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01. Aug. 2005

Wie Deutschland Nahost verdorben hat

Buchkritik

Das deutsche kulturelle Interesse am Nahen Osten, bis hin zur regelrechten Faszination, war seit dem 18. Jahrhundert beträchtlich. Alle Geschmäcker konnten sich bedienen, von Goethe über Friedrich Rückert bis Karl May. Doch im deutschen außenpolitischen Denken spielte jene Region eine bescheidene Rolle. Zwar war die Türkei zumeist ein Verbündeter, und Wilhelm II. bereiste Palästina 1898 (wie vor ihm auch Franz Joseph von Österreich-Ungarn). Der Bau der Bagdadbahn erregte in den französischen und britischen Außenministerien Besorgnis. Doch im Großen und Ganzen hielt man sich an Bismarcks Diktum zur orientalischen Frage: diese sei keinen Knochen eines einzigen preußischen Grenadiers wert.

Die geographische Distanz war groß. Erdöl wurde seit den dreißiger Jahren wichtig, jedoch war der Bedarf bei weitem nicht so enorm wie heute. Die riesigen Erdölfelder am Persischen Golf waren noch nicht entdeckt. Weithin dachte man, dass Rumänien diesen Bedarf in Krieg und Frieden decken könnte. Und das Osmanische Reich war ein Verbündeter oder zumindest ein freundlicher Neutraler, was die deutsche Handlungsfreiheit in der Region einschränkte.

Die Tatsache, dass Franz von Papen, alles andere als eine politische Schlüsselfigur, Botschafter in Ankara im Zweiten Weltkrieg war, deutet darauf hin, dass niemand in Berlin diese Region als Feld von besonderer politischer Wichtigkeit oder gar als einen Ausgangspunkt kühner politischer Initiativen angesehen hat. Der Warenaustausch mit Ländern wie der Türkei und dem Iran war dagegen erheblich: In den dreißiger Jahren kamen fast die Hälfte aller iranischen Importe aus Deutschland – auch wenn diese Handelsbeziehungen in absoluten Zahlen natürlich geringer ausfielen als der Handel mit europäischen Nachbarn. Zumeist verfolgte Deutschland (wie Wolfgang G. Schwanitz in seiner einleitenden Übersicht darstellt) darum eine Politik, die den Status quo erhalten sollte.

Die Region wurde aber auch als so etwas wie der weiche Unterleib des Britischen Empires angesehen, als Brücke nach Indien. Diese britische Position zu schwächen, ob nun in Afghanistan im Ersten und Zweiten Weltkrieg oder im Irak 1940/41, erhielt außenpolitisch zunehmend größere Bedeutung. Diese Entwicklungen erhellen die Beiträge von Hans-Ulrich Seidt über deutsche Destabilisierungsversuche nach dem Ersten Weltkrieg, von Thomas Hughes über die deutsche Mission nach Afghanistan im Ersten Weltkrieg und von Schwanitz über die Aktivitäten des Gesandten Fritz Grobba in Bagdad 1940/41. Sie alle schöpfen aus bislang unveröffentlichten Unterlagen und werfen ein neues Licht auf Entwicklungen, die bislang nicht hinreichend bekannt waren. Nach seiner Rückkehr aus der sowjetischen Gefangenschaft im Jahre 1955 hat Fritz Grobba einen ausführlichen Bericht über seine Aktivitäten geschrieben, genauso wie die Generäle Walter Warlimont und Hellmuth Felmy.

Wie die britische und die französische Mittelost-Politik durch akademische Experten unterstützt wurde, durch Historiker, Archäologen und Anthropologen, so war das auch in Deutschland der Fall, dessen Orientalistik zu jener Zeit weltweit führend war. Einige dieser Experten wie Max von Oppenheim hatten eine abenteuerliche Ader. Oppenheim spielte eine entscheidende Rolle dabei, einen (antibritischen) Dschihad auszurufen. Daran war die weitaus übertriebene Hoffnung geknüpft, dass so Indien in Aufruhr versetzt werden könnte. General Niedermayer, der im Ersten Weltkrieg die militärische Delegation nach Afghanistan leitete (und im Zweiten Weltkrieg eine Delegation in die UdSSR), war zugleich Professor – damals in jedem Land, nicht nur in Deutschland, eine seltene Kombination. John Buchans bekannter Thriller „Greenmantle“, der den fiktiven deutschen Versuch beschreibt, einen „heiligen Krieg“ gegen Großbritannien im islamischen Orient auszulösen, hatte also eine wirkliche Grundlage.

Ein weiterer Autor des besprochenen Bandes, Uwe Pfullmann, behandelt die deutschen Beziehungen zu Saudi-Arabien in den dreißiger Jahren. Dieses Thema ist lange Zeit sehr vernachlässigt worden. In diesem Zusammenhang findet Leopold Weiss (Mohammed Assad) Erwähnung: ein Wiener Journalist jüdischer Herkunft, der zum Islam konvertierte und ein einflussreicher islamischer Theologe wurde. Diese schillernde Figur hat in jüngster Zeit einiges Interesse erfahren, sogar eine Biographie liegt mittlerweile vor. Aber Weiss-Assad hat, anders als Pfullmann schreibt, natürlich nicht für die Frankfurter Allgemeine Zeitung gearbeitet – die gab es damals noch gar nicht; und außerdem, eine weitere Ungenauigkeit Pfullmanns, verließ er Pakistan, das er eine Zeit lang bei den Vereinten Nationen vertreten hatte, lange vor seinem Tod.

Der wohl interessanteste, aber auch kontroverseste Beitrag, betitelt „Im Schatten des Mondes“, stammt von dem im Jahr 2003 verstorbenen Gerhard Höpp. Er fragt, warum man so intensiv die Kollaboration arabischer Politiker mit Nazi-Deutschland behandelt hat, während arabische Opfer der Nazis keine Aufmerksamkeit gefunden haben. Doch an akademischen Arbeiten über diese Kollaboration lag lange kaum etwas vor, denn das relevante Quellenmaterial ist erst in jüngster Zeit zugänglich gemacht worden. Was die vergessenen Opfer betrifft, so gelangt Höpp auf der Grundlage seiner Forschungen zu der Schlussfolgerung, dass ungefähr 1500 Araber in Konzentrationslagern waren. Es trifft zu, dass nationalsozialistische Quellen über KZ-Häftlinge „islamischen Glaubens“ berichten; unter ihnen befanden sich fünf Ägypter, vier Iraker, vier Palästinenser, ein Syrer und ein Libanese. Der Rest aber, also die überwältigende Mehrheit, waren Einwohner oder Bürger Frankreichs, die aus Nordafrika stammten, jedoch keine Araber.

Warum wurden sie in Konzentrationslager verschleppt? Eine statistische Aufschlüsselung liegt nicht vor. Aber es scheint, dass sich viele freiwillig zur Arbeit in Deutschland oder Frankreich gemeldet haben. Andere wurden zwangsweise eingezogen (für die Organisation Todt), wie Hunderttausende von Zwangsarbeitern. Als Reaktion auf die Arbeitsbedingungen, die Bezahlung und ihre Behandlung sind sie dann geflohen und wurden darum verfolgt. Andere wiederum waren politische Gefangene. Laut Höpp standen sie in Verbindung mit dem französischen Widerstand. Doch in diesem Fall sollten ihre Namen in den Annalen des französischen Widerstands erscheinen. Aber bis auf wenige Ausnahmen ist dies nicht der Fall. Alles in allem bleiben die Gründe für ihre Gefangennahme also etwas rätselhaft.

Wie viele von ihnen haben überlebt? Wiederum gibt es keine Statistiken. Jedoch ausgehend von der Tatsache, dass die meisten von ihnen in Konzentrationslager und nicht in Vernichtungslager geschickt worden waren (eine Unterscheidung, die Höpp hätte ein wenig deutlicher machen können), gibt es Grund für die Annahme, dass viele von ihnen überlebt haben, möglicherweise die Mehrheit. Der Versuch, die Aufmerksamkeit auf diese Opfer nationalsozialistischer Verfolgung zu lenken, ist verdienstvoll, und er hat auch viel Publizität durch den TV-Sender Al-Dschasira erhalten. Dies wäre jedoch noch viel überzeugender ausgefallen, wenn der Autor etwas genauer im Hinblick auf die Identität der Opfer gewesen wäre.

Ob all das zu einer Revision der üblichen Ansichten über die deutsch-arabischen Beziehungen zwischen 1933 und 1945 führen wird, wie Höpp zu glauben schien, ist eine andere Frage. Die Sympathien für die Achsenmächte, die arabische Nationalisten in den dreißiger und vierziger Jahren hegten, waren in vielerlei Hinsicht nur zu natürlich. Sie gründeten sich auf die Annahme, dass der Feind ihrer Feinde (Briten und Juden) auch ihr politischer Freund sein müsste. Wer darum nach antifaschistischen Haltungen (ganz zu schweigen von Aktivitäten) unter diesen Bedingungen sucht, hat noch viel Arbeit vor sich. Alles in allem ist dieser Band ein wertvoller Beitrag zu unserem Wissen über die deutsche Außenpolitik und den Mittleren Osten.

Wolfgang G. Schwanitz (Hrsg.): Germany and the Middle East, 1871–1945. Vervuert Verlag, Frankfurt/Madrid 2004. 268 Seiten, € 75.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 8, August 2005, S. 130 - 132

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