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01. März 2017

Wende auf Italienisch

Kaum ein europäisches Land ist so abhängig von Öl- und Gasimporten wie Italien. Finanzielle Anreize für Erneuerbare fuhr die Regierung Renzi aufgrund knapper Haushalte zurück. Die Hoffnungen, dass es mit dem energiepolitischen Wandel weitergeht, ruhen derzeit eher auf Innovationen im Kleinen. Und da passiert einiges.

Energiepolitik wird in Italien oft auf ganze eigene Art gemacht. Als im April ein Volksentscheid anstand, ob vor den italienischen Küsten zukünftig nur noch eingeschränkt nach Erdöl und -gas gebohrt werden sollte, nannte Regierungschef Matteo Renzi das Ganze „völligen Quatsch“; 11 000 Arbeitsplätze seien gefährdet. Verklausuliert rief er zur Enthaltung auf – und hatte Erfolg. Nur 31 Prozent der Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab, der Volksentscheid scheiterte, obwohl Umfragen eine Mehrheit für den Abschied von der Förderung fossiler Brennstoffe ergeben hatten. „Man redet nicht so wie in Deutschland über eine Energiewende“, erklärt Robert Scheid, Italien-Experte bei Germany Trade and Invest (GTAI), der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland für Außenwirtschaft und Standortmarketing. „Trotzdem vollzieht sie sich.“

Die Ausgangslage ist nicht einfach: Ohne die Einfuhr ausländischer Brennstoffe käme Italien buchstäblich zum Erliegen. Laut Eurostat rangiert Italien innerhalb der EU an siebtletzter Stelle, wenn es um die Abhängigkeit von Energieimporten geht. 138 Millionen Tonnen so genannter Rohöleinheiten importiert Italien – Erdgas fast ausschließlich aus den autoritär regierten Staaten Russland und Algerien; im Land selbst werden lediglich 37 Millionen Rohöleinheiten produziert – überwiegend in Form erneuerbarer Energien. Der von Renzi gewünschte Erhalt der 92 existierenden, oft veralteten Ölförderanlagen ist eher symbolischer Natur. Dabei war das Land zumindest bei der Stromversorgung lange praktisch autark. Bis in die sechziger Jahre hinein konnte es sich dank Wasserkraft selbst versorgen. Doch das Ausbaupotenzial ist heute gering, neue künstliche Stauseen kaum durchsetzbar. Mittlerweile liegt der Strombedarf bei 307 Terawattstunden (zum Vergleich: Deutschland braucht knapp 583 Terawattstunden); die Wasserkraft deckt aber nur noch 47 bis 59 Terawattstunden ab, je nachdem, wie trocken der Sommer ist.

Die Rückkehr der Erneuerbaren

Da Italien nie über nennenswerte Kohlevorkommen verfügte und sich nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 vom Atomstrom verabschiedete, setzte das Land in den vergangenen Jahrzehnten vor allem auf Gas – eine gute Voraussetzung für Erneuerbare. Denn Gaskraftwerke lassen sich schnell hoch und flexibel wieder herunterregeln – etwa, wenn sich eine große Wolkendecke über einem Solarpark auflöst. Gleiches gilt für Pumpspeicher, die wie große Wasserbatterien arbeiten. Kohle und Kernkraft sind wesentlich schwerfälliger.

Die Regierungen von Silvio Berlusconi und Romano Prodi verfolgten ambitioniertere Ausbaupläne für erneuerbare Energien; die Fotovoltaik erlebte dank großzügiger staatlicher Förderung einen regelrechten Boom. Zwischen 2010 und 2013 verzehnfachte sich die installierte Leistung. 2015 produzierten Italien mit 23 Terawattstunden und Deutschland mit 36 Terawattstunden zusammen fast 60 Prozent des gesamten europäischen Solarstroms. Unter Renzi wurde die Förderung dann zurückgefahren.

Ein Heimvorteil sind die Netzintegrationskosten, die laut einem Bericht der internationalen Erneuerbaren-Agentur Irena von 2014 in Italien extrem gering sind, da es immer noch Verbrauchsspitzen am Mittag gibt, die Solaranlagen ideal abdecken können. Die Durchschnittskosten für Dachanlagen liegen bei etwa 20 bis 30 Cent pro Kilowattstunde – was absolut wettbewerbsfähig ist.

Zudem gibt es in Italien das so genannte Net-Metering. Dabei wird der zu viel erzeugte Strom ins Netz gespeist und vom Stromzähler abgezogen, was einträglich für viele Kleinanlagenbesitzer ist – und in Deutschland nicht möglich. „Ansonsten orientiert sich Italien aber klar an Deutschland“, erklärt Robert Scheid von GTAI unter Verweis darauf, dass das Land eine recht ähnliche Entwicklung einschlage: erst gesicherte Einspeisetarife, später Konzentration auf Kleinanlagen und schließlich Versteigerungen von festgelegten Ausbaumengen. Letztere gibt es in Italien mittlerweile auch bei der Windenergie, die noch 2003 praktisch nicht existierte. Mittlerweile deckt sie rund 6 Prozent des Stromverbrauchs. Auch hier griffen großzügige Förderungen. Allerdings sind Windanlagen bei Italiens einflussreicher Tourismuslobby wenig beliebt und das Mittelmeer längst nicht so geeignet wie die Nordsee.

„Negawatt“ statt Megawatt

Die ambitionierte Förderung der Erneuerbaren führte auch zu Fehlentwicklungen. 2013 berichtete Europol, dass die Mafia in große Windparks investiere, um EU-Subventionen abzugreifen und eigene Gelder zu waschen. Auch die Gemeinden sahen eine Chance, ihre Kassen aufzufüllen, und verlangten Zahlungen der Anlagenbetreiber, etwa als Kompensation für die Veränderung des Landschaftsbilds oder für die Nutzung öffentlicher Wasserwege – eine mittlerweile rechtswidrige Praxis. Renzis Subventionsabbau verlangsamte nicht nur den Ausbau der Erneuerbaren (und entlastete die Haushalte), er schob auch vielen Missbrauchsmöglichkeiten einen Riegel vor. „Der Druck durch die hohen Staatsschulden war der Regierung zu stark“, erklärt Scheid.

Statt auf grüne Megawatt setzt sie nun auf „Negawatt“, auf das Stromsparen, das die Importe und damit auch die Kosten senken soll; zugleich soll der relative Anteil der Erneuerbaren steigen. Wie „Negawatt“ geht, führte die Città Sant’Angelo in der Provinz Pescara vor. Die Ortschaft mit 15 000 Einwohnern wollte ihre pittoreske historische Altstadt kostengünstiger in Szene setzen. 2015 beauftragte der Bürgermeister den Großkonzern Philips, 3600 vernetzte LED-Lampen zu verbauen. Das Smart-Lighting-Konzept ließ die Stromrechnung im vergangenen Jahr um 76 Prozent schrumpfen. Positive Nebeneffekte: weniger Lichtverschmutzung und weniger Instandhaltungskosten durch eine zentrale Überwachung der Lichtsysteme.

Generell sinkt der Stromverbrauch bereits – bis 2020 rechnet der Staat aber noch insgesamt mit einem steigenden Energiebedarf. Ab dann sollen auch bei Wärme und Verkehr die Einsparpläne greifen. Kritikern geht der Umbau zu langsam voran. Die Umweltstiftung Fondazione per lo Sviluppo Sostenibile warnt, dass der Anteil der Erneuerbaren nur noch mit 0,2 Prozent im Jahr wachse; deshalb habe 2015 erstmals seit Langem der Ausstoß von Treibhausgasen wieder zugenommen (Italien ist für rund ein Zehntel der EU-Emissionen verantwortlich).

Hoffen auf das „Drachenwasser“

Vielversprechend sind vor allem die Entwicklungen im Wärmesektor. Fast 20 Prozent der Energie kommen aus Erneuerbaren: Beim Biogas holt Italien auf, Biomasse ist für Italiens Landwirtschaft ohnehin wichtig, hinzu kommen weitere 5,2 Millionen Tonnen Rohöleinheiten aus der Geothermie. In Deutschland ist das keine bedeutsame Energiequelle, die Toskana hingegen kann ein Viertel ihres Stroms mit Erdwärme erzeugen.

Die Geothermie gilt als eines der Zukunftsfelder für die italienische Strom- und Wärmeversorgung. Im toskanischen Pomorance, im grünen „Tal des Teufels“ gelegen, ist im Ortsteil Larderello der Boden an einigen Stellen großflächig abgetragen: Hier steht eines der wichtigsten geothermischen Kraftwerke Italiens, seit einem Jahr Schauplatz des Projekts „Descramble“. Unter der Führung von Enel Green Power, der Ökostromsparte des größten italienischen Energie­unternehmens Enel, wollen Forscher an die Grenzen des derzeit Möglichen gehen. In drei Kilometern Tiefe, wo die Temperaturen bei über 370 Grad liegen und der Druck 200 Mal höher ist als an der Erdoberfläche, erreicht Wasser einen Zustand jenseits seiner üblichen Aggregatzustände. Es ist flüssig und gasförmig zugleich.

„Diese ‚überkritischen‘ Flüssigkeiten sind eine der großen Unwägbarkeiten“, erklärt der Physiker Roar Nybø, der dort für die Norwegische Forschungsorganisation SINTEF arbeitet. Überkritisches Wasser ist so dicht wie eine Flüssigkeit, fließt aber wie Gas. „Gäbe es darüber eine reißerische Fernsehdokumentation, würde man das ‚Drachenwasser‘ nennen, es kann manche Stoffe praktisch auflösen“, so der Teilchenphysiker. Aufgrund des hohen Dampfdrucks lässt sich mit überkritischem Wasser deutlich mehr Strom gewinnen als mit herkömmlichen Geothermiekraftwerken; deshalb fördert auch die EU das Projekt.

Hinzu kommen muss eine effektive Verteilung. Die Netzagentur Terna, eine ehemalige Enel-Tochter, gibt sich ebenfalls grün: Im Entwicklungsplan von 2016 sind Investitionen von 6,6 Milliarden Euro über die nächsten zehn Jahre vorgesehen, ein Großteil davon für den Transport von Ökostrom. Tatsächlich dürfte ein Großteil des Geldes aber zunächst dafür verwendet werden, marode Netzabschnitte wiederherzustellen.

Die Politik lässt es gemächlich angehen

Der Fahrplan der Politik steht ebenfalls. Im November 2016 stellte die EU-Kommission das so genannte Winterpaket vor; Maßnahmen, die die EU energieeffizienter werden lassen sollen, was dem italienischen Konzept entgegenkommt. Manche Ziele – beispielsweise ein Anteil von 27 Prozent an erneuerbaren Energien bis 2030 – wirken dabei recht unambitioniert. Italiens aktueller Ministerpräsident Paolo Gentiloni will die EU-Vorgaben ernst nehmen. In den kommenden 20 Jahren stellt der Staat insgesamt neun Milliarden Euro bereit. Wichtige Posten sind die Geothermie-Förderung und die Modernisierung vor allem von Windanlagen („Revamping“).

Die große Energiewende ist das nicht. Wachstumschancen gibt es aber im Kleinen, zum Beispiel bei intelligenten Netzen („Smart Grids“) und beim Energiemanagement. Enel hat mehrfach angekündigt, in stärkem Maße Stromspeicher einzusetzen – auch das erhöht den Anteil Erneuerbarer und senkt die Kosten des Netzbetriebs. In diesen Nischen entstehen kleine, innovative Unternehmen. Jedes zehnte Start-up wird mittlerweile im Energiesektor gegründet, so die Unternehmensberatung Bernoni Grant Thornton. Vor allem junge Italiener glauben an die Branche. Und sollten die Rohstoffpreise anziehen, dürfte der Ausbau der Erneuerbaren schnell wieder ganz dringlich werden für Italiens Politik.

Peter Vollmer ist für die Redaktion von WiWo Green verantwortlich, dem Green-Economy-Portal der WirtschaftsWoche.

Bibliografische Angaben

IP Länderporträt 1, März - Juni 2017, S. 48-51

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