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01. Juni 2008

Willkommen im Club

In Nahost formiert sich eine Phalanx von potenziellen neuen Atommächten

Immer mehr arabische Staaten streben offen ein eigenes Nuklearprogramm an. Manche von ihnen verweisen aus taktischen Gründen auf die atomaren Aspirationen der aufstrebenden Regionalmacht Iran – man nutzt die Gunst der Stunde, um im Westen Forderungen durchzusetzen, die sonst wohl noch Jahrzehnte ungehört verhallt wären.

Was bis vor einigen Jahren noch in den Hinterzimmern der Nahost--Diplomatie vertraulich verhandelt wurde, hat sich längst den Weg in die Schlagzeilen gebahnt: die „Nuklearisierung des Nahen Ostens“. So war schon vor fast zwei Jahrzehnten, im Jahre 1989, eine von dem iranischen Politologen Anoushiravan Ehteshami für das „Gulf Centre for Strategic Studies“ verfasste Studie überschrieben. Damals wurde mit Sorge die sukzessive Entstehung von Nuklearprogrammen in Ländern der Dritten Welt und der so genannten zweiten Reihe im „Atomclub“ verfolgt: von Südamerika über Südafrika bis nach Israel und Pakistan.

Es war auch nicht zuletzt der kurz zuvor beendete iranisch-irakische Krieg, der zu jener Zeit wieder die Angst vor einem atomaren Rüstungswettbewerb in der Nahost-Region wachsen ließ. Man ging davon aus, der Irak würde seine im Juni 1981 von den Israelis zerstörten Atomanlagen nicht nur als Antwort auf diesen Angriff wieder aufbauen, sondern auch als Reaktion auf die Atompolitik des Iran. Letzterer machte damals – ähnlich wie die seinerzeit von den Sowjets bei ihren Atomprojekten unterstützten Staaten Libyen und Ägypten – mit einem kleinen Forschungsreaktor erste Schritte zur Aneignung nuklearer Technologie.

Neue atomare Absatzmärkte

Die Atomfrage im Nahen Osten verlor jedoch an Aktualität, je schwächer Saddam Husseins Regime wurde. Dies hinderte die USA aber bekanntlich nicht daran, Saddams angeblichen Besitz von Massenvernichtungswaffen als einen der Rechtfertigungsgründe für seinen Sturz anzuführen. Dieser hinterließ vorübergehend ein Machtvakuum in der Region, das auch der Atomfrage neue Brisanz verlieh, da sich nun der Iran insbesondere über den Ausbau seines Atomprogramms – wie auch seines Arsenals an Langstreckenraketen – als neue Regionalmacht zu profilieren trachtete: Bis heute mit spürbarem Erfolg, könnte man sagen, zumindest was die weltweite mediale Wirkung der iranischen Staatspropaganda anbelangt.

Da sich in der Nuklearfrage der Blick auf den Iran konzentrierte, wurde die nicht minder brisante Entwicklung auf arabischer Seite in diesem Bereich lange Zeit kaum wahrgenommen. Mittlerweile gehen jedoch amerikanische und israelische Zeitungen davon aus, dass Ägypten bereits 2015 über eine betriebsbereite atomare Anlage verfügen wird und ein Jahr später Marokko und 2017 der Jemen folgen werden. Algerien und Jordanien werden vorausichtlich erst im dritten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts mit von der Partie sein, und auch Libyen und die Golf-Staaten wollen sich dem Trend so bald wie möglich anschließen. Die Türkei wird übrigens schon in vier Jahren eine eigene nukleare Anlage in Betrieb nehmen.

Die im nahöstlichen Raum offensichtlich neu entstehenden atomaren Absatzmärkte beschäftigen – und spalten – die Fachwelt. So etwa wurde im März 2007 auf einer internationalen Tagung der Schweizer Sektion der atomkritischen Ärzteorganisation PSR/IPPNW in Ascona vor den Folgen dieser Entwicklung gewarnt. Indessen sind Fachleute bereits mit praktischen Fragen der Umsetzung vorhandener oder entstehender Pläne etwa zur „Nuklearisierung der Golf-Region“ befasst. So lautet der Titel einer jüngst in Dubai veröffentlichten Studie, in der zwar auch die Frage aufgeworfen wird, ob Nuklearprojekte für die ölreichen arabischen Golf Staaten wirtschaftlich überhaupt sinnvoll seien oder ob es dabei in Wahrheit nicht eher um eine strategische Antwort auf die atomaren Bestrebungen des Iran gehe. Aber noch ernsthafter diskutiert wird hier ein mögliches künftiges Bündnis des Irak mit dem Iran – für die Araber am Golf eine strategische Schreckensvision. Letztere stellen sich besorgt die Frage, wie sich die Machthaber in Teheran, die bisher nicht gerade durch moderate Auftritte aufgefallen sind, verhalten würden, sollten sie eines Tages auch noch über die Atombombe verfügen.

Bedürfnis wecken, Produkt anbieten

Bei der derzeitigen Diskussion über die atomare Gefahr aus dem Iran ist allerdings ein nicht minder relevanter Aspekt aus dem Blickfeld geraten, nämlich der rein wirtschaftliche. Die Konkurrenz um die Lieferung atomaren Know-hows an die arabischen Interessenten ist nicht nur härter geworden, sondern wird mittlerweile auch offen über die Medien ausgetragen. In jüngster Zeit hat sich hier besonders der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy mit Äußerungen hervorgetan, die Frankreichs Bereitschaft bezeugen sollen, den arabischen Staaten mit französischer Atomtechnologie unter die Arme zu greifen.

Während Sarkozys Besuch in Kairo Ende 2007 im Westen viel Aufsehen erregte, wurde kaum wahrgenommen, dass fast gleichzeitig auch der iranische Ex-Atomchefunterhändler Ali Laridschani die ägyptische Hauptstadt besuchte und vor Journalisten ebenfalls die Hilfe seines Landes beim Aufbau des ägyptischen Atomprojekts anbot. Es besteht also aller Grund zu der Annahme, dass der Iran wohl von Anfang an sein atomares Know-how auch als Exportware vorgesehen hat.

Was in den Augen des Westens wieder als typischer politischer Taschenspielertrick der Iraner erscheinen mag, nämlich die Araber erst mit großem propagandistischem Aufwand zu verunsichern, um ihnen dann die eigene Nukleartechnologie anzubieten, kann auch als einfache Marktstrategie gesehen werden: Bedürfnisse wecken, Produkt anbieten. Für diese These würden nicht zuletzt auch die in jüngster Zeit auffallenden Annäherungsversuche der Iraner an Ägypten wie an Saudi-Arabien sprechen. Wie die Nuklearisierung der nahöstlichen Region über die bereits halbwegs bekannten Projekte hinaus weiter verlaufen wird, ist schwer vorauszusehen. Zumal die eigentliche atomare Regionalmacht Israel erst im vergangenen September mit der Bombardierung einer als Urananreicherungsfabrik verdächtigten Anlage in Syrien einmal mehr demonstriert hat, dass sie keine atomaren Konkurrenten in ihrer Nähe dulden wird.

Dr. JOSEPH CROITORU, geb. 1960, ist Autor der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit den Schwerpunkten Naher Osten und Osteuropa. Jüngste Veröffentlichung: „Hamas. Der islamische Kampf um Palästina“ (C. H. Beck 2007).

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 6, Juni 2008, S. 101 - 103

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