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01. Apr. 2002

Moral in der internationalen Politik

Buchkritik

Militärische Interventionen besitzen eine enorme politische Brisanz. Gegenstand intensiver innenpolitischer und internationaler Debatten sind nicht zuletzt die Rechtfertigungen für militärische Eingriffe. Der in einigen Fällen verwendete Begriff der „humanitären Intervention“ hebt hervor, dass es durchaus uneigennützige militärische Einmischungen geben kann. Dies wird in der politischen Auseinandersetzung aber immer wieder in Zweifel gezogen. Tatsächlich stellt sich die Frage, ob „Moral“ ein wichtiger Faktor für die Erklärung von Militärinterventionen sein kann. Andreas Hasenclever hat diese Frage zum Gegenstand seiner bemerkenswerten Dissertation gemacht. Er untersucht mit politikwissenschaftlichen Kategorien, ob sich Moral bei Interventionsentscheidungen nachweisen lässt. Als moralische Grundprinzipien nennt er die Menschenwürde und die Menschenrechte; im Sinne der Untersuchung wird der Moralbegriff aber als analytische und nicht als bewertende Kategorie benutzt. Ob eine Intervention gerechtfertigt oder sinnvoll war, ist daher nicht Gegenstand seiner Untersuchung, sondern die Frage, ob auf moralischen Grundsätzen beruhende Überlegungen maßgeblich zu Interventionsentscheidungen beigetragen haben.

Hasenclever sieht vor allem zwei konkurrierende Erklärungsmodelle: Erstens die Ansätze des Realismus, die im Kern davon ausgehen, dass eine militärische Einmischung dann erfolgt, wenn nationale Interessen (d.h. im Sinne von Sicherheits- und Machtpolitik) des intervenierenden Staates berührt sind; zweitens die Ansätze des rationalistischen Liberalismus, die die innenpolitischen Dimensionen von außenpolitischen Entscheidungen betonen und Antwort auf die Frage suchen: Für welche gesellschaftliche Gruppe ist eine Intervention nützliche und kann diese Gruppe ihre Position durchsetzen? Hasenclever will diese Theoriedebatte um einen „moral-soziologischen Ansatz“ ergänzen. Seine These ist daher, dass gesellschaftlich verankerte moralische Überzeugungen in außenpolitische Entscheidungen einfließen. Anhand der militärischen Interventionen der Staatengemeinschaft in Somalia, dem Eingreifen Frankreichs in Ruanda und dem der NATO in Bosnien-Herzegowina wendet der Autor seinen Erklärungsansatz an. „Es gibt humanitäre Interventionen“, lautet Hasenclevers zentrale Schlussfolgerung. Demnach lassen sich die militärischen Eingriffe in den drei vom Autor gewählten Beispielen nicht vollständig ohne die Kategorie der Moral – d.h. auf Grund massiver Menschenrechtsverletzungen – erklären.

Die von Hasenclever vorgelegten Ergebnisse sind insgesamt plausibel und überzeugend. Trotzdem drängt sich – auch bei den untersuchten Beispielen – die Frage auf, ob nicht eine Überinterpretation zugunsten einer moralischen Begründung gewissermaßen zwangsläufig erfolgt, nur weil andere Motive nicht direkt greifbar sind oder übersehen werden. Das Problem, dass massive Menschenrechtsverletzungen und eine Welle der Empörung in der europäischen und nordamerikanischen Öffentlichkeit keineswegs automatisch eine humanitäre Intervention auslösen müssen, spricht auch der Autor an. Insgesamt ist Hasenclevers Untersuchung ein lesenswerter und interessanter Beitrag zur Theoriedebatte über internationale Politik.

Andreas Hasenclever, Die Macht der Moral in der internationalen Politik. Militärische Interventionen westlicher Staaten in Somalia, Ruanda und Bosnien-Herzegowina (Studien der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, Bd. 36), Frankfurt/New York: Campus Verlag 2001, 468 S., 45,00 EUR.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, April 2002, S. 77 - 78.

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