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25. Febr. 2022

Wie im Himmel, so auf Erden

Die Raumfahrt ist ein schnell wachsender Wirtschaftsfaktor, aber auch Spiegel und Instrument der Politik. Fehlende Regeln überschatten die Möglichkeiten einer neuen Welt.

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Bild: Modell eines Hyperschallflugzeugs der NASA in einem Windkanal
Viele Entwicklungen im Zusammenhang mit dem All haben einen dual-use Charakter, können militärisch und zivil genutzt werden; das Bild zeigt das Modell eines Hyperschallflugzeugs der NASA in einem Windkanal.
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Es lässt sich sicher darüber streiten, ob mit dem Start von Sputnik 1 am 4. Oktober 1957 die Erschließung des Weltraums durch den Menschen begann. Sicher ist aber, dass damals wie heute sämtliche Entwicklungen im All politische und wirtschaftliche Dynamiken auf der Erde spiegelten. Während des Kalten Krieges bestimmte die bipolare Konfrontation der USA und Sowjetunion das Wettrüsten im All. Heute ist die Situation dagegen mit dem Stichwort „New Space“ nur ungenügend beschrieben, sie wird vielmehr von einer multipolaren und globalisierten Welt geprägt. Was bedeutet das für die Entwicklung im Weltall? Diese Betrachtung befasst sich mit einem bislang eher unauffälligen Segment der industriellen Wirtschaft, der Raumfahrtökonomie.



Die „Space-Economy“ ist ein recht unkonkreter Begriff, da seit dem Beginn der „New-Space“-Ära, mit zunehmender Kommerzialisierung des Geschäfts, die Grenzen zwischen der eigentlichen Raumfahrt und der daraus resultierenden terrestrischen Wirtschaft verwischen. Seit etwa zehn Jahren dringen die Anwendungen raumgestützter Systeme immer tiefer in die Geschäftskonzepte der terrestrischen Wirtschaft ein und ersetzen schrittweise die Leistungen erdgebundener Partner. Treiber sind technische Innovationen (zum Beispiel Digitalisierung, 3D-Druck), welche die Raumfahrtsysteme leichter, effizienter und damit auch preiswerter machen. Anwendungen reichen von der Optimierung des Warenverkehrs durch Navigationssatelliten wie Galileo über die Nutzung des Internet der Dinge auch in entlegensten Regionen bis zur Wetter- und Klimaforschung durch Satelliten der Erdbeobachtung. Wir können ein vergleichbares Phänomen in der Durchdringung des Maschinenbaus durch die Digitalisierung wiederfinden.



Für die terrestrische und raumgestützte Wirtschaft reichen die für 2019/2020 ermittelten Marktvolumina von ca. 300 bis 420 Milliarden Dollar. Das entspricht dem heutigen Niveau des gesamten chinesischen Handels. Interessant dabei ist, dass staatliche Aufträge heute nur noch 20 Prozent der kommerziellen Einnahmen der „Space Economy“ ausmachen.



Die US-Investmentbank Morgan Stanley prognostiziert für 2040 ein globales Wachstum dieses Marktes auf über eine Trillion Dollar. Staatsaufträge – etwa hoheitliche Anwendungen in Forschung, Umweltbeobachtung oder Aufklärung – könnten sich zwar auf ca. 180 Milliarden Dollar verdoppeln, verlieren anteilig aber an Boden. Auch der Consumer-TV-Sektor, heute einer der Treiber der Kommerzialisierung, verliert Anteile, wächst aber längerfristig um 20 Prozent. Den attraktivsten Marktanteil mit ca. 400 Milliarden Dollar sehen alle Analysten allerdings im Internetsektor – dem Internet der Dinge (IoT). Hier kann bereits heute der steigende Bedarf nach sicherer Datenübermittlung kaum bewältigt werden. Dies sind ausreichende Motive für alle Investoren, die sich hohe Renditen aus dem Betrieb globaler Satellitennetze, den sogenannten Megakonstellationen, versprechen, die den Daten-Tsunami bewältigen sollen.



Der Schatten geopolitischer Konflikte

OneWeb und Starlink sind zwei dieser Konstellationsprogramme, die derzeit mit hohem Aufwand realisiert werden. Vor Kurzem gab Elon Musk bekannt, den 2000. Starlink-Satelliten im Orbit platziert zu haben. Amazon verfolgt mit Kuiper ein eigenes Vorhaben, und das Unternehmen Telesat entwickelt sein System Lightspeed. Bereits diese vier Projekte erfordern es, über die nächsten Jahre 15 000 bis 45 000 neue Satelliten in den erdnahen Raum zu transportieren – was wiederum die ­Investitionen in technische Innovationen im Träger- und Satellitensektor vorantreibt. Serienfertigung der Bus-Strukturen, Einsatz von 3-D-Druck-Verfahren in der Produktion, elektronische Antriebe, „grüne“ Treibstoffe, Laser-Kommunikationsterminals, KI-basierte Steuerung von Satellitenschwärmen: All diese „New-Space“-Elemente verfolgen das Ziel, mit kleineren, leichteren, preiswerten und umweltfreundlicheren Systemen am Wachstum teilzuhaben. Mit Blick auf zukünftige Innovationssprünge werden diese neuen Satelliten nur für eine geringe Lebenserwartung ausgelegt und müssen fast alle drei bis fünf Jahre erneuert werden. Die hierdurch erwarteten Umsätze versprechen eine schöne neue Welt für Nutzer, Dienstleister, Netzbetreiber, Systemhersteller und Zulieferer.



Doch so sehr die Kommerzialisierung des Weltalls auch voranschreiten mag, sie kann nicht vom geopolitischen Kontext losgelöst betrachtet werden. Konflikte auf der Erde werden sich künftig noch stärker im Weltall widerspiegeln. Die weltweite Tendenz einer „Versicherheitlichung“ dieser Domäne ist schon jetzt absehbar. Diese Entwicklung sollte jedoch nicht verwundern, bedenkt man die zunehmende Abhängigkeit von Satellitensystemen, die sich heute aus staatlichen und kommerziellen Anwendungen ergeben.



Wie ernst die Risiken und Gefahren im Weltall sind, zeigt ein jüngstes Beispiel. Am Morgen des 15. November 2021 schickte die NASA die Besatzung der Internationalen Raumstation (ISS) in die „Schutzräume“ – so werden die Rückkehrkapseln genutzt, mit denen die Crew im Krisenfall zur Erde zurückkehren soll. Eine Trümmerwolke näherte sich gefährlich nah der Bahn der ISS, Reste eines zerborstenen Satelliten, der 1982 durch die UdSSR für Aufklärungszwecke in den Orbit gebracht wurde. COSMOS 1408 wurde gezielt zerstört, um eine Antisatellitenwaffe (ASW) der Russischen Föderation zu testen. Aus Sicht Russlands ein großer technischer Erfolg – aus der Warte oben genannter Investoren wohl eher eine Katastrophe.



Weltweit reagierte man mit Besorgnis. Der Sprecher des US-Außenministeriums war extrem kritisch: Die Nutzung des erdnahen Raumes werde nachhaltig gestört und die russische Ablehnung einer Aufrüstung im All sei nur geheuchelt. Bereits heute gefährden ca. 35 000 Objekte (Relikte aus 60 Jahren Raumfahrtgeschichte größer als zehn Zentimeter) den ungestörten Flug eines Raumfahrtsystems. Kleinere Bruchstücke (man schätzt mehrere Millionen) werden nicht einmal verfolgt, weil die derzeitige Beobachtungsfähigkeit (Space Situational Awareness) dies nicht hergibt. Der Anstieg aktiver Satelliten (Ende 2021 ca. 4200) um weitere 15 000 bis 20 000 allein in der nächsten Dekade macht die scheinbar so „unendlichen Weiten“ immer enger und gefährdeter. Ein sicherer Platz im erdnahen Orbit wird zur limitierten Ressource.



Die Forderung nach Sicherheit wird künftig von jedem neuen System spezielle Kapazitäten verlangen, etwa um am Ende der Lebensdauer automatisch die Position zu verlassen und sich selbst störungsfrei in der Atmosphäre zu entsorgen. Zudem wird ein international anerkanntes Verkehrsregelwerk zu definieren sein, das zwischen den Nationen festlegt, mit welchen Prioritäten wissenschaftliche, militärische und kommerzielle Systeme zu betreiben sind. Man spricht hier von einem Space Traffic Management. Wie das Beispiel von COSMOS 1408 verdeutlicht, besteht unter anderem Klärungs­bedarf, inwieweit sensible Daten zwischen militärischen und zivilen Akteuren der Nationen ausgetauscht werden müssen, um künftig die Betriebssicherheit im All zu gewährleisten.



Allerdings ist fraglich, ob sich zum Beispiel China beim Aufbau eigener militärischer Netze um die Zustimmung der FCC bemüht – die Federal Communication Commission ist eine US-Behörde, die solche Anträge hinsichtlich der Harmonisierung eines globalen Zusammenlebens im All für die USA prüft und genehmigt. Zwei angeblich zivil genutzte Konstellationen mit ca. 12 000 Satelliten hat China der FCC vor wenigen Wochen annonciert. Ein Spannungsverhältnis zwischen den Zielen der nationalen Sicherheit und dem Wunsch nach einem freien, autonomen Betrieb kommerzieller Systeme wird immer größer. Kürzlich sprach sich General B. Chance Saltzman von der US Space Force anlässlich des Testflugs einer chinesischen Hyperschallwaffe dafür aus, einen Kommunikationskanal zwischen den raumfahrenden Nationen einzurichten, um etwaige „Missverständnisse“ nicht in Krisen ausarten zu lassen.



Als Reaktion auf russische und chinesische Tests wurde in den USA 2019 die Space Development Agency (SDA) gegründet. Sie konzipiert den Aufbau mehrerer Satellitennetze mit rein militärischen Zielen im Bereich der Aufklärung, Führung und Kommunikation. Man plant, hunderte Satelliten im Low Earth Orbit auszusetzen, die natürlich mit den kommerziellen Systemen um Orbitpositionen, Sicherheitsabstand und verfügbare Frequenzen konkurrieren. Wobei nicht unbedingt von „Konkurrenz“ gesprochen werden kann, wenn hoheitliche Organe den zivilen Betrieb genehmigen. Grundsätzlich ist die „Freedom for Action“ (also die Handlungsfreiheit) im Weltraum ein tief verankerter Bestandteil der US-Raumfahrtpolitik. Zivile Bedürfnisse spielen im Zweifel eine nachgeordnete Rolle.



Sollten militärische Interventionen einen privatwirtschaftlichen Betrieb behindern, werden zivile Dienstleister auch noch „versicherungstechnisch“ mit höheren Prämien belastet. Auch neue technische Entwicklungen zur Trümmervermeidung beziehungsweise -entfernung (Active Debris Removal und On-Orbit Servicing) werden kostentreibend an den erwarteten Renditen zehren. Die technische Fähigkeit dieser Satelliten, ihre orbitalen Bahnen zu verändern und sich anderen Objekten zu nähern, machen sie auch aus politisch-militärischer Sicht „verdächtig“. Sogenannte Rendezvous- und Annäherungsmanöver sind heute schon möglich und stellen Entscheidungsträger vor die Frage, ob solche Manöver für die Betriebssicherheit des eigenen Systems riskant sind – oder ob sich ein ASW-System in Position bringt.



General Saltzmans Bedenken gelten daher auch für den zivilen Sektor. Eine Harmonisierung der „Verkehrsvorschriften“ durch die beteiligten Nationen und die Implementierung bindender Regeln für zivile, militärische und private Nutzer scheinen damit eine der notwendigen Voraussetzungen für eine wirtschaftlich tragfähige und nachhaltige Nutzung des erdnahen Raumes.



Damit wären wir wieder bei den Renditen. Mit der digitalen Transformation in vielen terrestrischen Geschäftsfeldern entwickelt sich die Kommerzialisierung des Weltraums äußerst vielversprechend; die Nachfrage nach neuen Satelliten führt in der Konsequenz auch zu einem Boom im Geschäft der Startdienstleistungen. Laut dem „New-Space Index“ existieren weltweit bereits 150 Vorhaben, die kleine Trägerraketen in den Betrieb bringen möchten, um am Wachstum zu partizipieren.



Dennoch gibt es eine Reihe ernstzunehmender Risiken, die einen Schatten auf die erträumte Zukunft werfen. Diese lassen sich aus heutiger Sicht nur mit klaren politischen Vereinbarungen auf internationaler Ebene vertreiben. Ziel muss es sein, die privatwirtschaftlichen, kommerziellen Initiativen neben den staatlichen, speziell den geplanten militärischen Netzen sicher betreiben zu können. Dies verlangt nach international abgestimmten Verkehrsregeln und nach Etablierung einer weltweiten Space Situational Awareness-Infrastruktur, die für Transparenz und Zusammenarbeit sorgt. Eine solche Grundlage hätte schlussendlich eine positive Auswirkung auf Rüstungskontrollbemühungen – und damit auch auf die Raumfahrtökonomie am Standort Deutschland.



Die deutsche Rolle

Auf internationaler Ebene nimmt Deutschland üblicherweise eine Vermittlerrolle ein. Auf europäischer Ebene ist Deutschland zudem größter Beitragszahler der Europäischen Raumfahrtagentur (ESA). Auch national lassen sich einige Initiativen erkennen, wie die Förderung von Raumfahrt-Start-ups oder das Aufziehen einer Responsive Space-Initiative, um mehr Resilienz und Agilität im Weltall umzusetzen. Mit der Einrichtung des Weltraumkommandos ist auch bei der Bundeswehr eine positive Entwicklung zu verzeichnen.



Abgesehen von diesen Aktivitäten existieren aber auch einige nennenswerte Defizite. So stammt die letzte nationale Raumfahrtstrategie aus dem Jahr 2010 und entspricht längst nicht mehr dem Zeitgeist. Dies offenbart vor allem eine mangelnde raumfahrtpolitische Vision. Auch fehlen bislang die Fähigkeit und der politische Wille, zivile und militärische Raumfahrtkapazitäten auf verschiedenen Ebenen miteinander zu verbinden. Synergiepotenziale bleiben damit ungenutzt.



Nachdem sich Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten schwergetan hat, eine nationale Weltraumpolitik zu diskutieren und sich auf eine zukunfts­orientierte Strategie festzulegen, kommt die neue Bundesregierung nicht mehr umhin, sich des Themas anzunehmen. Auf dem internationalen Parkett wird eine nationale Positionsbestimmung nur tragen, wenn sie sich in das neue Regelwerk für den Wirtschaftsraum „Weltraum“ einpassen lässt. Die Ausgangslage ist, wie gezeigt, technologisch initiiert und wirtschaftlich getrieben – aber ohne einen umfassenden politischen Rahmen ist sie nicht zukunftssicher. Der Weltraum ist ein Feld, auf dem umwelt-, sicherheits-, finanz-, ­agrar- und außenpolitische Auf­gaben bearbeitet werden. Satellitengestützte Dienste sind, zivil wie hoheitlich, auch für eine nachhaltige deutsche Politik unentbehrlich geworden.        



Klaus Peter Ludwig ist Managing Partner der Beratung Craftwerk-Consult. Er verfügt über langjährige Erfahrung im europäischen Hochtechnologie-, Luft- und Raumfahrtsektor.

Sonay Sarac ist Friedens- und Konfliktforscher. Seit 2017 ist er bei der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt e.V. als Experte für Weltraumsicherheit und Verteidigung tätig.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März/April 2022, S. 36-40

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