IP

01. Jan. 2012

Afghanische Lektionen

Wie die Bundesregierung Auslandseinsätze besser kommunizieren kann

Wenn die Bundesregierung und die Oppositionsparteien, die in dieser Frage übereinstimmen, den Rückhalt der deutschen Bevölkerung für Auslandseinsätze der Bundeswehr vergrößern wollen, müssen sie über strategische Kommunikation nachdenken. Sonst werden die Lehren, die derzeit aus dem Afghanistan-Krieg gezogen werden, zu kurz greifen.

Der 4. September 2009 markiert eine Zäsur in der deutschen Außenpolitik. An diesem Tag endete die Illusion der Deutschen, dass es sich bei dem Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan lediglich um eine humanitäre Mission handele. Nachdem zwei NATO-Tanklaster von den Taliban entführt worden waren, erteilte der deutsche Oberst Georg Klein amerikanischen Bombern den Befehl, die Aufständischen anzugreifen. Untersuchungen ergaben später, dass durch den Luftangriff 142 Menschen ums Leben kamen, darunter über 100 Zivilisten. Die Details des Vorfalls, der sich kurz vor den Bundestagswahlen ereignete, wurden der Öffentlichkeit zunächst verschwiegen.

Als zwei Monate später das verheerende Ausmaß des Angriffs ans Licht kam, war der Aufschrei in der Bevölkerung und selbst innerhalb des Regierungslagers groß. Den Deutschen wurde – nach achteinhalb Jahren – schmerzlich bewusst, dass sich ihr Land im Krieg befand, auch wenn die Regierung das in der Deutlichkeit nicht zugab und lediglich ein Teil der Informationen über den Militäreinsatz zu ihnen drang. Die Tanklaster-Bombardierung verstärkte die Anti-Kriegshaltung der Deutschen und beschädigte das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung.

Management von Informationen

Strategische Kommunikation hätte geholfen – und wäre heute ein geeigneter Ansatz für die deutsche Regierung und die Zivilgesellschaft, um ihre divergierenden Meinungen über Auslandseinsätze einander anzunähern. Strategische Kommunikation ist ein häufig angewandtes Instrument in den Bereichen Marketing und Öffentlichkeitsarbeit und meint in erster Linie das Management von Informationen, die für die Öffentlichkeit bestimmt sind und dabei einer klaren Strategie folgen sollen. Idealerweise orientiert sich strategische Kommunikation an unterschiedlichen gesellschaftlichen Positionen und transportiert hauptsächlich solche Schlüsselinformationen, die der Durchschnittsbürger leicht verstehen und wiedergeben kann.

Von offizieller Seite wurden mittlerweile Fehler in der Informations­politik beim Afghanistan-Einsatz eingeräumt, und die Frage, wie wenig oder viel man über die harsche Wirklichkeit von Kampfhandlungen am Boden hätte kommunizieren sollen, wird kontrovers diskutiert. Dabei hat der von Oberst Klein befohlene Luftangriff von Kunduz gezeigt, dass es besser für die Politik ist, wenn sie die öffentliche Besorgnis ernst nimmt, als darauf zu hoffen, dass sie mit der Zeit verschwindet. Denn die deutsche Gesellschaft ist bereit für einen ehrlichen Dialog über Auslands­einsätze – das ist laut Bundestagsabgeordneten sowie Vertretern der Bundeswehr und der NATO die größte Lektion, die aus dem Einsatz am Hindukusch gezogen werden kann. Mit dieser Erkenntnis im Hinterkopf sollte die Regierung nun darüber nachdenken, wie sie ein adäquates Kommunikationsmanagement in ihren Umgang mit der Bevölkerung in dieser Frage integrieren kann.

Trotz der kritischen deutschen Öffentlichkeit ist ein ehrlicher und direkter Dialog nicht zwangsläufig aussichtslos. Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der Deutschen befürchtet, dass Deutschland als Konsequenz der NATO-Mitgliedschaft in immer mehr militärische Auslandseinsätze hineingezogen wird. Häufig genannte Kritikpunkte am Afghanistan-Einsatz sind Aussagen wie „der Kampf gegen den Terrorismus tangiert das Leben in Deutschland nur wenig“, „der militärische Einsatz erhöht die Gefahr, dass deutsche Bürger zum Angriffsziel für Terroristen werden“, „Terrorismus, der dadurch eventuell innerhalb Deutschlands provoziert wird, ist Besorgnis erregender als die Terroristen, die in Afghanistan oder Pakistan aktiv sind“, und „das militärische Engagement der Bundeswehr in Afghanistan steht im Widerspruch zu ihrer verfassungsmäßigen Aufgabe, ausschließlich für die Landesverteidigung zuständig zu sein“.

Obwohl viele Deutsche im September 2009 den Abzug der deutschen Truppen aus Afghanistan forderten, gaben 58 Prozent der Deutschen an, den Militäreinsatz in Afghanistan für ein unwichtiges Thema bei der bevorstehenden Bundestagswahl zu halten, gegenüber 36 Prozent, die die Frage als ein wichtiges Thema bezeichneten, und vier Prozent, die es für entscheidend hielten (zwei Prozent waren unentschlossen). Insgesamt interessiert sich die Mehrheit der Deutschen eher für innenpolitische Themen, die das alltägliche Leben stärker betreffen. Entgegen der Statistiken ist die negative öffentliche Meinung weitgehend passiv – und das schafft Räume für eine größere gesellschaftliche Akzeptanz militärischer Auslands­einsätze.

Indem Defizite offizieller Kommunikation behoben werden, kann die Ablehnung der Bevölkerung langfristig in eine größere Unterstützung der Bundeswehreinsätze umgekehrt werden. Die öffentlichen Debatten, die sich daraus ergeben, können genutzt werden, um die Effekte des „Regierungsparadox“ zu minimieren, das sich aus dem schwierigen Balanceakt der Regierung ergibt, die zwischen dem Einlösen internationaler Verantwortung in den Sicherheitsbündnissen und der Notwendigkeit gesellschaftlicher Unterstützung für die Dauer der Einsätze hin und her gerissen ist.

Die Angst davor, innenpolitische Destabilisierung und schwerwiegende politische Konsequenzen hervorzurufen, hat die Regierung bisher dazu veranlasst, der Bevölkerung gewisse Informationen vorzuenthalten. Im Fall Afghanistan wurde der offene Dialog erst durch die Ereignisse in Kunduz angestoßen. Innerhalb weniger Monate erkannte die Regierung immer deutlicher, dass die deutsche Bevölkerung bereit war für einen offenen Austausch über die militärische Präsenz der Bundeswehr am Hindukusch. Die direkte Sprache des damaligen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg nahmen viele politische Führungskräfte zum Vorbild und lieferten der Öffentlichkeit nun mehr Details und Erläuterungen zum Militäreinsatz, womit sie offenkundig einem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit begegneten.

Die Erklärung des untrennbaren Zusammenhangs zwischen nationaler und internationaler Sicherheit kann diese neuen Entwicklungen verstärken. Indem systematisch erklärt wird, welche Rolle Deutschland im Bereich internationaler Sicherheit spielt, wird mehr Transparenz geschaffen, und die informierte Bevölkerung kann mit an Bord geholt werden. Die hitzigen Debatten, die im Anschluss an die Enthaltung Deutschlands bei der UN-Entscheidung über den Libyen-Einsatz geführt wurden, zeigen, dass immer mehr informierte Bürger die Bedeutung der sicherheitspolitischen Verantwortung Deutschlands erkennen und diese als wesentliche Voraussetzung dafür ansehen, dass Deutschland zukünftig einen positiven Einfluss auf die internationale Politik ausüben kann.

Eine Kampagne aller Lager

Eine Informationskampagne, die von allen politischen Lagern gemeinsam durchgeführt würde, müsste in diesem Zusammenhang folgende Ziele verfolgen: Erstens die Erstellung konkreter Vorgaben für die Kommunika­tion „von oben nach unten“, zweitens die Festlegung eines strategischen Prozesses für die Verbreitung von Informationen, und drittens die Öffentlichmachung des Vorhabens, um mehr Unterstützung von Seiten der Bevölkerung zu gewinnen.

Es wäre ein immenser Fortschritt, wenn deutsche Politiker öffentlich erklärten, wie sie sich von denjenigen Bündnispartnern Deutschlands abgrenzen, die eine kriegerischere, auf Hard Power setzende Philosophie vertreten. Und wenngleich es leichter gesagt als getan ist, dass Vertreter aller politischen Lager sich für diese Informationskampagne engagieren sollten, spricht doch die Tatsache Bände, dass das alljährliche Mandat für den Afghanistan-Einsatz wahrscheinlich auch 2012 mit breiter Mehrheit vom Parlament abgesegnet werden wird.

Die Deutschen gehen normalerweise davon aus, dass Einsätze der Bundeswehr mit geringen Risiken verbunden sein sollten. Im Fall Afghanistan nahmen sowohl die Bevölkerung als auch die Regierung an, dass die Mission keine Kampfeinsätze umfassen und sich für die Soldaten als nicht so gefährlich erweisen würde. Entgegen dieser Annahmen erforderte Afghanistan dann eine umfassende strategische Planung für den Streitkräfteeinsatz, um starke Angriffe der Taliban, Al-Kaidas und des Haqqani-Netzwerks zurückzuschlagen. Eine Vorstellung davon, welche Ressourcen notwendig wären, um aus Afghanistan eine Demokratie zu machen, machten sich Politiker wie Bevölkerung erst spät.

Die bittere Erkenntnis, dass bewaffnete Kampfhandlungen für einen erfolgreichen Afghanistan-Einsatz nötig sein werden, verfestigte die Skepsis der Deutschen und ihre Sorgen um das Leben der im Norden Afghanistans stationierten Soldaten. Die Bundesregierung musste sich ab 2006 schwierigen Aufgaben stellen: Erstens die Aufklärung der Bürger über operationelle Entwicklungen, ohne dafür die Verantwortung zu übernehmen; zweitens die juristische Neudefinition der Mission und die Sicherung der Zustimmung des Bundestags für den Einsatz, ohne dabei die verfassungsmäßigen Vorgaben zu verletzen; und drittens die Gewährleistung der Fortführung des militärischen Engagements, um Deutschlands internationale Zusagen und militärische Verpflichtungen einzulösen.

Nach Lawrence Freedman ist die Definition nationaler Interessen pa­rallel zur Rechtfertigung militärischer Einsätze heute von entscheidender Bedeutung, um die Unterstützung der Bevölkerung für solche Missionen zu sichern: „Die Schlüsselfrage in Bezug auf zukünftige Konflikte ist, wie die größten Mächte ihre Interessen definieren. Die Kriegsführung hängt nicht nur von ihrer Haltung in speziellen Konflikten ab, sondern auch von ihrer Bereitschaft, Mitgefühl zu entwickeln, sich um andere zu sorgen und bis zu einem gewissen Grad Verantwortung zu übernehmen für die allgemeinen Konflikte und die Gewalt im internationalen System.“ Dies gilt nicht zuletzt für Deutschland.

Es gibt zahlreiche Möglichkeiten für die politischen Führungskräfte, von einer positiv eingesetzten strategischen Kommunikation zu profitieren. Wenn die Sorgen und Vorbehalte der Bevölkerung ernst genommen werden und ihrer Ablehnung von Auslands­einsätzen gezielt entgegengetreten wird, lässt sich die Distanz zwischen Regierung und Wählerschaft verringern. Sofern Deutschland auch in Zukunft ein verlässlicher sicherheitspolitischer Partner bleiben möchte, ist ein kluges Informationsmanagement die beste Lösung, um Vorbehalte abzubauen, indem Informationen verbreitet und nicht vorenthalten werden. Die Einbeziehung der Öffentlichkeit in die Auflösung des „Regierungsdilemmas“ wird zudem das Ausbalancieren internationaler und nationaler Interessen erleichtern.

Antworten für folgende Fragen sollten der Öffentlichkeit beantwortet werden: Inwiefern neutralisiert der Nutzen von Auslandseinsätzen deren Kosten? Inwiefern wird Deutschlands nationales Interesse durch kollektive Sicherheitseinsätze repräsentiert? Inwiefern wirkt sich die Beteiligung an Auslandseinsätzen auf die Bildung terroristischer Gruppierungen in Deutschland aus? Inwiefern verteidigt die Bundeswehr im Ausland die Freiheit der deutschen Zivilgesellschaft? Öffentliche Debatten darüber sind notwendig, um solchen offenen Fragen zu begegnen. Zugleich sollte die internationale Sicherheitspolitik Deutschlands Interesse an Auslands­einsätzen fördern, denn sie sind ein unersetzlicher Faktor für Frieden und Sicherheit rund um die Welt.

Die deutsche Bevölkerung würde einen präzisen Handlungsplan für zukünftige militärische Interventionen sehr begrüßen, an dem sie ihre Erwartungen orientieren kann. Nach dem 11. September 2001 haben die Sicherheitsbedrohungen des 21. Jahrhunderts eine völlig neue Dimen­sion angenommen, und Lastenteilung hat in der trans­atlantischen Allianz, zwischen Amerika und Europa, neue Dringlichkeit gewonnen. Der Afghanistan-Krieg hat zugleich sowohl materielle als auch personelle Defizite der NATO offen gelegt, und der Druck wächst, innerhalb des Bündnisses gemeinsam Verantwortung zu übernehmen. Wenn eine der größten und wohlhabendsten westlichen Demokratien ihre internationalen Verpflichtungen mit der kritischen öffentlichen Meinung versöhnen könnte, wäre das ein wichtiger Beitrag für die globale Stabilität.

LAURA-LEE SMITH ist Visiting Fellow der DGAP und Bundeskanzler-Stipendiatin der Alexander von Humboldt-Stiftung.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar/ Februar 2012, S. 103-107

Teilen