Die Republikaner
Fünf Thesen auf dem Prüfstand
Steht Amerika vor einem Machtwechsel, weil Barack Obama angesichts der anhaltenden Wirtschaftskrise wohl kaum wiedergewählt wird? Wird ein Rechtspopulist Präsident, weil im republikanischen Lager die Tea Party die Kontrolle übernommen hat? Droht Isolationismus oder zumindest Desinteresse an Europa? Nicht so schnell.
» Die Republikaner profitieren von Obamas sinkender Beliebtheit in der Wirtschaftskrise und gewinnen die Wahl «
Das ist falsch. Bisher schlägt sich der Ansehensverfall des Präsidenten nicht in wachsendem Zuspruch für die Republikaner nieder. Nach einer Faustregel, die sich über die Jahre bewährt hat, ist der Prozentsatz der Bürger, die den Kongress positiv bewerten, gut halb so hoch wie der Prozentsatz der Unterstützung für den Präsidenten. Als Obama im Januar 2009 ins Amt kam, genoss er 65 Prozent Zustimmung, das Parlament 31 Prozent. Kurz vor dem Wahljahr 2012 liegt sein Ansehen bei 43 Prozent, das des nun republikanisch dominierten Kongresses ist aber auf 13 Prozent abgesackt. Das ist die Strafe für die Blockade der Obama-Politik im Kongress. Der Eindruck, dass die politische Klasse nichts zustande bringt, schadet gewiss auch dem Präsidenten, denn er ist die wichtigste Figur auf der Bühne. Der Eindruck eines „Do Nothing Congress“ beschädigt die Republikaner jedoch noch mehr. Auch in den Umfragen zur Beliebtheit der beiden Lager liegen die Demokraten wieder stabil mit ein bis drei Prozentpunkten vor den Republikanern.
Schaut man allein auf die Umfragewerte Obamas, müsste man ihn abschreiben. Der Anteil derer, die ihn und seine Politik ablehnen, liegt kontinuierlich über 50 Prozent. In der Kernfrage, ob das Land auf dem richtigen Kurs ist, meinen gar drei Viertel der Bürger, Amerika bewege sich in die falsche Richtung. Mit solchen Werten gewinnt man normalerweise keine zweite Amtszeit. Doch 2012 wird kein normales Wahljahr. Die Bürger sind wegen der anhaltenden Wirtschaftskrise und der hohen Arbeitslosigkeit zornig – auf alle und jeden, nicht nur auf den Präsidenten. Die Wahl 2012 wird sich nicht daran entscheiden, welches Lager und welcher Kandidat die größere Zustimmung, sondern wer die schärfere Ablehnung auf sich zieht. Deshalb hat Obama durchaus Chancen auf eine Wiederwahl.
Der Vorwahlkampf der Republikaner hat das Misstrauen gegenüber dem konservativen Lager erhöht. Die Siegesgewissheit der Rechten, die vor einem Jahr noch zu spüren war, ist im Lauf der vergangenen Monate geschwunden. 2011 haben es vier Bewerber in den Meinungsumfragen nach oben geschafft: Im Frühjahr war es Immobilienhai Donald Trump, im Frühsommer die Tea-Party-Heldin Michele Bachmann, Mitte August Texas-Gouverneur Rick Perry, Ende September der Ex-Manager von „Godfathers Pizza“, Herman Cain. Alle stürzten wieder ab, als ihre Schwächen offenkundig wurden. Einen Kandidaten hätten die Republikaner, der Obama laut Umfragen besiegen könnte: Mitt Romney. Aber der Basis ist er nicht konservativ genug und bei identitätsstiftenden Fragen wie Abtreibung, Homo-Ehe oder Waffenrecht gilt er vielen Republikanern als „Flip-Flopper“, der opportunistisch seine Meinung ändert. Außerdem ist er Mormone. Offen wird dieser Vorbehalt nicht geäußert, unterschwellig aber ist er zu spüren. Nachdem die ersten vier Hoffnungsträger für zu leicht befunden worden waren, wendeten sich die Sympathien immer noch nicht Romney zu, sondern Newt Gingrich – trotz seiner vielen Schwachpunkte, darunter eine Neigung zu überzogener Polemik.
» Die Republikaner sind in erster Linie die Steuersenkungslobby der Reichen «
Das ist nur die halbe Wahrheit. Wichtiger für US-Bürger ist der Eindruck, dass die Republikaner glaubwürdiger für Haushaltsdisziplin eintreten als die Demokraten. In beiden Fragen – Steuer- und Haushaltspolitik – reagieren Amerikaner im Konfliktfall anders als Deutsche. Wenn Einnahmen und Ausgaben des Staates zu weit auseinanderklaffen, entscheidet sich die Mehrheit in den USA für Kürzungen bei staatlichen Leistungen und gegen Steuererhöhungen. In US-Umfragen lehnt ein hoher Prozentsatz höhere Steuern für die Reichen ab, oft ist es sogar die Mehrheit. Bei den Deutschen ist es tendenziell umgekehrt.
Das wahre Problem Amerikas ist das Missverhältnis zwischen Einnahmen und Ausgaben. Die US-Regierung hat in den vergangenen Jahren im Schnitt 3,7 Billionen Dollar ausgegeben. Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat die Steuereinnahmen jedoch auf rund 2,5 Billionen Dollar sinken lassen. Ein Drittel der laufenden Ausgaben wird auf Pump finanziert. Die Verschuldung steigt rasch. Im Herbst 2011 überschritt sie die Grenze von 15 Billionen Dollar, mehr als 100 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Damit sind die USA im Verhältnis zu ihrem Bruttoinlands-produkt (BIP) höher verschuldet als die Euro-Zone.
Die Bürger wollen, dass die Politik diese gefährliche Dynamik stoppt. Mit Blick auf das Wahljahr können sich Republikaner und Demokraten aber nicht einigen und verkünden ideologisch motivierte Versprechen, die gleichermaßen unhaltbar sind. Offiziell wollen die Republikaner das Problem fast ausschließlich durch Ausgabenkürzung lösen und verweigern höhere Steuersätze. Die Demokraten propagieren höhere Steuern für die Reichen und wollen Einschnitte im Sozialsystem vermeiden.
In Wahrheit wissen alle Beteiligten, dass es nur mit einer Mischung aus all diesen Maßnahmen geht. Allein die drei größten Ausgabenblöcke – Grundrente (Social Security), staatliche Gesundheitsversorgung der Senioren (Medicare) und Militär – summieren sich auf rund 2,5 Billionen Dollar im Jahr. Wer auch immer die Wahl 2012 gewinnt, wird die Steuersätze erhöhen müssen – aber nicht nur für die oberste Steuerklasse, weil das zu wenig Masse bringt. Dazu sind spürbare Einschnitte in allen Bereichen, auch beim Militär, nötig. Und die Sozialsysteme müssen an die demografische Entwicklung angepasst werden. Die Dynamik, die sich aus der Alterung der Gesellschaft, der wachsenden Lebenserwartung, steigenden medizinischen Kosten und zurückgehenden Geburtenraten ergibt, ist auch in den USA zu spüren, freilich dank der Einwanderung nicht so stark wie in Deutschland.
Parallel dazu bereitet es den Republikanern Sorgen, dass die Gegensätze in der Einkommensentwicklung zum Streitthema werden. Die Reichen werden immer reicher, die Ärmeren immer ärmer, und die Mittelklasse muss seit mehr als einem Jahrzehnt mit sinkenden Haushaltseinkommen zurechtkommen. Früher gab es den in Kontinentaleuropa so verbreiteten Sozialneid in den USA kaum. In der Ära zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Ende der neunziger Jahre wuchsen Haushaltseinkommen und Konsummöglichkeiten kontinuierlich, meist um einen zweistelligen Prozentsatz pro Jahrzehnt. Das ist nun anders. Mehr als die Hälfte der Amerikaner glaubt, dass die Generationen ihrer Kinder und Enkel den gewohnten Lebensstandard nicht werden halten können. Neuerdings warnen Republikaner wie Paul Ryan, die sonst als Sparmeister auftreten, vor dem politischen Schaden, sollte ihre Partei als sozial kalt wahrgenommen werden.
Die Verhandlungen zwischen den Lagern im Kongress über Schuldenreduzierung und Budgetsanierung sind 2011 offiziell gescheitert. Doch in Gesprächen hinter verschlossenen Türen sind die Delegierten längst von den Wahlkampfpositionen abgerückt. Einige Republikaner wollen höhere Steuereinnahmen (zunächst nur durch Streichung von Abschreibungsmöglichkeiten) akzeptieren. Viele Demokraten lenken bei der Reform der Sozialsysteme ein. Ernsthaft werden sie erst nach der Wahl daran arbeiten. Die Regeln der Mathematik sind am Ende stärker als die Ideologie.
» Die Tea Party hat die Macht in der Republikanischen Partei übernommen und bestimmt ihren Kurs «
Das ist schon wieder Geschichte. Selbst auf dem Höhepunkt des Einflusses der Tea Party in der zweiten Jahreshälfte 2010 und den ersten Monaten 2011 hat das nur phasenweise und begrenzt auf Einzelthemen oder einzelne Wahlkreise gegolten. Von ehemaligen Führungsfiguren wie Sarah Palin oder dem TV-Moderator Glenn Beck ist nur noch wenig zu hören. Michele Bachmann hat sich mit der Bewerbung um die Präsidentschaftskandidatur überhoben. Die republikanische Fraktion im Abgeordnetenhaus besteht derzeit zu einem Drittel aus Tea-Party-Anhängern. Sie haben in den Konflikten um die Schließung der Regierung im April und die Erhöhung der Schuldenobergrenze Ende Juli ihre Macht getestet, mussten aber am Ende nachgeben. Dem Ansehen der Republikaner hat die Tea Party insgesamt mehr geschadet als genutzt. Und es gibt Beispiele wie Senator Scott Brown aus Massachusetts: Er hatte bei der Nachwahl für den Sitz des verstorbenen Ted Kennedy im Januar 2010 überraschend gewonnen und damit den ersten großen Sieg der Bewegung errungen. Im Senat schlug er dann einen anderen Weg ein, als er für Obamas Reform der Bankenaufsicht stimmte.
Die Tea Party bleibt ein breites Sammelbecken diffuser Proteststimmungen, der ein klares Programm fehlt. Ihre Kraft liegt eher in der Verhinderung als in der Gestaltung. Einfluss ausüben kann sie durchaus, zum Beispiel wenn sie ihre Unterstützung und Wahlkampfhilfe bei der Kandidatenaufstellung der Republikaner in einem Wahlkreis ins Spiel bringt. Dann kann sie moderate Bewerber verhindern. Und weil jeder Amtsinhaber vermeiden möchte, von einem rechten Tea-Party-Kandidaten herausgefordert zu werden, wird er darauf achten, die Bewegung nicht gegen sich aufzubringen. So trägt sie zur Verschärfung der Gegensätze zwischen den Lagern bei. Sie treibt die Republikaner weiter nach rechts.
Mehrheitsfähig sind die meisten Anliegen der Tea Party jedoch nicht, ebenso wenig ist es ihre Rhetorik. Jedenfalls gilt das für die meisten Gegenden in den USA. Barack Obama könnte gar nichts Besseres passieren, als dass ein Tea-Party-Kandidat die Nominierung der Republikaner gewinnt. Oder als dritter Bewerber neben dem offiziellen Republikaner und Obama in der Hauptwahl antritt und die konservative Wählerschaft spaltet. Umso sicherer siegt Obama.
» Die Republikaner werden Obamas Reformen kassieren «
Das würden sie gerne. Aber die Macht dazu dürfte ihnen fehlen, denn sie müssten das Weiße Haus erobern. Bleibt Obama Präsident, kann er gegen neue Gesetze sein Veto einlegen. Die qualifizierte Mehrheit, um ein Veto zu überstimmen, werden die Republikaner nicht erreichen. Selbst wenn ein Republikaner Präsident wird, genügt auch das nicht, um die Reformen der Krankenversicherung und der Finanzaufsicht rückgängig zu machen. Die Revisionisten bräuchten zusätzlich eine breite Mehrheit im Kongress.
Vermutlich werden die Republikaner ihre Mehrheit im Abgeordnetenhaus verteidigen und dazu auch die Mehrheit im Senat gewinnen. Das liegt an der Struktur der 35 Senatssitze, die 2012 zur Wahl stehen. 25 davon haben derzeit Demokraten inne. Mehrere davon vertreten Staaten, die normalerweise konservativ wählen. 2006 hatten sie sich oft nur dank der Anti-Bush-Stimmung durchsetzen können. Wahrscheinlich gewinnen die Republikaner mindestens die vier Senatssitze hinzu, die sie für die Mehrheit brauchen. Doch selbst wenn sie im Abgeordnetenhaus und im Senat die Mehrheit haben, können sie nicht beliebig Gesetze verabschieden. Im Senat braucht man dafür de facto 60 von 100 Stimmen, um die Blockade durch „Filibustern“ zu überwinden. Diese 60 Sitze werden die Konservativen nicht erreichen. Und so wird die innere Blockade des Kongresses auch nach 2012 anhalten. Gesetz wird nur, worauf sich beide Lager als Kompromiss einigen können – also nur das, was für das Funktionieren des Staates unabdingbar ist.
» Die Republikaner streben einen Bruch mit Obamas Außenpolitik an «
Der Spielraum dafür ist eng begrenzt. Obama setzt nämlich im Wesentlichen die Außenpolitik seines Vorgängers Bush fort, obwohl er 2008 etwas anderes versprochen hatte. Seine Kursänderungen waren eher kosmetischer oder rhetorischer Natur. Auch das kann mitunter wichtig sein, zum Beispiel im Verhältnis zu Russland und China. Obama agiert da geschmeidiger als George W. Bush, besänftigt in Konflikten, statt sie verbal zu verschärfen. Bei der Terrorabwehr hat er seinen Vorgänger noch übertrumpft und deutlich mehr Angriffe mit unbemannten Drohnen befohlen, um Terrorverdächtige in Pakistan und im Jemen zu töten. Im Nahen Osten versuchte er eine Kurskorrektur: mehr Druck auf Israel, die Siedlungspolitik im Westjordanland und in Ost-Jerusalem zu beenden. Erreicht hat er wenig. Im Irak führt er den Abzug zu Ende, den Bush eingeleitet hatte. In Afghanistan kopierte er Bushs Erfolgsrezept aus dem Irak, den „Surge“. Er verstärkte die US-Truppen, um das Blatt zu wenden und dann die Verantwortung für die Sicherheit 2014 an die Einheimischen zu übergeben. Auch mit Blick auf den Iran sind die Unterschiede eher rhetorischer Natur. Weder George W. Bush noch Barack Obama haben einen Krieg gegen Teheran vorbereitet. Beide haben auf Diplomatie und Sanktionen gesetzt.
Und die Warnungen vor einem neuen Isolationismus? Amerika hat es mit dem Führen teurer Kriege im Ausland übertrieben und nimmt eine Korrektur vor: Es baut lieber Schulen in Ohio statt in Oruzgan und investiert lieber in Infrastruktur in Kansas als in Kerbala. Aber die Supermacht handelt, sobald eine Situation eintritt, die ihre Aufmerksamkeit verlangt wie in Ägypten oder Libyen. Washington zwang Mubarak mit Hilfe seiner Militärkontakte zum Rücktritt. Ohne US-Hilfe hätten Frankreich und Großbritannien ihren Einsatz in Libyen nicht durchhalten können. Der allmähliche Rückzug aus dem Irak und aus Afghanistan bedeutet Rückkehr zur Normalität, nicht den Schwenk in ein anderes Extrem. Die Republikaner haben im Übrigen in allen diesen Debatten gar nicht verlangt, Amerika solle weniger tun.
Ähnliches gilt für das Verhältnis zu Europa und Asien. Obamas Asien-Reise ist von manchen deutschen Kommentatoren völlig übertrieben als Abkehr von der atlantischen Partnerschaft und Wende zum Pazifik interpretiert worden. Ben Rhodes, Obamas Berater für außenpolitische Strategie, stellte auf meine Nachfrage klar, das US-Interesse in Asien sei Ausdruck eines „regionalpolitischen Ansatzes“ und gehe „nicht auf Kosten der Bedeutung Europas“ für Amerika. „Die Atlantische Allianz bleibt das Zentrum der US-Außenpolitik.“
Das kann auch gar nicht anders sein, wenn man die Größenordnungen der Kooperation Amerikas mit Europa und mit Asien vergleicht. Bei aller Faszination über Wachstumsraten in Asiens Boommärkten fließen die Investitionen hauptsächlich über den Atlantik. Drei Viertel der Auslands-investitionen in den USA stammen aus Europa. Umgekehrt fließen 56 Prozent der US-Auslandsinvestitionen in die EU. Allein in den Niederlanden investieren die USA mehr Geld als in China, Indien und Russland zusammengenommen. Vom Militär (NATO) über die Werteordnung bis zur Wirtschaft ist Amerikas Kooperation über den Pazifik geringfügig im Vergleich mit dem transatlantischen Riesen.
Dr. CHRISTOPH VON MARSCHALL ist USA-Korrespondent des Tagesspiegel. Im Januar 2012 erscheint sein Buch „Was ist mit den Amis los?“
Internationale Politik 1, Januar/ Februar 2012, S. 56-61