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08. Nov. 2012

Wirtschaftswunderland mit Defiziten

Mit Optimismus und Altlasten in die Zukunft

Indonesien ist eine Erfolgsgeschichte: hohe Wachstumsraten, geringer Schuldenstand, reiche Rohstoffvorkommen, eine wachsende Mittelschicht. Doch wo Licht ist, fällt auch Schatten: Staatsbetriebe dominieren wirtschaftliche Schlüsselsektoren, es fehlt an Infrastruktur und Bildung – und Korruption ist ein allgegenwärtiges Problem.

In der Nähe des Nationaldenkmals in Jakarta, direkt gegenüber den Wolkenkratzern der Zentralbank, steht eine beeindruckende Skulptur der indischen Götter Krishna und Arjuna, die einen von elf galoppierenden Pferden gezogenen Streitwagen lenken – ein treffendes Symbol für die gegenwärtige Wirtschaftsentwicklung in Indonesien.

Während Europa und die USA in jüngerer Vergangenheit wirtschaftlich stagnierten, verzeichnete Indonesien in den vergangenen fünf Jahren jährliche Wachstumsraten von über 5 Prozent und wird damit in Asien nur von China übertroffen. 2011 wurde ein Wirtschaftswachstum von 6,5 Prozent erreicht und für das laufende Jahr wird eines zwischen 6,4 (Weltbank) und 7,2 Prozent (Regierung) prognostiziert. Laut Investmentbank Goldman Sachs wird Indone­sien nicht nur zu den „Next 11“ gehören, also einer der zukünftig aufsteigenden Märkte sein, sondern bis 2020 auch zu den 15 größten Volkswirtschaften zählen. In der Weltbankrangliste nach Größe des Bruttoinlandprodukts (BIP) rangiert Indonesien derzeit auf Platz 18, während es vor zehn Jahren noch Platz 28 belegte. Der renommierte amerikanische Nationalökonom Nouriel Roubini prognostizierte, dass das Land bis zum Ende dieses Jahrzehnts die zehntgrößte Volkswirtschaft und bis zum Jahr 2030 die sechstgrößte sein wird.

Neben einigen meist staatlichen Großkonzernen wird die indonesische Wirtschaft vor allem von kleinen und mittleren Unternehmen geprägt, bei denen über 90 Prozent der Arbeitnehmer beschäftigt sind. Über zwei Drittel der Wirtschaftsleistung werden im informellen Sektor erbracht. Ebenfalls typisch sind viele arbeitsintensive Manufakturindustrien wie die personalintensive Textil-, Bekleidungs- und Schuhindustrie sowie die Möbelherstellung. Indonesische Marken sind im westlichen Ausland zumeist völlig unbekannt, und das Land verfügt nur über wenige kapitalintensive Hightech-Bereiche.

Indonesien ist schon wegen seiner Größe (West-Ost-Ausdehnung von rund 5000 Kilometern über drei Zeitzonen) und Bevölkerungszahl im globalen Maßstab ein wichtiger Faktor. Mit über 240 Millionen Einwohnern ist Indonesien nach China, Indien und den USA das viertbevölkerungsreichste Land der Erde. Über 200 Millionen Indonesier sind muslimischen Glaubens, was den Inselstaat zum bevölkerungsreichsten islamischen Land der Erde macht. Lange Zeit wurde es wenig beachtet, doch mittlerweile hat sich Indonesien zu einem Anziehungspunkt für ausländische Direktinvestitionen entwickelt. Im ersten Halbjahr 2012 stiegen die ausländischen Direktinvestitionen um 30,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr, das mit 19 Prozent Wachstum auch schon ein Rekordjahr war. Sowohl im Hinblick auf die Sektoren als auch in Bezug auf die Herkunft der Auslands­investitionen ist Indonesien sehr diversifiziert. Im ersten Halbjahr 2012 erfolgten 18,9 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen im Bergbau, 13,4 Prozent in Transport und Kommunikation, 9 Prozent in Nutzpflanzen und Plantagen, 8,7 Prozent in Maschinen, Metall und Elektronik, 7,8 Prozent in der Autobranche und deren Zulieferern sowie 42,2 Prozent in sonstige Bereiche. Die Hauptinvestoren kamen aus Singapur (20,2 Prozent), Japan (11 Prozent) und Südkorea (8,9 Prozent).

In Investorenkreisen gilt Indonesien als stabil und vertrauenswürdig. Die großen US-Ratingagenturen Fitch, Moody’s und Standard & Poor’s haben das Land in den vergangenen Jahren gleich mehrfach heraufgestuft. Nach Jahrzehnten auf Ramschniveau sieht Fitch Indonesien derzeit auf einer Bonitätsstufe mit der Türkei. Die indonesische Börse boomt seit mehreren Jahren und zählt mit regelmäßig satten Kursgewinnen und Rekordkursen auch im globalen Maßstab zu den größten Gewinnern. Derzeit schwimmt Indonesien auf einer Welle des ökonomischen Erfolgs, auch wenn es weiterhin viele Probleme gibt.

Vom Entwicklungsland zum „besseren China“

Noch in den siebziger Jahren war Indonesien ein klassisches Entwicklungsland, dessen Wirtschaftslage heute mit den meisten Ländern südlich der Sahara vergleichbar wäre. Die autoritäre Entwicklungsdiktatur unter General Suharto (1966–1998) brachte bereits einen umfangreichen Modernisierungsschub. Die Abkehr vom außenpolitischen Isolationskurs seines Vorgängers Sukarno sowie die neue außen-, sicherheits- und wirtschaftspolitische Anbindung an die westlichen Industriestaaten lieferten die nötigen Devisen für umfangreiche Investitionen in das Bildungswesen, die Infrastruktur und die Gesundheitsvorsorge.

Mehrere Jahrzehnte lang regierte der Alleinherrscher Suharto mit Hilfe des Militärs und einer gleichgeschalteten Bürokratie. Auf Kosten von eklatanten Menschenrechtsverletzungen und der gewaltsamen Unterdrückung von ethnischen Minderheiten sorgte er im großen Inselreich für Ruhe, Ordnung und wirtschaftlichen Fortschritt. Anfang 1998 jedoch endete seine Herrschaft, als das Land in Folge der asiatischen Finanzkrise in ein wirtschaftliches Desaster stürzte, das Volk in Massendemonstrationen aufbegehrte und seine langjährigen Gefolgsleute zur moderaten Opposition überliefen. Der Machtwechsel verlief deshalb im Gegensatz zu dem von 1965/66 relativ gewaltfrei.

Die nach Suhartos Rücktritt im Mai 1998 eingeleitete Demokratisierung sorgte nach einigen Anlaufschwierigkeiten für wirtschaftlichen Aufschwung (siehe Grafik). Erst in der demokratischen Ordnung konnte sich das ökonomische Potenzial Indonesiens voll entfalten. Trotz diverser, zum Teil erheblicher Defizite wird das Land allgemein als das demokratischste der ganzen Region Südostasien eingeschätzt. Inzwischen ist Indonesien nach Indien und den USA die drittgrößte Demokratie weltweit. Anlässlich des Staatsbesuchs der Bundeskanzlerin im Juli 2012 titelte das Handelsblatt: „Merkel besucht das ‚bessere China‘.“ Indonesien kann zwar nicht ganz mit dem ökonomischen Erfolg der Volksrepublik mithalten, ist dafür jedoch keine autoritäre Parteiendiktatur mit Menschenrechtsverletzungen durch den Staat.

Stattdessen ist Indonesien eine äußerst lebendige pluralistische Mehrparteiendemokratie mit einer freien Presse, unabhängigen Gewerkschaften, einer Vielzahl von offenen Wahlen auf allen Staats­ebenen, zahlreichen Demonstrationen und einer lebhaften Zivilgesellschaft.
Bemerkenswert ist auch die große ethnische und regionale Diversität des Inselstaats. Nach dem Ende der Suharto-Diktatur wurde eine umfangreiche Dezentralisierung eingeleitet: Innerhalb weniger Jahre wurde Indonesien von einem zentralistischen Einheitsstaat zu einem der dezentralisiertesten Länder der Erde. Insbesondere die lokale Ebene, d.h. Städte und Distrikte, können sehr autonom entscheiden und handeln. Sie sind daher selbständige Wirtschaftsakteure geworden, die mit­einander im Wettbewerb stehen und durch attraktive Standortbedingungen Industriezweige aufbauen und Investoren anlocken. Durch die lokal unterschiedlichen Wirtschaftsgesetze ist Indonesiens zuvor einheitlicher Wirtschaftsraum allerdings stark eingeschränkt worden. Deshalb hat die Zentral­regierung in den vergangenen Jahren versucht gegenzusteuern, indem sie beispielweise die Vereinbarungen für Public Private Partnerships in Infrastrukturprojekten vereinheitlicht hat.

Von dicken Kindern und optimistischen Jugendlichen

Im Gegensatz zu den meisten anderen ostasiatischen Wirtschaftswunderländern (Japan, Südkorea, Thailand, China) verdankt Indonesien seinen wirtschaftlichen Aufstieg nicht primär Gewinnen aus dem Außenhandel. Es ist vielmehr der Binnenmarkt, auf dem 60 Prozent des BIP erzielt werden. Das Land profitiert von seinem Bevölkerungsreichtum und einer stetig wachsenden kaufkräftigen Mittelschicht. Manche Ökonomen sprechen bereits von rund 150 Millionen Indonesiern, die dieser Mittelschicht angehören sollen, was allerdings übertrieben erscheint. Dennoch zeigen etliche Indikatoren auch die Breite des Wachstums an. Die Zahl der verkauften Neuwagen stieg zwischen 2010 und 2011 um 17 Prozent auf rund 900 000 pro Jahr an. Auch im ersten Halbjahr 2012 betrug das Wachstum über 11 Prozent. Kein Wunder, dass Jakarta weltweit zu den Städten mit den größten Stau- und Abgasproblemen zählt.

Die Zahl der Computernutzer ist in den vergangenen Jahren ebenfalls stark gestiegen. Mit rund 40 Millionen Facebook-Nutzern liegt Indonesien inzwischen auf Platz 4 weltweit. Ein anderer, allerdings etwas problematischer Indikator für zunehmenden Wohlstand ist das Gewicht der Kinder. Nach Jahrzehnten relativ hoher Unterernährung hat das Gesundheitsministerium nun erstmals vor den Gefahren von Fettleibigkeit bei Kindern gewarnt und mitgeteilt, dass 14 Prozent der Kinder unter fünf Jahren sowie 10 Prozent der Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren übergewichtig sind.

Indonesien profitiert derzeit von der so genannten „demografischen Dividende“. Die durchschnittliche Zahl der Kinder pro Frau hat sich zwischen 1975 und 2010 von 5,3 auf 2,2 mehr als halbiert. Der Großteil der Bevölkerung (Durchschnittsalter 28 Jahre) befindet sich im jungen erwerbstätigen Alter und trägt somit zum wirtschaftlichen Erfolg bei, während die Zahl der Alten und Kinder relativ gering ist. Jedes Jahr drängen drei bis vier Millionen junge Leute auf den Arbeitsmarkt. Mehrere Prozent Wirtschaftswachstum sind somit erforderlich, um auch für sie ein ausreichendes Arbeitsplatzangebot zu schaffen.

Die jungen Indonesier blicken optimistisch in die Zukunft. Das zeigen auch die vierteljährlich durchführten Nielsen-Studien zum Verbrauchervertrauen, bei denen Indonesien seit langem zu den drei besten Staaten weltweit gehört. Die Menschen haben großes Vertrauen in die wirtschaftliche Zukunft ihres Landes – ganz im Gegensatz zu den Europäern, die überwiegend pessimistisch in die Zukunft blicken. Diese Feststellung ist nicht wirklich überraschend, denn Indonesien überstand die globale Finanzkrise 2008/09, im Gegensatz zu den USA und Europa, weitgehend unbeschadet und ging sogar gestärkt aus ihr hervor. Die volkswirtschaftlichen Schäden waren vergleichsweise gering, da aus der Asien-Krise 1997/98 die richtigen Lehren gezogen wurden.

Knapp zehn Jahre später waren die ökonomischen Rahmenbedingungen jedoch deutlich besser. Neben der bereits erwähnten hohen Bedeutung des großen Binnenmarkts und der daraus resultierenden geringen Exportabhängigkeit waren vor allem der stabile Bankensektor und der Abbau der Staatsverschuldung für die Krisenfestigkeit der indonesischen Wirtschaft verantwortlich. Nach 1998 wurde der Bankensektor – auch unter Druck des Internationalen Währungsfonds – mit Hilfe der Indonesian Bank Restructuring Agency stark reformiert. Die Banken müssen nun in Umsetzung der Basel-II-Standards angemessen mit Kapitalreserven ausgestattet sein und unterliegen einer staatlichen Aufsicht. Eine andere Lehre aus der Finanzkrise 1997/98 ist das vorsichtige Verhalten staatlicher und privater Banken auf den internationalen Finanzmärkten. Für die Überwachung von Finanzmarktgeschäften wurden staatliche Institutionen wie die LPS (Lembaga Penjamin Simpanan, Behörde zur Versicherung von Einlagen bei Kreditinstituten) und die BAPEPAM (Badan Pengawas Pasar Modal, Finanzmarktüberwachungsagentur) geschaffen und finanziell sowie personell gut ausgestattet.

Die erst nach 2000 gewährte Unabhängigkeit der Zentralbank sorgt dafür, dass neuerdings die Geldwertstabilität oberste Priorität hat. Somit konnte in den vergangenen Jahren eine – im Vergleich zu früher – sehr erfolgreiche Preisstabilität für Güter und Dienstleistungen, sprich Inflationskontrolle, erreicht werden. Die Zentralbank zeigte sich auch während der Finanzkrise 2008/09 handlungsfähig und konnte im Gegensatz zur Asien-Krise 1997/98 den Wert der nationalen Währung Rupiah stabil halten.

Die indonesischen Regierungen haben in den vergangenen Jahren eine enorme Haushaltsdisziplin bewiesen. Nachdem der Schuldenstand Ende der neunziger Jahre zeitweise auf über 90 Prozent des jährlichen BIP gestiegen war, nahmen die Regierungen den Schuldenabbau sehr ernst. Durch relativ gleichbleibende Staatsausgaben bei gleichzeitigen höheren Staatseinnahmen konnte Indonesien seine Staatsschulden (im Gegensatz zu den USA und Europa) drastisch reduzieren. Die derzeitige Schuldenquote mit knapp über 10 Prozent des BIP ist eine der niedrigsten in Asien und weltweit (siehe Grafik).

Einflussreiche Staatsbetriebe

Allerdings ist Indonesien bis heute keine liberale Marktwirtschaft, da zahlreiche große Staatsbetriebe immer noch die Schlüsselsektoren dominieren. Trotz Reform­bemühungen sind die Zahl und der wirtschaftliche Einfluss der Staatsbetriebe in den vergangenen Jahren kaum gesunken. Vor allem im Rohstoff- und Energiesektor haben sie oft eine Monopolstellung, die durch die in der Verfassung vorgesehene Verstaatlichung aller Bodenschätze legitimiert wird.

So ist der Monopolist Pertamina weiterhin allein zuständig für die Förderung und Verarbeitung von Öl und Gas. Das Unternehmen BULOG kontrolliert und regelt nach wie vor die Lebensmittelgrundversorgung der Bevölkerung, vor allem mit Reis. Da zumeist enge Patronagebeziehungen zwischen Staatsbetrieben und Entscheidungsträgern in der Verwaltung bestehen, werden kleine und mittlere Privatunternehmen oft benachteiligt. Inzwischen hat sich jedoch auch die Regierung dieser Problematik angenommen und zahlreiche wettbewerbs­politische Maßnahmen ergriffen. Mehrere Gesetze sowie die Schaffung einer Wettbewerbsbehörde sollen dazu beitragen, das Wirtschaftssystem offener und effizienter zu gestalten. Die Regierung versucht durch die Privatisierung großer Staatsunternehmen – wie Telkom Indonesia, Krakatau Steel oder der nationalen Fluglinie Garuda – diese Firmen wettbewerbsfähiger zu machen.

Zu den größten privaten Unternehmen in Indonesien zählen das Automobilkonglomerat Astra Internasional, die hauptsächlich im Nahrungsmittel­bereich tätige Salim-Gruppe, die im Papier und Agro-Business aktive Sinar Mas-Gruppe sowie die Nelkenzigarettenhersteller Djarum, Gudang Garam und Sampoerna. Seit 1998 sind zahlreiche neue Betriebe in vielen Sektoren entstanden. Allerdings sind nach wie vor auch Konglomerate aus der autoritären Ära wichtige Wirtschaftsakteure im demokratischen Indonesien. Zu diesen zählt die Bakrie-Gruppe um den Wirtschaftstycoon und Politiker Aburizal Bakrie. Sein Wirtschaftsimperium umfasst die Bereiche Landwirtschaft, Immobilien, Transport, Banken, Versicherungen, Medien, Produktion von Gebrauchsgütern, Bauwirtschaft und Bergbau. Die Gruppe ist eines der größten Unternehmen des Landes und verdankt ihren Aufstieg vor allem der Protektion durch den Suharto-Clan. Aburizal Bakrie ist derzeit einer der aussichtsreichsten Kandidaten für die nächste Präsidentschaftswahl im Jahr 2014.

Korruption und Bürokratie

Die enge Verquickung von politischen, administrativen und wirtschaftlichen Eliten behindert einen fairen Wettbewerb und führt zu weitverbreiteter Korruption. In Indonesien wird dieses Phänomen oft als KKN (Korrupsi, Kolusi dan Nepotisme / Korruption, Filz und Vetternwirtschaft) bezeichnet. Zudem sind die großen indonesischen Staatsunternehmen oft wenig profitabel, sehr bürokratisch strukturiert und personell überbesetzt. Ausländische und einheimische Unternehmen klagen regelmäßig über die staatliche Verwaltung, die äußerst langsam und mit einer Vielzahl bürokratischer Hindernisse wie Genehmigungen und Lizenzen arbeitet. Sehr oft müssen Behörden auf nationaler und lokaler Ebene bestochen werden, um Verfahren zu beschleunigen. Auch politischen Entscheidungsträgern wird immer wieder Korruption vorgeworfen und gelegentlich bewiesen. Für die Bekämpfung der Korruption ist vor allem die 2004 eingerichtete Antikorruptionsbehörde KPK verantwortlich, die zwar einige spektakuläre Fälle aufdecken und prominente Entscheidungsträger verhaften ließ, aber nicht das alltägliche Problem der überall verbreiteten Korruption beseitigen konnte. Auch der Justizapparat ist nicht frei von Korruption. Die daraus resultierende Unsicherheit bei der Durchsetzung von Rechtsansprüchen und die gering ausgeprägte Rechts­sicherheit beeinflussen auch das Investitionsklima und das Wirtschaftssystem allgemein. Im jüngsten Korruptionswahrnehmungs-Index von Transparency International landete Indonesien auf einem äußerst mittelmäßigen Platz 100 von 183 untersuchten Staaten.

Der Regierung sind die genannten Probleme durchaus bewusst und sie werden von Präsident Susilo Bambang Yudhoyono auch oft thematisiert. Dennoch verläuft der Reformprozess äußerst schleppend, weil er nicht mit allerletzter Konsequenz verfolgt wird. Und so bleiben die Ergebnisse der Reformmaßnahmen hinter den Erwartungen zurück. Das liegt an den langwierigen Abstimmungs- und Konsultationsprozessen bei der Entscheidungsfindung: Indonesiens Demokratie ist sehr konsensdemokratisch aufgebaut, weswegen Gesetzesvorlagen mit einer Vielzahl von Akteuren abgestimmt werden müssen. Und es gibt auch massive Probleme bei der Implementierung von Beschlüssen, denn die administrativen Kapazitäten sind nicht überall voll ausgebaut.

Daher verwundert es nicht, dass auch die Infrastruktur außerhalb der Hauptinsel Java oft sehr mangelhaft ist. Die Ausstattung von Straßen, Häfen oder Elektrizitätsnetzwerken ist zumeist noch auf dem Niveau eines Entwicklungslandes, was sich negativ auf die Wirtschaft auswirkt. Ebenfalls sehr problematisch ist die Anfälligkeit für Naturkatastrophen. Indonesien liegt direkt am so genannten Pazifischen Feuerring mit zahlreichen aktiven Vulkanen, regelmäßig auftretenden Erdbeben und verheerenden Tsunamis. Die beiden größten Vulkanausbrüche (Tambora 1815, Krakatau 1883) sowie der folgenreichste Tsunami (Aceh 2004) kosteten jeweils über 100 000 Menschen das Leben. Trotzdem plant die Regierung den Bau ihres ersten Atomkraftwerks direkt am Fuße des Muria-Vulkans in Zentraljava; zahlreiche lokale und internationale Proteste halten die Verantwortlichen nicht davon ab, Atomkraft zur Deckung des rapide gestiegenen Energiebedarfs einzuplanen.

Große soziale Unterschiede

Trotz aller positiven Wirtschaftsdaten ist Indonesien noch weit von einem modernen Industrieland entfernt. Im Human Development Index der Vereinten Nationen, der neben wirtschaftlichen Kriterien auch Bildung und Gesundheit einbezieht, liegt Indonesien auf Platz 124 von 187 Ländern. Trotz Wirtschaftsaufschwung lebt knapp über die Hälfte der Einwohner an der Armutsgrenze und muss mit zwei Dollar pro Tag zurechtkommen. Allerdings ist Indonesien nach Angaben des United Nations Development Programme derzeit unter den fünf Ländern weltweit mit den größten Fortschritten beim Human Development Index.

In sozioökonomischer Hinsicht hat Indonesien viele Parallelen mit anderen Schwellenländern wie Indien oder China. Einer stetig wachsenden, immer reicher und gebildeter werdenden urbanen Mittelschicht stehen immer noch die Massen, vor allem in den ländlichen Gebieten und in den östlichen Landesteilen, gegenüber, die vom allgemeinen Fortschritt nur wenig mitbekommen. Der wirtschaftliche Aufschwung hat die vorher schon vorhandenen regionalen Disparitäten weiter verstärkt. Beim Gini-Koeffizienten, der die Gleich- bzw. Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen bewertet, liegt Indonesien noch im globalen Mittelfeld, doch die Einkommensgegensätze sind in den vergangenen zehn Jahren deutlich gewachsen.

Nachdem jahrzehntelang nur Beamte, Militärs und Angestellte in formalen Beschäftigungsverhältnissen durch staatliche Sozialversicherungen abgesichert waren, hat die Regierung unter Präsident Susilo Bambang Yudhoyono Ende Oktober 2011 umfangreiche Sozialreformen beschlossen. Bis 2014 sollen alle Indonesier eine flächendeckende gesetzliche Krankenversicherung erhalten; bis 2015 sollen von staatlicher Seite Lebens-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung für die gesamte Bevölkerung bereitgestellt werden. Die Kosten für Arbeitnehmer sollen allein von den Arbeitgebern und die Kosten für die Armen und Arbeitslosen vom Staat getragen werden. Noch gibt es Zweifel an der Umsetzbarkeit dieser Reformen. Sollte jedoch die Implementierung halbwegs funktionieren, stünde Indonesien ein revolutionärer Wandel zum Sozialstaat bevor.

Rohstoffe und Außenhandel

Indonesien ist reich an natürlichen Rohstoffen wie Edelmetallen und Holz, aber auch Öl und Erdgas. Einen Teil seines wirtschaftlichen Aufschwungs verdankt das Land auch der Ausbeutung dieser Ressourcen. So war in den siebziger und achtziger Jahren die Förderung von Rohöl durch westliche Firmen eine Haupteinnahmequelle des Landes. In dieser Zeit drohte Indonesien das oft zitierte Problem des Ressourcenfluchs, das heißt die Abhängigkeit von Primär­gütern resultiert in einer erhöhten Bürgerkriegswahrscheinlichkeit. Der jahrzehntelange Konflikt in der Provinz Aceh, bei dem es vor allem um die Ausbeutung von Erdöl und -gas ging, ist nur ein Beispiel. Mittlerweile ist der Aceh-Konflikt durch ein Friedensabkommen (2005) nahezu beigelegt, und durch die Dezentralisierung profitieren vor allem lokale Eliten vom Ressourcenreichtum ihrer Regionen. Auch hat der Export von Rohstoffen seine dominante Rolle für Indonesiens Wirtschaftsaufschwung verloren – mittlerweile wird mehr Erdöl importiert als exportiert. In der Folge verließ Indonesien im Januar 2009 die Organisation erdölexportierender Länder (OPEC).

Der Abbau der natürlichen Ressourcen des Landes ist jedoch nicht unproblematisch und in ökologischer Hinsicht äußerst bedenklich. Holzeinschlag in großem Maßstab führt zur Zerstörung des Regenwalds und die Abwässer von Minen zur Förderung von Bodenschätzen verschmutzen das Wasser. Zudem ist die Übernutzung natürlicher und endlicher Ressourcen wenig nachhaltig. Auf dem einstmals dicht bewaldeten Borneo, der drittgrößten Insel der Welt, sind die Folgen heute unübersehbar: Statt Urwald sind steppenartige Landschaften entstanden, die auch landwirtschaftlich nicht mehr nutzbar sind. Zugleich breiten sich profitable Palmölmonokulturen aus, die Indonesien zum mittlerweile weltgrößten Exporteur dieses Pflanzenöls werden ließen. Ein anderes Problem besteht darin, dass ein Großteil der exportierten Rohstoffe unverarbeitet ist, da Indonesien noch nicht über ausreichende Kapazitäten in der verarbeitenden Industrie verfügt. Daher wird ein Großteil des indonesischen Rohöls in Singapurs Raffinerien weiterverarbeitet. Allerdings hat die indonesische Regierung Maßnahmen wie die Verhängung von Exportzöllen für unbearbeitete Rohstoffe ergriffen, um diesen Trend zu verlangsamen, die eigene verarbeitende Industrie zu stärken und um die Abhängigkeit von importierten Produkten zu reduzieren.

Indonesiens Außenhandel hat in den vergangenen Jahren kräftig zugelegt: Die Exporte haben sich zwischen 2006 und 2011 auf mittlerweile 203,6 Milliarden Dollar verdoppelt. Als wichtigster Handelspartner Indonesiens hat China vor kurzem Japan abgelöst. Insgesamt ist Indonesiens Außenhandel sehr diversifiziert. Die westlichen Industriestaaten (USA, Australien, EU) als auch die Demokratien Ostasiens (Südkorea, Taiwan) bleiben weiterhin wichtige Ex- und Importländer für Indonesien. Insgesamt sind die Zukunftsaussichten für den tropischen Inselstaat durchaus vielversprechend. Dennoch müssen die zahlreichen ökonomischen und sozialen Defizite baldmöglichst und ernsthaft angegangen werden, damit Indonesiens Wirtschaft auch zukünftig in höchstem Galopp neuen Zielen entgegensteuern kann.

Dr. PATRICK ZIEGENHAIN forscht und lehrt im Fach Politikwissenschaft an der Universität Trier mit dem Schwerpunkt Südostasien.

Bibliografische Angaben

IP Länderporträt 3, November/ Dezember 2012, S. 5-13

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