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01. Nov. 2004

Auf dem Weg zum Elysée

Die pragmatische Profilierungspolitik des Senkrechtstarters Nicolas Sarkozy

In Frankreich hat bereits jetzt das Rennen um die Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen des
Jahres 2007 begonnen. Für Martin Koopmann vom Forschungsinstitut der DGAP hat der bisherige
Wirtschafts- und Finanzminister Nicolas Sarkozy gute Chancen; er sieht den „politischen
Senkrechtstarter der Bürgerlichen“ schon heute „auf dem Weg zum Elysée“.

In Frankreich laufen sich die Kandidaten warm. Dabei mag sich so mancher Beobachter, der mit französischer Innenpolitik etwas weniger vertraut ist, fragen, um welche Kandidaturen es eigentlich geht.

Laurent Fabius, ehemaliger Premierminister sowie Wirtschafts- und Finanzminister, bisher nicht wegen europaskeptischer Überzeugungen bekannt, exponiert sich kurz vor dem parteiinternen Europa-Referedum der Parti socialiste (PS) mit einer ausdrücklichen Ablehnung des europäischen Verfassungsvertrags. Der 49 Jahre alte Nicolas Sarkozy gibt sein Amt als französischer Wirtschafts- und Finanzminister auf, um sich am 28. November 2004 zum Vorsitzenden der bürgerlichen Sammlungspartei „Union pour un mouvement populaire“ (UMP) wählen zu lassen.

Doch die Positionen als potenzieller Meinungsführer des PS in Europa-Fragen und als UMP-Chef sind nur Durchgangsstationen auf dem Weg zu höheren Weihen: Im Frühjahr 2007 wählen die Franzosen einen neuen Staatspräsidenten. Spitzenpolitiker aus beiden großen Lagern bringen sich bereits heute dafür in Stellung und nehmen dabei das Risiko in Kauf, politisch ins Abseits zu geraten oder auf dem langen Weg bis 2007 von Konkurrenten überholt zu werden. Besonders für Fabius ist dieses Risiko durchaus reell, ist ein Sieg der Verfassungsgegner auf dem Parteitag des PS doch keineswegs sicher.

Auch Sarkozy, politischer Senkrechtstarter der Bürgerlichen nach den Wahlsiegen bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2002, ist noch weit davon entfernt, sich offiziell um die Nachfolge von Jacques Chirac bewerben zu dürfen. Gleichwohl sind seine Aussichten um einiges besser als die von Fabius. Vor allem zwei Faktoren begründen diese gute Startposition: die gegenwärtige Schwäche seiner innerparteilichen Konkurrenten sowie seine Erfolgsbilanz als Minister seit dem Regierungswechsel vor gut zwei Jahren.

Fast zehn Jahre, nachdem er die Präsidentschaftskandidatur Edouard Balladurs unterstützt und sich damit gegen seinen politischen Ziehvater Jacques Chirac gestellt hatte, könnte sich diese Entscheidung nun auszahlen. Der von Chirac als „natürlicher“ Nachfolger im Amt des Staatspräsidenten ausersehene Alain Juppé musste in der Korruptionsaffäre um die Veruntreuung öffentlicher Gelder aus der Zeit Chiracs als Pariser Bürgermeister den Kopf für seinen damaligen Chef hinhalten. Nach seiner Verurteilung in erster Instanz kündigte er den Rückzug von allen öffentlichen Ämtern sowie vom Parteivorsitz der UMP an. Die Glaubwürdigkeit Chiracs, der theoretisch ein weiteres Mal für das Amt des Staatspräsidenten kandidieren könnte, hat durch die Affäre ebenfalls erheblichen Schaden genommen. Noch ist der amtierende Präsident durch seine Immunität gegen eine Anklage geschützt, doch bereitet die Staatsanwaltschaft in Nanterre bereits seit 2002 ein Verfahren gegen ihn für die Zeit nach Ende seiner Präsidentschaft vor. Ein weiterer potenzieller Kandidat Chiracs, Innenminister Dominique de Villepin, verfügt in der UMP über keine Hausmacht – und unterscheidet sich in diesem Punkt erheblich von seinem Kabinettskollegen Sarkozy.

Chirac ist innerparteilich in die Defensive geraten. Die Hürden, die er Sarkozy auf dessen Weg an die Spitze des Staates in den Weg stellt, wirken wie Rückzugsgefechte und schaden seinem ohnehin angekratzten politischen Image. Nach dem Willen Chiracs wird Sarkozy sein Ministeramt aufgeben, um den Parteivorsitz übernehmen zu dürfen. Hätte diese Regel bereits früher für Chirac gegolten, der zeitgleich unter anderem Premierminister und Parteivorsitzender war, dann hätte seine Karriere wohl einen anderen Verlauf genommen.

Doch ist es nicht auszuschließen, dass diese Verhinderungstaktik Chiracs den Aufstieg Sarkozys noch befördert. Schließlich stellt dieser gerade in Sachen Glaubwürdigkeit gleichsam den Gegenentwurf zum amtierenden Präsidenten dar. Der Sohn ungarischer Einwanderer hat sich bei seiner Karriereplanung nicht auf die üblichen Pfade begeben, die ihm durchaus offen gestanden hätten. Im Gegensatz zu Chirac, Juppé oder de Villepin entschied er sich nach dem Diplom an der Eliteschule „Sciences Po“ gegen den üblicherweise folgenden Schritt an die ENA. Er ist frei von Korruptionsvorwürfen und pflegt darüber hinaus einen engen Kontakt zur Parteibasis, was ihn zum Hoffnungsträger einer großen Mehrheit in der UMP macht.

Profilierungspolitik

Entscheidend für seinen gegenwärtigen Erfolg ist seine Politik als Innenminister seit 2002 und – in geringerem Maße – als Wirtschafts- und Finanzminister seit diesem Frühjahr. Beide Posten standen beim Amtsantritt Sarkozys im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit. Als Innenminister profitierte er davon, dass die politische Rechte die Wahlen in erster Linie mit dem Thema „innere Sicherheit“ gewonnen hatte. Es gelang ihm innerhalb kurzer Zeit, den Eindruck eines Politikers zu erwecken, der die Sorgen der Bürger ernst nimmt und der politischen Rhetorik auch konkrete Maßnahmen folgen lässt.

Ob durch die Umstrukturierung und verbesserte Ausstattung von Polizei und Gendarmerie, die Einführung neuer Straftatbestände, die Ausdehnung der polizeilichen Kompetenzen oder die Einigung mit London über die Schließung des Flüchtlingsauffanglagers Sangatte am Ärmelkanal (Großbritannien nimmt die Flüchtlinge auf): verbunden mit seiner von ihm selbst massiv beförderten Medienpräsenz wurde Sarkozy schnell in den Meinungsumfragen zum beliebtesten Kabinettsmitglied des blassen Premierministers Jean-Pierre Raffarin. Da störte es auch kaum, dass die französischen Haftanstalten binnen kurzem überfüllt waren oder dass die Europäische Menschenrechtskommission Teile des von Sarkozy auf den Weg gebrachten Gesetzes zur inneren Sicherheit als bedrohlich für die bürgerlichen Grundfreiheiten bewertete.

Dennoch wäre es unzutreffend, Sarkozy ausschließlich als „Law-and-Order“-Minister zu qualifizieren. So wurde seine Ablösung als Innenminister durch Dominique de Villepin von den korsischen Nationalisten durchaus kritisch beurteilt. Gemeinsam mit Raffarin hatte Sarkozy ein erhebliches Maß an Dialogbereitschaft in der Korsika-Frage bewiesen und der Insel nach eigenen Worten eine „Vorreiterrolle“ bei der Dezentralisierung zugeschrieben. Wenn das korsische Referendum über den begrenzten Autonomiestatus der Insel nicht knapp gescheitert wäre, hätte er sich einen erheblichen Erfolg als Verhandlungspolitiker zuschreiben können.

Nicolas Sarkozy ist kein Dogmatiker. In seiner kurzen Zeit als Wirtschafts- und Finanzminister stellte er unter Beweis, dass er nicht nur als Minister der Industrie und der Besserverdienenden erscheinen wollte. Seine Unterstützung von Schlüsselindustrien, etwa gegenüber der Europäischen Kommission, verknüpfte er mit der Bedingung, dass diese das maximal Mögliche für den Erhalt von Arbeitsplätzen tun sollten. Dem Einzelhandel wird die Öffnung zahlreicher Geschäfte auch am Sonntag gestattet – jedoch nur dann, wenn bestimmte sozialpolitische Auflagen erfüllt werden. Während er eine rigide Sparpolitik bei den Staatsausgaben verfolgt, setzt er zugleich Preissenkungen im Einzelhandel durch.

Sarkozy wollte Finanzminister „aller Franzosen“ sein, und dieser Anspruch schien manchmal schon einer präsidialen Attitüde gleichzukommen. Dass er trotz angespannter Haushaltslage kleinere politische Geschenke verteilen kann, verdankt er der in diesem Jahr erstmals wieder anziehenden Konjunktur in Frankreich, die für das Jahr 2004 ein Wachstum von mehr als 2,5 Prozent und für das nächste Jahr die Einhaltung des Maastrichter Defizitkriteriums erwarten lässt. Zugleich scheut er keinen Konflikt mit Chirac, im Gegenteil: Gegen massiven Widerstand der Verteidigungsministerin, die sich in ihrer Position des Rückhalts Chiracs sicher sein konnte, setzte er durch, dass das Verteidigungsbudget im Jahr 2005 nur mit der Inflationsrate steigen wird.1

Auch ist es nicht zuletzt dem Druck des Finanzministers zuzuschreiben, dass Chirac von seinem ehrgeizigen und letztlich unrealistischen Ziel (das noch aus Wahlkampfzeiten stammt) abrückte, die Einkommensteuer innerhalb von fünf Jahren um 30 Prozent zu senken. Indem er schließlich einen EU-Beitritt der Türkei ablehnt und sich stattdessen für eine enge Partnerschaft ausspricht, geht er, wie zahlreiche seiner Parteifreunde auch, auf direkten Konfrontationskurs zum Präsidenten – und weiß sich dabei in Übereinstimmung mit einer großen Mehrheit der Franzosen.

Irritationen zwischen Paris und Berlin

Dass Sarkozy seine pragmatische Profilierungspolitik auch nicht den Interessen des wichtigsten außenpolitischen Partners Frankreichs unterordnet, musste dieser in den letzten Monaten ernüchtert konstatieren. Seit den deutsch-französischen Konfrontationen wegen Sanofi-Aventis und Alstom-Siemens herrscht wirtschaftspolitisch Eiszeit zwischen Paris und Berlin. Dies hat nur teilweise damit zu tun, dass die ordnungspolitischen Überzeugungen des gaullistischen Interventionisten Sarkozy und des liberalen Sozialdemokraten Wolfgang Clement unterschiedlicher kaum sein könnten.

Die konzeptionellen Differenzen sind keineswegs neu und standen in den achtziger und neunziger Jahren einer konstruktiven bilateralen Kooperation bei den Vorarbeiten für die Wirtschafts- und Währungsunion der EU auch nicht im Weg. Doch sind die Vorzeichen heute andere: Beide Länder stecken in einer schweren wirtschaftlichen Krise, und die Regierungen sind nur mit Mühe in der Lage, ihren Bevölkerungen die Notwendigkeit tief greifender Strukturreformen zu vermitteln. Ein europa- und außenpolitisch unerfahrener Minister wie Sarkozy setzte in diesem Zusammenhang in erstaunlicher Unbekümmertheit auf Konfrontation statt auf Dialog – und geriet damit wie durch Zufall ein weiteres Mal in Kollisionskurs zu seinem eigenen Präsidenten.

Für Chirac sind die deutsch-französischen Beziehungen das Herzstück seiner Außen- und vor allem seiner Europa-Politik. Auch wenn dies nicht immer so war und von Kritikern zu Recht auf die unzureichende Anpassungsfähigkeit des bilateralen „Motors“ an die Bedingungen der erweiterten Europäischen Union hingewiesen wird: ob Irak, Stabilitätspakt oder EU-Beitritt der Türkei – der deutsch-französische Reflex ist inzwischen bei Staatspräsident und Bundesregierung fest verankert.

Von Sarkozy aber waren in diesem Zusammenhang andere Worte zu vernehmen. Frankreich müsse von einem exklusiven deutsch-französischen Dialog Abstand nehmen und sich stattdessen einer Kooperation mit den anderen großen europäischen Partnern öffnen. Allerdings sollten derartige Äußerungen eines medienbewussten Ministers und selbst ernannten Präsidentschaftsanwärters, auch wenn sie in der Öffentlichkeit einigen Widerhall fanden, nicht überbewertet werden. Zum einen standen auch schon andere spätere Kanzler und Präsidenten vor ihrem Amtsantritt und selbst zu Beginn ihres Mandats den deutsch-französischen Beziehungen eher reserviert gegenüber – und erkannten dann doch schnell die unbedingte Notwendigkeit guter bilateraler Beziehungen (neben Helmut Schmidt und François Mitterrand zählen auch Gerhard Schröder und Jacques Chirac dazu).

Zweitens ist die Öffnung der Beziehungen zwischen Berlin und Paris für Dritte in wichtigen Fällen längst Realität geworden. So kooperieren seit einigen Monaten die Innenminister von Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien bei der Terrorbekämpfung. In der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik gibt es mehrere Beispiele gelungener trilateraler Kooperationen mit Großbritannien. Schließlich scheut sich, drittens, auch Sarkozy selbst nicht, das Gewicht der deutsch-französischen Beziehungen dann zu nutzen, wenn es seinen Interessen dienlich sein könnte – etwa bei der von ihm angestrebten Harmonisierung der Unternehmenssteuern in der EU.

Parteivorsitz mit Risiko

Was für Folgen wird der Schritt von Sarkozy an die Spitze der UMP haben? Für seine eigene politische Karriere ist der Parteivorsitz keineswegs risikofrei. Die UMP ist keine politische Partei im eigentlichen Sinn, sondern eine Sammlungsbewegung verschiedener bürgerlicher Parteien und Strömungen. Sie wird von Sarkozy selbst mit einiger Sicherheit nicht als das ideale Instrument für den Ausbau seiner eigenen Position gesehen. Schon in seiner Zeit als 29-jähriger Bürgermeister von Neuilly, einer der reichsten Städte Frankreichs, aber auch in seiner weiteren Karriere bestimmten stets die politischen Aufgaben darüber, welche Bündnisse er einging und nicht umgekehrt. Auch wenn er viel für seine Popularität in der Partei tut, bietet die UMP Sarkozy keine wirklich stabile Basis für seine politische Arbeit. Die deutlichen Wahlniederlagen bei den Regional- und Europa-Wahlen unterstreichen dies.

Die UMP wurde ursprünglich als „Union pour la majorité présidentielle“ gegründet, als Wahlkampfmaschine für Jacques Chirac beziehungsweise dessen ehemals potenziellen Nachfolger Alain Juppé. Dennoch: für die Partei selbst ist der Vorsitzende Sarkozy die beste Chance, aus dem gegenwärtigen Tief herauszufinden.

Es wird für ihn in den kommenden zweieinhalb Jahren auf zwei wesentliche Aspekte ankommen: Zum einen, ob der Debattenredner Sarkozy mit den Erfolgen und der allgegenwärtigen Präsenz des Ministers Sarkozy mithalten kann. Und zum andern, ob nicht doch, nach dem weiterhin möglichen Ausscheiden Raffarins, der Posten des Premierministers zu vergeben sein wird. Dann könnte sich noch einmal – trotz der aktuellen Barrieren Chiracs gegen Ämterhäufung – die Frage stellen, ob sich Sarkozy als Partei- oder als Regierungschef für die Präsidentschaftskandidatur im Jahr 2007 warm laufen wird.

Anmerkung

1 Nach Steigerungen von 7,5% im Jahr 2003 und 4,3% in diesem Jahr soll das Verteidigungsbudget nach den Vorstellungen Sarkozys im Jahr 2005 nur um 2,1% angehoben werden.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 11-12, November/Dezember 2004, S. 149‑153

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