Zwischen globaler Solidarität und nationalem Egoismus
Welche Rolle wird die Entwicklungspolitik bei den Bundestagswahlen spielen? Ein Blick in die Wahlprogramme zeigt: Keine Partei beabsichtigt, das Potenzial der Entwicklungspolitik voll auszuschöpfen. Ideen für kleinere und größere Reformen lassen sich aber dennoch finden. Ein Überblick.
Vertrauensfrage, Bundestagsauflösung, vorgezogene Neuwahlen: Wenn sich die Deutschen am 23. Februar aufmachen in Richtung Wahllokal, ist das ein in mancherlei Hinsicht ungewöhnliches Ereignis. Auch die Themen, die bei dieser Wahl im Fokus stehen, sind bemerkenswert: Es geht – auch – um Außenpolitik, die traditionell keine große Rolle in Deutschlands Wahlkämpfen spielt.
Die russische Aggression in der Ukraine, die wachsende Bedeutung Chinas in der Welt und die Sorgen vor einer weiteren transatlantischen Entfremdung in der zweiten Amtszeit Donald Trumps sind nur drei der Fragen, die zeigen, wie relevant außenpolitische Themen heute sind.
Was uns zur Entwicklungspolitik führt, die angesichts lauter werdender Kritik auf dem Prüfstand steht. In den Wahlprogrammen wird sie oft als Teil eines Dreiklangs aus Außen-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik betrachtet. Welche Vorstellungen haben die im Bundestag vertretenen Parteien für die zukünftige deutsche Entwicklungspolitik?
CDU/CSU: Geopolitisch handlungsfähig werden
Der Spitzenkandidat der CDU/CSU, Friedrich Merz, hatte bislang kein ausgeprägtes außenpolitisches Profil und keine besondere entwicklungspolitische Expertise. Seine Perspektiven zu internationalen Themen hat Merz zuletzt Anfang Dezember bei einer Rede in der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) dargelegt: Es gehe darum, geopolitisch handlungsfähiger zu werden. Im Einklang damit sieht das gemeinsame Wahlprogramm von CDU/CSU die Schaffung eines im Bundeskanzleramt angesiedelten Nationalen Sicherheitsrats vor – ein herausragendes Projekt, das bereits von der Ampel-Regierung diskutiert, aber letztlich nicht umgesetzt wurde. Die CDU/CSU will so Außen-, Sicherheits-, Verteidigungs-, Handels-, Europa- und Entwicklungspolitik besser vernetzen.
Zur künftigen Ausrichtung der Entwicklungspolitik heißt es im CDU/CSU-Wahlprogramm: „Wir verknüpfen unsere Entwicklungspolitik mit der Stärkung der Rechtsstaatlichkeit, dem Ausbau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, dem wirksamen Stopp illegaler Migration, der Bekämpfung von Terrorismus und der Zurückdrängung des geopolitischen Einflusses von Russland und China. Dabei wollen wir auch europäisch vorgehen und private Investitionen fördern.“
Interessanterweise sieht das Wahlprogramm eine Zusammenführung der derzeit im Auswärtigen Amt (AA) angesiedelten Humanitären Hilfe und der Entwicklungszusammenarbeit vor. Ob das unter dem Dach des AA oder des BMZ (Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) erfolgen solle, darüber erfährt man allerdings nichts. Der Obmann der CDU/CSU-Fraktion im entwicklungspolitischen Fachausschuss des Bundestags, Wolfgang Stefinger, setzt sich für ein aufgewertetes Entwicklungsministerium für „globale Fragen“ ein. Ob sich Merz eine solche Position zu eigen macht, ist fraglich. Bei der BAKS-Veranstaltung hatte er nur erklärt, dass er sich zur Frage einer Zusammenlegung von AA und BMZ noch keine abschließende Meinung gebildet habe und dass dies auch mit künftigen Koalitionspartnern zu diskutieren sei.
SPD: Für globale Gerechtigkeit
Das SPD-Wahlprogramm misst dem Erhalt einer regelbasierten Ordnung und der gleichberechtigten Teilhabe des Globalen Südens eine große Bedeutung für internationale Themen bei. Die Überwindung „kolonialer Kontinuitäten“ ist dabei ein wichtiger Pfeiler des internationalen Profils der Partei. Die feministische Außen- und Entwicklungspolitik soll laut Programm fortsetzt werden.
Wie für die CDU, so ist es auch für die SPD wichtig, dass Außen-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik zusammenwirken. Im Programm wird ein „starkes und eigenständiges Entwicklungsministerium“ sowie eine Ausgabenquote für Entwicklungszusammenarbeit von mindestens 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens gefordert.
Mit Svenja Schulze stellt die SPD seit Dezember 2021 die Entwicklungsministerin, die zu erkennen gegeben hat, dass sie dieses Amt gerne in einer künftigen Regierung fortsetzen möchte. Schulze präsentierte Anfang Januar 2025 einen Plan zur Neuausrichtung der deutschen Entwicklungspolitik, der die Umbenennung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in „Bundesministerium für internationale Zusammenarbeit“ beinhaltet und damit zumindest rhetorisch noch einen Schritt weiter gehen möchte, als es ihre Partei im Wahlprogramm tut.
Weitere zentrale Anliegen im Wahlprogramm sind eine gerechtere internationale Finanzarchitektur und die Einführung einer globalen Steuer für Superreiche, die Ministerin Schulze bereits in den vergangenen Monaten mit Partnern aus Brasilien und anderen Ländern voranzubringen versucht hat. Bemerkenswert ist zudem, dass der Co-Vorsitzende der Partei, Lars Klingbeil, in den vergangenen Monaten mit einer neuen Nord-Süd-Politik an seinem persönlichen Profil gearbeitet hat. Sehr bewusst soll dieses Engagement an den früheren Bundeskanzler Willy Brandt und seine Rolle bei der Nord-Süd-Kommission erinnern, die 1977 unter dem Vorsitz Brandts gegründet wurde und sich entwicklungspolitischen Problemen widmete.
Die Grünen: Gemeinsam gegen den Klimawandel
Die Grünen haben sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten stark außen- und klimapolitisch profiliert. Das schließt die Befassung mit Entwicklungsfragen und den Kampf gegen internationale Ungleichheit nicht aus; Entwicklungspolitik wird aber nicht besonders betont.
Mit Annalena Baerbock als Außenministerin sind die Grünen besonders bei der Humanitären Hilfe und der Klimaaußenpolitik präsent. Im Wahlprogramm der Partei werden multilaterale Zusammenarbeit und starke internationale Organisationen als Schlüssel zur Bewältigung globaler Herausforderungen hervorgehoben. Von einer „historisch gewachsenen Verantwortung für die ärmsten Länder und der Verwirklichung sowie Weiterentwicklung der Agenda 2030“ ist die Rede; der Ansatz ist feministisch und dekolonial. Anders als die SPD sprechen sich die Grünen für eine „eigenständige Entwicklungspolitik“, aber nicht explizit für ein eigenes Ministerium aus; sie betonen eine „starke ressortübergreifende Koordination“. Das Programm fordert Ausgaben in Höhe von mindestens 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungszusammenarbeit und zusätzliche Mittel für die internationale Klima- und Biodiversitätsfinanzierung.
FDP: Weg mit dem Ministerium
Die Verfasser des FDP-Wahlprogramms sehen einen „erheblichen Reformdruck“ auf die deutsche Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik angesichts einer neuen geopolitischen Situation. Sie plädieren daher für die Schaffung eines Nationalen Sicherheitsrats. Gefordert wird „eine strukturelle Neuausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit und ihrer Institutionen“. Im Ringen um die multilaterale Weltordnung müssten „die Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit strategisch entlang der wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands und der EU priorisiert werden“.
Aus Sicht der FDP gelte es in der Entwicklungszusammenarbeit zudem, besonders für LSBTIQ-Personen (Lesben, Schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche und queere Menschen) und Menschenrechtsverteidiger einzutreten und gegen den Abbau von Frauenrechten zu kämpfen. Schon seit Längerem setzt sich die FDP für die Integration des Entwicklungsministeriums ins Auswärtige Amt ein. Zum finanziellen Umfang der deutschen Entwicklungspolitik äußert man sich im Programm nicht. Aus den Reihen der FDP wurden in der jüngeren Vergangenheit jedoch immer wieder Forderungen nach weitreichenden Kürzungen laut.
Die Linke: Solidarität statt Profitinteressen
Die Linke formuliert in ihrem Wahlprogramm ein dekoloniales Narrativ. Sie setzt auf eine Politik, „die internationale Solidarität über Profitinteressen stellt“. Zentrale Leitlinien für entwicklungspolitische Maßnahmen müssten die Einhaltung von Menschenrechten und der Schutz von Frauen, Mädchen, LSBTIQ+ sowie von Kindern und Jugendlichen sein. „Eine Verwendung von Entwicklungshilfegeldern für zivil-militärische Zusammenarbeit oder die Abschottung gegen Geflüchtete lehnen wir ab.“ Die Linke tritt zudem für eine Einhaltung des entwicklungspolitischen 0,7- Prozent-Ziels sowie die „massive Erhöhung“ bei der finanziellen Unterstützung für Klimaschutz und Minderung von Klimaschäden für Länder des Globalen Südens ein.
BSW: Leerstelle Entwicklungspolitik
Das BSW präsentiert sich in seinem Wahlprogramm als Partei im Dienst von Entspannung, des Interessenausgleichs und der internationalen Zusammenarbeit. Zu vielen außenpolitischen Themen liefert das Programm keine Informationen; Entwicklungspolitik kommt gar nicht erst vor. Wenig überraschend versucht sich das BSW über eine sogenannte „Initiative für einen Waffenstillstand und einen realistischen Friedensplan“ im russischen Krieg gegen die Ukraine und die „diplomatischen Bemühungen Chinas und der Länder des Südens“ zu profilieren.
AfD: Entwicklungspolitik als Mittel zur Abschottung
Wie so vieles andere stuft die AfD in ihrem Wahlprogramm auch die deutsche Entwicklungspolitik als „gescheitert“ ein. Entwicklungspolitik soll nach dem Willen der Rechtspopulisten ausnahmslos an „die Bereitschaft der Partnerländer zur Rücknahme ihrer aus Deutschland ausreisepflichtigen Staatsbürger und ihre schnelle und wirksame Kooperation bei der Feststellung der Staatsbürgerschaft bzw. Volkszugehörigkeit“ geknüpft werden. Die AfD fordert, dass die „Förderung von fragwürdigen gender- und WOKE(sic!)-ideologiebasierten Entwicklungsprojekten“ beendet wird. Zudem solle die Entwicklungspolitik der EU – ein Politikfeld in gemeinsamer Verantwortung von EU-Kommission und Mitgliedstaaten – in die Mitgliedstaaten zurückgeführt werden. Grundsätzlich sieht das Wahlprogramm die Notwendigkeit, die Mittel für das Politikfeld „deutlich zu reduzieren“. Im AfD-Grundsatzprogramm von 2016 war die Forderung nach Zusammenlegung des BMZ unter dem Dach des Auswärtigen Amtes enthalten; diese Forderung ist nicht Teil des aktuellen Wahlprogramms.
Ergebnisoffenes Rennen
Fassen wir zusammen: Die Zeiten werden nicht einfacher für die Entwicklungspolitik. Natürlich hat sie bei den im Bundestag vertretenen Parteien einige Fürsprecher. Doch angesichts der populistischen Skandalisierung von Entwicklungsprojekten – das wohl bekannteste Beispiel sind die Radwege in Peru –, drohenden massiven Handelskriegen und eines enormen Drucks zur Steigerung der Verteidigungshaushalte könnten bisherige Gewissheiten ins Wanken geraten.
Länder des Globalen Südens wie Indien, Brasilien oder Südafrika werden in den meisten Wahlprogrammen zwar oft genannt – sei es im Zusammenhang mit Fragen zur Sicherheit und geopolitischen Konkurrenz oder weltweiten wirtschaftlichen Verflechtungen. Erstaunlich ist, dass die Notwendigkeit von Entwicklungspolitik nicht stärker damit begründet wird, dass sie dazu beitragen kann, die Beziehungen Deutschlands zu dieser heterogenen Ländergruppe zu stärken. Es würde sich auszahlen, wenn die demokratischen Parteien hier noch mehr in eine konzeptionelle Debatte jenseits von Wahlzyklen investieren würden: Wie sollte denn in fünf oder zehn Jahren Entwicklungspolitik aussehen?
Als Politikfeld ist Entwicklungspolitik kein relevantes oder gar entscheidendes Thema bei der Bundestagswahl – dies wird niemanden überraschen. Ob es weiterhin ein eigenständiges Entwicklungsministerium geben wird oder nicht, dürfte wesentlich von der politischen Logik der Koalitionsverhandlungen und den übergreifenden Arrangements der Koalitionspartner abhängen. Die von CDU/CSU angestrebte Zusammenlegung von Humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit wäre ein positiver Reformschritt. Gleiches gilt für Svenja Schulzes Initiativen in Richtung neuer internationaler Finanzierungsansätze.
Es wäre sinnvoll, Entwicklungspolitik als wichtigen Pfeiler deutscher und europäischer Beziehungen gemeinsam mit Vertretern des Globalen Südens neu auszurichten. Die damit einhergehende Soft Power kann Handlungsspielräume entscheidend erweitern. Eine solche Neuorientierung sollte nicht mit einer kruden Interessenpolitik verwechselt werden, die gerade diese zusätzlichen Spielräume nicht eröffnen würde. Deutschland ist mehr denn je auf internationale Gestaltungsmöglichkeiten angewiesen, die sich nicht zuletzt auch über die Entwicklungspolitik ergeben.
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