Schlusspunkt

01. Jan. 2014

„Brexit“: Wetten Sie nicht drauf!

Journalisten und Demoskopen irren: Die Briten setzen auf Europa

Ja, ja. Die Briten und Europa, das wird nichts mehr werden, hört und liest man oft und immer öfter. Spätestens seit Premierminister David Cameron angekündigt hat, über ein neu zu verhandelndes Verhältnis des Vereinigten Königreichs zur Europäischen Union – wie es dazu kommen soll: völlig unklar – nach einem Sieg bei den Unterhauswahlen von 2015 eine Volksabstimmung abzuhalten, scheint der letzte europapolitische Eurostar nach Brüssel nun aber wirklich abgefahren.

Bei einem herbstlichen deutsch-britischen „Königswinter“-Treffen nahe Oxford war der „Brexit“, wie die Zeitschrift Economist einen möglichen britischen EU-Austritt getauft hat, vor kurzem der unerwähnte „Elefant im Zimmer“ – und von solch gigantischen Ausmaßen, dass er kaum durch die imposanten Türen des geschichtsträchtigen, herrschaftlichen Anwesens gepasst hätte. 

Dass das Weltreich-geprägte, doch eher maritime als dem Kontinent verhaftete Inselvolk früher oder später den Anker lichtet und gen Atlantik oder sonstwo hin schippert, scheint mittlerweile schon unausgesprochen abgemachte Sache – die Warnungen der Londoner City und der britischen Wirtschaft hin oder her, die überdies in der Vergangenheit auch schon mal lauter und eindeutiger waren.

Einig sind sich die Journalisten: „Der Verlauf der Debatte verweist eindeutig in Richtung Ausgang“, urteilte schon vor einiger Zeit ein kundiger Times-Journalist. „Es sieht sehr danach aus“, meinte auch kürzlich sein aus Berlin berichtender Kollege vom Guardian.

Einig sind sich auch die Meinungsforscher. Im Verlauf von 2013 waren die Umfragemehrheiten für ein „out“ so groß und stabil wie nie: 44 Prozent der Befragten wollten die EU verlassen, nur 36 Prozent bleiben, vermeldete das traditionell unverhohlen – höflich ausgedrückt – „europaskeptische“ Boulevardblatt The Sun eine Umfrage vom September. Ein von der liberalen Sonntagszeitung The Observer beauftragtes Umfrageinstitut maß im August gar 53 Prozent Austrittswillige gegenüber 32 Prozent Verbleiben-­Woller. Beim Fernsehsender Channel 4 stand es im Juli 46 zu 36 Prozent, bei den Europaphobikern der Mail on Sunday im Mai 50 zu 36 Prozent.

Aber die Zeitungen und ihre Demoskopen fragen offenbar die Falschen. Denn tatsächlich gibt es gar keinen Anlass zur Sorge. 80 Prozent aller in Sachen britischer EU-Austritt bei ihnen bislang eingegangenen Wetten setzten darauf, dass Großbritan­nien EU-Mitglied bleibe, meldeten die irisch-britischen Buchmacher des Großwettbüros Paddy Power im November. „Laut unseren Kunden ist der EU-Verbleib eine todsichere Sache“, erklärte der Pressesprecher. Und ein stärkeres europäisches Bekenntnis der Briten lässt sich nun wirklich nicht denken.

Dr. Henning Hoff ist Editor-at-Large der IP.

 
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar/Februar 2014, S. 144

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