Titelthema

30. Dez. 2024

Wie soll Europa mit Trump umgehen?

Mit der US-Wahl ist die Stunde Europas gekommen – doch ganz anders als erträumt. Es wird eine breite Allianz ­brauchen, um Trumps Amerika zu begegnen.

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Bild: Donald Trump
Erratisch, egoistisch, eifersüchtig: Unter Donald Trump werden die USA unberechen­barer werden und sich weiter von Europa entfernen – einem Europa in der Krise.
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Vor dem Wahltag in den Vereinigten Staaten hat sich Deutschlands Diplomatie gut vorbereitet und recht gewiss darüber gegeben, was die nächste amerikanische Präsidentschaft bedeuten würde. Eine Art halboffizielles Narrativ verbreitete sich über Berlin, und es ging etwa so: In den internationalen Beziehungen stünden unruhige Zeiten bevor, und das Verhältnis zu den USA bildete keine Ausnahme. Amerika werde von allen Verbündeten und insbesondere von Deutschland mehr erwarten. Das unterscheide die beiden Kandidaten kaum voneinander. Sie seien sich besonders in jenen Fragen einig, die für Deutschland besonders wichtig oder problematisch seien. 

Beide potenziellen Präsidenten würden mehr Verteidigungsinvestitionen innerhalb der NATO erwarten, über die bisher vereinbarten 2 Prozent des Bruttoinlands­produkts hinaus. Beide Kandidaten erwarteten, dass Europa noch stärker zur Finanzierung und Sicherung der angegriffenen Ukraine beitrage. Beide Kandidaten verfolgten eine protektionistische Agenda, und beide erwarteten mehr Gefolgschaft bei Amerikas Bemühungen, den Aufstieg Chinas zu bremsen.

Das Geflecht aus amerikanischen Forderungen und Erwartungen, so das Narrativ, mache es Deutschland nicht leicht. Nichts sei Konsens, alles innenpolitisch umstritten. Mit jedem künftigen amerikanischen Präsidenten werde es deshalb zu Reibereien kommen, und so spiele es kaum eine Rolle, wer gewählt würde. Die Unterschiede zwischen beiden Kandidaten, so wörtlich und vielfach wiederholt, auch in Briefing-Runden, seien „im Wesentlichen in Ton und Stil“ zu suchen.

Nun also bekommt es Deutschland mit Ton und Stil Donald Trumps zu tun, und man kann nur hoffen, dass die schöne Geschichte von der Äquidistanz zu beiden Kandidaten keine kollektive Selbstsug­gestion war, sondern allein diplomatische Zurückhaltung, die dem Neutralitätsgebot in ausländischen Wahlkämpfen geschuldet war. Oder vielleicht der diplomatischen Eigenart, in allem einen Hebel für Verbesserungen zu erkennen. 

Zu erwarten steht für ­Amerika nicht allein ein Rückfall in Nationalismus 
und Isolationismus, sondern auch der Eintritt in die Unberechenbarkeit

Denn sonst läge in der Gleichsetzung der Kandidaten eine Art Kategorienfehler, in dessen Folge Dimension und Auswirkungen dieser Wahl systematisch kleingeredet würden. Die Unterschiede, die nun politisch wirksam werden, sind evident: Es wird doch wohl für Deutschland bedeutsam sein, wenn der gewählte Präsident Bündnisse als Belastung für Amerika sieht, seine Widersacherin Allianzen aber als Kraftmultiplikator verstand. Es dürfte sich sehr schnell herausstellen, wie wichtig für Deutschland ist, dass der gewählte Präsident Amerikas Interesse in der Ukraine darin sieht, den Krieg kaum abhängig von den Bedingungen schnellstmöglich zu beenden, während die unterlegene Kandidatin glaubte, es sei im Interesse Amerikas, den Aggressor zunächst zurückzuschlagen, um einen dauerhaften und gerechten Frieden zu erreichen. Und ebenso schnell wird sich zeigen, dass es einen Unterschied für die Fähigkeit und Bereitschaft von Verbündeten macht, sich auf Amerikas Wettbewerb mit China einzulassen, ob der Wettbewerb unter hegemonialen (Trump) oder unter systemischen (Harris) Gesichtspunkten gesehen wird.

Mit der Wiederwahl Donald Trumps hat die Bevölkerung eine Richtungsentscheidung getroffen, die außerhalb des traditionellen Spektrums amerikanischer Politik liegt und vermutlich langfristige Konsequenzen haben wird. Einen Mann mit den politischen Reflexen eines Anti-Westlers zweimal ins Weiße Haus zu schicken – das gab es noch nie. Mag sein, dass Kamala Harris außenpolitisch manches befürwortet hätte, das nun auch Donald Trump tun wird. Doch das sind Oberflächenphänomene. Ziele, Interessendefinitionen und Wertesysteme unterscheiden sich so drastisch, dass sich die Kluft zwischen den Vereinigten Staaten und Europa, auch Deutschland, im Laufe der Zeit eher vergrößern dürfte.

Niemand sollte sich Illusionen machen über die Dimension dessen, was vor Deutschland und Europa liegt. Zu erwarten steht für Amerika nicht allein ein Rückfall in Nationalismus und Isolationismus, sondern auch der Eintritt in die Unberechenbarkeit. Für Trump ist sie kurzfristig Methode. Sein Land aber wird mittelfristig als außenpolitischer Akteur schwer kalkulierbar sein, weil die fortdauernde Polarisierung eine Serie von Regierungswechseln möglich macht, die liberal-internationalistische auf illiberal-isolationistische Präsidenten folgen lassen könnte. Die Vereinigten Staaten würden damit als unzuverlässige Macht gelten, was ihre Glaubwürdigkeit reduzieren wird. Es gäbe nur noch wenig, auf das man langfristig zählen könnte. Alles kann sofort oder in vier Jahren rückgängig gemacht werden. Zu erwarten ist somit alles Mögliche, auch jeweils das Gegenteil. Wie sollen Alliierte unter diesen Bedingungen denn Außenpolitik planen?

Nun war seit Langem klar, dass Europa und Deutschland künftig mit weniger Amerika auskommen und stärker auf eigenen Beinen stehen müssen. Die Frage war aber immer, ob dieser Prozess harmonisch und solidarisch oder disruptiv und antagonistisch ablaufen wird. Dieser Unterschied ist nicht nur stilistisch; er ist fundamental, weil die Sicherheit Europas davon abhängen kann. Das zeigt etwa der Versuch der Europäer, eine Abschreckungslücke gegenüber Russland mit ­konventionellen Mitteln schließen und dazu einen Marschflugkörper entwickeln zu wollen. Die Absichtserklärung zum Bau dieser bodengestützten Rakete haben Frankreich, Deutschland, Italien und Polen auf dem jüngsten NATO-Gipfel im Juli unterzeichnet. Es wird viele Jahre dauern, bis die vier Länder diese Rakete aufstellen können. In der Zwischenzeit wollen die USA ihren Tomahawk-Flugkörper in Deutschland stationieren. 

Das ist idealtypisches Verhalten innerhalb einer Allianz: Der größte Partner springt Verbündeten bei, solange sie auf dem Weg sind, sich selbst besser verteidigen zu können. Derartige Bündnis­solidarität wird man von Donald Trump erhoffen, aber schwerlich länger mit ihr rechnen können. Und ob es im Fall der Marschflugkörper bei der Stationierung bleiben wird, muss sich auch erst noch zeigen. Wahrscheinlicher ist, dass Trump Deutschlands (und Europas) Sicherheitsabhängigkeit zur Waffe schmieden wird. Schwäche kreiert Erpressungspotenzial. Zugeständnisse etwa in der Handelspolitik lassen sich mit Hinweis auf die verteidigungspolitische Asymmetrie leicht erzielen. Das ist die Lehre aus Trumps erster Amtszeit. Und die kennt keiner besser als Trump selbst. Seine Skrupel dürfen weiter geschwunden sein, einen Nexus zwischen Unzusammenhängendem herzustellen, ganz gleich, ob Russlands neoimperiales Ausgreifen eine manifeste Gefahr für den europäischen Kontinent darstellt. 

Die Standardantwort auf diese Herausforderung lautet, man müsse eben in Europa zusammenhalten, um dem Bully aus Washington Paroli bieten zu können. Außenministerin Annalena Baerbock formuliert es so: Die Antwort auf America First müsse Europe United heißen. Fortschritte bei der europäischen Integration, so heißt es nun allerorten, würden gemeinhin in Krisen erzielt. Europa werde zusammenhalten, weil es müsse. 


Europe United

Das bis dato letzte Mal, dass Europa in einer Krise zusammenfand und die Krise zu mehr europäischer Integration führte, war Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die Europäer eilten Kyjiw zu Hilfe, gaben enorme Summen für militärische und zivile Zwecke aus, mehr als die USA; und sie fanden Wege, um dies innerhalb des EU-Systems zu tun; sie entwickelten eine neue und nützliche Arbeitsteilung zwischen NATO und EU. So hat die Union nun zum ersten Mal einen Verteidigungskommissar – das ist europäische Integration, geschmiedet in der Krise. 

Trotzdem sollte man sich daran erinnern, dass die Europäische Union dies nicht alleine geschafft hat. Es war die US-Regierung unter Präsident Joe Biden, die ein halbes Jahr vor dem russischen Angriff damit begann, die Europäer von der drohenden Gefahr zu überzeugen. Für die Vereinigten Staaten war es eine Rolle aus dem Lehrbuch für transatlantische Beziehungen: Amerika einigt Europa und damit die westliche Allianz. Deutschland wird ermöglicht, sich in Amerikas Windschatten zu bewegen, um vom Spender von 5000 Helmen zum zweitgrößten Lieferanten militärischer Ausrüstung für die Ukraine zu werden. Zugleich wird es Polen und den anderen Staaten an der Ostflanke erleichtert, eine stabilere Haltung gegenüber Russland einzunehmen, wohl wissend, dass Amerika ihnen den Rücken freihalten würde. 

Doch was wird Trump nun tun? Wird auch er im Amt den Anforderungen der Lage gehorchen und sich in einen europäischen Einiger verwandeln, wie vor ihm so viele US-Präsidenten? Aus Trumps erster Amtszeit ist das Gegenteil bekannt. Trump hatte Freude daran, die europäischen Nationen gegeneinander auszuspielen. Unterschiede zwischen den Ländern nutzte er als Hebel. Die Folge davon war unter anderem, dass Europas Rechtspopulisten begannen, ihren Regierungen vorzuwerfen, sie seien Vasallen Amerikas.

Anpasser, Souveränisten und Rechtspopulisten ­werden an einem Strang ziehen müssen

Während Europas Regierungen im Angesicht der Präsidentschaft Trumps die Einigkeit beschwören, tun sich in Wahrheit schon die ersten Risse auf. Mindestens drei verschiedene Camps bilden sich in Europa heraus: die Anpasser, die Souveränisten und die Rechtspopulisten.

Die Gruppe der Anpasser wird von Polen angeführt. Sie dürften Trumps Wunsch akzeptieren, die Beziehungen zu Europa zu bilateralisieren. Präsident Andrzej Duda hat deshalb schon vorsorglich dem künftigen US-Präsidenten an dessen Vor-Amtssitz in Mar-a-Lago die Aufwartung gemacht. Die meisten Anpasser finden sich nahe der russischen Grenze, und ihr Bedürfnis, Trump entgegenzukommen, ist Folge der russischen Gefahr. Die Notwendigkeit, die gemeinsame Verteidigung nach NATO-Vertrag aufrechtzu­erhalten, ist so überwältigend, dass sie Trump gefallen, bezaubern, beeindrucken oder ablenken wollen. Übrigens zählt auch Deutschland zu dieser Gruppe. In seiner Verteidigung fast vollständig abhängig vom nuklearen Schutzschirm Amerikas, gehört es zu den vulnerablen Nationen in Europa und wird deshalb seine Wider­worte wägen wollen.

Die Gruppe der Souveränisten wird von Frankreich angeführt. Sie wollen nicht bloß Europa stärken; das gilt schließlich auch für die Anpasser. Doch die Souveränisten wollen weiter gehen. Sie möchten Europa von Amerika distanzieren und den Kontinent als einen machtpolitisch unabhängigen Pol in einer nach ihrer Ansicht multipolaren Weltordnung etablieren. Sie glauben, dass das unzuverlässige Amerika schon länger nicht mehr als Sicherheitsanker Europas gelten darf. Noch ist diese Gruppe klein. Sie dürfte größer werden, sobald Trump im Amt ist und handelt.

An der Spitze der Rechtspopulisten steht Ungarn. Ministerpräsident Viktor Orbán glaubt, seine Zeit der Führung Europas rücke näher, weil die Wahl Trumps in Europa einen Dominoeffekt auslösen werde, insbesondere in Mittel- und Ost­europa. Wiewohl einander ideologisch nahe stehend, dürfte dies keine spannungsfreie Verbindung werden. Orbán ist Trump vor allem dafür dankbar, dass er die Lösung Europas von Amerika betreibt, was Orbán – zumindest darin den Souveränisten ähnlich – für dringend notwendig hält.


Unterschiedliche Zielvorstellungen 

Will Europa sich gegenüber Trumps Amerika einig zeigen, wird es einer Allianz zwischen den verschiedenen Lagern bedürfen. Das ist trotz der unterschiedlichen Zielvorstellungen in einzelnen Politikfeldern nicht vollkommen ausgeschlossen, kann aber erfordern, einzelne Vetospieler (wie Orbán) zu isolieren und einzukaufen.

Wesentlich schwieriger wäre es, Trump ein umfassendes Angebot zum Interessenausgleich zu machen. Trump will einen schnellen Frieden in der Ukraine, und er will Europa mit den Folgen, etwa der Friedenssicherung durch Truppen, möglichst allein lassen. Die Europäer (einschließlich der Ukrainer) werden auf einer US-Beteiligung an Sicherheitsgarantien bestehen.

Zölle versteht Trump als eine Art Strafe für vorangegangenes Fehlverhalten. Europa hat sich nach Trumps umstrittener Logik des Vergehens einer unausgeglichenen Handelsbilanz gegenüber Amerika schuldig gemacht. Der Kauf amerikanischer Waffen, Sojabohnen oder von LNG-Gas könnte helfen. Genauso betrogen fühlt sich Trump bei den Verteidigungsleistungen innerhalb der NATO. Europas Trittbrettfahrer hätten nicht gezahlt und stattdessen Amerika die Rechnung geschickt. Zumindest dieser Logik werden sich gerade die Deutschen schwer entziehen können. Sprunghafte Erhöhungen des Verteidigungsbeitrags, die ohnehin notwendig sind, würden sich hier anbieten.

Von der EU-Kommission und den Nationalstaaten gemeinsam vorzuschlagen, wäre dieses Paket eine Art Super-Akkommodation – und deshalb höchst umstritten. Die Souveränisten und die Rechtspopulisten würden es aus Prinzip ablehnen, während die Anpasser unter dessen Last ächzen würden. Und selbst wenn man sich darauf einigte, wäre beinahe gewiss, dass Trump in Bälde mit neuen Forderungen um die Ecke käme, etwa zur China-Politik.

Die Stunde Europas, die lange besungen wurde und nun gekommen ist, hätte man sich anders vorgestellt.             

Dieser Artikel ist in der gedruckten Version unter dem Titel „Wie umgehen mit einem Bully?" erschienen.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar/Februar 2025, S. 18-22

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Thomas Kleine- Brockhoff ist Direktor der 
Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).