Botschafter der neuen Zeit
Kühler Verstand, frische Ideen: Yoram Ben-Zeev, Israels Vertreter in Berlin
Yoram Ben-Zeev stammt als erster Gesandter Jerusalems in Deutschland nicht aus einer Familie, die vor dem Holocaust aus Europa flüchtete. Seine Vorfahren lebten schon unter osmanischer Herrschaft im Nahen Osten, sein Lebensthema ist der Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern. Ihn will er jetzt auch hier an die erste Stelle setzen.
Als Bundeskanzlerin Angela Merkel im März den Reigen der Jubiläumsbesuche zum 60. Geburtstag des Staates Israel eröffnete, da war auf manchen Fernsehbildern in ihrem Tross ein Mann zu sehen, der mit seinem haarlosen Haupt von Ferne ein wenig an den gleichaltrigen israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert erinnerte, von Nahem mit seinen strafferen und weniger melancholischen Gesichtszügen allerdings deutlich zu unterscheiden war. Für Yoram Ben-Zeev, seit Dezember neuer israelischer Botschafter in Berlin, war die Reise nicht nur der mit Abstand wichtigste Termin seiner bisherigen Amtszeit. Es ging um viel mehr. Sowohl die Berufung Ben-Zeevs als auch Merkels Staatsbesuch sollten nichts weniger als eine Epochenwende der deutsch-israelischen Beziehungen symbolisieren. Merkels Visite stand für einen Aufbruch in die Zukunft, für den Aufstieg Deutschlands zum bedeutendsten Partner Israels neben den USA.
Mit erstaunlicher Unbefangenheit verwendeten die deutschen Medien für das, was in der Woche vor Ostern geschah, den bislang geschmähten Begriff der „Normalisierung“. Sogar in offiziellen Regierungskreisen wurde die Merkel-Reise, wenn auch ausdrücklich „in Anführungszeichen“, unter dieser Überschrift gehandelt. Die Vergangenheit, so die gerne gebrauchte Formel, solle zwar nicht in Vergessenheit geraten, aber Gegenwart und Zukunft sollten in den deutsch-israelischen Beziehungen künftig mehr Raum einnehmen. Der 63-jährige Ben-Zeev steht schon mit seiner Person für diesen Neuanfang. Als erster der bislang sieben diplomatischen Vertreter Jerusalems in der Bundesrepublik stammt Ben-Zeev nicht aus einer Familie, die vor dem Holocaust flüchten musste. Seine Vorfahren lebten schon seit Generationen in Jerusalem, sein großes Lebensthema ist das israelisch-palästinensische, nicht das deutsch-jüdische Verhältnis.
Die beiden unmittelbaren Vorgänger Ben-Zeevs hätten gegensätzlicher nicht sein können. Da war in den neunziger Jahren Avi Primor, der populärste aller israelischen Botschafter in Deutschland. Nach einem kurzen Crashkurs vor Amtsantritt sprach Primor perfekt Deutsch, war in Talkshows präsent und sagte meist, was die Deutschen hören wollten. Das schloss Kritik an der eigenen Regierung ein. Vom damaligen Außenminister Ariel Scharon wurde er 1999 abberufen, nachdem er dessen ultrareligiösen Koalitionspartnern einen Mangel an demokratischen Prinzipien attestiert hatte.
Ganz anders Shimon Stein, der das Land von 2000 bis 2007 in Berlin vertrat. Im Gegensatz zu Primor sagte er meist genau das, was die Deutschen lieber nicht gehört hätten. In seine Amtszeit fiel der Einzug der NPD in die Landesparlamente von Dresden und Schwerin, der israelische Feldzug gegen die Hisbollah im Südlibanon. Stein hielt zwar engen Kontakt zur Bundeskanzlerin und nahm regen Anteil am kulturellen Leben in Berlin. Bis zuletzt wandte er sich aber gegen die Idee einer „neuen Normalität“ Deutschlands. Diese Formel des rot-grünen Bundeskanzlers Gerhard Schröder sei nicht zufällig mit einem „Verfall der öffentlichen Wertschätzung für Israel“ einhergegangen, schrieb Stein in einer Bilanz seiner Berliner Jahre.
Ben-Zeev sagt mit schöner Doppeldeutigkeit, Stein habe einen „terrific job“ gemacht: hervorragend und zugleich in einer fürchterlich schwierigen Zeit. Der neue Botschafter strebt keineswegs den Mittelweg zwischen seinen beiden Vorgängern an, schon eher will er den scheinbaren Gegensatz auf einer höheren Ebene aufheben. Den Deutschen nach dem Munde zu reden oder sie streng zu erziehen, das sind für ihn die Wege der Vergangenheit. Diplomatisch sagt er, er habe von allen seinen Vorgängern „viel gelernt“. Am meisten hebt er den heute 87-jährigen Asher Ben-Natan hervor, der als erster israelischer Botschafter in Bonn Ende der sechziger Jahre ebenfalls den Aufbruch in eine neue Ära verkörperte. Jeder, sagt Ben-Zeev, habe seine eigene Persönlichkeit und seine eigene Art, sich den Themen zu nähern. Über das Berliner Kultur- und Alltagsleben lässt sich der neue Botschafter einen Satz entlocken, den man getrost auch politisch nehmen darf: „Einige der Lieblingsorte von Herrn Stein sind auch meine“, aber: „Ich habe meinen eigenen Geschmack.“
Über den Rechtsextremismus in Deutschland, für seine Vorgänger stets ein wichtiges Thema, hat sich Ben-Zeev bislang nur sehr zurückhaltend geäußert. Sind die deutschen Institutionen stabil genug, um selbst mit dem Problem fertig zu werden? „Meine Antwort ist: Ja.“ Ihm gehe es darum, gemeinsam nach den Ursachen zu suchen. Es folgt ein Exkurs: Als der Führer der rechtsradikalen Kach-Bewegung bei den Wahlen 1984 in die Knesset einzog, weigerte sich der frisch gewählte Staatspräsident Chaim Herzog, ihn zu den von der Verfassung vorgesehenen Konsultationen für die Regierungsbildung zu empfangen. „Der Präsident erkannte das Problem und traf eine Entscheidung. Das gibt es nicht oft in der Politik“, sagt Ben-Zeev, der Herzog von 1987 bis zum Ende seiner Amtszeit 1993 als Präsidentenberater diente. „Ich hatte das Privileg, mit einem Politiker zusammenzuarbeiten, der Moral und Anstand über alles stellte.“ Das klingt harmlos. Aber ein israelischer Botschafter, der Antisemitismus in Deutschland mit rassistischem Antiarabismus in Israel vergleicht? Das ist neu.
Kühler Verstand statt emotionalen Überschwangs, vorurteilslose Analyse statt immer gleicher Floskeln, frische Ideen statt alter Vorurteile: Das ist der Stil des neuen Botschafters, und es ist auch der Stil, der nach dem Willen beider Regierungen die Beziehungen zwischen Deutschland und Israel künftig prägen soll. Zwischen eng befreundeten Staaten müssten alle Fakten auf den Tisch, sagt Ben-Zeev immer wieder. Seine Aufgabe in Berlin sei es, eben diese Fakten zu präsentieren, das Dilemma der israelischen Politik darzustellen, die Kritiker immer wieder zu fragen: „Haben Sie einen besseren Vorschlag?“ Vertrauen will er gewinnen, die Dinge nicht „beschönigen, um sich beliebt zu machen“, andererseits keine Schuldzuweisungen verteilen. Natürlich mache auch die israelische Regierung Fehler, „manchmal geraten die Dinge außer Kontrolle“. Und natürlich gebe es manchmal einen Widerspruch zwischen der Pflicht, heute die israelischen Staatsbürger zu schützen, und dem Ziel, morgen einen Friedensvertrag mit den Palästinensern abzuschließen. Wichtig sei, „die Bälle in der Luft zu halten“.
„Wir legen alle Fakten auf den Tisch“
Das alles versucht Ben-Zeev seit Dezember seinen deutschen Gesprächspartnern zu vermitteln. Mindestens zwei Tage pro Woche ist er im Land unterwegs, besucht Politiker, gibt Interviews in der Regionalpresse. Und er tut es auch in Berlin, der „vielleicht bedeutendsten Hauptstadt der Welt nach Washington“. Ungefragt erwähnt er Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul, bekanntermaßen keine Freundin der israelischen Besatzungspolitik. „Ich mag sie sehr“, beteuert der Botschafter, „wir legen alle Fakten auf den Tisch.“
Von Bedeutung sind aus Sicht Ben-Zeevs vor allem auch jene 200 Millionen Euro, mit denen Wieczorek-Zeul bis 2010 Projekte der Palästinensischen Autonomiebehörde fördern will. Denn für den neuen Botschafter gibt es in Berlin vor allem ein Thema. „Nummer eins auf der Agenda ist der Friedensprozess. Das ist meine wichtigste Aufgabe in Berlin.“ Den größten Teil seiner Karriere hat Ben-Zeev den israelisch-palästinensischen Beziehungen gewidmet, erst als Referent in der Nahost-Abteilung des Außenministeriums, dann als Präsidentenberater, schließlich als Gesandter des Ministerpräsidenten bei der Vorbereitung des zweiten Camp-David-Gipfels 2000. Er hat für Politiker der Arbeitspartei ebenso gearbeitet wie für solche vom Likud, für Schimon Peres wie für Ariel Scharon. Wie geht das zusammen? Weil es, so sagt er, immer um den Friedensprozess gegangen sei, den am Ende jeder israelische Politiker vorantreiben müsse.
Und wo sieht Ben-Zeev die Aufgabe der Deutschen? Eben darin: „Den Palästinensern zu helfen, beim Aufbau ihrer demokratischen Institutionen und ihrer Wirtschaft.“ Schadet es dabei nicht, wenn Angela Merkel – wie bei ihrer Reise im März – die Palästinensergebiete gar nicht besucht und sich jeder Kritik an den damals erst kurz zurückliegenden israelischen Luftangriffen auf Gaza enthält? Es verwundert zwar nicht, dass ein israelischer Botschafter die Kanzlerin dafür nicht tadelt. Interessant ist aber die Begründung, die Ben-Zeev anführt. Zwar betont er knapp, dass Israel seine Bürger vor den Raketen der Hamas schützen müsse. Vor allem aber argumentiert er, nur als Israel-Freundin könne Merkel in Jerusalem Einfluss haben. Von daher sei ihre Politik im Sinne der Palästinenser.
Dass dem neuen Botschafter das israelisch-palästinensische Verhältnis so viel wichtiger ist als die deutsche Vergangenheit, hat auch biografische Gründe. Ben-Zeev ist in Jerusalem geboren, am 20. Juli 1944, dem Tag, an dem im fernen Ostpreußen das Attentat auf Adolf Hitler scheiterte. Seine Vorfahren waren im 18. Jahrhundert aus der Gegend um Kiew ins damals osmanische Palästina eingewandert. Erst hundert Jahre später sollte die zionistische Bewegung zur Heimkehr ins Land der Vorväter aufrufen. „Sie waren Zionisten, bevor es das Wort Zionist gab“, sagt Ben-Zeev. Sein Ur-Ur-Urgroßvater, auf die genaue Zahl der Vorsilben legt sich der Botschafter lieber nicht fest, machte den ganzen Weg vom heutigen Weißrussland bis ins Heilige Land zu Fuß.
Dort traf er auf eine eher unbedeutende Kleinstadt namens Jerusalem und auf ein weitgehend menschenleeres Gebiet. Wer sich das damalige Palästina vorstellen will, dem empfiehlt Ben-Zeev die Lektüre von Mark Twain. Der junge amerikanische Schriftsteller besuchte das Land 1869 und beschrieb dessen Antlitz so: „Palästina sitzt in Sack und Asche. Über ihm brütet der Bann eines Fluches, der seine Felder hat verdorren lassen. Das berühmte Jerusalem selbst hat all seine Größe verloren und ist ein Bettlerdorf geworden.“ Die Beziehungen zwischen der kleinen jüdischen Gemeinschaft und den Arabern waren damals gut, betont Ben-Zeev, der wie alle seine Vorfahren Arabisch spricht.
Über den Holocaust wurde wenig geredet in der Familie des jungen Yoram – wie auch in den Familien der Überlebenden, nur dass es bei den Ben-Zeevs kein unausgesprochenes Trauma gab. Ein Thema wurde die Schoah für den damals 17-Jährigen erst 1961 mit dem Jerusalemer Prozess gegen Adolf Eichmann, einen der Hauptverantwortlichen der nationalsozialistischen Mordmaschinerie. Damals sprach der israelische Generalstaatsanwalt Gideon Hausner erstmals öffentlich von sechs Millionen ermordeten Juden. Der Staat Israel existiert, damit sich der Holocaust niemals wiederholen kann: So selbstverständlich uns dieser Satz heute erscheint, so wenig war er es in den fünfziger Jahren. Damals hieß das Trauma Masada – jene Bergfestung oberhalb des Toten Meeres, in der sich die letzten tausend jüdischen Widerständler im Jahr 73 nach Christus selbst umbrachten, um den römischen Besatzern nicht in die Hände zu fallen. Es war eine Niederlage nicht nur für die Juden, sondern auch für das Römische Imperium, dem die Integration der unterschiedlichsten Volksgruppen sonst so reibungslos gelang. Die Zeit der jüdischen Diaspora begann, und sie endete nach israelischem Verständnis erst mit der Staatsgründung im Jahr 1948. „Meine Generation wuchs in dem Bewusstsein auf, dass sich Masada nicht wiederholen sollte“, sagt Ben-Zeev, dessen Vater im Unabhängigkeitskrieg 1948 starb.
Welche Erinnerungen und Emotionen andere Israelis im Innersten ihres Herzens mit den Deutschen und dem Holocaust verbänden, könne er nicht sagen. „Meine persönliche Geschichte spielt im Nahen Osten, mit den Arabern“, sagt er. „Ich kann nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Ich kann nicht für die anderen sprechen und für die emotionale Last, die sie tragen.“ Als er kurz nach dem Sechstagekrieg 1967 zum ersten Mal nach Deutschland kam, zu einer mehrwöchigen privaten Reise quer durchs Land, habe er daran nichts Besonderes gefunden. „Ich sah auf die Deutschen nicht anders als auf Amerikaner. Es gab eben gute Deutsche und schlechte Deutsche.“ Irgendwo im Rheinland wurde der junge Israeli von einem Passanten gefragt, in welcher Sprache er sich denn mit seinen Freunden gerade unterhalte. „Hebräisch“, lautete die Antwort. Es ergab sich ein Gespräch, der Deutsche lud die Touristen zu sich nach Hause ein. „Die Wärme, die diese Familie ausstrahlte, war unglaublich.“
Gerade wegen seiner Familiengeschichte war es dem neuen Botschafter besonders wichtig, gleich nach der Übergabe seines Beglaubigungsschreibens der Gedenkstätte am Berliner Bahnhof Grunewald einen Besuch abzustatten, jenem Gleis 17, von dem aus zwischen 1941 und 1945 rund 55 000 Berliner Juden in die Konzentrationslager deportiert wurden. „Wenn ich deutsche Vorfahren hätte, wäre ich dort vielleicht nicht hingegangen“, sagte Ben-Zeev. „Ich wollte den Juden meinen Respekt zollen, die von diesem Ort nach Auschwitz deportiert wurden.“
So bleibt die Geschichte ein entscheidender Faktor in den deutsch-israelischen Beziehungen, wenn auch auf eine andere Weise, als es Ben-Zeevs Vorgänger interpretiert haben. Jährliche Regierungskonsultationen, Jugendaustausch, enge Zusammenarbeit in Wirtschaft und Wissenschaft: Was wird künftig noch anders sein in Deutschlands Beziehungen zu Israel als in denen zu Frankreich, zumal wenn der jüdische Staat nach einem möglichen Friedensschluss Mitglied der NATO und in ganz ferner Zukunft vielleicht der EU sein wird? „Zwischen Deutschen und Juden gibt es eine lange Geschichte, vielleicht sogar länger als zwischen Deutschen und Franzosen. Die deutsche Kultur wäre ohne Juden ganz anders als sie ist, und die jüdische Kultur ebenso ohne die Rolle der Deutschen.“ Zwischen Deutschen und Franzosen, so der Botschafter, gab es immer eine Grenze. Zwischen Deutschen und Juden gab es eine kulturelle Symbiose.
Das ist keine neue Erkenntnis, auf die Frage nach der Natur der deutsch-israelischen Beziehungen ist es aber eine ungewohnte Antwort. Typisch für den neuen Botschafter, der die eingefahrenen Rituale im Umgang zwischen Berlin und Jerusalem mit leichtem Schritt umgeht, als hätte es sie nie gegeben. Die Zeit dafür ist reif, und Ben-Zeev ist offenkundig bereit für diese Zeit.
Für die Deutschen könnte es allerdings auch anstrengend werden mit diesem Diplomaten, der sie für die Lösung des Nahost-Konflikts in die Pflicht nimmt. Dass die Beziehungen zu Jerusalem nicht „normal“ waren, erwies sich in der Vergangenheit oft genug auch als bequem.
RALPH BOLLMANN, geb. 1969, leitet das Berliner Parlamentsbüro der taz. Er veröffentlichte zuletzt „Lob des Imperiums. Der Untergang Roms und die Zukunft des Westens“ (2008).
Internationale Politik 5, May 2008, S. 62 - 67