Wirtschaftsboom und Terrorangst
Alte Probleme, neue Möglichkeiten: Neuerscheinungen zu Afrika
Aufbruchstimmung mit Wachstumsraten von über 5 Prozent hier, Anschläge und Chaos da: Schwärmt ein Teil der internationalen Expertenszene vom afrikanischen Wirtschaftswunder, so schaut ein anderer mit Sorge auf Afrika als Hort des internationalen Terrorismus. Fünf Versuche, ein realistisches Bild des Kontinents zu zeichnen.
Als Nelson Mandela im vergangenen Dezember im Alter von 95 Jahren starb, hielt die Welt für einige Augenblicke den Atem an. Wie kaum ein anderer war der Jurist, Freiheitskämpfer und Schöpfer eines friedlichen Südafrikas bereits zu Lebzeiten eine Legende geworden.
Doch ungeachtet des hohen Ansehens, das Mandela national wie international genoss, war er insbesondere unter den radikalen Kräften des Afrikanischen Nationalkongresses wegen seiner Konzilianz gegenüber den Weißen nicht unumstritten. Und sein Projekt einer nichtrassistischen „Regenbogennation“ scheint seit geraumer Zeit stecken geblieben zu sein. Die Wut über Korruption und Vetternwirtschaft wächst 20 Jahre nach den ersten freien Wahlen beständig. Die Bekämpfung der Armut zeitigt bislang wenig Erfolge, viele Jugendliche sehen für sich kaum eine Zukunft.
„Mein Gefangener, mein Freund Mandela“ präsentiert noch einmal die Lichtgestalt Mandela. Der Autor, Christo Brand, diente als Aufseher auf der Gefängnisinsel Robben Island. Seine Botschaft: Mandelas Fähigkeit zur Versöhnung war so groß, dass ein als „Staatsfeind“ gebrandmarkter schwarzer politischer Häftling und sein weißer burischer Gefängniswärter Freunde werden konnten. Brand beschreibt detailreich, wie sich die beiden anfreundeten und wie er gelegentlich Kleinigkeiten wie Brot oder Haarpomade in die Zelle schmuggelte. Besonders beeindruckt war er von Mandelas Selbstdisziplin und seinem Engagement für die Weiterbildung der Gefangenen. Insgesamt eine eindrucksvolle Geschichte, der man sich schwer entziehen kann, selbst wenn die Schrecken der Apartheid hier in sehr gedämpftem Licht erscheinen.
Unglaubliche Wachstumsgeschichte
Wirtschaftlich war Südafrika lange Jahre die Lokomotive des Kontinents. Inzwischen hat Nigeria das Land am Kap klar als stärkste Wirtschaftsmacht Afrikas überholt. Eine Reihe von Staaten südlich der Sahara glänzt seit Jahren mit Wachstumsraten von über 5 Prozent. Der Wirtschaftsjournalist Christian Hiller von Gaertringen glaubt, Afrika sei dabei, „die unglaubliche Wachstumsgeschichte, die Asien in den vergangenen 20 Jahren erlebt hat, zu wiederholen“. Seine Sorge: Deutschland und die deutsche Wirtschaft nähmen an diesem Aufschwung so gut wie nicht teil, viele Unternehmer hielten ein Engagement in Afrika für einen Luxus, den sie sich nicht leisten können.
Hiller von Gaertringen argumentiert durchaus überzeugend, das Image des Kontinents sei heute düsterer als die Realität; der einseitige Blick aus Deutschland auf das menschliche Leid, auf Kriege, Krankheiten und Korruption verstelle die Sicht auf die wirtschaftliche Dynamik. Doch am Ende seines Streifzugs durch verschiedene afrikanische Länder muss der Autor konstatieren, dass die Dinge noch längst nicht überall zum Besten stehen.
Sicher, man kann das hohe Bevölkerungswachstum als einen der größten Reichtümer betrachten und mit den Beratern von Roland Berger behaupten: „Afrika besitzt mehr als eine Milliarde potenzieller Konsumenten.“ Doch die große Herausforderung besteht darin, den immer besser ausgebildeten Jugendlichen Arbeitsplätze zu bieten. Daran hapert es bisher gewaltig, wie das Beispiel Nigeria zeigt: Hier entstehen kaum neue Jobs, weder in der Ölförderung oder der Rohstoffausbeute noch in der boomenden Telekommunikationsbranche oder im florierenden Zementsektor.
Hort des Terrorismus
Während die einen das afrikanische Wirtschaftswunder beschwören, schauen andere mit Sorge auf Afrika als Hort des internationalen Terrorismus. Der langjährige Afrika-Korrespondent Marc Engelhardt hat jetzt ein informatives Buch vorgelegt, in dem er aufzeigt, dass sich hinter dem so genannten islamistischen Terror zuvorderst organisierte Kriminalität verbirgt. Die Terrortruppe Boko Haram etwa finanziert sich vor allem durch Schutzgelder, die Geschäftsleuten, Bürgermeistern, Investoren und sogar Gouverneuren abgepresst werden.
Boko Haram besteht zwar ausschließlich aus Muslimen, doch religiöse Gründe, so Engelhardt, seien nur der Deckmantel für ihre Taten. Wer gut zahlt, erhält die gewünschte Ware: Auftragsmorde, Anschläge, Chaos. Der Autor sieht nur einen Weg, effizient gegen die Terroristen vorzugehen: Es gilt, ihre Geldquellen auszutrocknen. Das ist leichter gesagt als getan, aber Engelhardt ist zuzustimmen, dass militärische Interventionen hier wenig helfen. Und obgleich es richtig ist, auf die zentrale ökonomische Dimension des Terrors hinzuweisen, darf nicht vergessen werden, dass religiöse Aspekte weiterhin eine Rolle spielen – gerade für diejenigen, die sich zu diesen Gruppen hingezogen fühlen und sie unterstützen.
Mali zählt ebenfalls zu den Beispielen, die Engelhardt in seinem Panorama des Terrorismus in Afrika ausführlich behandelt. Bis vor kurzem noch galt der westafrikanische Binnenstaat unter Experten als politische „Vorzeigedemokratie“. Kulturinteressierte kannten die Gelehrtenstadt Timbuktu mit ihren berühmten Bibliotheken, ansonsten existierte das Land für die deutsche Öffentlichkeit praktisch nicht. Das änderte sich schlagartig im März 2012, als das Militär in Bamako putschte, bewaffnete, teils islamistische Gruppen im Norden des Landes einen Aufstand anzettelten und Anfang 2013 französische Streitkräfte einen militärischen Gegenschlag lancierten. Die Bundeswehr unterstützte Frankreich durch die Ausbildung der malischen Armee sowie durch Logistik für den Kampfeinsatz. Der Sammelband „Wegweiser der Geschichte: Mali“, Teil einer vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr herausgegebenen Reihe, bietet nun kompakt und kompetent Informationen zu Geschichte und Gesellschaft des Landes, zu diversen Aspekten der malischen Gesellschaft wie Wirtschaft, Literatur, Ethnizität oder zur Rolle internationaler Akteure.
Der Tuareg-Konflikt ist Thema gleich mehrerer Aufsätze. In seiner konzisen Darlegung des von 1968 bis 1991 dauernden Militärregimes Moussa Traorés hebt Klaus Schlichte die Auseinandersetzungen zwischen der Zentralregierung in Bamako im Süden des Landes und Teilen der Tuareg-Bevölkerung im Norden als wichtiges Kennzeichen dieser Periode hervor. Die meisten Tuareg, schreibt der Bremer Politologe, nahmen die Zentralregierung als nicht weniger „kolonialistisch“ wahr als zuvor den französischen Kolonialstaat. Georg Klute und Baz Lecocq greifen diesen Faden auf und zeigen, dass im Norden Malis seit dem Ende der Kolonialzeit die Forderung nach Unabhängigkeit oder Autonomie besteht. Dieses Anliegen existiert neben, teilweise auch in Opposition zu einem „islamischen Anspruch“, der die Einführung einer islamischen Gesellschaftsordnung zum Ziel hat.
Die Berichte und Reportagen von Charlotte Wiedemann gehören seit Jahren zum Besten, was in der deutschen Presse über Mali zu lesen ist. In ihrem neuen Buch bietet sie ein einfühlsames Porträt des „verwundeten Landes“. Besonders gelungen ist ein Kapitel, das sich den Manuskripten von Timbuktu widmet. Die Autorin stellt Abdelkadar Haidara vor, der eine der inzwischen 35 Familienbibliotheken in der Stadt besitzt. Und erzählt quasi nebenbei die Geschichte der Gelehrtenstadt und ihrer kulturellen Schätze, von denen die meisten auch dank einer beherzten, von Haidara organisierten Rettungsaktion vor den Islamisten gerettet werden konnten.
Derzeit sieht Wiedemann Mali an einer Wegscheide. Sie warnt vor einer Entwicklung, bei der das Land zum bloßen Objekt westlicher Sicherheitsstrategien würde. Zu viele Mitspieler – etwa Frankreich, China, die Golf-Staaten oder Russland – würden das Beste für Mali versprechen und doch nur eigene Interessen verfolgen. Ob allerdings, wie die Autorin vorschlägt, die Anknüpfung an vorkoloniale Traditionen mit modernen Mitteln den einzig möglichen Weg für ein friedliches und prosperierendes Mali bedeutet, erscheint ein wenig zweifelhaft.
Christo Brand mit Barbara Jones: Mein Gefangener, mein Freund Mandela. St. Pölten: Residenz Verlag, 2014, 288 Seiten, 22,90 €
Christian Hiller von Gaertringen: Afrika ist das neue Asien. Ein Kontinent im Aufschwung. Hamburg: Hoffmann und Campe Verlag, 2014, 286 Seiten, 24,00 €
Marc Engelhardt: Heiliger Krieg, heiliger Profit. Afrika als neues Schlachtfeld des internationalen Terrorismus. Berlin: Christoph Links Verlag, 2014, 223 Seiten, 16,90 €
Martin Hofbauer und Philipp Münch: Wegweiser zur Geschichte: Mali. Paderborn: Ferdinand Schöningh Verlag, 2013, 263 Seiten, 15,90 €
Charlotte Wiedemann: Mali oder das Ringen um Würde. Meine Reisen in einem verwundeten Land. München: Siedler Verlag, 2014, 303 Seiten, 14,90 €
Prof. Dr. Andreas Eckert lehrt die Geschichte Afrikas am Institut für Asien- und Afrikawissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin.
Internationale Politik 5, September/Oktober 2014, S. 139-141