Xi Jinping und sein Kreis
Der Navigator im Zentrum der Parteispitze, der Mann für die „politische Sicherheit“ und besondere Missionen, der Wirtschaftsplaner und der Propaganda-Chef: das „Team Xi“ im Porträt.
Ende Oktober wird zum Abschluss des 20. Parteitags der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) eine neue Führungsspitze bekanntgegeben (nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe). Xi Jinping, der sowohl das Amt des Parteigeneralsekretärs innehat als auch Staatspräsident und oberster Befehlshaber der Volksbefreiungsarmee ist, wird zu einer dritten fünfjährigen Amtszeit eingeschworen.
Zur Vollversammlung kommt der Parteitag mit seinen knapp 2300 Delegierten alle fünf Jahre zusammen, zwischen diesen Terminen regiert das Zentralkomitee. Dessen gut 200 Vollmitglieder (plus rund 170 Kandidaten ohne Stimmrecht) werden auf dem Parteitag ebenfalls neu gewählt. Das Zentralkomitee wählt dann das Sekretariat (wichtig für Informationsfluss und Organisation in der zentralen Parteiführung), das Politbüro und seinen Ständigen Ausschuss sowie den Generalsekretär. Chinas Machtzentrum wird gebildet aus dem Generalsekretär, dem 25-köpfigen Politbüro und dessen Ständigem Ausschuss mit sieben Mitgliedern. Diese Institutionen bilden die Elite der weltgrößten, 96 Millionen Mitglieder starken Partei.
In der Regel passiert auf Parteitagen der KPCh wenig Überraschendes. Die Kandidatenlisten, die Posten im Politbüro und andere wichtige Personalien werden monatelang vorab hinter verschlossener Tür verhandelt. Somit ist der Parteitag keine Wahl, sondern eher eine formale Bestätigung der schon getroffenen Auswahl.
Die 25 Mitglieder des Politbüros haben enormen politischen Einfluss. Als Repräsentanten der wichtigsten Politikfelder und Provinzführungsposten können sie politische Entscheidungen kontrollieren und weitgehend lenken. In der stark hierarchischen Struktur des chinesischen Machtapparats haben aber die sieben Mitglieder des Ständigen Ausschusses, und allen voran Xi Jinping, die Entscheidungshoheit inne. Sie bestimmen die strategische Ausrichtung der Politik, das politische Programm für China und haben ein uneingeschränktes Vetorecht.
Die stark zentralisierte Top-down-Politik der KPCh hat sich unter Xi Jinpings Führung extrem verstärkt. In den Jahren vor 2012/13 ging man von einem demokratischen Zentralismus im Ständigen Ausschuss aus. Beschlüsse wurden so lange verhandelt, bis alle zustimmten. Diese Praxis ist unter Xi Jinping nicht mehr zu beobachten. Statt Konsensfindung setzt Xi sein politisches Programm weitgehend im Alleingang durch. Xi ist im Parteistatut als „Kern der Partei“ verankert und genießt damit einen Status, der dem Mao Zedongs nahekommt.
Xis politischer Einfluss ist in den vergangenen Jahren auch dadurch verstetigt worden, dass zentrale Parteikommissionen in allen wichtigen politischen Feldern den Entwurf und die Einführung von neuen Gesetzen und Plänen überwachen. In diesen Gremien, beispielsweise dem Nationalen Sicherheitskomitee, ist Xi stets Vorsitzender. So kann er Prioritäten setzen und hat direkten Einfluss auf die politischen Aktivitäten.
Gleichzeitig hat es einen großen Zuwachs an Xi-loyalen Kadern im Zentralkomitee gegeben. Diese neuen Parteimächtigen haben schon in der Vergangenheit von Xis Aufstieg profitiert, und ihre politischen Karrieren sind eng mit dem Machterhalt Xis verknüpft. Diese Gruppe ist immer stärker in Politbüro und Ständigem Ausschuss vertreten und stützt Xis Dominanz und sein politisches Programm.
Um Prognosen darüber treffen zu können, wohin sich Chinas politische Agenda in den kommenden fünf Jahren entwickeln wird, ist es wichtig zu verstehen, wer diese in den innersten Kreis der KPCh aufsteigenden Parteiführer sind und welche Qualitäten sie jenseits ihrer Loyalität für Xi mitbringen.
Da Xi Jinping die für Beförderungen derzeit geltenden Normen maßgeblich geändert hat, sind die Prozesse und Kriterien für Beobachter in den vergangenen Jahren völlig undurchsichtig geworden. Es wird immer schwieriger, Vorhersagen über die Kandidaten im Politbüro zu treffen. So galt seit den frühen 2000er Jahren die Norm, dass Kader ab 68 Jahren (mit Ausnahme des Generalsekretärs) in den Ruhestand geschickt wurden. Wenn Xi diese Regel ignorieren kann, wird er eine größere Anzahl Kader „frühzeitig“ in Rente schicken können, ganz zu Gunsten seiner eigenen Favoriten. Im Folgenden werden kurz die vier wichtigsten Funktionäre vorgestellt, die voraussichtlich in die KPCh-Führungsspitze aufrücken und in den kommenden fünf Jahren Chinas Politik entscheidend mit prägen werden.
Ding Xuexiang
Zu denjenigen, die im zentralen Sekretariat (des Zentralkomitees) der KPCh den Informationsfluss an der Parteispitze steuern, gehört Ding Xuexiang. Er leitet außerdem das Büro von Generalsekretär Xi und ist damit sein wohl engster Vertrauter in der täglichen Arbeit. Ding gilt als einer der verlässlichsten Xi-Loyalisten und hat beste Chancen, in den Ständigen Ausschuss befördert zu werden. Er ist mit 60 Jahren noch relativ jung und könnte damit noch zwei komplette Legislaturperioden, bis 2032, in der Führungsspitze bleiben. Ding könnte zu einer zentralen Führungsfigur für das nächste Jahrzehnt werden und Xis politische Macht nachhaltig stützen.
Im Gegensatz zu anderen Kandidaten hat Ding keine Erfahrungen auf Provinzführungsposten gesammelt. Nach seinem Hochschulabschluss in Maschinenbau arbeitete Ding zuerst in Forschungs- und Verwaltungsorganisationen in der Schanghaier Schwerindustrie, unter anderem in der Materialforschung. Nachdem er 2001 in die Schanghaier Verwaltung gewechselt war, ging es mit seiner Karriere steil bergauf. Ding machte Bekanntschaft mit Xi, als dieser 2002 die Führung in Schanghai kurzzeitig übernahm. Er war in den folgenden Jahren auf führenden Parteiposten, von Propaganda bis Recht und Sicherheit, in der Metropole tätig.
Als Xi Jinping 2012 Parteichef wurde, ging auch Ding nach Peking. Er ist seitdem nicht von Xis Seite gewichen. Er betont unermüdlich, Xi Jinpings Gedankengut werde China in ein „neues Zeitalter“ führen. Berichten zufolge hat Ding seinen privilegierten Zugang zu Informationen des Zentralsekretariats auch mehrfach genutzt, um Xi vor interner Opposition zu warnen.
Chen Yixin
Unter Chinas Spitzenkadern ist Chen Yixin auf dem besten Weg, in höchste Führungspositionen im „Team Xi“ aufzusteigen. Der langjährige Unterstützer des Staats- und Parteichefs hat sichere Chancen, ins Politbüro befördert zu werden. Auch er ist mit 63 Jahren noch recht jung, könnte bis 2032 in der Führung bleiben und für die folgende Wahlperiode (2027–2032) in den Ständigen Ausschuss aufrücken. Chen schreibt regelmäßig Beiträge für die Parteitheorie-Zeitschrift Qiushi. In seinen Artikeln erörtert er in enthusiastischen Tönen gern die systemischen Vorteile eines von der Partei kontrollierten Rechtssystems.
Seine Loyalität hat sich für Chen bezahlt gemacht: Xi schickte ihn in der frühen Phase der Coronavirus-Pandemie 2020 nach Wuhan, um den Ausbruch in der Stadt unter Kontrolle zu bringen. Zudem betraute er ihn mit der Säuberung von „korrupten Elementen“ in den Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden.
Als stellvertretender Leiter der Zentralen Kommission für Politische und Rechtliche Angelegenheiten (das berüchtigte rechtspolitische Aufsichtsgremium der Partei) ist Chen für die interne Überwachung von Loyalität und Disziplin der Sicherheitsbehörden zuständig. Chen wird als Nachfolger des Kommissionsleiters Guo Shengkun gehandelt und verfügt im internen Sicherheitsapparat der Partei bereits jetzt über mehr Autorität. Chen ist einer der wichtigsten Männer für „politische Sicherheit und Loyalität“ und damit für ein Thema, dem Xi höchste Priorität beimisst.
Chen gehört der „Neuen Armee von Zhejiang“ an, einer Gruppe engagierter Kader, die bereits während Xis fünfjähriger Amtszeit als Parteisekretär von Zhejiang in den frühen 2000er Jahren mit ihm zusammengearbeitet haben und als hochloyal gelten. Schon während seines Physikstudiums in seiner Heimatprovinz Zhejiang engagierte Chen sich in der Partei und trat erste Posten in der Universität an.
He Lifeng
Als enger Verbündeter Xis gilt ebenfalls He Lifeng, seit 2014 in der Führung der mächtigen Staatlichen Kommission für Entwicklung und Reform tätig. Zusammen mit dem oben erwähnten Ding Xuexiang und Chinas einflussreichem Vizepremier für Wirtschaft und Finanzen, Liu He, ist er in der Regel bei sämtlichen Inspektionsreisen im Land an der Seite des Parteichefs.
He gehört seit Jahrzehnten zu Chinas zentralen Wirtschaftsplanern. Diese Position hat er sich aufgrund seiner Stellung als Leiter der Reformkommission sowie seiner Posten in diversen Infrastruktur- und Industrieplanungs-Parteigremien erarbeitet. Deshalb ist er ein Favorit für die Ablösung von „Wirtschaftszar“ Liu He im Politbüro. Liu ist 70 Jahre alt und hat damit die inoffizielle Altersgrenze für Mitglieder des Politbüros von 68 Jahren überschritten.
He Lifeng ist bekannt als Planer und wird die stark politisch gesteuerte Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahre weiterführen. Bekannt wurde er durch seinen Einsatz für die Entwicklung von Infrastruktur und Sonderwirtschaftszonen in Fujian und Tianjin. Nach seiner Promotion in Wirtschaftswissenschaften arbeitete sich He in den 1980er Jahren in den städtischen Finanz- und Steuerbehörden von Xiamen hoch, während Xi dort Vizebürgermeister war. Später wurde He selbst stellvertretender Bürgermeister und arbeitete nach 1995 in führenden Positionen in Fujian, bis er nach kurzer Zeit als Provinzparteichef 2009 zum stellvertretenden Parteisekretär der wichtigen Hafenmetropole Tianjin befördert wurde.
Huang Kunming
Huang Kunming gilt ebenfalls als wichtiger Unterstützer und früher Wegbegleiter Xis. Als Leiter der zentralen Propaganda-Behörde ist Huang Teil des inneren Kerns der Parteispitze und maßgeblich für die Verbreitung von Xis Gedankengut verantwortlich. Sein Alter erlaubt ihm wahrscheinlich nur noch eine Amtsperiode, allerdings bedeutet es auch Seniorität anderen Kandidaten gegenüber. Huang hat daher gute Chancen, in den kommenden Ständigen Ausschuss gewählt zu werden.
Huang spielt eine zentrale Rolle im System Xi, das der Parteipropaganda und Ideologie Priorität zuschreibt. Er nimmt seinen Auftrag sehr ernst und hat besonders die Integration von Propaganda in digitalen Medien forciert. Mit Aussagen wie „Demokratie ist eine unablässige Verpflichtung der KPCh und des chinesischen Volkes“ und zur von der Partei angestrebten „chinesischen Modernisierung und einer neuen Form der Zivilisation“ weiß er Akzente ganz im Sinne Xis zu setzen.
Nach dem Studium der politischen Bildung begann Huang seine Karriere 1982 zunächst in der Jugendabteilung der Partei in Fujian. Dort lernte Huang Xi kennen, der als Provinzgouverneur amtierte. 1999 wurde er nach Zhejiang versetzt, wo er erneut unter Xi arbeitete und seinen Aufstieg unter dessen Fittichen fortsetzte. Schon in der Zeit in Zhejiang diente Huang als Leiter der Provinz-Propagandaabteilung. 2013 wurde er von Xi nach Peking berufen, um dort die stellvertretende Leitung der zentralen Abteilung zu übernehmen. Huang zählt ebenfalls zur „Neuen Armee von Zhejiang“.
Internationale Politik 6, November/Dezember 2022, S. 30-33
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