Weltretter oder Wichtigtuer?
Internationale Presse
Frankreichs Präsident Sarkozy gefällt sich als Krisenmanager
Von Begeisterung und Lob über Ernüchterung bis hin zu Spott und Ironie – in der französischen Presse ist alles zu finden. Die Autoren schwanken: Nicolas Sarkozy – dynamischer Weltretter oder aktionistischer Wichtigtuer? In einem Punkt allerdings besteht weitgehend Einigkeit in den Medien: Sarkozy hat von dem Machtvakuum in den USA vor der Präsidentschaftswahl profitiert. Er nutzte den Moment geschickt, um sich in seiner Funktion als EU-Ratspräsident zu profilieren und Frankreichs Rolle in der Welt zu stärken.
Das bringt dem Staatschef Überschriften ein wie im konservativen Le Figaro (20.10.): „Sarkozy zwingt Bush internationalen Finanzgipfel auf“. Mit der Wahl des Demokraten Barack Obama ist der Spielraum für Sarkozy allerdings kleiner geworden. Da stiehlt ihm einer die Show. „Durch die Rückkehr eines amerikanischen Führers“, schreibt Le Monde (4.11.), „ist Schluss mit dem internationalen Alleingang.“ Sarkozy werde hinter dem neu gewählten US-Präsidenten verschwinden.
Insgesamt hat sich die Dauerberichterstattung über sein Krisenmanagement für den Präsidenten gelohnt – zumindest vorübergehend. In allen Umfragen legt er nach einem monatelangen Tief zu. Erstmals übersteigt die Zahl derjenigen, die ihm vertrauen, die Gruppe derjenigen, die ihm misstrauen (Le Parisien, 7.11.). Das überrascht nicht. Denn die Zeitungen präsentierten ihn über Wochen als entschlossenen Macher, der ungezügelten Kapitalismus ablehnt und neue Wirtschafts- und Finanzregeln durchsetzen will – weltweit. Sie zitieren ihn gerne mit markigen Sätzen wie diesen: „Wenn ich beim internationalen Finanzgipfel keine konkreten Ergebnisse erziele, dann gehe ich. Ich verlasse Washington und kehre nach Hause zurück.“ (Le Parisien, 10.11.). Basta-Politik à la française, die offensichtlich ankommt.
Die internationale Finanzkrise hilft dem französischen Präsidenten innenpolitisch, da sie ihm neue Begründungen für die zuvor schon miserable wirtschaftliche Situation seines Landes liefert. Sie nimmt ihr aber nicht die Brisanz. Im Gegenteil: Sinkende Kaufkraft, steigende Arbeitslosigkeit und die Folgen der Finanzkrise für die Wirtschaft drücken auf die Stimmung im Land. Gegen das Anschwellen des sozialen Unmuts hält Sarkozy antiliberale Reden. „Er verurteilt die Exzesse des Kapitalismus, um das System zu erhalten“, erklärt Stéphane Rozès, Direktor des Meinungsforschungsinstituts CSA in Le Monde (28.10.).
In drei Stufen hat Sarkozy seine nationalen Rettungsaktionen vorgestellt. Erst für die Banken, dann für die Unternehmen und schließlich für die Beschäftigten. „Unser Retter“ titelte die linke Zeitung Libération ironisch nach Sarkozys Grundsatzrede in Toulon Ende September. Dort verkündete er die „Rückkehr des Staates“ und populäre Maßnahmen wie Strafen für gescheiterte Banker und Manager.
Ist der Präsident ein Linker?
Staatliche Interventionen haben in Frankreich Tradition und werden von der Bevölkerung regelrecht erwartet. Entsprechend unaufgeregt berichten Journalisten darüber – zumindest in den Massenmedien. Findet sich anfangs höchstens in Wirtschaftsblättern Kritik, so nimmt sie mit der Zeit mehr Raum ein – selbst beim sonst so Sarkozy-freundlichen Le Figaro, freilich nicht, ohne vorher den Präsidenten zu loben. „Nichts und niemand kann in Abrede stellen, dass sich Nicolas Sarkozy als Manager der Krise behauptet hat“, schreibt der Wirtschaftskolumnist Yves de Kerdrel (4.11.). Aber: „Sarkozy wird zum Protektionisten, wenn es darum geht, die Folgen der Krise für Frankreich zu bewältigen.“
Die Frage liegt nahe: Ist der Präsident ein Linker? Die Antwort gibt der ehemalige französische Premierminister Michel Rocard im Interview mit Le Parisien (26.9.): „Natürlich nicht! Die Tatsache, rechts oder links zu sein, ist eine Frage von Kontinuität, die einen das ganze Leben beschäftigt. Die Freundschaften und Beziehungen des Herrn Sarkozy finden sich vor allem im Großkapital, deutlich rechts – wie seine politische Linie. (...) Aber er ist ein Mann der Rechten mit einem reformerischen Trieb. Er will die Dinge verändern.“ Laurent Joffrin, Libération-Chefredakteur, prophezeit in einem Leitartikel (26.10.): „Man muss sich daran gewöhnen: (...) Nicolas Sarkozy verkörpert den neuen Ton einer neuformierten Rechten zwischen liberalen und staatlichen Vorstellungen, zwischen der Ode an die Unternehmer und staatlicher Intervention.“
Damit macht er der Opposition das Leben schwer. Darin sind sich die Kommentatoren einig. Die Karikatur einer Libération-Ausgabe sagt alles: ein fröhlich tanzender Sarkozy in der Mitte – um ihn herum Vertreter der Linken zwischen Verzweiflung und Bewunderung (27.10.). Sarkozys Rufe nach einem starken Staat, der unter anderem Schlüsselindustrien schützt, schwächen vor allem die größte Oppositionspartei, die ohnehin angeschlagenen Sozialisten. Kleiner Nebeneffekt seines Krisenmanagements. Das G-20-Treffen in Washington fand zeitgleich mit dem Parteitag der Sozialisten in Reims statt. Die wöchentliche Satirezeitung Le Canard enchaîné zitiert Sarkozy mit den Worten: „Ich habe den Coup des Jahrhunderts gelandet. Am Vortag, am Tag selbst und danach werden die Nachrichten nur über das Treffen in Washington berichten, über meine Vorschläge und Initiativen. Der Parteitag der Sozialisten wird ein Nichtereignis.“ Fazit des Satireblatts: „Es ist diese Art von ‚Schachzügen des Jahrhunderts‘, an der man die geistige Größe eines Staatschefs bemisst.“
Der eitle Präsident, der Wichtigtuer – da ist er wieder. „Aber Sarkozy ist mehr, er ist ein Pragmatiker, ein Instinktpolitiker, der ein Gespür für den richtigen Schritt im rechten Moment hat. Dabei nimmt er Spannungen zwischen Paris und Berlin bewusst in Kauf. Die Bundesregierung bekommt dabei die Bremserrolle: „Jede Idee aus Paris wird mit einem Nein aus Berlin abgefertigt“ oder „Deutschland ist genervt“, sind typische Zitate. Ein Streitpunkt zwischen Frankreich und Deutschland ist auch Sarkozys Vorschlag, die Treffen der Euro-Gruppe künftig auf Ebene der Staats- und Regierungschefs stattfinden zu lassen. Le Figaro (23.10.) findet die Idee „verlockend“. Angela Merkel müsse begreifen, dass eine vereinte Euro-Gruppe auch im Interesse Deutschlands liege. Und in einem Gastbeitrag für das Blatt (11.11.) lobt der ehemalige deutsche Außenminister Joschka Fischer den französischen Präsidenten und seinen Vorschlag einer europäischen Wirtschaftsregierung – für die derzeitige Bundesregierung ein rotes Tuch.
Auch in Frankreich führt Sarkozys Wunsch, in Zukunft selbst die Gruppe der Euro-Länder anzuführen, zu bissigen Kommentaren. So heißt es im Canard enchaîné (29.10.): „Sarkozy EU-Präsident auf Lebenszeit“. Auch Le Monde (23.10.) geht ironisch damit um. Die Überschrift über dem Leitartikel lautet: „Sarkozy der Europäer“. „Er weiß, dass nicht alle seine Vorschläge aufgenommen werden, aber unsere Partner können auch nicht alle ablehnen. Vorschlagen, vorschlagen, irgendwas bleibt immer übrig (…). Die Taktik klappt nur in Krisenzeiten. Wenn wieder Ruhe eingekehrt ist, wird sich das gute alte Rezept bewähren, (…) das heißt Moderation und Kompromiss.“
Die Euphorie rund um das Krisenmanagement hält sich – noch. „Sarkozy und die Krise“ titelt das politische Wochenmagazin Le Point (16.10.) und druckt auf neun Seiten Abläufe und Details rund um die Besprechungen und Sitzungen des Präsidenten. „Nicolas Sarkozy hat sich seit einigen Wochen verändert, er hat sich seine Sporen als Staatsmann verdient“, schreibt Franz-Olivier Giesbert. „Dieser Mann, der nie besser ist als in Krisenzeiten, hat es verstanden, unseren alten Kontinent zu mobilisieren, damit Europa gemeinsame Lösungen trägt – in einem Moment, wo die Welt am Rande des Abgrunds stand.“ Tatsächlich ist Sarkozy zur Höchstform aufgelaufen und hat wertvolle Initiativen angeschoben. Aber das ist schließlich auch sein Job. Das Wichtigtuer-Image ist er dabei nicht losgeworden.
CLAUDIA DEEG ist Frankreich-Korrespondentin für das SWR-BR-MDR-Studio in Paris.
Internationale Politik 12, Dezember 2008, S. 10 - 12