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01. Sep 2005

Von den Multis lernen

Corporate Diplomacy: Wie sich die Außenpolitik vernetzt

Staaten sind längst nicht mehr die einzigen außenpolitischen Akteure. Transnationale Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen verfügen oft über weit höhere Budgets, größere Auslandsvertretungen und besseres Spezialwissen. Eine enge Partnerschaft zwischen den Akteuren ist wünschenswert. Auch das Völkerrecht sollte den veränderten Umständen auf der Weltbühne Rechnung tragen.

Im April 2004 behandelte der UN-Sicherheitsrat in New York das Thema der möglichen Vermeidung künftiger internationaler Konflikte. Dabei trat als Referent zum ersten Mal auch ein führender deutscher Wirtschaftsvertreter auf: der jetzige Aufsichtsratsvorsitzende des Siemens-Konzerns Dr. Heinrich von Pierer. Vor dem obersten UN-Gremium, wo üblicherweise Regierungsvertreter oder Diplomaten sprechen, führte er aus: „Allein kann die Wirtschaft die Welt nicht verändern. Doch zusammen mit der Politik kann sie einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen Gewalt, Anarchie und Terrorismus leisten und eine Lanze für Kultur, Freiheit und Wohlstand brechen.“1

Der Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Josef Ackermann, wird auf dem Jahres-Kolloquium der Alfred Herrhausen Gesellschaft in Berlin mit der Ansicht zitiert, dass der Nationalstaat angesichts von Umweltkatastrophen, Epidemien und Finanzkrisen an seine Grenzen gestoßen sei. Es bedürfe neuer Formen der Zusammenarbeit (mit der Zivilgesellschaft), die er „Verantwortungspartnerschaft auf Zeit“ nennt.2

Diese Wirtschaftsführer verkörpern den Typ des internationalen Managers an der Schnittstelle zwischen transnationaler Wirtschaft, Politik und Diplomatie. Von Pierers Auftritt vor dem Sicherheitsrat kann durchaus als vorläufiger Höhepunkt der Entwicklung einer globalen Zivilgesellschaft gesehen werden, die seit dem Ende des Kalten Krieges immer deutlicher sichtbar wird, im Ansatz aber schon früher erkennbar war.

Bereits in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts sah der deutsche Staats- und Völkerrechtler Heinrich Triepel die Möglichkeit einer „auswärtigen Politik der Privatpersonen“,3 zu denen man heute NGOs und multinationale Unternehmen rechnet: „Auswärtige Politik zu treiben ist Sache des Staates, ist Sache seiner Regierung. Tatsächlich ist es auch in aller Regel der Staat und nur er, der sich dieser Aufgabe unterzieht. … Die Außenpolitik der Privaten hat oft einen bedeutenden Einfluss auf die politischen und rechtlichen Beziehungen ihres Staates zu anderen Staaten.“ Die Öffnung nationaler Märkte und die informationstechnologische Revolution, die das Internet mit sich brachte, haben dazu geführt, dass klassische staatliche Aufgaben in zunehmendem Maße von privaten Akteuren übernommen werden, die sich beim Einsatz von Ressourcen nicht mehr an nationale Grenzen halten müssen. Sie können ihre Mittel nahezu ungehindert an die Standorte umschichten, die ihnen die günstigsten Bedingungen bieten. So spielt sich bereits jetzt ein Drittel der internationalen Transaktionen innerhalb transnationaler Konzerne ab.4 Ihre Budgets sind dabei höher als die mancher Nationalstaaten. Die entstandene Asymmetrie zwischen Wirtschaftsräumen und staatlichen Regulierungsebenen führt zu einem Wettbewerb der Staaten untereinander, der den transnationalen Unternehmen eine neue Machtposition verleiht, aus der sich für die Wirtschaft neue Möglichkeiten und Verantwortlichkeiten zur aktiven globalen Politikbeeinflussung und -gestaltung ergeben.5 Mit dieser Entwicklung kann auch ein Machtverlust der Regierungen einhergehen.6

Gleichzeitig treten neue private Interessengruppen auf, die nicht wirtschaftliche, sondern gesellschaftspolitische Ziele verfolgen. Diese NGOs sind Ausdruck einer neuen Informationsgesellschaft, in welcher der Staat nicht mehr das Monopol auf kostengünstige Nachrichten hat. Vielmehr liegt die Nachrichtenbeschaffung in den Händen von global agierenden Mediennetzwerken, die aufgrund ihres transnationalen Charakters durch einzelne Staaten nur schwer zu kontrollieren sind. Auch sie sind Ausdruck einer neuen Zivilgesellschaft. Die neuen Technologien ermöglichen eine internationale Vernetzung unabhängig von staatlichen Informationsdiensten und eine Ansammlung von Wissen, die in der Geschichte bisher einmalig sind. Auf vielen Gebieten sind die ausgewiesenen Experten heute nicht mehr in staatlichen Stellen zu finden, sondern in privaten Thinktanks und Operationsteams, denen häufig ein höheres Budget zur Verfügung steht als den entsprechenden Regierungsorganisationen. Deshalb sind sie als Beratungsinstanzen aus dem heutigen Politikgeschäft nicht mehr wegzudenken. Gleichzeitig können die NGOs dieses Know-how in Verbindung mit den neuen Medien wirksam einsetzen, um – auch über Staatsgrenzen hinweg – auf die öffentliche Meinung einzuwirken. Somit sind sie zu einem unmittelbaren Machtfaktor geworden.

Aktuelle Probleme, wie z.B. Umweltschutz, Entwicklungshilfe, Katastrophenvorsorge und -bewältigung  sowie Verbrechensbekämpfung, werden aufgrund ihres transnationalen und komplexen Charakters sowie der zunehmenden Kurzlebigkeit internationaler Entwicklungsstufen also nur noch in Kooperation mit nichtstaatlichen Akteuren gelöst werden können.

Diese Entwicklungen haben dazu geführt, dass die auf den Westfälischen Frieden zurückgehende traditionelle Definition der Diplomatie als „Pflege der Beziehungen zwischen souveränen Staaten (und internationalen Organisationen) durch akkreditierte Vertreter“ heute wie folgt ergänzt werden muss: „Pflege der Beziehungen zwischen souveränen Staaten (und internationalen Organisationen) unter Einbeziehung von anderen internationalen Akteuren“.7 Globalisierung und transnationale Wirtschaftsbeziehungen zwingen also auch die Diplomatie zum radikalen Umdenken in Richtung Komplementarität und Kooperationskultur im sich verändernden internationalen Beziehungsgeflecht. Es wird immer deutlicher, dass der Diplomatie dabei nicht nur die traditionelle Ordnungsfunktion (management of order), sondernauch die Aufgabe der Anpassung zukommt (management of change).8

Partnerschaft gefordert

Der heutige Umgang der Diplomatie mit neuen nichtstaatlichen Akteuren bedingt die ständige Bereitschaft zum Dialog zwischen staatlichen und nichtstaatlichen diplomatischen Akteuren. Zivilgesellschaftliche Organisationen können eine sehr wichtige und konstruktive Rolle bei der Unterstützung des Staates spielen. Sie sind dabei nicht Ersatz, sondern Ergänzung für die Politik. Es geht also um die qualitative Veränderung klassischer Formen multilateraler Kooperationen im Rahmen zwischenstaatlicher Regime hin zu globalen Politiknetzwerken.

Auch die Rolle von multinationalen Unternehmen im Geflecht der zunehmend vernetzten und entgrenzten internationalen Politik bedarf der Neubestimmung.9 Manche Beobachter befürchten, dass aufgrund der Machtverlagerung von politischer Einfluss- und Gestaltungskraft nationalstaatlicher Akteure zugunsten privatwirtschaftlicher Organisationen das „Primat der Politik“ durch ein „Primat der Ökonomie“ abgelöst wird.10 Richtig ist, dass die Ökonomisierung von Außenpolitik zwar nationalstaatliche (externe) Souveränität einschränkt, aber auch neue Verantwortungspartnerschaften zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft schafft, die im Interesse aller Beteiligten liegen.

Die transnationalen Unternehmen wirken als Akteure im internationalen Kontext (Corporate Diplomacy) auf drei Ebenen: Erstens versuchen sie, durch Stellungnahmen, Gespräche oder öffentlichkeitswirksame Aktionen den nationalen außenpolitischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess zu beeinflussen; zweitens nehmen sie unmittelbaren Kontakt zu ausländischen Regierungen auf, um ihre Interessen vorzutragen; und drittens üben sie durch Kontakte zu internationalen Organisationen politischen Einfluss aus.

In den Führungsetagen multinationaler Unternehmen sollten daher „diplomatische Berater“ bzw. „Corporate Diplomats“ organisatorisch und hierarchisch so angesiedelt werden, dass sie mit ihrer Praxiserfahrung die Beachtung außenpolitischer Notwendigkeiten und diplomatischer Gepflogenheiten in den operativen Geschäfts-praktiken gewährleisten.11

Voraussetzung dafür sind die handwerklichen Fähigkeiten eines klassischen Diplomaten, wie außenpolitische Sichtweise und Mentalität, international einsetzbarer Sachverstand, die Beherrschung der Technik bilateraler und multilateraler Verhandlungen, praktische Kenntnisse diplomatischer Instrumente, Verfahren, Abläufe, Kommunikationsstränge sowie protokollarischer Usancen.12 Sie werden in Zukunft u.a. den Schlüssel zum Erfolg eines profilierten und international anerkannten Wirtschaftsmanagers bieten.

Denkbar ist darüber hinaus, dass transnationale Unternehmen in Regionen der Welt, wo staatliche Infrastrukturen fehlen oder unterentwickelt sind, zeitweilig Dienstleistungen und Ordnungsaufgaben im Wege des „contracting out/outsourcing“ oder der internationalen Duldung ausüben (wie beispielsweise in den Bereichen Ernährungsversorgung, Erziehung, Gesundheitswesen, Energie, Transport, Sicherheit).13 Sie würden damit – außerhalb demokratischer Legitimation  und Kontrolle – gesellschaftliche Verantwortung übernehmen.

Eine besondere Qualifikation privater Akteure ergibt sich aus folgenden Gründen:

  • Die transnationalen Unternehmen verfügen über ein weltweites Informations- und Kommunikationsnetzwerk mit einem persönlichen Beziehungsgeflecht. Die personelle Besetzung ihrer ausländischen Büros ist nicht selten größer als die der diplomatischen Vertretungen.
  • Ihre Entscheidungsstrukturen sind weniger hierarchisch und damit flexibler als staatliche Behörden.
  • Sie verfügen häufig vor Ort über zusätzliche Expertise und Kontakte, die insbesondere in Konfliktsituationen und bei Abwesenheit staatlicher Strukturen hilfreich sein können (agents of access).

Es handelt sich hier um eine zeitweilige Substituierung und Wahrnehmung staatlicher Ordnungs- und Hilfsfunktionen durch transnationale Unternehmen in Ermangelung oder als Ergänzung intakter staatlicher Dienstleistungsinstitutionen. Angesichts dieser privatisierenden Fragmentierung des staatlichen Machtmonopols könnte die fehlende politische Legitimation der transnationalen Unternehmen übergangsweise durch eine faktisch-stabilisierende Autorität vor Ort zu rechtfertigen sein. Weitere Vorteile kooperierender Lösungen sind:

  • Regierungsunabhängige Expertise und Problemlösungskompetenz können die Ergebnisse über legitime wirtschaftliche Interessen hinaus zum außenpolitischen Gemeinwohl verbessern.
  • Politische Transparenz erhöht die nationale und internationale Akzeptanz außenpolitischen Handelns.
  • Zivilgesellschaftliche Kräfte können, z.B. über die Medien, zur außenpolitischen Mobilisierung der Gesellschaft beitragen.
  • Im Zusammenwirken mit NGOs und multinationalen Unternehmen können staatliche Verhandlungspositionen international gestärkt werden.
  • Auf dem Feld der internationalen Entwicklungszusammenarbeit kann diese Kooperation einen besseren Zugang zur Bevölkerung verschaffen.
  • Gemeinsames nachhaltiges Interesse an globaler Stabilität.

Das bisher bedeutendste Zeichen eines wachsenden gesellschaftlichen Verantwortungsbewusstseins der transnationalen Unternehmen (good corporate citizenship) ist der „Global Compact“ zur Regelung grenzüberschreitender Wirtschaftstätigkeit. Auf Initiative von UN-Generalsekretär Kofi Annan verpflichteten sich im Juli 2000 etwa 50 Vorstandsvorsitzende von transnationalen Unternehmen mit den UN im Wege der „corporate social responsibility“ zur Einhaltung von Menschenrechts-, Arbeits- und Sozial- sowie Umweltstandards, die sich aus zentralen Zielen der UN ableiten.14 Der Global Compact hat sich in den letzten vier Jahren zu einer Interessengemeinschaft mit über 1700 Mitgliedern in 70 Ländern (darunter 31 mit Sitz in Deutschland) entwickelt.15 Aufgrund der Freiwilligkeit wirkt der Pakt aber nicht als Richtlinie, sondern vor allem durch den mit ihm verbundenen Informationsaustausch.16

Zur Rechtsnatur der „zehn Gebote“ ist festzustellen, dass sie auf der Basis der freiwilligen Selbstverpflichtung weder einen Verhaltenskodex noch eine Richtlinie (wie etwa die OECD-Principles of Corporate Governance) darstellen. Der Globale Pakt ist aus rechtlicher Sicht auch kein (völkerrechtlich) bindendes Regelwerk, kein „soft law“. Er ist nicht als Mindeststandard verpflichtend, sondern zeigt flexible Leitlinien für „best practices“ auf. Diese unterliegen keiner Kontrolle oder Rechenschaftspflicht. Eine stärkere Verrechtlichung wird von Unternehmerseite bisher abgelehnt.

Neues Recht für neue Akteure

Unabhängig von dem Charakter dieser Selbstbindung der transnationalen Unternehmen werden in der Völkerrechtswissenschaft angesichts des Auftretens nichtstaatlicher Akteure unter den Bedingungen der Globalisierung bereits Überlegungen über einen grundlegenden Strukturwandel des internationalen Systems wie auch des Völkerrechts angestellt.17 Unter einem Wandel des Völkerrechts ist insbesondere eine Ausweitung des Kreises der Völkerrechtssubjekte um private Akteure zu verstehen. Überlegungen hierzu sind allerdings nicht neu. So hat der Internationale Gerichtshof schon 1949 Mitarbeitern internationaler Organisationen gegenüber ihrem Arbeitgeber Völkerrechtssubjektivität eingeräumt. Auch im Völkergewohnheitsrecht hat eine partielle Übertragung von Völkerrechtssubjektivität auf nichtstaatliche Akteure bereits stattgefunden, als das Jugoslawien-Tribunal feststellte, dass auch Privatpersonen an die Gebräuche und Gesetze des Krieges gebunden sind.

Problematisch ist jedoch bei der Frage nach einer generellen Erweiterung des Kreises der Völkerrechtssubjekte der Umstand, dass für den Begriff der Völkerrechtssubjektivität in der Lehre keine allgemein anerkannte Definition vorliegt. Bereits 1978 konnte die Beschränkung auf souveräne Staaten, internationale Organisationen, den Heiligen Stuhl sowie den Malteser-Orden nicht mehr ausreichen.18 So beschrieb Hermann Mosler19 mit völkerrechtlich „jede Beziehung, deren Partner der Jurisdiktion des anderen gegenseitig nicht unterliegen“. Ulrich Scheuner20 sah dagegen die Völkerrechtssubjektivität an die Möglichkeit der Gewaltanwendung gebunden. Diesen Gegensatz fasst Daniel Thürer21 unter dem Begriffspaar „Höchstmächtigkeit“ und „Fähigkeit“ zusammen. Umstritten bleibt auch hier, ob diese als Bedingungen für Völkerrechtssubjektivität notwendigen oder hinreichenden Charakter besitzen.

Trotz dieser Kontroverse gibt es jedoch bereits konkrete Konzepte, wie eine Einbeziehung privater Akteure in das Völkerrecht aussehen könnte. So schlägt Luzius Wildhaber  eine funktionale Staatlichkeit22 vor. Hier besitzen private Akteure nur gegenüber ihren staatlichen Vertragspartnern Völkerrechtssubjektivität, nicht jedoch einen allgemein gültigen völkerrechtlichen Status. Viel weiter geht die Theorie von Myres McDougall und Harold Lasswell, die im Zuge eines „policy oriented process“ die Einbeziehung aller an der Entscheidungsfindung beteiligten Parteien in ein Völkerrechtssystem fordert.23

Kritiker wie Jost Delbrück24 befürchten allerdings, dass mit der Anerkennung eines völkerrechtlichen Status für die Staaten ein Verlust der Kontrolle über private Akteure einhergeht.

Als Alternative wird auch eine supranationale Ordnungspolitik – wie sie bereits im Fall der europäischen Wettbewerbskontrolle vorliegt – vorgeschlagen. Dieser „constitutional approach“ wird von Torsten Stein25 unterstützt: „Da diese Akteure über Zugang auf globaler Ebene verfügen, können sie nicht allein von einzelnen Staaten kontrolliert werden. Eine nationale Kontrolle können sie leicht vermeiden, indem sie international agieren. Wollen Staaten die Aktivitäten von Nichtregierungsorganisationen oder transnationalen Unternehmen kontrollieren, so müssen sie Regelungen eines Internationalen Rechts zustimmen, die es Staaten ermöglichen, überall Kontrolle ausüben zu können und nicht nur in dem Land, in dem eine Nichtregierungsorganisation ihren Sitz hat.“

Die Fragestellung der Erweiterung des Kreises der Völkerrechtssubjekte um Nichtregierungsorganisationen  hat bisher zwar noch nicht zu einem völkerrechtsunmittelbaren Status der NGOs geführt. Es ist jedoch nicht zu verkennen, dass neben das Staatensystem ein internationales System nichtstaatlicher Akteure getreten ist. Bei einer Neubesinnung der Rolle und Funktion der handelnden Akteure wird sich auch der Rechtsstatus der NGOs wandeln. Insbesondere die Praxis internationaler Organisationen, NGOs für Konsultationen zu akkreditieren, wird zu einer Weiterentwicklung des Völkerrechts beitragen. Von den ca. 50 000 NGOs sind bereits jetzt über 4000 als Berater bei den Vereinten Nationen registriert.

Das Auswärtige Amt hat sich frühzeitig für eine Kooperation mit nichtstaatlichen Akteuren entschieden: „Im Zuge der Globalisierung gibt es zahlreiche Akteure, die internationalisierende Politik betreiben. Nichtregierungsorganisationen, seien es die humanitären Hilfswerke oder seien es Wirtschaftsunternehmen, sind wichtige Akteure im internationalen Feld. Die Bundesregierung hat sich mit ihrem Dialogangebot darum bemüht, die verschiedenen Akteure in einen gemeinsamen Diskurs zu bringen. Aber auch Staatliche Außenpolitik ist kein Relikt aus der Vergangenheit, das im Zeichen der Globalisierung zurücktreten kann hinter die individuellen Schritte der einzelnen Akteure. Staatliche Außenpolitik ist die Instanz, die den Überblick behalten muss über die verschiedenen Aktivitäten und Tendenzen, die steuernd eingreifen muss, die koordinieren sollte.“ 26

Eine solche Steuerung und Koordination von staatlicher Seite aus setzt eine genaue Kenntnis der Arbeitsweise und Entscheidungsstrukturen der nichtstaatlichen Akteure voraus. Nur wer die internen Vorgänge seines Partners einzuschätzen vermag, kann sich auf dessen Bedürfnisse einstellen und einen erfolgreichen Dialog ermöglichen.

Handel und Diplomatie

Das Bundesinnen- und Bundesfinanzministerium beteiligen sich deshalb bereits seit Oktober 2004 an einem Austauschprogramm zwischen Ministerialbeamten und Mitarbeitern führender Konzerne der Automobil-, Luftfahrt- oder Finanzbranche und auch das Auswärtige Amt nimmt an diesem Programm teil.

Bereits jetzt werden regelmäßig Hospitanten von Repräsentanten der Wirtschaftsverbände und Unternehmen im Auswärtigen Amt eingesetzt. So wird schon heute die Abteilung für Wirtschaft und nachhaltige Entwicklung durch Mitarbeiter führender deutscher Konzerne aus den Bereichen Telekommunikation, Elektronik, Automobil- und Softwareherstellung unterstützt. In einigen Botschaften im ostasiatischen Raum arbeiten Industriereferenten von führenden deutschen Unternehmen des Telekommunikationswesens und der Arzneimittelherstellung. In Zukunft könnten in diesem Bereich noch verstärkt Repräsentanten multinationaler Unternehmen berücksichtigt werden. So hat das Protokoll des Auswärtigen Amtes z.B. bereits interessierten Unternehmen der verschiedensten Branchen wie der Automobilherstellung, der Luftfahrt, der Herstellung von Industriegütern, des Versicherungswesens, der Energieversorgung, der Arzneimittelherstellung, der Finanzdienstleistung, des Bankenwesens und auch der Medien mehrmonatige Hospitationen für Protokollaufgaben angeboten.

Ein solcher Personalaustausch und die sich daraus bildende Kooperationskultur würden zu einer Verknüpfung von fachlichem Sachverstand mit außenpolitischer Erfahrung und Praxis führen und könnten in einer wechselseitigen Durchdringung innen- und außenpolitischer Erfahrungen und Problemkenntnisse resultieren. Diese Symbiose von Diplomatie und multinationalen Unternehmen ist für beide Seiten nützlich. Neben dem Einsatz innerhalb des Auswärtigen Amtes werden Veranstaltungen unter Beteiligung von Wirtschaftsunternehmen organisiert, etwa die Reihe „Business meets diplomats“ und das Forum Globale Fragen. An der Botschafterkonferenz 2004 nahmen etwa 750 Vertreter der Wirtschaft teil. Derartige Veranstaltungsreihen dienen dem Erfahrungsaustausch und der gegenseitigen Unterstützung.

Die Einschätzung und der Stand der Implementierung von Corporate Diplomacy in den 30 größten deutschen im Dax notierten Unternehmen wurden mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes im Jahr 2003 in einer Umfrage mit folgenden Ergebnissen untersucht:27

  • 80 Prozent der Unternehmen gaben an, Corporate Diplomacy als Managementfunktion und Kernkompetenz zu betreiben.
  • Unter den Corporate Diplomacy-Managern waren 40 Prozent Juristen, 30 Prozent (ehemalige) hohe Regierungsbeamte und nur 20 Prozent (ehemalige) Diplomaten.
  • Die Maßnahmen zur künftigen Generierung des Corporate Diplomacy Know-how richten sich (bisher) nur zu jeweils 10 Prozent an Praktiker der Diplomatie und Absolventen diplomatischer Akademien.

Hier öffnet sich ein weites Feld für diplomatische Praktiker und wissenschaftliche Institute mit fachlichem und personellem Praxisbezug zur Diplomatie. Dieses diplomatische und akademische Potenzial wird bisher noch zu wenig genutzt.

Die universitäre Aus- und Fortbildung im Bereich der Diplomatie befindet sich in Deutschland noch in der embryonalen Phase: So wird das in interdisziplinären universitären Masterkursen in Internationalen Beziehungen und Diplomatie (wie der – neben den europapolitischen Aufbaustudiengängen an den Universitäten Hamburg, Bonn und Saarbrücken – von der FU Berlin, der Humboldt-Universität zu Berlin und der Universität Potsdam durchgeführte gemeinsame viersemestrige Master-Studiengang) sowie in Programmen der Corporate Thinktanks (Robert-Bosch-Stiftung, Alfred Herr-hausen Gesellschaft für internationalen Dialog, Herbert-Quandt-Stiftung, Bucerius Summer School, Executive Seminar der Hertie School of Governance) geschulte Personal erst in einigen Jahren zur Verfügung stehen.

Im Zeitalter der Global Governance liegt das Regieren nicht mehr allein in der Hand von staatlichen Akteuren. Regierung und Zivilgesellschaft sind vielmehr zu natürlichen Partnerschaften und kreativen Zweckbündnissen aufgefordert, um die neuen Herausforderungen in Gegenwart und Zukunft zu bewältigen.

Aus den wachsenden transnationalen Integrationstendenzen ergibt sich ein notwendiger Paradigmenwechsel: Die Probleme der Globalisierung können nicht mehr allein mit den Mitteln der klassischen Diplomatie, sondern nur noch in der partizipatorischen und kooperativen Wechselbeziehung zwischen Politik, Diplomatie, Wirtschaft und Gesellschaft gelöst werden.

Die klassische Diplomatie wandelt sich daher zunehmend vom rein interstaatlichen zum staatlich-nichtstaatlichen Beziehungsfeld, und es wächst ein Politiknetzwerk zwischen Diplomatie und transnationalen Unternehmen. Innerhalb dieser Transformation kann die Corporate Diplomacy verbindende Elemente und geeignete Instrumentarien bieten.

1 Abgedruckt in: Internationale Politik (IP), Mai 2004, S. 142. Siehe auch Matthew Karnitschnig: Mächtig bescheiden, Tagesspiegel, 1.8.2004.

2 Josef Ackermann: Verantwortungspartnerschaften, in: Alfred Herrhausen Gesellschaft für internationalen Dialog (Hrsg.): Das Prinzip Partnerschaft – Neue Formen von Governance im 21. Jahrhundert. München 2004, vgl. auch Michael Inacker: Außenpolitik durch Unternehmen? Die Ökonomisierung der internationalen Politik, IP, Mai 2004, S. 90.

3 Heinrich Triepel: Die auswärtige Politik der Privatpersonen, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht Bd. 9 (1939/40), S. 1, 6.

4 StephanHobe: Die Zukunft des Völkerrechts im Zeitalter der Globalisierung. Perspektiven der Völkerrechtsentwicklung im 21. Jahrhundert, Archiv des Völkerrechts, Bd. 37, 1999, S. 255.

5 Siehe dazu auch die Artikel von Michael Inacker: Mit Unternehmen ist Staat zu machen, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 5.10.2003, sowie Matthais Kleinert: Dialog mit der Politik, Diplomatisches Magazin 1/2002, S. 28 ff.; Jürgen Schrempp: Unternehmerische Verantwortung im weltweiten Kampf gegen HIV/Aids, in: Das Prinzip Partnerschaft (Anm. 2), S. 115 ff.

6 Siehe Alain Plantey: Principes de Diplomatie, Paris 2000, S. 122; sowie George Kennan: Diplomacy without Diplomats?, Foreign Affairs, September/Oktober 1997, S. 204.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 9, September 2005, S. 82 - 89

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