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01. Dez. 2007

90 Jahre und kein bisschen milde

Buchkritik

Wohin treibt die Welt? Für die Zukunft erwartet Eric Hobsbawm wenig Gutes

Eric Hobsbawm verdankt die Welt neben vielem anderen nicht nur eine wohl auf Jahrzehnte hinaus unübertroffene Geschichte des 19. Jahrhunderts, sondern auch das Konzept des „kurzen 20. Jahrhunderts“ (1914–1989). Von dieser Warte aus betrachtet der große marxistische Geschichtsschreiber den Auftakt des 21. Jahrhunderts.

Kein Zweifel: Das 21. Jahrhundert hat turbulent begonen. Es ist geprägt von zum Teil gewalttätigen Auseinandersetzungen und von einem internationalen System, das sich immer wieder als anfällig für Krisen erweist.

In den überwiegend seit 2000 verfassten Artikeln und Reden, die im vorliegenden Buch versammelt sind, behandelt der britische Historiker Eric Hobsbawm Themen wie den veränderten Charakter von Krieg und Frieden, Weltreiche und Träume von Weltherrschaft, Nationalismus und liberale Demokratie oder politische Gewalt und Terrorismus, und das in stets erhellender, historischer Perspektive. Dabei bildet zumeist die Interventionspolitik von US-Präsident George W. Bush den näheren oder ferneren Referenzpunkt.

Dabei gelingen dem in diesem Sommer 90 Jahre alt gewordenen, aber von keiner Altersmilde befallenen Hobsbawm immer wieder geistreiche und glänzend formulierte Kommentare. Die Geschichte habe sich durch die Ereignisse des Jahres 1989 nicht grundlegend geändert, erklärt Hobsbawm unter anderem – sie habe sich schon seit den sechziger Jahren in bisher unbekannter Weise beschleunigt. Die parallel dazu verlaufende Globalisierung der freien Märkte habe sich mit ökonomischer Instabilität gepaart und letztlich, so argumentiert der Autor traditionell marxistisch, zu einer extremen Ungleichheit geführt, die „an der Wurzel der großen sozialen und politischen Spannungen des neuen Jahrhunderts“ lägen.

Jüngste terroristische Bewegungen, einschließlich Al-Qaida, seien bemerkenswert in ihrer Schwäche: „Sie sind Symptome, keine bedeutenden historischen Agenten.“ Stabilen Staaten vermöchten selbst Anschläge wie der des 11. September nichts anzuhaben. Gleichzeitig lägen sie jenseits der Reichweite „von neokonservativen oder neoliberalen Utopisten einer Welt von westlichen, liberalen Werten, verbreitet durch Marktwachstum und Militärinterventionen“. Scharfe Worte reserviert Hobsbawm für die amerikanische Politik, die „für Außenseiter so verrückt aussieht, dass es schwierig ist zu verstehen, was damit intendiert ist“. Die jüngsten Machtdemonstrationen, insbesondere die Invasion des Irak, liefen sowohl den im Kalten Krieg erprobten Politiken als auch den US-Wirtschaftsinteressen entgegen und hätten ein enormes destabilisierendes Potenzial. Die „Reeducation“ der außenpolitischen US-Elite ist denn auch für Hobsbawm die dringlichste Aufgabe der internationalen Politik.

Unverständlich ist, warum Hobsbawm an einer Stelle gewohnt brillant den von Befürwortern wie Kritikern gleichermaßen schablonenhaft verwendeten Begriff vom „amerikanischen Weltreich“ (oder Imperium) als unangemessenes, in Rekurs auf das britische Weltreich fabriziertes Konstrukt analysiert, dann aber später den Begriff selbst verwendet. Das ist aber auch schon der einzige Kritikpunkt an einer überaus anregenden, nicht sehr hoffnungsvollen Gegenwartsanalyse. In einer Zeit, in der so viel bekannt ist und so wenig verstanden wird, sind Anmerkungen aus der Feder des großen britischen Historikers willkommener denn je, selbst wenn sie in einem überteuerten und leicht repetitiven Band erscheinen.

Eric Hobsbawm: Globalisation, Democracy and Terrorism. London: Little, Brown 2007, 184 S., £ 17,99

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 12, Dezember 2007, S. 136 - 137.

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