Titelthema

26. Juni 2023

Wirtschaft 
als Waffe

Die imperialen Pläne Chinas und Russlands fußen auf Abhängigkeiten des Westens. Über Jahrzehnte haben sich die liberalen Demokratien im

Energie- und Rohstoffsektor erpressbar gemacht; heute zahlen sie einen späten Preis dafür.

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Bild: Abbau Seltener Erden in China
Der Nahe Osten hat Öl, China hat Seltene Erden: Der Weltmarktanteil des Landes liegt bei rund 60 Prozent. Im Bild: die Baiyunebo-Mine nahe der Stadt Baotou in der Inneren Mongolei.
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Ein Geheimnis aus ihren imperialen Plänen haben die Führer der beiden weltgrößten Autokratien nie gemacht. Im Gegenteil: Der russische Präsident Wladimir Putin und sein chinesischer Kollege Xi Jinping kommunizieren sehr offen darüber.

So hat der Herr des Kremls in mehreren Traktaten seine Pläne eines großrussischen Reiches – inklusive der Ukraine – offenbart. Und der Machthaber in Pekng und seine alles dominierende Kommunis­tische Partei haben ihre Strategie der Welteroberung sogar in konkreten Plänen manifestiert, etwa der Initiative „Made in China 2025“. Sie sieht die Verwandlung der Volksrepublik in eine Hightech-Supernation vor, in der heimische Produzenten 70 Prozent von „Kernkomponenten und Werkstoffen“ selbst herstellen. Im Klartext: Xi Jinping will sein Land sehr bald zum Marktführer bei Robotik, Informationstechnologie, ­E-Autos, ­Medizintechnik, Raumfahrt, Eisenbahn und Schiffsverkehr katapultieren.

Die Strategien der Autokraten Putin und Xi – in einer „grenzenlosen Partnerschaft“ kurz vor dem Ukraine-Überfall im Februar 2022 besiegelt – sind nicht nur transparent, sie haben auch einen handfesten ökonomischen Kern. Beim Kampf um eine neue Weltordnung gegen den angeblichen Hegemon USA wurden Wirtschaftsgüter zu Waffen. Man kann es kaum anders sehen: Nach mehr als 30 Jahren Boomzeit sind Globalisierung und Freihandel nur noch Erinnerungsposten einer liberalen Epoche, die angesichts der Ambitionen von Putin und Xi für die Zwecke einer eigenwilligen Staatsräson missbraucht werden. Wo durch ­exzessive ­Globalisierung Monopole zu eigenen Gunsten entstanden sind, werden die damit verbundenen Abhängigkeiten der anderen politisch konsequent genutzt. Die „Friedensdividende“ des Westens droht so zu einer „Kriegs­dividende“ der Autokraten zu werden. Die liberalen Demokratien sind erpressbar geworden.

 

Markt macht Ohnmacht

Der Sündenfall, die Probe auf die neue Zeit, ist der Ukraine-Krieg. Hier hat der Westen, und vor allem Europa, mit Russlands Aggressionsökonomie unliebsame Bekanntschaft gemacht. Auf einmal wurde der Gasmonopolist Gazprom zum politischen Faktor, da allein in Deutschland 40 Prozent aller Gasimporte über ihn liefen. Viele Monate diskutierte das Land über Alternativen, auch zur starken russischen Erdölposition dank Rosneft, und klagte über dramatisch gestiegene Verbrauchskosten, deren Bewältigung große Teile der öffentlichen Haushalte verschlingt.

Es brauchte in dieser ­Konstellation schon sehr viel Zeit, bis die Ukraine brauchbare Waffen geliefert bekam und Sanktionen spürbar an Schärfe gewannen. Honi soit qui mal y pense. Der Verkauf von Aluminium und Nickel aus Russland lief trotz des Anti-Putin-Brimboriums mit großer Intensität weiter, schließlich sind sie wichtige Basisstoffe für westliche Firmen. Sanktionen bei Uran? Ebenfalls Fehlanzeige, hängen doch die Atomkraftwerke in Frankreich und Südosteuropa, aber auch in den USA, von Lieferungen angereicherten Urans aus Russland ab. Weltmarktanteil des Putinschen Machtsystems: 40 Prozent.

Markt macht Ohnmacht, erst recht, wenn dieser Markt staatlich kontrolliert und manipuliert wird. Diese Zusammenhänge erklären, warum die russische Volkswirtschaft nicht kollabiert ist – zumal Güter via Drittstaaten wie Armenien, Kasachstan, zeitweise auch Türkei und China, weiter recht frei zwischen Russland und dem Rest der Welt gehandelt werden konnten. Parallelimporte und Parallel­exporte machen es möglich. Man wollte Putin schaden, aber am allerliebsten nicht sich selbst.

Politisch lässt sich im Westen mit Sanktionen wählerwirksam gut drohen, in der Praxis aber verhindert eine über Jahrzehnte gewachsene Verflechtung von Firmen und Märkten die Durchsetzung solcher Radikalaktionen. Die westliche Fixierung auf Shareholder Value hat ihren späten Preis. Die Profiteure von einst zahlen nachträglich dafür, dass sie mit der Konzentration auf sehr wenige Lieferanten in der Vergangenheit Discount­preise erzielen konnten.

Noch gewichtiger und problematischer ist die Abhängigkeit des Westens von China. Denn während Russland vor allem dank fossiler Energie wirtschaftliche und politische Macht ausübt, ist das Reich der Mitte stark bei allen mineralischen Rohstoffen, die für Zukunftsgeschäfte unentbehrlich sind. Ohne sie läuft kein Windrad, funktioniert kein Solarpanel, wirkt kein Chip, fährt kein E-Auto. Ohne China kann man, Stand heute, Europas „Green New Deal“ vergessen.

Bei den mineralischen Rohstoffen ist fast die Hälfte der globalen Bergwerkproduktion in China konzentriert. Hinzu kommt, dass das Land auch in der ­Raffinade, der Weiterverarbeitung der Rohstoffe, klar dominiert. Und wo es noch Lücken gibt, hat das Land Verträge mit anderen Staaten geschlossen oder sich an wichtigen Minen beteiligt, etwa in der Demokratischen Republik Kongo, wo das für Batterien wichtige Kobalt gefördert wird.

Ganz konkret wird die Überlegenheit bei den Seltenen Erden, einer Gruppe von 17 chemischen Verbindungen. Sie sind notwendig für die Herstellung von Dauer­magneten, Lautsprechern, Festplatten, Kopfhörern, aber auch für die Luft- und Raumfahrt. Der Weltmarktanteil Chinas liegt bei knapp 60 Prozent. Schon dem früheren Parteichef Deng Xiaoping, der das Land für die Zusammenarbeit mit dem Westen geöffnet hat, war 1992 nur allzu bewusst: „Der Nahe Osten hat Öl, China hat Seltene Erden.“ Da liegt der Gedanke nahe, diese Vormachtstellung so auszubeuten, wie es einst die Golfstaaten über das OPEC -Kartell getan haben. 2010 wurde der damalige Premier Wen Jiabao deutlich: „Anfang der 1980er Jahre haben wir die Seltenen Erden noch zum Preis von Salz verkauft. Doch eigentlich verdienen sie den Preis von Gold. Wir fangen gerade erst an, unsere selbstverständlichen Interessen zu wahren.“ Im selben Jahr hatte China das Land Japan mit der Nichtlieferung von Seltenen Erden bestraft, nachdem es Streit um eine Inselgruppe im Südchinesischen Meer gegeben hatte. Wirtschaftliche Interessen sind politische Interessen.   

Kein Wunder, dass die Machthaber in Peking im Januar 2022 drei von sechs Firmen für Seltene Erden zum staatlichen Konglomerat der China Rare Earth Group Ltd. fusionierten; es vereinigt 62 Prozent der chinesischen Ressourcen des wertvollen Rohstoffs auf sich. Die Macht, die hier zu beobachten ist, ist die großer Zahlen. Neodyme aus der Kategorie der Seltenen Erden stammen zu 90 Prozent aus China und sind elementar wichtig für Magnete. Oder nehmen wir das für Halbleiter wichtige Silizium (China-Anteil: 69 Prozent) oder Magnesium (China-Anteil: 89 Prozent), das im Flugzeug-, Auto- und Maschinenbau benötigt wird. Als China im Herbst 2021 die Lieferung der beiden Stoffe an die Welt aus offiziell angeführten Gründen des Energiesparens kurzzeitig einstellte, standen im Westen Bänder still.

 

Destabilisierender Wettbewerb

Dieses Intermezzo gab einen Vorgeschmack auf etwaige künftige Kalamitäten. Vor Monopolen gibt es keine Flucht. Angesichts solcher Abhängigkeiten erscheint es zweifelhaft, ob der Westen nach einer Intervention Chinas in Taiwan überhaupt zu bedeutenden Sanktionen fähig wäre. Solchen Widerstand kann sich Deutschland nicht mehr leisten.

Erst spät, viel zu spät haben westliche Staaten begonnen, andere Rohstofflieferquellen zu erschließen oder das Recycling von wichtigen Materialien auszubauen. So haben die USA beschlossen, von 2026 an generell auf Seltene Erden aus China für US-Waffensysteme zu verzichten: Das sei ein nationales Sicherheitsrisiko.

Das „Zusammenspiel von geografischer Konzentration kritischer Ressourcen und dem zunehmenden globalen Wettbewerb“ werde die Geopolitik im 21. Jahrhundert „prägen und destabilisieren“, erklärt die US-Ökonomin Sophia Kalantzakos. Globaler Wettbewerb meint hier nicht das Ringen multinationaler Konzerne, sondern den überwölbenden Systemwettstreit zwischen Demokratien (USA) und Autokratien (China), ausgetragen über die jeweiligen Monopolkonzerne, etwa bei der Künstlichen Intelligenz (KI): Microsoft, Google und Amazon gegen Baidu, JD.com und Xiaomi. So will China 2030 zum ersten globalen Innovationszentrum für KI werden. Big Data? Kein Problem in der Volksrepublik; anders als im Westen gibt es keine Privacy, keinen Datenschutz. Putin hat 2017 keinen Zweifel an der Relevanz von KI gelassen: „Wer auch immer der Technologieführer in diesem Bereich wird, wird die Welt regieren.“ Und just diese Weltherrschaft will Xi Jinping unter allem Einsatz der Wirtschaft erreichen – spätestens 2049, zum 100. Geburtstag der Volksrepublik. Dann soll China das mächtigste Land der Welt sein.

Auf dem Weg dorthin hilft auch, dass sich die rote Supermacht mit der Neuen Seidenstraße den Griff auf internationale Handelswege gesichert hat. Über Kredite und Infrastrukturinvestitionen sind viele Anrainerstaaten de facto zu handelspolitischen Vasallen geworden. Die staatseigene Großreederei Cosco treibt die Entwicklung mit allerlei Beteiligungen voran, zuletzt mit dem umstrittenen Einstieg bei einem Terminal im Hamburger Hafen. Einer der nächsten Schritte auf dem Weg Chinas zur Weltmacht Nummer eins wird sein, den Renminbi zur zweiten Leitwährung neben dem Dollar zu machen. Die vier größten Banken der Welt befinden sich in chinesischem Staatsbesitz.

Schließlich wird der weitere Aufstieg davon begünstigt, dass Deutschlands wichtigste Branche, die Autoindustrie, von der Volksrepublik abhängig ist. Mercedes setzt hier mehr als jedes dritte Auto ab; zudem sind die chinesische Staatsfirma BAIC und ein privater Unternehmer des Landes mit jeweils knapp 10 Prozent am Kapital des Stuttgarter Konzerns beteiligt.

Der China-Block als bedeutendster Großaktionär – noch so ein wirtschaftlicher Hebel, der sich künftig gut nutzen lassen könnte. Die westliche Wirtschaft ist immer „chinesischer“ geworden. Und damit lebt sie mit einem beständig ­wachsenden Risiko.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik Special 4, Juli 2023, S. 26-29

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Hans-Jürgen Jakobs ist Volkswirt und hat als Journalist u.a. beim Spiegel, bei der Süddeutschen Zeitung sowie als Chefredakteur des Handelsblatts gearbeitet.

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