Essay

03. Jan. 2022

Wut und Schwermut: Die Rechte in der Krise

Die Geschichte des Konservatismus ist eine Erfolgsstory – scheinbar. Ihre inneren Auseinandersetzungen haben die Rechte nie daran gehindert, von Wahlsieg zu Wahlsieg zu eilen. Doch allmählich scheint der Streit zwischen gemäßigten Konservativen und harten Rechten außer Kontrolle zu geraten. Eine Krise, die alle beunruhigen sollte, denen die Zukunft der liberalen Demokratie am Herzen liegt.

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Bild: Coronaleugner-Demo in Leipzig
Opferrolle rückwärts: In vielen Ländern fordert die harte Rechte ihr gemäßigtes Pendant heraus. Doch so erfolgreich sie dabei auch sein mag, sie wird nicht müde, sich als Unterdrückte darzustellen (hier: „Querdenker“-Demo auf dem Leipziger Augustusplatz).
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Alle Rechte vorbehalten

Wer das Phänomen des Konservatismus analysieren will, der steht zunächst vor einem Rätsel. Vielstimmig, geschüttelt von heftigen inneren Konflikten, dominiert der Konservatismus dennoch den Parteienwettbewerb in den liberalen Demokratien des Westens. Rückschläge, die eine weniger anpassungsfähige Tradition lähmen könnten, haben die Fähigkeit der modernen Rechten, die Macht zu erobern, nur selten längerfristig geschmälert.



 Heute kämpfen Frankreichs bürgerliche Konservative gegen einen Aufstand der harten Rechten. Deren deutsches Pendant, die AfD, hat sich in die christdemokratische Basis eingefressen und sich trotz der jüngsten Verluste als Partei etabliert. Amerikas Republikaner haben Sozial- und Kulturliberale verdrängt, und die britischen Konservativen verfolgen einen Nationalismus, der ethnisch gefärbt ist, zumindest auf Seiten der Wähler.



Wenn Machtkämpfe über Strategien und Ideale zur Gewohnheit werden, wird das die meisten Bewegungen spalten oder lähmen. Die streitbare Rechte scheint von dieser Regel ausgenommen zu sein. Ihre Lust am Bürgerkrieg hat sie kaum daran gehindert, bei Wahlen immer wieder zu triumphieren.



Diese Erfolge werden oft kleingeredet oder geleugnet, gerade von einer Linken, die als Partei des Fortschritts dem Glauben verpflichtet ist, die Zukunft sei auf ihrer Seite und konservativer Erfolg könne bestenfalls ein Strohfeuer sein. Die Selbstverzwergung der Rechten ist dagegen taktischer Natur. Von Sieg zu Sieg eilend, spielt sie gern die Rolle des Opfers oder des Underdogs. Nur wenige Stereotype sind auf der Rechten so beliebt wie das vom tugendhaften Konservativen, der von liberalen Unterdrückern angegriffen und verleumdet wird. Ein amerikanischer Verleger klagte erst kürzlich, die Konservativen sähen sich einer „kollektiven Diskriminierung durch die Institutionen unserer Gesellschaft“ ausgesetzt, wie es sie seit den Tagen der Rassentrennung nicht mehr gegeben habe. Man mag das plausibel finden oder lächerlich: Wer das konservative Rätsel des „Erfolgs trotz Spaltung“ entschlüsseln will, wird diese Maskerade in Rechnung stellen müssen. Und ob sie gerade im Amt sind oder nicht, die Aussichten der Konservativen bleiben gut. Wie kann das sein, wenn man bedenkt, wie zerstritten sie sind?

 

In Frankreich hat die rechte Wählerschaft – also die Mehrheit – im Frühjahr die Wahl zwischen einem populären, einwanderungsfeindlichen Brandstifter, Éric Zemmour, dem rechtspopulistischen „Rassemblement National“, den Republikanern (Gaullisten und Liberale) und dem Amtsinhaber Emmanuel Macron, der behauptet, weder rechts noch links zu sein.



Wenn die US-Republikaner klug sind, werden sie bei der Auswahl des Präsidentschaftskandidaten 2024 zu Donald Trump sagen: „Danke für alles, was du für unsere Partei getan hast, aber nun: Auf Wiedersehen.“ Den antiliberalen, kompromisslosen Republikanismus, der schon vor Trump herrschte und den er sich als opportunistischer Alleingänger zu eigen machte, werden sie nicht aufgeben. Der Einzug ins Weiße Haus 2020 ließ den Sieg der Demokraten umfassender erscheinen, als er war. Die Republikaner legten im Repräsentantenhaus zu, dominieren die Parlamente von 30 der 50Bundesstaaten und haben eine Mehrheit im Supreme Court.



In Großbritannien schockiert das Label „harte Rechte“ nur diejenigen, die sich durch die Begabung der Konservativen, radikale Umwälzungen als Ausdruck typisch englischer Mäßigung und gesunden Menschenverstands zu verkleiden, in die Irre führen ließen. Unter dem charismatischen Improvisationskünstler Boris Johnson haben die Brexit-Konservativen die Pro-Europäer, die einst die Mehrheit der Fraktion stellten, ruhiggestellt. Sie verfügen über eine komfortable Mehrheit gegenüber einer schwachen, gespaltenen Linken. Dass Brexit, Parteisäuberungen und ein überragender Sieg der Torys (2019) demokratisch, rechtmäßig und friedlich zustande kamen, konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie zusammengenommen einen bemerkenswerten Coup einer unterschätzten harten Rechten darstellten.



Einzig in Deutschland scheint der vertraute Wechsel von Mitte-Rechts und Mitte-Links noch verlässlich zu funktionieren. Doch auch hier ist die Wählerbasis der Christdemokraten geschrumpft. Ähnlich bei den Sozialdemokraten – sie stellen zwar den Kanzler, brauchen zum Regieren aber kleinere Parteien.

 



Die Leserschaft, sei sie konservativ oder nicht, dürfte sich hier ungläubig die Augen reiben. Wurden etwa in dem oben beschriebenen Parteiendickicht die Bezeichnungen „rechts“ und „konservativ“ vermischt, aus Unwissenheit oder Böswilligkeit? Nun, gewiss ist der Konservatismus nicht die Rechte. Vielleicht ein Teil davon, aber nicht dasselbe.



Die Rechte ist eine Seite des traditionellen Parteienspektrums. Konservatismus dagegen ist kein räumlicher Marker in einem veränderlichen Parteienspektrum, sondern eine Ansammlung vernünftiger Ideen, die einhergeht mit bürgerlichen Tugenden und einem entsprechenden Lebensstil. Nichts davon findet sich im lärmenden Radikalismus der heutigen harten Rechten wieder. Das ließe sich mit zahlreichen Zitaten aus der Geschichte des Konservatismus belegen. Bei den Autoren, die den literarisch-­philosophischen Kanon der Rechten bilden – Edmund Burke, Nathaniel Hawthorne,  August Wilhelm Rehberg und Hippolyte Taine im 19. Jahrhundert, Raymond Aron, Irving Kristol, Odo Marquard und Michael Oakeshott im 20. Jahrhundert – wird der Konservative für seine praktische Vernunft und Mäßigung, seine Akzeptanz der Grenzen des Lebens, seine geringen Erwartungen an die Politik und vor allem seine stille Verachtung für überzogene liberale Hoffnungen und überintellektualisierte Doktrinen gefeiert.



Im konservativen Pantheon der modernen Staatsmänner werden nicht Spalter, Träumer oder Sektierer verehrt, sondern Einiger und Versöhner – Konrad Adenauer, Winston Churchill, Charles de Gaulle, Dwight D. Eisenhower. Das Ideal der konservativen Staatskunst besteht darin, weise den sozialen Wettbewerb zu lenken, das Recht zu verteidigen und den unvermeidlichen Wandel klug zu managen. So in etwa formulierten es der Brite Lucius Cary im frühen 17. Jahrhundert und der Deutsche Norbert Blüm im späten 20. Jahrhundert. Will man das Prinzip des Konservatismus auf eine Formel bringen, so würde sie lauten: Widersetze dich der Veränderung nicht aus Prinzip, aber heiße sie nur dann willkommen, wenn sie notwendig ist.



In einem vorpolitischen Sinne spiegelt der konservative Impuls eine Scheu vor Veränderungen wider – jenes universelle menschliche Bedürfnis nach Ordnung und Stabilität, nach einem Morgen, das so sein möge wie das Heute. Politisch sind Konservative stets für Ordnung und Stabilität eingetreten: für die bestehenden Besitzverhältnisse, für Rechtsstaatlichkeit, für Tradition und Bräuche und für funktionierende Volkswirtschaften, die gewährleisten, dass die Rechnungen bezahlt werden und die Regale der Geschäfte gefüllt sind.



Doch seit dem späten 19. Jahrhundert waren die Konservativen gezwungen, zur Erreichung dieser Ziele etwas zu akzeptieren, das sie zuvor gefürchtet und gemieden hatten: den modernen Marktkapitalismus, jene gigantische Innovations- und Wohlstandsmaschine, die eine Gesellschaft auf den Kopf stellt und ein neues, unbekanntes Morgen schafft. Sobald Frühkonservative aufhörten, die Moderne grundsätzlich abzulehnen – jene „galanten Kavaliere“, die, wie Lord Byron es nannte, „vergeblich für jene kämpften / die weder zu resignieren noch zu regieren wussten“ –, prägten Zielkonflikte den Charakter dieser Moderne.



Obwohl Konservative die Linken wegen ihrer Träume und Ideale zu verspotten pflegen, ist ihr eigener Anspruch eindeutig der höhere. Konservative versprechen alles gleichzeitig: nationale Gemeinschaft und globale Märkte; sozialen Frieden und meritokratischen Kampf; Kompetenz im Amt und Misstrauen gegenüber der Regierung; traditionelle Kultur und ständigen kulturellen Wandel. Edward Luttwak, ein kluger und aufgeschlossener Konservativer, hat diesen janus­köpfigen Charakter schon vor 25 Jahren erkannt. In einem Artikel, in dem er die heutigen Auseinandersetzungen innerhalb der Rechten vorhersah, spöttelte er über die Sophisterei in konservativen Festreden, wenn im ersten Teil der Rede der ungebremste Wettbewerb gepriesen und in Teil zwei der Verlust von Gemeinschafts- und Familienwerten beklagt wird. In diesem Sinne ist jeder moderne Konservative eine Art Zirkusreiter, der mit einem Fuß auf dem Pony namens „Kapital“ und mit dem anderen auf dem Pony namens „Tradition“ durch die Manege galoppiert.

 



Es sind diese historischen Spannungen, nicht verbale Unachtsamkeit oder begriffliches Durcheinander, die es so schwer machen, die Rechte in ein paar Sätzen zu erfassen. Sie erklären, warum Konservative vor einer Doktrin zurückschrecken oder sogar stolz darauf sind, die Notwendigkeit einer solchen in Abrede zu stellen.



Im Sinne einer politischen Praxis oder Tradition weist der Konservatismus drei Merkmale auf: eine Geschichte, Anhänger – Politiker, Unterstützer, Wähler, Publizisten – und eine Anschauung, die sie leitet. Obwohl es sich aber beim Konservatismus um einen der berühmten „Ismen“ handelt, hat er eine Anschauung, ist aber selbst keine solche, geschweige denn, dass er Ausdruck einer tieferen Idee oder einer politischen Moral wäre.



Allerdings lässt sich der Konservatismus ebenso wenig wie Liberalismus oder Demokratie auf Wählerverhalten, Psychologie oder ökonomische Interessen reduzieren. Es stimmt, dass Konservative in erster Linie die Besitzenden verteidigen müssen. Das heißt aber nicht, dass sie sich ausschließlich um sie kümmern. Außerdem kann sich die Antwort auf die Frage, wer die Besitzenden sind, ändern, wenn sich die Verteilung und der Charakter des Eigentums ändern. Konservatismus lässt sich auch nicht als eine Philosophie der Rechtfertigung abtun, es sei denn vielleicht in der negativen Variante à la Burke oder Oakeshott, wonach Konservative eben keine Recht­fertigung benötigten.



Als sich die Liberalen am Beginn des 19. Jahrhunderts zu Parteien formierten, misstrauten sie Autoritäten ebenso wie Kriterien wie Rang und Status. Deutlich optimistischer waren sie, was das Potenzial der Menschen angeht oder den freien Wettbewerb, sei es im Handel, in der Wissenschaft oder im öffentlichen Diskurs. Liberale Denker entwickelten diese Gedanken unter unterschiedlichen Überschriften weiter – als Freiheit, Fortschritt oder Gleichheit in einer offenen Gesellschaft. Für Konservative, die frühesten Widersacher der Liberalen, sollte die Gesellschaft in Harmonie funktionieren, Wettbewerb war ihnen suspekt. Das moralische und intellektuelle Potenzial des Menschen hielten sie für überschaubar; Respekt gebührte in ihren Augen nicht unterschiedslos allen Menschen, sondern dem Verdienst und der Exzellenz, gleichgültig, ob das hart erarbeitet oder den Betreffenden in den Schoß gefallen war.



Als gebildete, wohlhabende, weiße und männliche Eliten sahen sich Liberale und Konservative bald mit einer gemeinsamen Feindin konfrontiert: der Demokratie. Richtig verstanden, erweiterte die Demokratie das liberale Versprechen – politische Mitsprache, wirtschaftliche Mitbestimmung, Freiheit des Urteils in ethischen und kulturellen Fragen – bedingungslos auf jeden einzelnen Bürger. Es gibt Liberalismus für einige wenige und Liberalismus für alle. Der Liberalismus richtet die Party aus, die Demokratie legt die Gästeliste fest.



Mit der Demokratie als Feindbild ergaben sich für Konservative und Liberale einige Anknüpfungspunkte. Der deutsche Liberale David Hansemann hat das 1848 so auf den Punkt gebracht: „Was liberal war ... ist konservativ; und Ex-Konservative verbinden sich gerne mit Ex-Liberalen.“

 



Wenn wir Erfolg in einem engen Sinne als die Kunst definieren, mehr Wahlen zu gewinnen als die anderen – und den Wettbewerb um überlegene Gesellschaftskonzepte hintanstellen –, dann war die politische Rechte in der Tat seit 1945 bemerkenswert erfolgreich. In Frankreich kam der gewählte Präsident mehr als 40 Jahre lang von der Rechten. In Großbritannien regierten die Torys in 82 der 126 Jahre zwischen 1895 und 2021 allein oder waren die Mehrheitspartei in Koalitionsregierungen. In den USA waren die Verhältnisse ausgeglichener. Die Republikaner gewannen zwischen 1896 und 2020 17 von 32 Präsidentschaftswahlen. Das scheinbare Gleichgewicht täuscht aber darüber hinweg, dass die Demokraten bis in die 1970er Jahre in liberale Nordstaatler und konservative Südstaatler gespalten waren. In Deutschland haben die Christdemokraten seit 1949 in 51 von 72 Jahren das Kanzleramt innegehabt. Das mag ein ziemlich grober Überblick sein; eine Bilanz des Scheiterns ist es gewiss nicht.



Die Geschichte der Rechten seit 1945 lässt sich in drei Phasen aufteilen. Von 1945 bis 1980 akzeptierte die Rechte das linksliberale Modell des Wohlfahrtskapitalismus, um das seit den 1930er Jahren gerungen wurde. Von 1980 bis in die frühen 2000er Jahre verschrieb sie sich einem radikalen Wirtschaftsliberalismus mit freien Märkten und einer sich zurückhaltenden Regierung. Seither ist sich eine gespaltene Rechte nicht mehr sicher, wofür sie steht.



Die Dominanz der Rechten im späten 20. Jahrhundert lässt sich auf drei Faktoren zurückführen. Einer davon war die charakteristische Anpassungsfähigkeit des Konservatismus und sein Geschick, die Ideen der Konkurrenz zu stehlen. Ein zweiter Faktor war die wachsende Schwäche der Linken, deren Ursachen viel diskutiert wurden: Rückgang der Industrie, schrumpfende Gewerkschaften, Verlust von Arbeiterstimmen an die Rechte, Fragmentierung durch Identitätspolitik, Vernachlässigung von Wirtschaft und Gesellschaft durch linke Intellektuelle zugunsten von Kultur und Philosophie.



Ein weiterer Grund war die Fähigkeit der Rechten, innere Konflikte unter Kontrolle zu halten. Die Eisenhower-Republikaner hielten die erzkonservativen Anhänger von William Howard Taft in Schach, Richard Nixon versöhnte die Unternehmer des Nordens mit den weißen Südstaatlern, die sich den Republikanern anschlossen, und Ronald Reagan umschmeichelte alle Lager – egal ob Falke oder Taube, Sonnen- oder Rostgürtel, religiös oder säkular.



Die britischen Torys nahmen ihre Empire-Loyalisten und Einwanderungsgegner ebenso an die Leine wie die Henker, Peitschenschwinger und Schwulenhasser, die sich vergeblich gegen einen liberalen Zeitgeist wehrten. Der konservative Mainstream in Deutschland und Frankreich verdrängte oder absorbierte die Überbleibsel einer antidemokratischen Rechten, die in Deutschland lästig und in Frankreich vor allem in Bezug auf Algerien gefährlich war.



In der jetzigen, dritten Phase hat die Rechte die Kontrolle über ihre Konflikte verloren. Ihre Anpassungsfähigkeit schwindet mangels Gebrauch. Woran soll sie sich denn noch anpassen? Ihr historischer Rivale, die Linke, zersplittert und verfällt immer weiter. Die „Anarchie“ der Staaten nach 1989 hat der Rechten zusätzlich den Orientierungsrahmen genommen. In ihrer Verwirrung sind die Konservativen nicht allein. Keine der Traditionen – liberale Linke, illiberale Linke, Grüne – verfügt über ein gefestigtes oder überzeugendes Narrativ. Da der Konservatismus jedoch die stärkere Kraft ist, werden die Konflikte und die Orientierungslosigkeit der Konservativen vermutlich schwerwiegendere Folgen haben.  



In dieses Vakuum ist die harte Rechte vorgedrungen. Neu an ihr ist wenig. Ihre Parolen, Themen und Forderungen reichen durch das 20. und 19. Jahrhundert zurück bis zu den historischen Spaltungen der konservativen Rechten, zur nie überwundenen Ambivalenz der Konservativen gegenüber der kapitalistischen Moderne. Und: Die harte Rechte ist keine extreme Rechte. „Extrem“ verweist auf den politischen Rand, doch die harte Rechte hat den Rand verlassen und ist zu einem regulären Teil des Parteienwettbewerbs geworden.

 



Obgleich die derzeitige harte Rechte aufgrund ihrer gemeinsamen Wurzeln mit dem Faschismus einige Elemente mit ihm teilt, ist sie weder faschistisch noch neofaschistisch, wenn man von ihren Rändern absieht. Faschismus stand historisch gesehen außerhalb des politischen Mehrparteiensystems, zu dem die harte Rechte allem Radikalismus zum Trotz gehört. Sie ist auch nicht populistisch im belasteten und irreführenden Sinne, der die Parteien der Eliten den Parteien eines mythischen Konstrukts namens „Volk“ gegenüberstellt. Populisten sind selbsternannte Außenseiter, die diejenigen ersetzen wollen, die sich etabliert haben. Sie geben sich als Stimme des Volkes aus, teilen aber die Privilegien und Bildung der Konkurrenten, die sie verachten.

 

Die harte Rechte ist eine eigentümliche Mischung aus Libertären, die einen schlanken Staat und wirtschaftliche Globalisierung befürworten, und Nativisten, also Konservativen, die sich im Wesentlichen mit Fragen der kulturellen Identität und des nationalen Niedergangs befassen. Aus Sicht der libertären Rechten geht es den Menschen besser, wenn man sie aus dem Griff einer staatsgläubigen politischen Klasse befreit. Für die nativistische Rechte stehen die Menschen besser da, wenn sie vor elitären, fremdenfreundlichen Kosmopoliten bewahrt werden. So ergibt sich der widersprüchliche Befund, dass die harte Rechte gleichzeitig einen stärkeren Staat und niedrige Steuern verspricht und die Unterstützung der arbeitenden Bevölkerung mit einer freien Hand für Unternehmer verbindet. Mit der Formel „Unsere Nation zuerst“ wird die harte Rechte oft als nationalistisch bezeichnet. Das ist insofern falsch, als sie durchaus begriffen hat, dass Nationalstaaten sich nicht isolieren können, sondern zusammenarbeiten müssen. Die harte Rechte will allerdings, dass ihre Nation in der Welt zu ihren eigenen Bedingungen agieren kann. Sie gibt den Multilateralismus zugunsten des Traums vom Unilateralismus auf. Das Bindeglied zwischen diesen Leitmotiven ist die Opferrolle. Sie schlägt eine Brücke zwischen überkommenem Privileg und ressentimentschürender Enteignung. Wohlstand wird als Opfer eines raffgierigen, aufdringlichen Staates dargestellt, die Enteigneten als von heuchlerischen Liberalen benutzt oder ignoriert dargestellt.  



Die harte Rechte ist keine temporäre Verirrung, sondern eine dauerhafte Verschiebung des Parteiengefüges der liberalen Demokratie nach 1945. Ihre Parteiausprägungen werden sich ändern, bei Wahlen werden sie mal mehr und mal weniger erfolgreich sein. Die Ursachen ihres Aufstiegs werden bleiben. Dazu gehören die Anziehungskraft ihrer eigenen mächtigen Leitmotive und das wiederholte Scheitern liberaler Demokratien, soziale Ungerechtigkeit zu bekämpfen und das öffentliche Vertrauen in Regierung und Expertise wiederherzustellen. Ob Mitte-Rechts den Willen und die Mittel hat, den konservativen Mainstream zurückzuerobern, ist alles andere als sicher. Geboren als Ausdruck eines Kompromisses zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Liberalismus und Konservatismus, benötigt die liberale Demokratie für ihr Gedeihen eine selbstbewusste Rechte, die mit sich im Reinen ist. Die heutige Rechte ist weder das eine noch das andere. Die harte Rechte ist übermäßig anfällig für das, was der Philosoph Peter Sloterdijk als das charakteristische gesellschaftliche Gefühl der Zeit bezeichnet hat, nämlich Wut. Die alte gemäßigte Rechte scheint verstummt und deprimiert. Die Linke ist zu schwach und gespalten, um der Rechten als dialektisches Gegenüber zu dienen – als eine Kraft, der man widerstehen oder sich anpassen muss. Solange dem so ist, sollten die beiden Grundstimmungen einer gespaltenen Rechten – Wut und Depression – jeden beunruhigen.



Edmund Fawcett ist ein britischer Historiker und Publizist. In seinem Buch „Conservatism: The Fight for a Tradition“ (Princeton University Press 2020) beschäftigt sich Fawcett mit dem Wandel des Konservatismus und den heutigen Konfliktlinien zwischen moderaten Konservativen und „harten Rechten“.

Aus dem Englischen von Tim Hofmann

 

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar/Februar 2022, S. 106-111

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