deutschlands Denken in Politik und Gesellschaft in der Vergangenheit steckengeblieben. Anstatt auch hybrid, wie in der Verteidigung, auf Abschreckung zu setzen und den Preis für die Aggressionen fremder Mächte in die Höhe zu treiben, bleiben Eskalationsfurcht, übertriebene Vorsicht und Passivität handlungsleitend. Die Folge: Russland nutzt unsere Zurückhaltung und zersplitterten Zuständigkeiten gnadenlos aus. 


Neue Ansätze

Drei Ideen könnten helfen, aus der Defensive zu kommen. Erstens: Deutschlands neuer Nationaler Sicherheitsrat sollte den hybriden Krieg zu einem Schwerpunkt machen. Der NSR hat sich zum Ziel gesetzt, eine integrierte Sicherheitspolitik zu entwickeln, einschließlich ­gemeinsamer Lage­bewertung, strategischer Vorausschau und der Formulierung von Handlungsvorschlägen. Dies passt perfekt zu der Notwendigkeit, Russlands Strategie des hybriden Krieges einen auch unsererseits ganzheitlichen Ansatz entgegenzusetzen. Im NSR könnten alle militärischen und nichtmilitärischen Aspekte der ­russischen Aggression zusammengetragen und Gegenmaßnahmen entwickelt werden, die die ganze Breite der Bedrohung abbilden, von der militärischen Abschreckung über die Cyberabwehr und den Schutz kritischer Infrastruktur bis zur politischen Bildung, die auf kritisches Denken im Zeichen von KI und subversiver Manipulation setzt. Ein der Bedrohung angemessener Ressourcen­einsatz und eine smartere Koordinierung könnten viel zu lange vernachlässigte Themen wie den Schutz der Infrastruktur priorisieren und die für die nationale Sicherheit vorgesehenen Finanzmittel ausgewogener verteilen. 

Zweitens: Aktive Maßnahmen sollten unser bislang überwiegend reaktives Vorgehen ergänzen. Deutschland setzt auf Aufklärung und Resilienzbildung, Cybersecurity und Faktenchecken, nicht aber auf eigene Kampagnen oder Abschreckungssignale. Politische Kosten ­entstehen dadurch für den Angreifer praktisch keine, ausgenommen die EU-Sanktionen. Kein Wunder, dass „freie Fahrt“ die Botschaft ist, die in Moskau ankommt. Es ist Zeit, diese Passivität zu beenden. 

Ansätze, die den Preis für einen Angreifer in die Höhe treiben können, gibt es sehr wohl. Zunächst einmal sollten wir mutiger sein, die Dinge beim Namen zu nennen. Nur ein geringer Teil der hybriden Aktionen wird Russland zugeschrieben, obwohl in vielen Fällen die Spuren dorthin führen. Wir können nicht erwarten, dass unsere Gesellschaften die hybride Bedrohung ernst nehmen, wenn wir nicht offen darüber sprechen, insbesondere über Themen, die unser tägliches Leben betreffen, wie Brandstiftung, Cyberangriffe auf kritische Infrastrukturen und Unternehmen.

Um wirksam zu sein, muss eine solche Aufklärung durch vertrauenswürdige Stimmen kommuniziert werden. Regierungen sind nicht immer diese Stimmen – und es gibt einen riesigen Desinformationskomplex, der sie untergräbt. Auch Unternehmen haben hier ein Eigeninteresse und sowie gesellschaftliche Verantwortung. In den USA stammen die besten Berichte über maligne Cyber- und Informationsoperationen aus dem Ausland von Microsoft. In Deutschland stehen besonders Unternehmen der Verteidigung und der kritischen Infrastruktur im Fadenkreuz hybrider Angriffe. Sie können an vorderster Front stehen, wenn es darum geht, glaubwürdig darüber zu berichten. Und sie sollten dies Hand in Hand mit Forschern aus der Zivilgesellschaft tun, die oft über die besten Instrumente zur Erforschung hybrider Angriffe verfügen. Auf diese Weise können wir ein Ökosystem zwischen Regierung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft entwickeln, eine hybride Antwort auf hybride Bedrohungen.

Regierungen sind hingegen viel bessere Kommunikatoren gegenüber Russland selbst – besonders wenn es darum geht, ihre Abschreckungsfähigkeiten zu signalisieren. Bei Cyberangriffen haben die USA durch gezielte Signale ihre Angreifer gewarnt, dass sie auch ihrerseits in der Lage sind, gegnerische Infrastruktur auszuschalten: klassische Abschreckung mit der Folge ­eines strategischen Patts statt eines weiteren Vorstoßes Russlands.

Drittens: Anstatt uns nur zurückzuziehen, können wir unsere eigenen demokratischen Instrumente einsetzen, um die militärische Verteidigungsindustrie Russlands zu untergraben. Der Trick dabei ist, die Forschungskapazitäten der Zivilgesellschaft, das Wissen der Wirtschaft und die Macht der Regierung zusammenzuführen.

Unabhängige Forscher nutzen öffentliche Daten, um versteckte Netzwerke aufzudecken; eine Taktik, die sich in internationalen Konflikten als wirkungsvoll erweist. So hat der Wirtschaftssicherheitsrat der Ukraine (ESCU) anhand von Zollunterlagen aufgedeckt, wie Russland CNC-Werkzeuge erwirbt, die für die Herstellung von Waffen unerlässlich sind. Westliche Unternehmen sind sich oft nicht bewusst, wie ihre Technologie verkauft und dann über mehrere Unternehmen weiterverkauft wird, bevor sie Russland erreicht. Anstatt solche Untersuchungen von Lieferketten als Bedrohung zu betrachten, sollten sie diese begrüßen und kooperieren. Durch den Aufbau eines Netzwerks, das die Bemühungen von Open-Source-Forschern, Unternehmen und Regierungen bündelt, können wir dem kriminellen Netzwerk Russlands effektiv entgegenwirken.


Gegenhalten ist möglich

Effektive Forschung und Analyse in Verbindung mit der Zusammenarbeit zwischen Zivilgesellschaft und Regierungen führten 2024 zu einer Reihe wirksamer Maßnahmen, die darauf abzielten, Russlands Chromversorgung zu reduzieren – ein wichtiges Material für die Herstellung von Artillerie-Läufen. Bis März 2025 musste ein großes russisches Werk, NZHS, das 20 Prozent des russischen Chrombedarfs deckte, geschlossen werden. Nach Angaben der Werksleitung selbst war der Grund die Beschränkung der Einfuhr von Chromerz wegen internationaler Sanktionen. Das Werk belieferte mindestens zwölf Rüstungsunternehmen, die an der Herstellung von Artillerie-Läufen, ballistischen Raketen und mehr beteiligt waren.

Ein neues Ökosystem zwischen Regierung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft wäre ein immens wichtiger Beitrag zur wirksameren Bekämpfung der hybriden Bedrohung. Russlands oberstes Ziel ist es, die deutsche Gesellschaft zu spalten. Eine solche Reaktion zeigte, dass unsere Demokratie sehr wohl in der Lage ist, sich wirksam und mutig zu wehren.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 6, November/Dezember 2025, S. 86-89

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Mehr von den Autoren

Arndt Freytag  von Loringhoven war Botschafter  in Polen und Tschechien und Vizepräsident des BND. Er  ist Autor von „Putins  Angriff auf Deutsch
land: Desinformation, Propaganda, ­Cyberattacken“.


Peter Pomerantsev ist Senior Fellow an der Johns Hopkins University in Washington, Journalist und Autor von „This is not Propaganda“.
 

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