Balanceakt im Ostseeraum
Angeblich ein „Meer des Friedens“ in sowjetischen Zeiten, ist die Ostsee spätestens seit 2014 Brennpunkt geopolitischer Spannungen. Historische Erfahrungen der östlichen Anrainerstaaten Polen, Litauen, Estland und Lettland prägen heute das Handeln ihrer Regierungen. Deutschland sollte sich dessen stärker bewusst werden – und die richtigen Schlüsse ziehen, wenn es um das militärische Erstarken Europas geht.
In der Geografie gilt die Ostsee als Randmeer. In der Geschichte war sie stets ein Raum, in dem unterschiedlichste Mächte und Imperien um Vorherrschaft und Handelswege konkurrierten. Seit der russischen Annexion der Krim und dem Beginn von Russlands Angriffen auf die Ukraine 2014 ist der Ostseeraum sichtbar zum Brennpunkt geopolitischer Spannungen geworden.
Zwischen größeren Mächten gelegene Staaten wie Polen und die baltischen Länder sind zugleich über die schleichende Abkehr von zentralen Normen der internationalen Ordnung zutiefst beunruhigt – insbesondere der Achtung territorialer Integrität und staatlicher Souveränität. Eine wachsende internationale Akzeptanz für das Recht des Stärkeren bedroht nicht nur die Ukraine, sondern untergräbt die gesamte Struktur der internationalen Beziehungen – gerade im baltischen Raum und Osteuropa, wo die Bedrohung durch Russland unmittelbar greifbar ist.
Die Rückkehr der unberechenbaren, neoimperialen Außenpolitik Donald Trumps mit Beginn seiner zweiten Amtszeit als US-Präsident hat diese globalen Trends weiter verschärft. Die America-First-Politik und die Abkehr der US-Regierung von verlässlich geglaubten transatlantischen Sicherheitsgarantien führen in der Region zu einem grundlegenden Dilemma: Für Ostseeanrainer wie die drei baltischen Staaten und Polen sind NATO-Sicherheitsgarantien existenziell. Getrieben von historischen Erfahrungen von Invasion und Verrat haben sie ihre Sicherheit eng an die Partnerschaft mit der NATO-Führungsmacht USA gebunden.
Die neoimperialen Töne aus Washington wecken im Ostseeraum Erinnerungen an frühere Großmachtinteressen und Fremdherrschaft. Damit stellt sich für die Region eine paradoxe Frage: Wie kann man sich auf die Schutzmacht USA verlassen, deren Führung unter Trump die normativen und institutionellen Prinzipien der transatlantischen Sicherheitsordnung infrage stellt – und deren politisches Handeln also immer stärker an das erinnert, wovor sie eigentlich schützen soll?
Baltikum und Polen: traditionell transatlantisch
München, Ende der 1980er Jahre: In der Spätphase des Kalten Krieges erhielt Toomas Hendrik Ilves, damaliger Leiter der Osteuropa-Redaktion beim US-finanzierten Sender Radio Free Europe und späterer Präsident Estlands, unerwarteten Besuch. Ein Mitarbeiter des westdeutschen Auslandsgeheimdiensts BND lud Ilves zum Mittagessen ein. „Sagt diesen Balten und Esten, sie sollen diesen Unsinn mit der Unabhängigkeit sein lassen“, soll der BND-Mann lautstark gesagt und mit der Faust auf den Tisch gehauen haben. So erzählt es der britische Journalist Oliver Moody in seinem neuen Buch „Konfliktzone Ostsee“.
Nur wenige Jahre später, 1993, bot sich ein anderes Bild: Estland, Lettland und Litauen hatten mit der legendären Menschenkette des „baltischen Weges“ Hand in Hand für die Wiedererlangung ihrer nationalen Unabhängigkeit gekämpft, die sie mit dem Hitler-Stalin-Pakt, der Zwangseingliederung in die UdSSR 1940 und der Besatzung durch NS-Deutschland im Zweiten Weltkrieg verloren hatten. Die Sowjetunion war seit zwei Jahren Geschichte. Eine US-Kongressdelegation unter Leitung des republikanischen Senators John McCain besuchte unter anderem Estland und setzte ein sichtbares Zeichen der Unterstützung für den politischen und wirtschaftlichen Weg des Landes nach Westen. Der Vietnam-Kriegsveteran McCain war ein Freund der drei baltischen Republiken auf ihrem Weg zurück in die Unabhängigkeit – im Gegensatz zu vielen westeuropäischen Staaten um 1989/1991, Deutschland eingeschlossen, die sich auf gute Beziehungen zu Russland unter seinem Präsidenten Boris Jelzin konzentrierten und den „kleinen Staaten“ weniger Beachtung schenkten.
Die amerikanische Unterstützung in diesen frühen postsowjetischen Jahren prägte eine ganze Generation von Politikerinnen und Politikern in den baltischen Ländern und war, neben einer starken baltischen Diaspora in den USA, ein Grundstein für die bis heute enge Bindung nach Washington. Auch Polen, mit über 500 Kilometern Ostseeküste, dynamischer Wirtschaft und gemeinsamen Grenzen mit Litauen, Deutschland, Russland, der Ukraine und Belarus, ist ein strategisch zentraler Anrainerstaat mit traditionell engen transatlantischen Verbindungen.
In Warschau ist nicht vergessen, dass die USA 1919 als erstes Land unter Präsident Woodrow Wilson die Souveränität der neu gegründeten Republik Polen anerkannten – nach über 120 Jahren imperialer Fremdherrschaft und drei Teilungen durch das russische Zarenreich, Preußen und die Habsburger Monarchie. Unvergessen ist auch die US-Unterstützung der polnischen Bürgerrechtsbewegung in den 1980er Jahren, die zum Ende der kommunistischen Herrschaft in Polen und zum Zusammenbruch des Warschauer Paktes beitrug. „Die Entwicklung und Sicherheit Polens müssen sich auf zwei Säulen stützen: die transatlantische Zusammenarbeit, die unabhängig von der Entscheidung der amerikanischen Wähler aufrechterhalten wird, sowie die europäische Integration. Diese beiden Richtungen stehen nicht im Widerspruch zueinander“, erklärte der polnische Außenminister Radosław Sikorski noch im April 2024 bei der Vorstellung der außenpolitischen Agenda Polens im Sejm.
Kein Plan B für die Sicherheit im Ostseeraum
In der Zeit des Kalten Krieges galt die Ostsee als „Meer des Friedens“. Das war allerdings eine euphemistische, von der Sowjetunion geprägte Erzählung über eine Region, die in der Realität durch die Konfrontation der Machtblöcke und klar abgesteckte Einflusszonen geprägt war. Die massive Militarisierung der russischen Exklave Kaliningrad, Provokationen und Sabotageakte durch Schiffe der sogenannten russischen „Schattenflotte“, Luftraumverletzungen, Störung von Funksignalen im Luftverkehr und gezielte Cyberattacken auf Estland, Lettland, Polen, Finnland und andere Staaten sind heute an der Tagesordnung und belegen: Moskau testet die Reaktionsfähigkeit der NATO systematisch aus.
Und die USA? Trump stellt die Partnerschaft mit den europäischen NATO-Verbündeten infrage, droht mit dem Rückbau amerikanischer Sicherheitsgarantien und sucht die Annäherung an Moskau – ganz im Stil klassischer Großmachtpolitik. Auch Polen als treuester US-Verbündeter gerät ins Visier. Die öffentliche Auseinandersetzung zwischen Sikorski, Elon Musk und US-Außenminister Marco Rubio über Polens Ukraine-Unterstützung auf der Plattform X Anfang März zeigte die mangelnde Wertschätzung Washingtons gegenüber Warschau. Im Gegenzug kritisierte Polens Regierungschef Donald Tusk die amerikanische Führung deutlich: „Wahre Führung bedeutet Respekt gegenüber Partnern und Verbündeten … Niemals Arroganz. Liebe Freunde, denkt darüber nach“, schrieb er auf X.
Die disruptive Umorientierung ihrer Außenpolitik flankiert die neue US-Regierung mit neoimperialen Territorialansprüchen auf Grönland, die als legitime Sicherheitsinteressen der Vereinigten Staaten formuliert werden. Der Eklat um den ungebetenen Besuch von US-Vizepräsident J.D. Vance und seiner Ehefrau auf Grönland Ende März unterstreicht, wie wenig diplomatische Rücksicht Washington derzeit zeigt – und wie sehr Machtdemonstration die neue Währung ist.
Solche Manöver bestärken Polen und die baltischen Staaten, entschlossen für die eigene Einbindung in sicherheitspolitische Entscheidungen einzutreten. Tusk warnte vor möglichen Verhandlungen zwischen Trump und Putin „hinter dem Rücken“ der Ukraine und der osteuropäischen Staaten. Die baltischen Staats- und Regierungschefs betonen, dass bilaterale Abkommen, die eine Anerkennung russischer Gebietsansprüche – wie der Krim – beinhalten, inakzeptabel wären. Moskau würde dies als grünes Licht für weitere Aggressionen verstehen.
Die interessengeleitete US-Großmachtpolitik Trumps trifft in der sicherheitspolitisch sensiblen Ostseeregion auf ein historisches Gedächtnis, das geprägt ist von Krieg, Besatzung und Gewalt. Die enge Partnerschaft mit und das Vertrauen in die USA als Schutzmacht und Sicherheitsgarant war für die drei baltischen Staaten und Polen eine logische Konsequenz der „anni mirabili“ 1989 bis 1991: Befreit von sowjetischer Kontrolle, strebten diese Staaten nach der NATO-Mitgliedschaft, und das transatlantische Bündnis, angeführt von den USA, nahm sie bereitwillig auf. US-Sicherheitsgarantien wurden zum Eckpfeiler ihrer Verteidigungspolitik, und die baltischen und polnischen Staats- und Regierungschefs betonten wiederholt, dass es für ihre Sicherheit keinen Plan B gebe. Der polnische Präsident Andrzej Duda betonte stets, „wie wichtig die Rolle der NATO und die Präsenz amerikanischer Truppen in Polen und Europa ist“.
Genau diese Staaten, die seit Jahren vor der russischen Bedrohung warnen und überdurchschnittlich in Verteidigung investieren, erleben nun, dass sich ihr engster Verbündeter von ihren Sicherheitsinteressen zu entfernen scheint. Um eine Führungsrolle an der NATO-Ostflanke beim Ausbau europäischer Verteidigungsfähigkeiten zu spielen, bräuchten sie nun deutlich größere Unterstützung und Akzeptanz europäischer Partner wie Frankreich und Deutschland. Wird diese kommen?
Deutschland muss deutlicher Flagge zeigen
Deutschland steht vor einem kritischen historischen Moment: Seine vorsichtige, historisch bedingte Ambivalenz gegenüber einer entschiedeneren regionalen Führungsrolle im Ostseeraum prägt seine Herangehensweise an die Sicherheit in der Region – und kollidiert mit der sicherheitspolitischen Klarheit und den Bedürfnissen seiner osteuropäischen Verbündeten. Die zögerliche Haltung Deutschlands hat in Polen und den baltischen Staaten wiederholt Frustration und Beunruhigung ausgelöst, der deutsche Ansatz galt dort angesichts der russischen Aggressionen seit 2008 als gefährlich selbstgefällig und geschichtsvergessen. Das Konzept der Friedensdividende, das in Westeuropa und insbesondere in Deutschland nach dem Kalten Krieg prägend war, wirkte in Warschau, Tallinn, Riga oder Vilnius stets widersinnig.
Das langjährige Zögern Deutschlands und die engen Verflechtungen mit Russland, beispielsweise mit dem Nord-Stream-2-Projekt, sind angesichts der wachsenden Bedrohung aus Russland seit dem Überfall auf Georgien von diesen Ländern immer wieder deutlich kritisiert worden. Mit den geopolitischen Disruptionen durch die neue US-Regierung seit Januar steht Deutschland erneut in der Kritik, insbesondere im Rahmen des wiederbelebten Weimarer Dreiecks, durch das Polen neben Deutschland und Frankreich in den Mittelpunkt der strategischen Führung Europas gerückt ist.
In seiner Zeit als Bundeskanzler bekräftigte Olaf Scholz das Bekenntnis Deutschlands zur Einheit der NATO stets nachdrücklich und setzte sich für stärkere europäische Beiträge innerhalb der NATO ein. Im Gegensatz dazu hat der nächste Bundeskanzler und CDU-Vorsitzende Friedrich Merz Anfang 2025 Skepsis gegenüber der fortgesetzten Abhängigkeit von US-Garantien geäußert, sich für eine europazentrierte Sicherheitsstrategie ausgesprochen und kontrovers diskutierte alternative nukleare Sicherheitsvereinbarungen mit Frankreich und Großbritannien ins Spiel gebracht – ein Tabubruch aus Sicht vieler osteuropäischer Verbündeter, die sich nachdrücklich für ein anhaltendes Engagement der Vereinigten Staaten einsetzen.
Ein klarer und abgestimmter Kurs der europäischen Partner in Sicherheitsfragen ist durch Donald Trumps Rückkehr noch dringlicher. Die Staats- und Regierungschefs der baltischen Staaten und Polens äußern sich öffentlich hoffnungsvoll über das anhaltende amerikanische Engagement in der NATO, bleiben aber vorsichtig gegenüber Trumps unberechenbaren Tendenzen. Tusk bezeichnete Trumps Rückkehr als „ernsthafte Herausforderung“ und warnte vor möglichen Verhandlungen zwischen den USA und Russland, die die Ukraine und die Interessen Osteuropas ignorierten.
Die Einlassungen Wladimir Putins Ende März in Murmansk, in denen er die Ansprüche der USA auf Grönland als „bilaterale Angelegenheit“ herunterspielte, Verständnis äußerte und gleichzeitig Neuwahlen in der Ukraine sowie eine UN-Schutztruppe ins Gespräch brachte, zeigen, wie schnell neue geopolitische Dynamiken entstehen und dass die Warnungen der Polen und Balten berechtigt sind. Gerade vor diesem Hintergrund wird es noch wichtiger, dass Deutschland innerhalb der NATO in Abstimmung mit den Ländern an der Ostflanke jetzt deutlicher Flagge zeigt. Nur so kann eine kohärente, robuste Haltung gegen Aggressionen und Bedrohungen von außen bewahrt werden.
Trumps neoimperiale Politik und isolationistische Rhetorik zwingen Deutschland auch, seine strategische Haltung neu zu bewerten. Die baltischen Staaten und Polen haben Donald Trumps zweite Amtszeit mit gemessener Höflichkeit, aber klarer Vorsicht begrüßt. Um das Risiko eines amerikanischen Rückzugs zu mindern, erhöhen alle drei baltischen Staaten ihre Verteidigungsausgaben noch einmal erheblich.
Nach Trumps Wahlsieg im November 2024 stimmte sich Tusk mit den Staats- und Regierungschefs Frankreichs, Großbritanniens und der baltischen Staaten ab, um die Einigkeit in der Ukraine-Politik zu stärken, und betonte, dass jede Washington-Moskau-Entscheidung, die die Ukraine ausschließt, katastrophal wäre. Polen investiert stark in regionale Bündnisse wie die „Bukarester Neun“ und die Drei-Meere-Initiative und positioniert sich als Eckpfeiler der Ostflanke der NATO. Die Erfahrungen aus ihrer Geschichte als „Pufferstaaten“ zwischen Großmächten mit eigenen geopolitischen Interessen, die sie auf dem Rücken ihrer kleineren Nachbarn ausfochten, hat die östlichen Ostseeanrainer gelehrt, wehrhaft und proaktiv zu handeln und in Bündnissen zu denken. Diese Kompetenzen werden jetzt dringender denn je gebraucht. Formate, die nicht nur die kollektive Stimme Osteuropas stärken, sondern auch die strategische Widerstandsfähigkeit aller europäischen NATO-Partner gegen Aggressionen von außen erhöhen, sind besonders gefragt.
Die baltischen Staaten, obwohl keine formellen Mitglieder des Weimarer Dreiecks, haben ihre sicherheitspolitischen Anliegen erfolgreich in europäische Diskussionen eingebracht und sich an die polnische Diplomatie angelehnt. Ihre Unterstützung für den Vorschlag eines europäischen Nuklearschirms von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zeigt ihre einflussreiche Rolle bei der Gestaltung der strategischen Prioritäten Europas. Warschau fungiert als diplomatisches Bindeglied, um die Interessen der östlichen NATO-Flanke in Berlin und Paris zu kommunizieren. Zusammen bilden Polen und die baltischen Staaten eine immer einflussreichere sicherheitsorientierte Koalition, was darauf hindeutet, dass sich das Weimarer Dreieck, bereichert durch Osteuropa, zu einer neuen Triebkraft entwickeln könnte, die die traditionelle deutsch-französische Achse ergänzt, um die aktuellen Sicherheitsdilemmata Europas anzugehen.
Angesichts Trumps Außenpolitik, der aggressiven Haltung Russlands und des hohen Bedrohungs- und Sicherheitsbewusstseins an der NATO-Ostflanke ist Deutschlands vorsichtige Haltung ein Problem. Deutschland muss Polen und die baltischen Staaten aktiv unterstützen und mit ihnen in Verteidigungs- und Sicherheitsfragen eng zusammenarbeiten, indem es sich deren Realpolitik und Pragmatismus zu eigen macht, der von historischen Erfahrungen geprägt ist. Das wäre – neben allen Sondervermögen und erhöhten Wehretats – eine wichtige Investition in eine sichere und freiheitliche Zukunft Europas.
Der gegenwärtige geopolitische Kontext verlangt von Deutschland ein entschlossenes, einheitliches Vorgehen – eines, das die historischen Lehren anerkennt und einen robusten strategischen Weg nach vorne aufzeigt. Die deutschen Debatten um Russlands Krieg gegen die Ukraine verdeutlichen, wie dringend es für Berlin ist, historische Verantwortung im Sinne einer proaktiven Führung und eines Dialogs auf Augenhöhe mit Ländern wie Polen, Lettland, Estland und Litauen zu übernehmen.
Kein weiteres „Wir haben es Euch vorhergesagt“ riskieren
Deutschland und die europäischen NATO-Verbündeten täten gut daran, sich umgehend an die neuen Realitäten im transatlantischen Verhältnis zu gewöhnen – und ihnen mit strategischer Klarheit und diplomatischem Geschick zu begegnen. Für den Umgang mit diesen neuen Realitäten sind die historischen Erfahrungen und sicherheitspolitischen Kompetenzen der östlichen Ostseeanrainerstaaten von großer Bedeutung. Ihre robusten sicherheitspolitischen Maßnahmen und ihre – trotz aller Irritationen – funktionierenden Kanäle nach Washington können der NATO helfen, die Sicherheit im Ostseeraum angesichts einer vermutlich über Jahrzehnte andauernden Bedrohung durch Russland zukunftsfähig zu gestalten. Sie sind ein wichtiges Gegengewicht zu der Achse, die sich zwischen Washington und Moskau abzuzeichnen beginnt.
Doch genau hier liegt das zentrale Dilemma: Die Sicherheit Osteuropas basiert auf einer Schutzmacht, deren strategische Interessen sich unter Trump von den europäischen Sicherheitsbedürfnissen entkoppeln. Das zwingt Europa – und insbesondere die Staaten an der NATO-Ostflanke – zu einer neuen sicherheitspolitischen Selbstdefinition: Wie kann ein transatlantisches Verhältnis 2.0 aussehen, das historische Bindungen wahrt, aber zugleich realpolitisch auf neue Unsicherheiten reagiert?
Die Verhandlungen zwischen den USA und Russland über einen möglichen Waffenstillstand in der Ukraine zeigen, dass Absprachen zwischen den beiden Ländern zulasten der von Russland überfallenen Ukraine gehen werden. Die europäischen NATO-Staaten sollten die Kompetenzen und Kanäle ihrer „Musterschüler“ in der östlichen Ostsee nutzen, um Sicherheitsbedürfnisse der Region stärker in die amerikanische Wahrnehmung einzuspeisen. Gleichzeitig bringen genau diese Länder die strategische und militärische Kompetenz mit, die Europa jetzt braucht, um eine glaubwürdige Abschreckung und Verteidigung gegenüber Russland zu etablieren. Deutschland sollte diese Kompetenzen jetzt endlich ernst nehmen und seine Kraft dafür einsetzen, sie als Partner auf Augenhöhe zu unterstützen. Denn noch ein „Wir haben es Euch vorhergesagt“ wie im Falle der russischen Vollinvasion 2022 kann und darf Europa nicht riskieren.
Internationale Politik 3, Mai/Juni 2025, S.100-105
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