Xiomara Castro: Mit Pragmatismus gegen das Patriarchat
An der Spitze ihres Familienclans übernimmt Xiomara Castro einen bankrotten Narcostaat. Schafft die erste Präsidentin in Honduras eine Kehrtwende?
Xiomara Castro war noch nicht volljährig, als man sie raubte. Das war in den 1970er Jahren in ihrer Geburtsstadt Tegucigalpa im ländlich geprägten Honduras durchaus noch üblich. Kurze Zeit später heiratete die Brünette mit dem strahlenden Lächeln und den weit auseinanderstehenden dunklen Augen ihren „Räuber“: José Manuel Zelaya. Sohn eines Großgrundbesitzers, charismatisch, einen Kopf größer als sie. Es war Liebe auf den ersten Blick, erinnern sich Bekannte. Die beiden wurden zu einer Art Tandem in der honduranischen Politik. Der Liberale Zelaya war von 2006 bis 2009 Präsident des Landes, bis ihn eine Gruppe von Offizieren und Zivilisten stürzte, weil er ihrer Ansicht nach zu heftig mit dem Sozialismus kokettierte. Seit Januar ist nun seine Frau die erste Präsidentin in der Geschichte des mittelamerikanischen Landes.
Die 62-Jährige, die nach der Hochzeit vier Kinder großzog, das Wirtschaftsabitur nachholte und die Familienhacienda verwaltete, erbt einen bankrotten, von Armut, Gewalt, Drogenhandel und Korruption zerfressenen Staat. An der Spitze der heterogenen Linkspartei Libre – unter Vorsitz ihres Mannes – wird sie so manche Klippen umschiffen müssen.
In einem solch schwierigen Umfeld gilt es, starke Zeichen zu setzen. Castro wählte eines, das sogar international Schlagzeilen machte: Sie überstellte im April ihren Amtsvorgänger Juan Orlando Hernández von der konservativen Nationalpartei der US-Justiz. In New York muss sich Hernández – wie zuvor schon sein Bruder Tony – wegen Drogenhandels verantworten. Er soll unter anderem Gelder für seinen Wahlkampf von mexikanischen Drogenkartellen angenommen haben – die im Gegenzug Honduras als Drehscheibe für ihre Kokainlieferungen benutzen durften. Zugleich hatte der aus einfachen Verhältnissen stammende Hernández die Staatsverwaltung mit Familienangehörigen und loyalen Vertrauten durchsetzt, die sich mehr um die Mehrung ihres eigenen Vermögens kümmerten als um das Wohlergehen des Landes. Eine Allianz mit Sicherheitskräften und evangelikalen Kirchen zementierte seine Kontrolle über die Bevölkerung zusätzlich.
Ausländischen Firmen hatte Hernández den roten Teppich ausgebreitet. 30 Prozent des Landes wurden an Bergbaufirmen konzessioniert. Wer sich Minen, Windanlagen, Palmölfeldern oder Staudämmen in den Weg stellte, wurde bedroht oder gar umgebracht. Wie die Umweltaktivistin Berta Cáceres, die den Widerstand gegen einen Staudammbau auf indigenem Gebiet organisiert hatte. Sie wurde 2016 ermordet – auf Befehl des honduranischen Geschäftsführers des Projekts, an dem auch eine chinesische Firma sowie die Weltbank beteiligt waren.
Vage Versprechen
Der Aufbau eines Rechtsstaats, der Abbau von Armut und Ungleichheit, die Eindämmung der anhaltend hohen Migration und die Demokratisierung des Landes sind vier von vielen Baustellen, die vor Xiomara Castro liegen. Wird sie der Mammutaufgabe gewachsen sein? Das fragen sich selbst viele Honduranerinnen und Honduraner, die bei den Wahlen im November für sie gestimmt haben. Ein strukturiertes Programm hat sie nie vorgelegt. Sie verspricht vage eine „Neugründung“ des Landes, zuweilen stellt sie auch eine „verfassunggebende Versammlung“ in Aussicht.
Es ist ihr erster politischer Posten – doch eine Anfängerin in der Politik ist Castro deshalb nicht. Seit zehn Jahren ist sie die rechte Hand ihres Mannes. Viele schätzen ihren Pragmatismus und ihre soziale Ader. Vor allem für Kinder hat sie sich immer wieder stark gemacht. Als Präsidentin setzt sie nun eigene Akzente. So verurteilte sie laut den Machismo und signalisierte Zustimmung zur Abtreibung – Themen, die in der konservativen Gesellschaft bislang nie auf der politischen Agenda standen, obwohl Gewalt gegen Frauen auch in Honduras ein Problem ist. Im Jahr 2021 wurden 318 Frauen ermordet. Weder Abtreibung noch die Pille danach sind in Honduras legal.
Auf neue Beine stellte Xiomara Castro auch die Beziehungen zum wichtigsten bilateralen Partner, den USA. Die hatten einst den stramm konservativen Hernández unterstützt, in dem sie ein Bollwerk gegen den Sozialismus sahen. Selbst gegen dessen höchst umstrittene Wiederwahl 2017 gab es keinerlei Einspruch aus Washington. Erst nach der Wahl von Joe Biden verschlechterten sich die Beziehungen, galt Hernández nicht mehr als idealer Partner, um Migration und Drogenhandel zu stoppen.
Castros Wahl ermöglicht nun einen Neuanfang. Zu Castros Amtseinführung kam US-Vizepräsidentin Kamala Harris; das Zusammentreffen soll herzlich gewesen sein. Besonders im Fokus des US-Interesses steht eine Eindämmung der Abwanderung, die unter Hernández Rekorde erreichte. Castros Annäherung an die USA stößt allerdings innerhalb der eigenen Partei Libre auf Vorbehalte bei einer kleinen, aber militanten antiamerikanischen Fraktion.
Das vielleicht größte Problem der Präsidentin aber ist ihr dominanter Mann. Der charismatische Politiker mit dem Schnäuzer polarisiert das Land. Ursprünglich der traditionellen Liberalen Partei zugehörig, vollzog Zelaya nach seiner Wahl 2006 einen Linksruck und schloss sich der linken, rosaroten Welle in Lateinamerika an. Er vereinbarte verbilligte Erdöllieferungen mit dem sozialistischen Venezuela und posierte mit Boliviens indigenem Staatschef Evo Morales. Das Kokettieren mit dem Sozialismus führte jedoch in die Krise: Die Liberale Partei spaltete sich. Und weil Zelaya zahlreiche Affären hatte, galt auch seine Ehe als zerrüttet.
2009 wurde Zelaya gestürzt und im Pyjama außer Landes geflogen. Das war die Stunde von Castro: Sie stellte sich an die Spitze einer Solidaritätsbewegung, die gegen die Putschisten aufbegehrte und sich für die Rückkehr ihres Mannes stark machte. „Es war gleich ein doppelter Kampf, denn es ging nicht nur um die Macht, sondern auch darum, ihren Mann zurückzuerobern“, sagt ein Kenner der Familie. 2011 gehörte Castro zu den Gründerinnen der Partei Libre, einer linken Abspaltung der Liberalen.
Obwohl es Libre in 13 Jahren Opposition gelang, ein breites politisches und zivilgesellschaftliches Bündnis um sich zu scharen, bleibt der Eindruck eines Familienunternehmens: Sohn Hector ist Castros Privatsekretär; Tochter Hortencia ist Abgeordnete; Zelayas Bruder Carlos ist Fraktionsvorsitzender, ein Neffe Verteidigungsminister. Einziger Außenseiter im inneren Machtzirkel ist der Vizepräsident, der ehemalige Sportreporter Salvador Nasralla. Mit ihm und seiner Mitte-rechts-Partei war Castro vor der Wahl ein Zweckbündnis eingegangen. Bislang ist Nasralla, der zehn Abgeordnete der Regierungskoalition kontrolliert, allerdings kaum sichtbar. Die politische Bühne wird vom Clan Castro-Zelaya beherrscht.
Doch es knirscht im Gebälk. Seit 2011 ist der Libre-Parteivorsitz in der Hand der Familie. 2021 forderte Maria Luisa Borjas den Status quo heraus und kandidierte für den Vorsitz – gegen José Manuel Zelaya. „Der echauffierte sich darüber, weil er die Partei als seine Hacienda betrachtet, wo er alleine Personalentscheidungen trifft“, erklärte Borjas anschließend – und trat aus.
Spricht man Zelaya auf solche Widersprüche an, winkt er unwirsch ab. Machistisch sei die Gesellschaft, die Vorbehalte gegen seine Frau hege, entgegnet er Journalisten. Er selbst habe den Machismo längst überwunden. So ganz nimmt man ihm das allerdings nicht ab: Bei den traditionellen Feierlichkeiten zum 1. Mai hielt seine Frau die Rede in der Industriestadt San Pedro Sula, Zelaya erklomm die Bühne in der Hauptstadt.
Castro, die in ihrer Jugend gern Basketball spielte und trotz ihrer 1,63 Meter wegen ihrer Sprungkraft geachtet war, wird sich noch sehr strecken müssen, um das Patriarchat und den Machismo in Honduras kleinzukriegen.
Internationale Politik 4, Juli/August 2022, S. 9-11
Teilen
Artikel können Sie noch kostenlos lesen.
Die Internationale Politik steht für sorgfältig recherchierte, fundierte Analysen und Artikel. Wir freuen uns, dass Sie sich für unser Angebot interessieren. Drei Texte können Sie kostenlos lesen. Danach empfehlen wir Ihnen ein Abo der IP, im Print, per App und/oder Online, denn unabhängigen Qualitätsjournalismus kann es nicht umsonst geben.