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01. Apr. 2007

Wissenschaftsnetz Diplomatie

Der Beratungsbedarf in außenpolitischen Fragen nimmt zu

In einer immer komplexer werdenden Welt sieht sich der Staat vor ständig neue Herausforderungen gestellt. Daher nimmt auch der Beratungsbedarf der Politiker stetig zu. Die deutsche Wissenschaft hat in der Vergangenheit ihre Freiheit zu wenig für politische Denkanstöße genutzt. In der Außenpolitik soll die Kooperation jetzt intensiviert werden.

Mit fortschreitender Globalisierung verändern sich die Rahmenbedingungen der Politik und der Diplomatie. Das politische System der Staatlichkeit wird durch die wachsende Vielzahl, Schnelligkeit und Komplexität der Entscheidungsprozesse vor ständig neue Herausforderungen gestellt. Der Staat als Modell entfaltet zwar immer noch große Kräfte des Zusammenhalts und der Lösungskompetenz, aber sein Wissensvorsprung und sein Entscheidungsmonopol schwinden.

Was sind die verbleibenden Kernaufgaben im Bereich der Sicherheits-, Freiheits- und Ordnungsgewährleistung als Korrelat zum staatlichen Gewaltmonopol? Ist das Konzept der Gemeinwohlbindung als Legitimation des Staates angesichts des sich entfaltenden Subsidiaritätsbegriffs in der Bürgergesellschaft der Zukunft noch anwendbar, und wenn ja, in welchen Formen? Zwar hat die Politik ihre gestalterische Handlungsfähigkeit keineswegs verloren. Doch sie muss sie sich heute mit modernen Mitteln täglich neu erarbeiten: Im Wandel zur Wissensgesellschaft wird die Politik noch viel mehr als früher zum „lernenden System“.1

In den vergangenen Jahrzehnten hat die Wissenschaft ihre Freiheit zu wenig für Denkanstöße für die Politik genutzt. Erfolgreiche Wissenschaft sollte sich nicht allein mit dem oft zitierten Elfenbeinturm begnügen, sondern auch die Bestätigung und Herausforderung in der Realität suchen.2

Die Kernaufgabe des Auswärtigen Amts ist und bleibt die Koordinierung und Kohärenz unserer Außenpolitik. Die Wissenschaft kann Fachwissen, Folgeabschätzung und politisch-moralische Expertise beisteuern. Moderne Wissenschaft selbst ist kein wertfreier Raum, sie ist vielmehr auf Wegweiser und ethische Grundsätze angewiesen. Es ist die gemeinsame Aufgabe von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft, diese Leitplanken in einem offenen Dialog zu definieren. Die Wissenschaft lebt zugleich vor, wie Grenzen überwunden werden.3

Zur Lösung der institutionellen  Probleme, die sich etwa aus dem Wandel der Staatlichkeit ergeben, ist die Politik auf interdisziplinäre Erkenntnisse der Wissenschaft angewiesen. Wie die Wirtschaft bekennt sich auch die Wissenschaft heute zu ihrer „social responsibility“. Die traditionelle Freiheit der Wissenschaft ist vom Staat zusammen mit der Wirtschaft in eine Public-Private-Public-Partnership zivilgesellschaftlich einzubinden. Daraus kann ein neues konstruktives Dreieck der Verantwortung für das Gemeinwohl entstehen: Die Triade Staat/Wirtschaft/Wissenschaft. In einer partizipatorischen Demokratie wird die verantwortungsbewusste Wissenschaft von einer Sozialbindung für das Gemeinwohl durchdrungen, ähnlich derjenigen, die das Grundgesetz für das Eigentum vorsieht.

Die Wissenschaftsfreiheit ist im sozialen Verfassungsverständnis durch eine soziale Verantwortung der Wissenschaft zu ergänzen, welche das Freiheitsrecht nicht beschränkt, sondern ihm eine zusätzliche Wirkung eröffnet.4 Ähnlich wie beim Eigentumsschutz enthält die Wissenschaftsfreiheit mit der Wissenschaftsverantwortung eine ergänzende Sozialbindung.5 Diese Orientierung bedeutet eine begleitende Pflicht zur Berücksichtigung der Belange der Gesellschaft sowie der Folgen der Wissenschaftsentwicklung, welche die wissenschaftliche Selbstbestimmbarkeit prinzipiell unberührt lässt. Die dispositive Freiheit der Aufgabenerfüllung der Wissenschaft wird durch diese soziale Verantwortung verdeutlicht, erweitert und angeregt. Der Staat kann bestimmte Forschungen zu grundsätzlichen Themen der Praxis fördern.

Neben der gesellschaftlichen wächst damit die politische Verantwortung der Wissenschaft für das Gemeinwohl der Zukunft. Mit diesem Ziel unterstützt das Auswärtige Amt zum Beispiel den Sonderforschungsbereich 700 „Governance in a Globalized World“ unter Leitung der FU Berlin. Von den zu erwartenden innovativen Lösungsansätzen für diese globalen Fragen wird die aktive Gestaltbarkeit der Zukunft im Sinne einer Vorauspolitik abhängen. Es gilt, den Freiraum für wissenschaftliche Neugier durch zukunftsweisende Forschung für die Gestaltung des Unerwarteten und Unvorhersehbaren zu nutzen. Mit neuen Ideen und Denkansätzen, gelegentlich sogar System-Brüchen, kann ein solches Engagement der modernen Wissenschaft zu Erkenntnissen und Optionen führen, von denen die Gesellschaft insgesamt profitiert.6 Aufgabe der geplanten Deutschen Akademie der Wissenschaften wird beispielsweise sein, die Politik in Zukunftsfragen zu beraten. Sie soll die verschiedenen in Wissenschaft und Politik vorherrschenden Teilansichten auf der Suche nach Konsens zusammenfügen.

Die praktische Realisierung der Koordinierungskompetenz des Auswärtigen Amts für die Außenpolitik mit der notwendigen Reaktionsfähigkeit und Flexibilität auf der Grundlage klarer Orientierung an Werten und Interessen erfordert ein Zusammenwirken u.a. auch mit der Wissenschaft. Politikberatung durch die Wissenschaft ist nicht nur sehr wertvoll, sondern häufig unverzichtbar.7 Bei der grundrechtsadäquaten Ausgestaltung dieser Kooperation von Staat und Wissenschaft gilt es, folgende drei Grundsätze zu berücksichtigen:8

  • das Gebot sachverständiger Entscheidung
  • das Gebot gleichmäßiger Interessenberücksichtigung und
  • das Gebot der institutionellen Neutralitätssicherung.

Diese Erkenntnisse haben einerseits im Auswärtigen Amt eine weitergehende thematische und personelle Öffnung und Durchlässigkeit für kluge Anstöße von außen und eine verstärkte Dialogfähigkeit im politischen Lernprozess vorausgesetzt, und sie erfordern andererseits bei den Partnern ein klareres Verständnis für die Anforderungen, Handlungsgesetze und Bedingungen von politischen Entscheidungen unter Zeitdruck und hoher Zukunftsunsicherheit.

Zur Koordinierung des Dialogs und der Kooperationsinteressen zwischen Wissenschaft und Politik hat das Auswärtige Amt die Position eines Beauftragten für Universitäten und Stiftungen eingerichtet. Mit dieser Initiative zur Vernetzung mit akademischen Einrichtungen und Think-Tanks kommt das Auswärtige Amt dem zunehmenden Interesse an einer Zusammenarbeit entgegen.9

Botschafter Dr. WILFRIED BOLEWSKI,  geb. 1943, ist Beauftragter des Auswärtigen Amts für Universitäten und Stiftungen und Lehrbeauftragter für Diplomatie in den Fachbereichen Rechtswissenschaft sowie Politik- und Sozialwissenschaften der Freien Universität Berlin.

 

  • 1Frank-Walter Steinmeier: Politik als „lernendes System“, Internationale Politik, August 2006, S.100–104.
  • 2Grußwort von Bundespräsident Horst Köhler anlässlich der 2. Tagung der Wirtschaftsnobelpreisträger am 17.8.2006 in Lindau.
  • 3Rede von Bundespräsident Horst Köhler bei Eröffnung des 2. EuroScience Open Forum am 15.7.2006 in München.
  • 4Siehe auch Klaus-Jürgen Scherer: Verantwortung der Wissenschaft, in: Reiner Braun, Ulf Imiela und Klaus-Jürgen Scherer (Hrsg.): Brückenschlag ins 21. Jahrhundert, Baden-Baden 1997, S. 11.
  • 5Siehe dazu Bernhard Losch: Wissenschaftsfreiheit, Wissenschaftsschranken, Wissenschaftsverantwortung, Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht, Band 17, Berlin 1993, S. 277, Friedhelm Neidhard: Wissenschaft als öffentliche Angelegenheit, WZB-Vorlesung vom 26.11.2002, http://www.wz-berlin.de/publikation/pdf/pdfs%20vorlesungen/les3_neidhar… , S. 24, Hartmut Ihne: Global Governance und wissenschaftliche Politikberatung – Tendenzen und Prinzipien, Baden-Baden 2007, S. 65, Christian Schwägerl: Für eine Forschung mit Sozialbindung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.3.2004, S. 35.
  • 6So Staatssekretär Georg Boomgaarden in seiner Rede zur Eröffnung der Tagung „Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit“, Berlin, 22.2.2007.
  • 7Staatssekretär Georg Boomgaarden in seinem Vortrag zur Einführung des Jahrbuchs Internationale Politik 2003/2004 am 11.5.2006 in der DGAP, Berlin
  • 8Vgl. Hans-Heinrich Trute: Die Forschung zwischen grundrechtlicher Freiheit und staatlicher Institutionalisierung, Jus Publicum, Beiträge zum öffentlichen Recht, Band 10, Tübingen 1994, S. 320.
  • 9Vgl. Georg Schütte, Generalsekretär der Alexander von Humboldt-Stiftung: Diplomatie der Forscher, in: DIE ZEIT, 11.4.2006, S. 83.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, April 2007, S. 121 - 125.

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