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01. März 2017

Zwischen den Fronten

Was die OSZE-Beobachter in der Ukraine leisten können, und was nicht

Die OSZE unterhält in der Ukraine die größte Beobachtermission ihrer Geschichte. Für die Umsetzung des Minsker Abkommens ist ihre Arbeit so unverzichtbar wie angreifbar. Beide Seiten bezichtigen die Mission der Parteilichkeit. Zivilisten wünschen sich ein robusteres Vorgehen. Echtes Peacekeeping aber würde ihr Mandat sprengen.

Seit drei Jahren hat die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) nun schon ihre zivilen Beobachter in der Ukraine stationiert. Nach bescheidenen Anfängen im März 2014, als zehn Teams mit je zehn Mitgliedern quer über die Ukraine verteilt wurden, ist die Special Monitoring Mission (SMM) mittlerweile auf über 700 internationale Beobachter angewachsen. 600 von ihnen sind in den umkämpften Regionen Donezk und Luhansk aktiv. Mit einem Gesamtpersonal von gut 1100 Personen (Stand: Januar 2017) ist es die größte Feldmission in der Geschichte der OSZE – und wohl eine der kontroversesten.

Über eine dritte, einjährige Verlängerung des Mandats der größten nichtmilitärischen Sicherheitsorganisation Europas wollen die 57 Mitgliedstaaten Ende März entscheiden. Dabei kann die Mission durchaus Erfolge vorzeigen. Ihre Tagesberichte, die auf Englisch veröffentlicht und ins Russische und Ukrainische übersetzt werden, sind eine unschätzbare Quelle objektiver Informationen zu einem Konflikt, in dem lokale Medien beider Seiten in hohem Maße zu Parteilichkeit neigen und internationale Medien nur sporadisch berichten.

Im Konfliktgebiet ist die international zusammengesetzte OSZE unverzichtbar geworden, besonders nachdem aus­ländische Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen und ­People in Need aus den separatistischen „Volksrepubliken“ ausgewiesen wurden. Von größtem Wert ist auch, dass die zwei Teams der Mission in der Ost­ukraine ihren Hauptsitz in den separatistischen „Hauptstädten“ Donezk und Luhansk haben. Ihre Beobachter überqueren die „Kontaktlinie“ zwischen den verfeindeten Gruppen ­Dutzende Male am Tag.

Auch verpflichtet das Mandat die Angehörigen der Mission, nicht nur die Sicherheitslage zu beobachten, sondern auch die Achtung (oder Verletzung) von Menschenrechten und Grundfreiheiten. Die OSZE ist zwar keine humanitäre Organisation, aber über Waffenstillstandsverletzungen hinaus hält sie große Mengen an Informationen über das Alltagsleben der Zivilbevölkerung fest. Werden diese Informationen – wie Berichte über nicht explodierte Munition – an die richtigen Stellen weitergeleitet, können sie zum Schutz der Zivilbevölkerung beitragen.

Die OSZE spielt eine Schlüsselrolle bei der Umsetzung des Minsker Abkommens, das ja von der Schweizer Diplomatin Heidi Tagliavini als Sonderbeauftragte des amtierenden Vorsitzenden der Organisation mitunterzeichnet wurde. Neben Tagliavinis Nachfolger Martin Sajdik sitzen führende Mitglieder der Beobachtermission bei den Verhandlungen der Trilateralen Kontaktgruppe in Minsk mit am Tisch (so leitet Missionschef Ertugrul Apakan die Arbeitsgruppe Sicherheit). Sie organisieren dann die Überprüfung der Einhaltung.

Verpflichtungen wie der Abzug schwerer Waffen oder das 2016 unterzeichnete Entflechtungsabkommen („Disengagement Agreement“) stehen und fallen mit der dauerhaften Verifizierung durch OSZE-Beobachter. Es reicht nicht festzustellen, dass eine konkrete Verpflichtung erfüllt wurde. Vielmehr muss die Regelbefolgung ­beziehungsweise -nichtbefolgung täglich nachvollzogen werden, für die gesamte Dauer des Abkommens.

Solchen Erfolgen zum Trotz wird man nicht behaupten können, dass die Mission bei den Ukrainern auf ungeteilte Zustimmung stößt – obgleich die ukrainische Regierung diese ja angefordert hatte. Einer Umfrage des Kiewer Gorshenin-Instituts vom Februar 2016 zufolge bewertet fast die Hälfte der Befragten (46,9 Prozent) die Arbeit der Mission zur Umsetzung des Minsker Abkommens negativ; nur gut ein Drittel (35,6 Prozent) heißt sie gut.

Vergleichbare Umfragen in Russland oder den Gebieten der Separatisten gibt es nicht. Der Grundtenor in den russischen Staatsmedien aber ist ein Indiz, dass die russische öffentliche Meinung der Mission gegenüber kaum wohlwollender sein dürfte. Laut einer Umfrage des unabhängigen Moskauer Meinungsforschungsinstituts Lewada vom April 2014 glauben 58 Prozent der Befragten, die ­OSZE-Mission sei zugunsten der ukrainischen Regierung voreingenommen, während nur 19 Prozent die Mission für objektiv halten.

Diese Skepsis oder Ablehnung der Mission deckt sich in weiten Teilen mit der Kritik, die Politik und Militär beider Seiten gegen sie formulieren. Schließlich steht der Konflikt im Donbass im Zentrum der Bruchstelle zwischen Russland und dem Westen; und die Gefahr für die Mission besteht nicht nur in den direkten Kampfhandlungen, sie ist einem harten Informationskrieg ausgesetzt, der diesen Konflikt kennzeichnet.

Streitpunkt Kameras

Immer wieder wird der OSZE in der Ukraine ein Mangel an Objektivität vorgehalten. So behauptete der Führer der „Volksrepublik Donezk“, ­Alexander Sachartschenko, im Januar 2017 während eines Besuchs der von Russland annektierten Krim, dass die Überwachungskameras der Mission lediglich Separatisten filmten und die Aufnahmen direkt an die ukrainischen Streitkräfte weiterleiten würden. „Ihre Soldaten sitzen hinter diesen Kameras und verfolgen so unsere Bewegungen“, zitierte ihn die staatliche russische Nachrichtenagentur RIA Nowosti.

Das Gleiche aber wirft auch die ukrainische Seite der Mission vor, als sie vor einem Jahr zum ersten Mal Überwachungskameras einsetzte – nahe Schyrokyne, einem Dorf an der Küste des Asowschen Meeres. Damals sendete das nationale Fernsehen Interviews mit ukrainischen Soldaten, die vermuteten, dass die Kamera­bilder an die Separatisten weitergeleitet würden. Auch der bekannte ukrainische Journalist Andriy Tsaplienko verbreitete dies: Allein die ­OSZE-Kameras erlaubten es den „Putinisten“, ukrainische Reserven zu beobachten.

Die OSZE versicherte, dass die Kameraübertragung verschlüsselt sei, sodass nur Missionsangehörige deren Bilder sehen könnten; dass die Positionierung der Kameras die Beobachtung beider Seiten erlaube; und dass sich beide Seiten, einschließlich der ukrainischen Streitkräfte, auf ihre Installierung verständigt hätten. Wladislaw Selesnjow, ein Sprecher des ukrainischen Generalstabs, wies sogar darauf hin, dass der Beschuss seit Installierung der Kameras rückgängig war. Ob diese Widerlegung wirklich Misstrauen und Vorurteile abbauen konnte, ist schwer zu sagen. In ihrer Kommunikation wird sich die Mission jedenfalls weiter damit abmühen müssen, hartnäckigen Gerüchten über eine angebliche Spionagetätigkeit einiger ihrer Beobachter entgegenzutreten.

Vorwürfe, dass russische Missionsangehörige die OSZE zum Ausspionieren der ukrainischen Truppen nutzen, haben die Mission von Anfang an begleitet; das Misstrauen vieler Ukrainer, die den russischen Nachbarn als Feind betrachten, sitzt tief. Seit Ende 2014 behaupten ukrainische Politiker immer wieder, dass bis zu 80 Prozent der OSZE-Beobachter Russen seien, viele mit nachrichtendienstlichem Hintergrund. Auf solche Desinformation reagierte die Mission mit der Veröffentlichung von zweiwöchentlichen Statusberichten über ihre internationale Zusammensetzung. Im Januar 2017 waren demnach 38 der 708 Missionsangehörigen russische Staatsbürger (was 5,3 Prozent entspricht).

Dessen ungeachtet wiederholte US-General a. D. Wesley Clark solche falschen Behauptungen nach der Rückkehr von einer Informationsreise in die Ostukraine im März 2015 bei einer Veranstaltung des Atlantic Council in Washington: „Mehr als die Hälfte“ der Beobachter seien russische Militärangehörige.1 Ukrainische Aktivisten nutzen Clarks unglückliche Bemerkungen bis heute, um das Ansehen der Mission zu diskreditieren. Aufschlussreich ist auch, dass dieses Zitat von Clark als „Aufmacher“ eines nationalistischen Twitter-Accounts dient, der sich auf die Aufdeckung angeblicher Voreingenommenheit von OSZE-Missionsmitgliedern spezialisiert hat.

Vertreter der OSZE weisen darauf hin, dass die Richtlinien ihrer Missionen, die alle Beobachter unterschreiben müssen, es ihnen streng untersagen, vertrauliche Informationen weiterzugeben; sie sind außerdem gehalten, „alle Handlungen zu unterlassen, die ihre Fähigkeit, unparteilich zu handeln, in Zweifel ziehen könnten“. Nachdem das ukrainische Fernsehen im Oktober 2015 Bilder eines eindeutig betrunkenen russischen OSZE-Beobachters aus dem Gebiet Luhansk zeigte, der behauptete, Angehöriger des russischen Militärgeheimdiensts GRU zu sein, wurde der Mann augenblicklich aus der Mission ausgeschlossen.

Es gab keinerlei Beweise für seine Behauptungen. Dennoch sitzen die Vorbehalte auf der ukrainischen Seite tief. Im Januar erklärte der ukrainische General Borys Kremenetsky in einem vielzitierten Interview, dass alle russischen OSZE-Beobachter Geheimdienstoffiziere seien. Kremenetsky, der bis Dezember 2016 höchster ukrainischer Repräsentant im Joint Center for Control and Co-Ordination, eines russisch-ukrainischen Militärgremiums zur Überwachung des Waffenstillstands, war, ging nicht so weit, den Ausschluss Russlands aus der OSZE-Mission zu fordern. Allerdings wurden solche Forderungen schon öfter erhoben, wenngleich sie nicht durchsetzbar sind: Gemäß des Konsensprinzips der OSZE müsste dem auch Moskau zustimmen.

Selbstverständlich sind die Ukrainer mit ihrer Kritik nicht allein. Spionagevorwürfe finden sich auch regelmäßig in Militärverlautbarungen der Separatisten. Im Mai 2016 unterstellte die „Volksrepublik Donezk“ sogar, dass Beobachter Munition transportierten – eine Behauptung, die nie in irgendeiner Weise belegt wurde.

Die politischen Beschränkungen des OSZE-Mandats frustrieren die Zivilisten vor Ort, die oft erwarten, dass eine internationale Mission auch etwas unternimmt, um die Kämpfe zu stoppen. Aber die ­OSZE-Beobachter können nicht als Peacekeeper handeln. Sie haben keine exekutiven Befugnisse. Ihnen ist nicht einmal erlaubt, Soldaten, die sich in der Konfliktregion bewegen, anzuhalten, um festzustellen, welche Staatsangehörigkeit sie besitzen. Darum berichtet die Mission auch nicht regelmäßig über die Präsenz russischer Soldaten in den „Volksrepubliken“ der Rebellen. Allerdings haben sich Kämpfer gegenüber OSZE-Beobachtern schon häufiger als russische Staatsbürger zu erkennen gegeben, was dann selbstverständlich Eingang in die Tagesberichte fand.

Nachts unterwegs?

Dass die Beobachter unbewaffnete Zivilisten sind, bedeutet auch, dass sie bei dem derzeitigen Gewaltniveau nur bei Tageslicht Patrouillen durchführen können. Wie alle Konfliktparteien wissen, finden aber die meisten großen Angriffe nachts statt. Die Beobachter hielten „Bürozeiten“ ein und würden keinen Beitrag leisten, „den einzigen Krieg in Europa zu beenden“, hieß es vergangenen Juli in der New York Times.2 Das hat dazu geführt, dass nun dringlicher auch nächtliche Patrouillen der OSZE gefordert werden.

Es ist allerdings zweifelhaft, dass das Aussenden von Beobachtern in der Nacht irgendetwas ändern würde. Wahrscheinlicher ist, dass angesichts strikter Ausgangssperren und der angespannten Lage entlang der Kontaktlinie jedes Fahrzeug oder jede Person, die sich in der Dunkelheit einem Checkpoint nähert, beschossen würde. Die OSZE-Mission hatte bisher das Glück, dass kein einziger Beobachter tödlich verwundet wurde. Sollte sich das ändern, wäre das Engagement der beteiligten Länder auf eine harte Probe gestellt.

Unter diesen Umständen bleibt der Mission kein großer Spielraum: Sie muss zwischen den Forderungen beider Seiten nach Überwachung und der Sicherheit der Missionsangehörigen abwägen. Eine Pufferzone zwischen den Lagern zu bilden oder als Schutzschild zu fungieren, wäre nicht nur zu gefährlich, es würde auch klar das Mandat der Mission sprengen.

In den vergangenen 18 Monaten hat die OSZE viel getan, um ihre Beobachtungskapazitäten zu erweitern. Sie hat 14 vorgeschobene Patrouillenstützpunkte („Forward Patrol Bases“) eingerichtet – dauerhaft bemannte Stützpunkte, aus denen heraus die Beobachter entlang der Kontaktlinie operieren können, was die Anfahrtszeiten reduziert. Diese Stützpunkte liegen in der Regel nah an bekannten Krisenherden, etwa Switlodarsk und Debalzewe, und werden nur nach dem Erhalt von Sicherheitsgarantien der jeweiligen Seite eröffnet. Es gibt auch Nachtposten in Hotels und installierte 24-Stunden-Überwachungskameras an hart umkämpften Orten wie dem Flughafen von Donezk und Schyrokyne.

Und die OSZE hat begonnen, kleinere Drohnen zur Beobachtung von Gegenden einzusetzen, die zu betreten zu gefährlich wären. Zuvor hatte die Mission Langstreckendrohnen im Einsatz, aber deren Flüge wurden im Sommer 2016 eingestellt, nachdem es zu einer Serie von Abstürzen kam, die auf direkten Beschuss zurückzuführen waren.

Der neue amtierende OSZE-Vorsitzende, Österreichs Außenminister Sebastian Kurz, hat erklärt, die Mission weiter stärken zu wollen. Nach Gesprächen mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow am 18. Januar 2017 schlug Kurz vor, die Beobachtungen auch auf die Nachtstunden auszuweiten und die Beobachter besser auszurüsten. Lawrow erklärte, die Zahl der Beobachter sollte erhöht werden; auch sollten sie rund um die Uhr Präsenz zeigen.

Das muss aber nicht bedeuten, dass künftig auch in der Nacht patrouilliert wird. Wie bisher können riskante Nachtoperationen mit Hilfe technischer Ausrüstung wie Kameras und Drohnen ausgeführt werden, während die Beobachter Vollzeitpräsenz vor allem an Waffenlagern und an den vorgeschobenen Patrouillenstützpunkten demonstrieren können.

Spiegelbild der Ukraine-Politik

Die Beschränkungen der OSZE-Beobachtermission sind Ausdruck dessen, was der Westen für die Wiederherstellung der ukrainischen Souveränität im Donbass zu tun bereit ist. Kiew hatte zunächst eine UN- oder gar ­NATO-geführte internationale Friedenstruppe gefordert und tritt mittlerweile für eine bewaffnete Polizeimission ein. Unter den führenden westlichen OSZE-Mitgliedstaaten herrscht Einigkeit, dass der Konflikt nur mit und nicht gegen Russland gelöst werden soll. Somit kommt der OSZE als einziger regionaler Sicherheitsorganisation mit russischer Mitgliedschaft automatisch eine Schlüsselrolle zu.

Dass die Beobachtermission eine unbewaffnete ist und die OSZE eine zivile Organisation, macht sie für beide Konfliktparteien akzeptabel und passt zum Geist des Minsker Abkommens, das ja eine friedliche Rückkehr der abtrünnigen Gebiete unter die Kontrolle Kiews vorsieht. Ihre Bewaffnung, die Kiew seit einem Jahr fordert, würde (darauf wies das Auswärtige Amt bereits im April 2016 hin) eine ganze Reihe neuer schwieriger Probleme schaffen. Die Kosten dürften zudem um ein Vielfaches höher liegen als das derzeitige SMM-Jahresbudget von knapp 100 Millionen Euro. Denn für ein „robustes“ Peacekeeping in der Ostukraine müsste die internationale Gemeinschaft eine wenigstens 50 000 Mann starke Truppe aufstellen.

Für die Zukunft der OSZE-Beobachtermission dürfte vor allem die Haltung Russlands entscheidend sein. Moskau hat bei der Vergrößerung der Mission in der Vergangenheit eine entscheidende Rolle gespielt. Gleichzeitig lässt die russische Führung es zu, dass die Separatisten die OSZE-Beobachter deutlich häufiger in ihrer Arbeit behindern als die Regierungstruppen. Gäbe es einen entsprechenden politischen Willen, könnte die Effektivität der Beobachtermission relativ leicht wesentlich gesteigert werden.

Nikolaus von Twickel ist Journalist in Berlin. Von 10/2015 bis 3/2016 war er Medienverbindungsoffizier für die OSZE-Beobachtungsmission in Donezk. Dies ist seine persönliche Meinung.

  • 1Ashish Kumar Sen: Russia Plans Spring Offensive in Ukraine, Warns Ex-NATO Chief ­Wesley Clark, Atlantic Council Blogpost, 30.3.2015.
  • 2Andrew Kramer: Keeping Bankers’ Hours, European Observers Miss Most of Ukraine War, New York Times, 28.7.2016.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März/April 2017, S. 48-53

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