Wenn die Guten Böses tun
Wie Hollywood Amerikas Anti-Terror-Debatte beeinflusst
Mit welchen Methoden darf sich ein Rechtsstaat gegen den Terror wehren? Ist es legitim, einem Verdächtigen Schmerz zuzufügen, damit er sein Wissen über geplante Anschläge preisgibt? Fragen wie diese werden in Amerika seit 9/11 diskutiert. Die Folie dafür bilden mangels allgemein zugänglicher Informationen häufig Kinofilme oder TV-Serien.
Was Amerika seit dem 11. September in seinem Abwehrkampf gegen den Terror unternommen hat und vor welchen Schritten man letztlich zurückschreckte – darüber ist die Öffentlichkeit nicht so genau informiert. Jene, die die Fakten kennen, schweigen zumeist. Sie unterliegen Geheimhaltungsvorschriften. Und wenn doch mal einige reden, kann man dann sicher sein, dass sie die Wahrheit sagen?
So sind es vor allem Kinofilme wie „Zero Dark Thirty“ über die jahrelange Suche nach Osama Bin Laden und Fernsehserien wie „24“ über die fiktive Anti-Terror-Einheit CTU, die die Vorstellungen der amerikanischen Öffentlichkeit prägen, welcher Methoden sich die einschlägigen Dienste in der Vergangenheit bedient haben und welche sie heute benutzen. Das ist das Faszinierende und zugleich Gefährliche an Bildern: Sie suggerieren die Abbildung der Wirklichkeit, selbst wenn ihre Schöpfer gar nicht behaupten, die Realität zu dokumentieren. Diese filmischen Darstellungen sind nicht zimperlich. Sie verbreiten keineswegs den Eindruck, dass die USA unter gar keinen Umständen foltern. Sie wecken vielmehr Verständnis, dass man manchmal auch Verbotenes tut.
Tragische Helden
Hat Amerika mit seiner Antwort auf 9/11 überreagiert? Falls ja, dann wäre das bis zu einem gewissen Grad durchaus nachvollziehbar, ruft man sich die Stimmung und die Ängste in den Tagen und Wochen nach dem Angriff auf New York und Washington am 11. September 2001 in Erinnerung.
Wenig später begann der Krieg in Afghanistan zum Sturz des Taliban-Regimes, das der Terrororganisation Al-Kaida Unterschlupf gewährt hatte. Bald bekamen die USA die ersten Verdächtigen in die Hand und brachten sie zum Verhör nach Guantánamo, um sie auf dem Stützpunkt der US-Navy an der Südostküste Kubas ungestört verhören zu können. Welche Methoden dabei benutzt wurden, ist umstritten. Über Guantánamo und das Schicksal seiner Insassen gibt es keine populären Filme oder Serien. Wer will sich schon mit ihnen identifizieren?
Anders ist das bei Protagonisten wie den amerikanischen Helden, die sich aufopfern, um neue Angriffe auf die USA abzuwehren. Die Regisseure inszenieren sie als tragische Vorbilder: Wenn sie bei ihrer Arbeit Gesetze brechen, stellen sie es so dar, als nähmen diese Menschen den Makel heroisch auf sich, um andere Amerikaner zu schützen. Etwa in der Serie „24“. Oder bei der Suche nach Informationen über den Verbleib des Topterroristen Osama Bin Laden und der Spezialoperation zu seiner Ergreifung im Mai 2011 in Abbottabad, Pakistan.
Der Film „Zero Dark Thirty“ hat eine breite Debatte über den Einsatz von Folter beim Verhör von Terrorverdächtigen ausgelöst. Der Verlauf dieser Debatte zeigt, wie kompliziert und zuweilen widersprüchlich die Interessen der Beteiligten im Umgang mit „harten Verhörmethoden“ im Film und in der Politik sind. Ein unbedarfter Beobachter hätte vermuten dürfen, eine als „links“ geltende Regisseurin wie Kathryn Bigelow lehne Folter ab. Zumindest sollte man meinen, dass jemand wie Bigelow peinlich darauf achten würde, den Eindruck zu vermeiden, Verständnis etwa für das „Waterboarding“ zu wecken – eine Verhörmethode, bei der man dem Verdächtigen ein Tuch über Mund und Nase legt, das beständig mit Wasser übergossen wird. So wird ihm ein Gefühl des Ertrinkens suggeriert.
Umgekehrt hätte man von CIA-Leuten, die an Verhören in den Geheimgefängnissen beteiligt waren, plausiblerweise erwartet, dass sie ihre Arbeit dort mit vermeintlichen Erfolgen rechtfertigen: mit Erkenntnissen, die nach ihrer Darstellung halfen, neuen Terror zu verhindern, und die nur durch hohen physischen Druck auf Gefangene zu erreichen waren.
Doch in der Realität verlaufen die medialen Fronten anders. Was auch immer die Absichten Bigelows und ihres Drehbuchautors Mark Boal waren – sie äußern sich dazu widersprüchlich. Die öffentliche Wahrnehmung ist ziemlich eindeutig: Wer den Film sieht, muss zu dem Schluss kommen, Waterboarding und andere Misshandlungen hätten entscheidend dazu beigetragen, Bin Laden auf die Spur zu kommen. Experten und Politiker, die über Insiderinformationen verfügen, sagen jedoch ganz überwiegend, das sei falsch, der Film verbreite ein irreführendes Bild über den Wert von unter Folter erpressten Aussagen.
Zittern und Leiden
„Zero Dark Thirty“ beginnt mit einer Zeitreise. Noch ist die Leinwand dunkel. Notrufe aus den brennenden Türmen des World Trade Center füllen den Raum, dazu Abschiedsbotschaften aus den Flugzeugen, deren Passagiere allmählich begreifen, dass ihre Reise in den Tod führt. Dann sind die Zuschauer in einer der berüchtigten „Black Sites“: einem Geheimgefängnis, in dem die CIA Terrorverdächtige verhörte, um Hinweise auf weitere Anschlagspläne zu erhalten und der Spitze des Terrornetzwerks Al-Kaida auf die Spur zu kommen.
Quälend lange ziehen sich die Misshandlungen hin: Schläge, Waterboarding, schmerzhafte Körperstellungen in einer engen Kiste, Schlafentzug. Ein Mann mit geschwollenem Gesicht hängt an zwei Seilen, die über Umlenkrollen an der Decke führen und seine Arme nach oben reißen. Nur so wird er auf den Beinen gehalten. Bedrückend lange dauert es, bis er redet. Bedrückend lange, weil Regisseurin Kathryn Bigelow die Zuschauer mit den CIA-Leuten zittern lässt, die Informationen brauchen, um Terrorakte zu verhindern, sie aber auch mitleiden lässt, wie da ein Mensch gebrochen wird.
Zwangsläufig schließen Kinobesucher daraus, nur dank der durch Folter erzwungenen Informationen habe die Suche nach Bin Laden Erfolg gehabt. Die entscheidende Spur zu seinem Haus ergab sich aus der Beobachtung des Kuriers Abu Ahmed al-Kuwaiti, der die Botschaften zwischen Bin Laden und Al-Kaida hin- und hertransportierte. Der Film erzählt dies aus der Perspektive von Maya, einer jungen CIA-Agentin, die diese Spur wie eine Besessene verfolgt. Und im Kino sieht es so aus, als sei der entscheidende Hinweis auf den Kurier dem Waterboarding zu verdanken.
Kathryn Bigelow und Mark Bloat betonen zwar gerne, dass ihre Darstellung auf unzähligen Interviews mit Insidern beruhe, also quasi dokumentarischen Charakter habe. Die Experten sind sich jedoch einig, dass sie sich bei den Folterszenen große künstlerische Freiheiten erlaubt haben. Drei prominente Senatoren mit Zugang zu Geheimakten, die Demokraten Dianne Feinstein und Carl Levin sowie der Republikaner John McCain, protestierten in einem gemeinsamen Brief, der Film sei insofern „grob verfälschend und irreführend“, als er „suggeriert, dass Folter dazu beigetragen habe, Informationen zu erhalten, die zur Lokalisierung Osama Bin Ladens führten“. Auch Michael Morell, Interimschef der CIA, erklärte: „Das ist falsch.“
Der CIA-Mann José Rodriguez, der das Verhörprogramm leitete, stellte ganz grundsätzlich in Frage, dass Bigelow und Bloat die Abläufe und Zusammenhänge korrekt dokumentiert hätten. Die ersten Hinweise auf al-Kuwaiti habe ein Gefangener gegeben, der kein Waterboarding erlebt hatte. Überhaupt sei Waterboarding nur bei ganz wenigen Personen angewendet und 2003 eingestellt worden. Khalid Sheik al-Mohammed, an dem die CIA Waterboarding erprobt hatte, habe lediglich eine indirekte Bestätigung der bedeutenden Rolle al-Kuwaitis geliefert: Aus der Hartnäckigkeit, mit der er leugnete, al-Kuwaiti zu kennen, leitete die CIA die Vermutung ab, dass dieser Mann wichtig sein müsse.
Insider kritisieren eine Reihe falscher Darstellungen im Film. Das tatsächliche Waterboarding sei mit kleinen Wasserflaschen und nicht wie in der Kinoversion mit Eimern vollzogen worden. Die Szene mit den Seilen an der Decke sei erfunden. Eine andere, in der der Gefangene an einem Hundehalsband herumgeführt wird, stamme aus dem Gefängnis Abu Ghraib im Irak, nicht aus einem CIA-Gefängnis.
Drehbuchautor Boal sagt zu dieser Fundamentalkritik, „Zero Dark Thirty“ sei ein Kinofilm, keine Dokumentation. Kolumnisten spotteten darauf, ein solches Doppelspiel sei nur in Hollywood möglich: Der Film werde mit der Behauptung beworben, er basiere auf realitätsgetreuen Insiderinformationen. Die falsche Darstellung der Rolle von Folter werde dann aber mit der künstlerischen Freiheit verteidigt. Über die Motive dieser Dehnung der historischen Fakten kann man nur spekulieren. War die Kontroverse als gezielte PR-Maßnahme geplant? Dem Erfolg an den Kinokassen hat die Kontroverse jedenfalls genutzt – und ebenso bei der Nominierung für die Oscars.
Ziemlich unverfroren
Keine Frage: Der Mehrheit der Amerikaner bereitet die Frage, ob die Geheimdienste ihres Landes im Kampf gegen den Terror gefoltert haben, keine schlaflosen Nächte. Auch die Zweifel an der Rechtmäßigkeit Guantánamos bewegen bestenfalls eine Minderheit in den USA. Welcher Amerikaner hat schon Verwandte dort oder aus anderen Gründen Mitgefühl für die Insassen, die dort seit Jahren ohne ein rechtlich einwandfreies Verfahren weggesperrt werden?
Solche moralischen und rechtsstaatlichen Bedenken schiebt die Fernsehserie „24“ ziemlich unverfroren beiseite. Jack Bauer, die Hauptfigur der Spezialeinheit CTU, bricht ständig die Gesetze. Der Rechtsbruch führt oft nicht einmal zum gewünschten Ziel. Und doch lassen Drehbuch und Regie keinen Zweifel daran, dass Bauer zu den Guten gehört. Immer wieder stehen der fiktive Präsident David Palmer – auch in der Serie ein Afroamerikaner – und die CTU vor der Wahl, viele unschuldige Zivilisten sterben zu lassen oder die Grundrechte einiger weniger Böser zu ignorieren.
Dabei wird in einer Weise zugespitzt, wie das im Alltag fast nie vorkomme, kritisieren die Experten. Natürlich darf das einprägsamste Beispiel aus der Theorie, das „ticking bomb scenario“, nicht fehlen. Und ebenso selbstverständlich werden potenzielle Mitwisser malträtiert, damit man den Zeitzünder der Bombe vielleicht noch rechtzeitig entschärfen kann.
Die Folterszenen sind häufig, die Spielarten vielfältig, und meist geben die Gemarterten die Informationen dann auch preis. Das moralische Dilemma wird in der Serie durchaus gezeigt. Aber da am Ende regelmäßig dem Rechtsbruch der Vorzug gegeben wird, werden Zuschauer die entsprechenden Schlüsse ziehen: Die Methoden sind zwar verboten, aber nutzen muss man sie eben doch – zumal es ja immer um ein lobenswertes Motiv geht, die Rettung von Menschenleben.
Die Serie „24“ hat noch weit schärfere Kritik als „Zero Dark Thirty“ auf sich gezogen. Der Dekan der Militärakademie West Point, General Patrick Finnegan, bemängelte, sie propagiere unethisches und illegales Verhalten und liefere US-Rekruten ein falsches Vorbild. CIA-Vernehmer bewerteten die dargestellten Methoden und Effekte von Folter als irreführend.
In Wahrheit führten sie meist nicht zum Erfolg, auch die Zuverlässigkeit erpresster Aussagen sei zweifelhaft. Außerdem schade die Serie dem Ansehen der USA, weil sie es so darstelle, als gehöre das Quälen von Menschen zum Alltag in amerikanischer Haft. So vermitteln die Filme den Bürgern ein falsches Bild vom Abwehrkampf ihres Landes. Mehr noch: Sie setzen schleichend einen Standard, was in der Terrorabwehr als akzeptabel gelten dürfe, selbst wenn es verboten ist.
Und das hat auch damit zu tun, dass die Experten, die es besser wissen können, unter Geheimhaltungspflicht stehen oder gar kein Interesse daran haben, dass die falschen Eindrücke korrigiert werden. Das führt dazu, dass die Mehrheit der Bevölkerung die Methoden nicht hinterfragt oder sie sogar ausdrücklich billigt – frei nach dem Motto: Wir sind weiter bedroht, da muss man sich wehren und die Mittel anwenden, die zum Erfolg führen.
Eines hat „Zero Dark Thirty“ immerhin erreicht: Amerika diskutiert noch einmal über Erfolge und Fehler der Terrorabwehr nach 9/11. Diese Kontroverse wird mit verqueren Fronten ausgetragen. Üblicherweise werfen Republikaner Hollywood vor, mit Filmen und Geld die Demokraten zu unterstützen. Ursprünglich sollte „Zero Dark Thirty“ vor der Wahl 2012 erscheinen – was den Argwohn weckte, er sei als Wahlhilfe für Barack Obama gedacht. Nun sagen Konservative, der Film belege den Nutzen von Folter. Die Sachwalter der Geheimdienstinteressen beklagen gewöhnlich, dass politische Auflagen ihre Arbeit behindern. Hier bemängeln sie, Boal und Bigelow hätten die harten Verhörmethoden übertrieben. Ein Streit, der seinerseits hollywoodreif ist.
Christoph von Marschall ist USA und White-House-Korrespondent des Tagesspiegel. Kürzlich erschien von ihm „Der neue Obama. Was von der zweiten Amtszeit zu erwarten ist“.
Internationale Politik 2, März/April 2013, S. 115-119