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27. Okt. 2011

Was für eine Truppe?

Vier Bündnispartner zur strategischen Ausrichtung Deutschlands

Die Bundeswehr ist und bleibt eine Bündnisarmee, ihre Reform betrifft also auch Deutschlands militärische Partner unmittelbar. Was erhoffen sie sich von den deutschen Streitkräften? Wünsche, Gedanken und Anmerkungen aus britischer, französischer, polnischer und amerikanischer Sicht.

Großbritannien: Europäische Fähigkeiten besser nutzen

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte natürlich recht, als sie kürzlich in ihrer Rede vor der Körber-Stiftung feststellte: „Deutschland kann wie jedes andere Land in einer eng vernetzten Welt Konflikte nicht allein lösen.“ Großbritannien befindet sich in derselben Lage. Die Mitglieder der NATO und der EU müssen sogar noch enger zusammenarbeiten, wenn wir die Sicherheitsbedrohungen, mit denen wir konfrontiert sind, meistern wollen. Alles, was wir gerade in Großbritannien tun, dient deshalb dem Ziel, ein möglichst guter internationaler Partner zu werden. Wir strukturieren unsere Streitkräfte radikal um, wir bringen wieder Schwung in bilaterale Beziehungen, unter anderem durch das Verteidigungsabkommen mit Frankreich, und wir setzen uns mit neuem Elan für die Stärkung der NATO und der europäischen Verteidigung ein.

Im vergangenen Jahr hat Großbritannien eine „Strategic Defence and Security Review“ durchgeführt. Deren Ergebnis sind radikale Reformen, mit denen wir Größe und Kosten unserer Streitkräfte reduzieren. Trotzdem ist Großbritannien weiter eines der wenigen NATO-Mitglieder, die das Ziel, zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung auszugeben, tatsächlich einhalten. Und wir haben auch weiterhin einige verteidigungs- und sicherheitspolitische Stärken aufzuweisen: den viertgrößten Militärhaushalt der Welt; ein Heer, das in der Lage ist, eine Einsatztruppe in Brigadestärke an jeden Ort der Welt zu entsenden und zu versorgen; eine Marine mit amphibischer ebenso wie Hochseefähigkeit, die es uns längerfristig ermöglichen wird, überall in der Welt Luftstreitkräfte einzusetzen; eine Luftwaffe, die sich auf zwei der leistungsfähigsten Kampfflugzeuge der Welt stützt (wir haben eine modernisierte Typhoon-Flotte und den Joint Strike Fighter), außerdem über eine wachsende Zahl unbemannter Luftfahrzeuge sowie strategische und taktische Lufttransportfähigkeiten verfügt und eine glaubwürdige und wirksame nukleare Mindestabschreckungsfähigkeit. Außerdem stocken wir die Ressourcen für den Afghanistan-Einsatz auf und stellen 650 Millionen Pfund für Investitionen in ein neues nationales Cyber-Sicherheitsprogramm bereit.

Daher weiß Großbritannien die Schwierigkeit, aber auch die Bedeutung der Reformen, die Deutschland derzeit bei der Bundeswehr durchführt, durchaus zu würdigen. Unter den heutigen wirtschaftlichen Gegebenheiten sind wir gezwungen, nach innovativen Wegen zur Wahrung unserer Sicherheit zu suchen. Deshalb haben wir unsere bilaterale Zusammenarbeit mit Frankreich im Bereich der Verteidigung und Sicherheit deutlich intensiviert. Das historische Verteidigungsabkommen, das Großbritannien und Frankreich im November 2010 unterzeichnet haben, sieht ein höheres Maß an Kooperation vor, als es viele – beiderseits des Ärmelkanals – für möglich gehalten hätten. Die Verträge sind so konzipiert, dass wir sowohl zur Untermauerung unserer nuklearen Abschreckung als auch zur Stärkung unserer konventionellen Fähigkeiten auf lange Sicht zusammenarbeiten werden. Indem wir die Effizienz unserer Streitkräfte durch diese Art der bilateralen Kooperation verbessern, werden wir automatisch zu besseren Partnern in der NATO und der EU.
Die NATO ist und bleibt das Fundament der britischen Verteidigung. Ihre Rolle als politisches und sicherheitspolitisches Bindeglied zwischen Nordamerika und Europa schätzen wir heute so hoch wie eh und je. Und unsere Verpflichtungen gegenüber den Bündnispartnern werden auch künftig zu unseren höchsten Prioritäten gehören. Wir werden weiter unseren Beitrag zu den Einsätzen der NATO – nicht zuletzt natürlich zur ISAF – und auch zur Kommandostruktur und Streitkräftestruktur erbringen, um zu gewährleisten, dass das Bündnis in der Lage ist, bestehenden und zukünftigen Herausforderungen für unsere Sicherheit robust und glaubwürdig zu begegnen.

In der EU unterstützt Großbritannien die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik als Teil einer nach außen orientierten, modernen und relevanten Union. Wir sind zwar der Auffassung, dass die Hauptverantwortung für multilaterale Verteidigung weiter bei der NATO liegen sollte, aber wir sind gleichermaßen überzeugt davon, dass die EU einen Beitrag zur internationalen Sicherheit leisten kann – insbesondere durch ihre Fähigkeit, militärische und zivile Instrumente kombiniert einzusetzen. Die EU leistet auch bereits wichtige Arbeit bei der Bekämpfung der Piraterie vor Somalia, bei der Friedenserhaltung in Bosnien und bei der Förderung der Rechtsstaatlichkeit im Kosovo.

Aber wir meinen, die EU könnte und sollte noch mehr tun, und wir haben eine ambitionierte Sieben‑Punkte‑Agenda aufgestellt. Wir wünschen uns, dass sich Deutschland und auch andere gemeinsam mit uns für die Schaffung einer GSVP einsetzen, die 1. eine stärkere und glaubwürdigere Rolle auf dem Balkan spielt, 2. robustere Militäraktionen gegen die Piraten unternimmt, sich 3. in Afghanistan darauf konzentriert, die Zusammenarbeit zwischen den NATO-geführten ISAF-Truppen und der EU-geführten Polizeimission zu verbessern, 4. das einzigartige Instrumentarium der GSVP und ihre Fähigkeit, zivile und militärische Instrumente in einem umfassenden Ansatz des Krisenmanagements miteinander zu verbinden, weiter ausbaut und besser nutzt, 5. ihre Wirkung durch andere Instrumente der EU wie z.B. die Konfliktprävention, die EU-Politik im Bereich Justiz und Inneres oder andere außenpolitische Instrumente verstärkt, 6. sicherstellt, dass die zivilen Missionen der GSVP für mehr Stabilität und Rechenschaftspflicht sorgen, um damit die Umsetzung größerer Ziele z.B. in der Entwicklungszusammenarbeit zu unterstützen und ihre Wirksamkeit zu erhöhen, und 7. von der Zusammenarbeit mit der NATO im Rahmen der reaktivierten und neu belebten Berlin-Plus-Vereinbarungen profitiert. Kurzum: eine Agenda, die es den Europäern ermöglichen würde, vorhandene Fähigkeiten besser zu nutzen, stärkere europäische Verteidigungspartnerschaften zu schmieden und mehr Gebrauch von der kollektiven Stärke zu machen, die uns durch EU und NATO potenziell zur Verfügung steht.

Wir sind uns natürlich darüber im Klaren, dass einige in Europa lieber den Aufbau von Institutionen betreiben würden, statt an den realen Fähigkeiten zu arbeiten. Sie möchten dazu die Einrichtung eines Ständigen operativen Hauptquartiers der EU vorantreiben. Wir lehnen ein solches EU-Operationszentrum aus dem einfachen Grund ab, weil wir es für eine teure Ablenkung von den wirklichen Problemen halten – den unzureichenden militärischen Fähigkeiten Europas und dem fehlenden politischen Willen zu ihrem Einsatz.
Der politische Wille, die vorhandenen Fähigkeiten einzusetzen, ist entscheidend. Anfang dieses Jahres hat Großbritannien den schwierigen Entschluss gefasst, sich im Rahmen eines NATO-Einsatzes militärisch zu engagieren, um gemäß Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrats die libysche Zivilbevölkerung zu schützen. Wir waren damals überzeugt, dass das notwendig und völkerrechtlich ebenso wie moralisch richtig war. Und ich glaube, die Zeit hat uns mit dieser Einschätzung Recht gegeben. Der Einsatz in Libyen hat gezeigt, dass eine echte Lastenteilung zwischen den USA und den übrigen Bündnispartnern durchaus möglich ist. Allerdings hat er auch wieder einmal deutlich gemacht, wie sehr wir in Europa auf die amerikanischen Fähigkeiten angewiesen sind.

Auch Deutschland führt ein ehrgeiziges Reformprogramm durch. Mir ist klar, dass es dabei zu schwierigen Entscheidungen kommen wird, wie es auch bei der britischen Umstrukturierung der Fall war. Ermutigend ist die Tatsache, dass unser Denken wie auch die vorgeschlagenen zukünftigen Strukturen viele Ähnlichkeiten aufweisen. Trotz aller Schwierigkeiten werden die Reformen in unseren beiden Ländern nach meiner Überzeugung entscheidend dazu beitragen, dass wir auch weiter fähig sind, die Sicherheit unseres Kontinents zu gewährleisten und unsere Interessen überall auf der Welt zu wahren.
 
SIMON McDONALD ist Botschafter des Vereinigten Köngreichs von Großbritannien und Nordirland in Berlin.

Frankreich: Hoffen auf einen besseren Partner

In Frankreich rühmt man sich, eine der einsatzfähigsten Armeen der westlichen Welt zu haben, die sich zudem auf ein verlässliches Budget stützen kann. Und von diesem Standpunkt aus betrachtet man die Bundeswehr gern als eine nur zweitrangige Streitmacht: mit Verteidigungsausgaben in Höhe von 1,1 Prozent des Bruttosozialprodukts (gegenüber 1,67 Prozent in Frankreich und 2,2 Prozent in Großbritannien), mit geschätzten 7000 Soldaten für Auslandseinsätze (gegenüber 30 000 Franzosen und 22 000 Briten) und mit einem Beschäftigungsverhältnis von 35 Militärs und 15 Zivilkräften zur Unterstützung eines einzigen Bundeswehrsoldaten im Auslandseinsatz (gegenüber einem Verhältnis von 8 und 2 in Frankreich sowie 9 und 4 in Großbritannien). Laut diesen Angaben der Europäischen Verteidigungsagentur kostet eine deutsche Entsendung unter dem Strich rund drei Mal so viel wie im europäischen Durchschnitt.

Insgesamt ist die Bundeswehr somit relativ teuer und ineffizient, vor allem bei ihren Auslandseinsätzen, was auch die vielen Restriktionen zeigen, die lange die Aktivitäten der deutschen Soldaten in Afghanistan eingeschränkt haben. Erst mit der Kundus-Affäre, als im September 2009 bei der Bombardierung von zwei entführten Tanklastern 135 Menschen getötet wurden, veränderte sich in der deutschen Bevölkerung und Regierung das Bild vom „Aufbauhelfer in Uniform“, der vor allem für Entwicklung und Soziales und weniger für Kampfeinsätze zuständig sei. Die Deutschen waren nicht darauf vorbereitet, sich „im Krieg“ zu befinden.

Eine weitere Besonderheit aus französischer Sicht ist die politische Einordnung der Bundeswehr als „Parlamentsarmee“, die aus „Bürgern in Uniform“ besteht. Dieser enge, durch die Verfassung vorgegebene Rahmen, die strenge Kontrolle durch den Bundestag, die Debatten über die Einsätze und ihre Grenzen sowie das Gewicht der grünen und liberalen Pazifisten, all das kennt man so in Frankreich nicht, wo traditionell der Präsident über alles entscheidet und auch die Armee oftmals ihre eigene Politik verfolgt. Beispiele dafür sind das Vorpreschen von Präsident Nicolas Sarkozy in der Libyen-Frage, wobei er den UN-Sicherheitsrat außen vor ließ, die Auslegung der Resolution 1973 verzerrte und weit über die Ziele seiner europäischen, arabischen und afrikanischen Partner hinausging. Und natürlich auch über die Ansichten der französischen Bevölkerung und des Parlaments.

Die Linke in Frankreich schaut neidisch auf manche der sehr demokratischen Vorgehensweisen in Deutschland, wo die Exekutive den Abgeordneten erst dann einen Auslandseinsatz zur Abstimmung vorlegt, wenn zuvor vier Monate lang debattiert wurde – auch wenn diese Debatte oftmals auf falschen Voraussetzungen basiert und Zusammenhänge ausgeblendet werden. Ein eher negativer Aspekt der deutschen Vorgehensweise ist, dass sich diese „Parlamentsarmee“ ständig rechtfertigen muss, auch in Bereichen, die in den meisten anderen Ländern niemals diskutiert würden, wie zum Beispiel der Hin- und Rückflug einer Transall-Maschine, um deutsche Bürger aus Libyen zu evakuieren. Die aktuelle deutsche Politik akzeptiert eher lange Verhandlungen mit den Führungsstäben von NATO und EU in Brüssel, bei denen geduldig nach einem Kompromiss gesucht wird, als den „Gewaltstreich“ der französisch-britischen Operation in Libyen, selbst wenn diese Diskussionen viel Zeit in Anspruch nehmen und selten effizient sind.

Die 2010 angestoßene Reform hat eine Bundeswehr zum Ziel, der 185 000 Soldaten angehören – rund ein Viertel weniger als in der französischen Armee, aber im Prinzip mit größerer Effektivität. Und die Militärs hoffen, dass die Politiker dann ein „angemessenes Gewaltniveau“ akzeptieren, was bislang nicht der Fall war und ihre Einsätze erschwerte. Dabei muss die Bundeswehr in den kommenden vier Jahren mehr als acht Milliarden Euro einsparen und gleichzeitig eine Reform durchführen, die den Übergang schafft von einer taktisch eher statischen Armee mit Panzern hin zu einem leichteren und mobileren Profil, d.h. einer vielseitig einsetzbaren Armee. Damit wäre die Bundeswehr ein besserer Partner für die wichtigsten europäischen Verbündeten. Die Zusammenlegung in „Verteidigungsstützpunkte“, die Verschlankung des Unterbaus (vor allem der Abbau von 20 000 Zivilposten), die Bündelung von Kräften in den Bereichen Logistik, Rekrutierung und Gesundheit, all dies ähnelt dem, was auch in Frankreich versucht wird, wo aus dem Zeitgeist oder aus reiner Notwendigkeit heraus teilstreitkräfteübergreifend gearbeitet werden soll. Wie in Frankreich müssen auch in Deutschland zahlreiche der 400 Standorte geschlossen werden: Wir wissen aus Erfahrung, dass diese Art der Umstrukturierung nicht einfach ist, selbst wenn man meinen sollte, dass es nicht Aufgabe der Streitkräfte ist, die regionale Entwicklung zu fördern.

In Paris ist man den deutschen Reformern dankbar für ihre Zustimmung, dass die nukleare Abschreckung – innerhalb oder außerhalb der NATO – so lange eine Notwendigkeit bleibt, wie vermutet werden muss, dass mögliche Feinde den Einsatz von Atomwaffen planen. Man nimmt auch zur Kenntnis, dass in den neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien neben den üblichen Verpflichtungen (transatlantische Allianz, europäische Verteidigungspolitik) neue Bedrohungen (schwache Staaten, terroristische Regime, Cyberattacken usw.) und eine Ausweitung der Aktivitäten der Bundeswehr erwähnt werden, die über eine rein geografische Beschränkung hinausgehen. Dazu gehören auch die Sicherung von Kommunikationsstrukturen und der Rohstoffversorgung sowie die Rettung und Evakuierung von deutschen Bürgern, die im Ausland konkreten Gefahren ausgesetzt sind. Dieser Übergang von einer Kultur der Zurückhaltung hin zur Ausübung von Macht wird in Paris zweifelsohne für viel versprechender gehalten als die deutsche Enthaltung bei der Libyen-Resolution …

PHILIPPE LEYMARIE schreibt für Le Monde Diplomatique über Verteidigungspolitik und Afrika und bloggt unter „Défense en ligne“.
 

Polen: Die Möglichkeiten der Zusammenarbeit besser nutzen

Die Tatsache, dass Deutschland und Polen heute gleichberechtigte Partner und Verbündete in der NATO und der Europäischen Union sind, bestimmt in hohem Maße den Charakter unserer aktuellen bilateralen Zusammenarbeit. Kein Wunder also, dass wir uns bei der Beobachtung der derzeitigen Entwicklung der deutschen Streitkräfte besonders für deren europäische und transatlantische Dimension interessieren. Beide Organisationen bilden den Kern unserer Sicherheit, daher liegt uns daran, dass sie über die Mittel und Fähigkeiten verfügen, um eine glaubwürdige Verteidigung des Territoriums und der Interessen ihrer Mitglieder zu garantieren. Eine effiziente, leistungsfähige und flexible Bundeswehr kann dabei dienlich sein.

Deutschland ist für uns ein wichtiger Partner bei internationalen Einsätzen. Im Rahmen der Stabilisierungsmissionen der EU und der NATO hatten deutsche und polnische Streitkräfte die Gelegenheit, sich in der Praxis von der Qualität der Zusammenarbeit in multilateralen Formaten zu überzeugen. Die Weiterentwicklung der deutschen Fähigkeiten, sich an Operationen  zu beteiligen, wird sich auf die Effektivität der militärischen Maßnahmen dieser Organisationen auswirken. Deswegen ist bei Reformen der Streitkräfte darauf zu achten, dass sie auf die Kooperation bei Einsätzen zugeschnitten sind. In diesem Zusammenhang möchte ich an zwei Projekte erinnern, an denen Deutschland und Polen beteiligt sind. Das erste sind die Battlegroups. Während der Vorbereitung auf die Übernahme der Bereitschaft durch die Weimarer Gruppe 2013 möchten wir ein wirksames und effektives militärisches Instrument schaffen, das bei Bedarf fähig ist, auf verschiedenartige Bedrohungen zu reagieren. Das multinationale Korps Nord-Ost in Stettin  ist ein weiteres Beispiel für die ausgezeichnete deutsch-polnische Kooperation in der Praxis. Wir werden uns um seine weitere Internationalisierung und eine Erhöhung des Engagements der Teilnehmerstaaten bemühen.

Wir respektieren völlig die deutsche Besonderheit der rechtlichen Voraussetzungen, die vor einer Entscheidung über die Entsendung von Truppen zu Auslandseinsätzen erfüllt werden müssen. Wie die bisherige Erfahrung gezeigt hat, stellen die Verpflichtungen dieser Art kein Hindernis für ein operatives Engagement Berlins dar. Wesentlicher ist im Kontext der Streitkräftereform die Entwicklung der entsprechenden Fähigkeiten. Besonders erwünscht wäre die Möglichkeit einer Teilnahme der Bundeswehr am Gesamtspektrum der Maßnahmen im Rahmen einer Operation.

Die Sicherstellung entsprechender Finanzmittel ist eine ernste Herausforderung für den Umbau der Streitkräfte. Polen hält sein Verteidigungsbudget auf dem Niveau von 1,95 Prozent des BIP. Wir wissen jedoch, dass es in einer Zeit der Haushaltskürzungen und angesichts des bei den Europäern nicht vorhandenen Gefühls einer unmittelbaren Bedrohung von außen Politikern zunehmend schwer fällt, jeden weiteren für das Militär verwendeten Euro vor der Gesellschaft zu rechtfertigen. Die EU-Mitgliedstaaten unterhalten heute Tausende Panzer, Schiffe, Flugzeuge und sonstiges militärisches Gerät, führen deckungsgleiche Forschungsprogramme, Kurse und Schulungen durch und bauen Know-how in ähnlichen Bereichen auf. Sie haben mit ernsten finanziellen Problemen zu kämpfen, doch sie bestehen darauf, die Entscheidungen im Bereich der Entwicklung der Streitkräfte souverän zu treffen. Drohen wir in die Falle einer Renationalisierung der Sicherheitspolitik zu gehen? Es wäre schade, wenn die bisherigen Erfolge der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und die durch den Vertrag von Lissabon geschaffenen neuen Instrumente vergeudet würden. Raum für die Zusammenarbeit zwischen den europäischen Staaten ist durchaus vorhanden, gerade auf dem Gebiet der Bündelung und gemeinsamen Verwendung militärischer Kapazitäten. „Pooling and Sharing“ ist der Schlüssel zur Überwindung nationaler Begrenzungen und zum Ausgleich kritischer Mängel bei den Fähigkeiten.

Wenn die Europäische Union der politischen Rolle eines globalen Akteurs gerecht werden und zu einem glaubwürdigeren Partner für die Verbündeten in der NATO, insbesondere die Vereinigten Staaten, werden will, muss sie über zuverlässige, flexible und interoperative Krisenreaktionsfähigkeiten verfügen. Einen tatsächlichen Mehrwert brächte auch die Konzentration von Fragen der Planung und Durchführung von Einsätzen an einer Stelle. Die Errichtung von ständigen zivil-militärischen operativen (und zu den NATO-Strukturen komplementären) Kommandokapazitäten im Rahmen der EU würde eine Straffung und Beschleunigung des Entscheidungsprozesses ermöglichen und eine den Ambitionen der EU entsprechende Planungskohärenz sicherstellen.

Ein wichtiger Bezugspunkt für die Transformation der Streitkräfte sind auch die internen Reformen der NATO, die im November 2010 auf dem Gipfel in Lissabon eingeleitet wurden. Das neue strategische Konzept eröffnet Chancen, das Bündnis zu einer leistungsfähigeren und kohärenteren Organisation zu machen, die besser darauf vorbereitet ist, sich kollektiv zu verteidigen, aber auch neuen Herausforderungen im Bereich der Sicherheit gerecht zu werden. Eine Schlüsselbedeutung für die Verwirklichung dieser Strategie haben politische Entschlossenheit und die von den einzelnen Staaten für ihre Umsetzung vorgesehenen Ressourcen. Ohne angemessene Mittel können die Festlegungen von Lissabon in der Luft hängen bleiben. Von den Mitgliedstaaten bedarf es konkreter Entscheidungen, mit denen die Effektivität des Bündnisses bei geringeren finanziellen Aufwendungen erhöht wird. Die Maxime „smart defence“ kann in Zeiten der Finanzkrise eine Richtschnur für das Bündnis sein.

Als ein Land, das erst vor Kurzem die Umstellung seiner Streitkräfte auf eine Berufsarmee abgeschlossen und dabei auf eine Verringerung ihrer zahlenmäßigen Stärke gesetzt hat, halten wir die analoge Entscheidung Berlins für völlig berechtigt. Wir sind uns auch bewusst, dass eine Abkehr von der Wehrpflicht mit entsprechenden Schulungsmaßnahmen und einer adäquaten Ausrüstung der Armee einhergehen muss, damit sie tatsächlich der Weiterentwicklung der Streitkräfte und ihrer Fähigkeiten zur Kooperation mit den Bündnispartnern dient. Wichtig ist für uns auch, dass die Reform der deutschen Streitkräfte in eine Richtung geht, die eine gute Zusammenarbeit zwischen den Rüstungsindustrien ermöglicht, sowohl auf europäischer als auch auf regionaler Ebene.
Es gibt eine Reihe von Gründen, aus denen Polen Berlin bei der Verwirklichung der ambitionierten Pläne für die Streitkräftereform „die Daumen drücken“ kann. Eine Bundeswehr, die zur Vergrößerung des Verteidigungspotenzials des westlichen Bündnisses und zur Stärkung seiner globalen Effektivität beiträgt, liegt in unserem Interesse.

Dr. MAREK PRAWDA ist Botschafter der Republik Polen in Berlin.

USA: Deutschland muss mehr Geld für Verteidigung bereitstellen

Amerikas Erwartungen an die Bundeswehr sind meiner Ansicht nach identisch mit Deutschlands eigenen Erwartungen, wie sie in den Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) vom Mai 2011 beschrieben sind: Streitkräfte, die in der Lage sind, „nationale Interessen zu wahren, internationale Verantwortung zu übernehmen, Sicherheit gemeinsam zu gestalten“ (alle Zitate in diesem Artikel stammen aus den VPR). Allgemeiner gefasst meint dies eine moderne Streitmacht, die in der Lage ist, Deutschlands Verantwortung angesichts heutiger Herausforderungen wahrzunehmen: in Afghanistan und im arabischen Raum, aber auch in Bezug auf Bedrohungen durch Langstreckenraketen oder Cyberangriffe, alles im Rahmen des NATO-Strategiekonzepts von 2010. Um diesen Aufgaben gerecht zu werden, braucht die Bundeswehr bestimmte Eigenschaften – von denen nicht alle militärischer Natur sind.

Zunächst muss Deutschland eine Bundeswehr ins Feld schicken, die leistungsfähig ist. Mit den VPR gesprochen bedeutet dies die Fähigkeit, „einen Deutschlands Gewicht und Wirtschaftskraft in der Staatengemeinschaft angemessenen Beitrag zur Wahrung unserer sicherheitspolitischen Interessen“ zu leisten. Praktisch heißt das: Verbände, die für moderne Missionen gut ausgebildet und ausgerüstet sind, schnell eingesetzt und langfristig versorgt werden können und vollständig kompatibel mit den Truppen der NATO-Partner sind.

Vor diesem Hintergrund geben die angekündigten Reformen der Bundeswehr unter der Vorgabe, den strengen Haushaltskürzungen in Deutschland gerecht zu werden, der NATO und den USA Anlass zur Sorge, gerade weil auch andere führende europäische Mächte ihre Militärressourcen zurückschrauben. Der Übergang zu einer Berufsarmee und die Erhöhung der international einsatzfähigen Soldaten auf 10 000 sind sowohl militärisch als auch politisch wichtige und willkommene Schritte. Aber gleichzeitig die Truppenstärke zu reduzieren und Einschnitte bei der Ausrüstungs- und Streitkräftemodernisierung vorzunehmen riskiert, dass kritische Masse in wichtigen Bereichen verloren geht, und gefährdet das VPR-Ziel, eine allumfassende Militärmacht zu sein, die einen verlässlichen und glaubwürdigen Beitrag zur NATO leistet. Das ist nicht nur eine militärische Angelegenheit: In den VPR wird deutlich, dass Deutschland einen Beitrag leisten will, der dann auch ausreicht, um „Mitsprache bei Planungen und Entscheidungen sicherzustellen“. (Eine andere Möglichkeit für Deutschland, Führung auszuüben, ist durch weiteres starkes Engagement bei multinationalen Programmen wie der „Alliance Ground Surveillance“ und neuen „Smart Defense“-Initiativen.)

Die Frage nach dem Verteidigungsbudget liegt allen Überlegungen zur Leistungsfähigkeit der Bundeswehr zugrunde: ein sensibles Thema, besonders weil Deutschland ebenfalls die schwere Last der Führungsrolle in der Euro-Zone trägt. Aber auch die Amerikaner stehen vor schweren Entscheidungen, wie sie Ausgaben kürzen und ihre Wirtschaft wiederbeleben können oder wie sie mit einer alternden Gesellschaft und anderen sozialen Themen umgehen sollen. Der ehemalige Verteidigungsminister Robert Gates hat es bereits gesagt: Amerikanische Politiker und Steuerzahler fragen sich, warum sie über fünf Prozent des BIP für Verteidigung ausgeben sollen, wenn andere Staaten, die ohnehin schon weniger für ihr Militär ausgeben, sogar noch weiter sparen. Es ist also sehr wichtig für Deutschland, so schnell wie möglich zu einem robusteren Niveau bei den Verteidigungsausgaben zurückzukehren.

Wenn eines der Ziele von Investitionen in die Bundeswehr ist, „die außenpolitische Handlungsfähigkeit Deutschlands“ zu sichern, muss ein anderes Ziel darin bestehen, die Fähigkeit zu stärken, schnell und reaktionsfähig zu agieren. Flexibilität ist damit ein weiteres entscheidendes Element dessen, was ich mir von der Bundeswehr erhoffe: die Fähigkeit, Truppen schnell zu entsenden, die die komplette Bandbreite an komplexen Missionen ausführen können. Flexibilität bezieht sich aber nicht nur auf militärische Einsatzbereitschaft. Vielmehr geht es auch um den gesetzlichen Rahmen, um ein reaktionsschnelles politisches System, das schwierige Entscheidungen treffen kann, um an der Seite der Verbündeten für die gemeinsame Sicherheit und geteilte Werte einzutreten.

Im Hinblick auf Auslandseinsätze der Bundeswehr hat sich die deutsche Politik seit dem Fall der Berliner Mauer und den frühen Debatten über das deutsche Engagement auf dem Balkan erheblich weiterentwickelt, und zwar in positiver Weise. Aber wie die verpasste Chance in Libyen zeigt, hat die Bundesrepublik weiterhin Schwierigkeiten mit der Rolle von militärischer Macht in internationalen Beziehungen. Einsatzvorbehalte deutscher Soldaten in Afghanistan (über die viel berichtet und die später etwas relativiert wurden) führten zu Spannungen mit und Frustrationen bei NATO-Befehlshabern, die den Zusammenhalt der alliierten Truppen garantieren wollen. Es wäre bedauerlich, wenn diese Spannungen in Erinnerung blieben und nicht die vielen Beiträge Deutschlands zur ISAF-Mission, die schließlich auch vielen deutschen Soldaten das Leben gekostet hat. Wie viele andere Amerikaner bewundere ich Deutschlands Entschlossenheit, die Vergangenheit nicht zu vergessen, aber wie viele Amerikaner – und, ich denke, auch Europäer – sehe ich die Bundesrepublik heute als normales Land, dessen Vergangenheit bei der Schaffung einer sicheren Zukunft nicht im Weg stehen sollte.

Der Schlüssel zu einer leistungsfähigen und flexiblen Bundeswehr ist die weitere Entwicklung der Einstellung Deutschlands zu seiner Armee. Politik und Gesellschaft bleiben in weiten Teilen skeptisch gegenüber deutschen Militärbestrebungen. Dabei wird übersehen und unterbewertet, welch großen Anteil die Bundeswehr an der Sicherheit, dem Wohlstand und, ja, auch an dem Frieden hat, den Deutschland und Europa seit der schrecklichen ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlebt haben.

Rückhalt für Deutschlands Männer und Frauen in Uniform kann verschiedene Formen annehmen. Zuallererst ist öffentliche und politische Unterstützung für einen adäquaten Verteidigungshaushalt ein entscheidendes Element. Stärkere öffentliche und politische Unterstützung für eine aktive und engagierte deutsche Sicherheitspolitik ist eine weitere Voraussetzung. Die wichtige Rolle, die der Bundestag bei der Genehmigung von Out-of-area-Einsätzen spielt, wird, wie es die VPR formulieren, „unverzichtbare Grundlage deutscher Sicherheitspolitik“ bleiben. Als jemand, der früher einmal als Mitarbeiter eines Kongressausschusses tätig war, ist mir die Bedeutung öffentlicher und parlamentarischer Unterstützung für Sicherheits- und Verteidigungspolitik bewusst. Aber in einer von komplexen und oft sich schnell entwickelnden Krisen bestimmten Welt weiß ich auch, wie wichtig Handlungsfreiheit für gewählte Regierungsvertreter ist, um Deutschlands „internationaler Verantwortung für Frieden und Freiheit“ gerecht zu werden.

Schließlich erkennen die VPR an, dass es einer größeren Wertschätzung der einzigartigen Anforderungen bedarf, die mit einem Militärdienst verbunden sind. Gesetzesinitiativen für mehr Hilfe für kriegsversehrte Bundeswehrsoldaten und ihre Familien sind ein wichtiger Schritt. Aber Militärdienst bedeutet mehr als nur Gefahr für Leben und Sicherheit der Soldaten, er schließt auch weniger bekannte Risiken ein, beispielsweise das Risiko, in bestimmten Operationen unwillentlich zivile Opfer zu verursachen. In diesen Fällen erfordert die Solidarität zwischen Bürger und Soldat eine Überprüfung bestehender Gesetze und Richtlinien, um sicherzustellen, dass deutsche Soldaten die juristische und moralische Unterstützung erhalten, die sie bei der Ausübung ihrer schwierigen Aufgaben verdienen.

 
PETER FLORY ist Distinguished Senior Visiting Fellow der National Defence University und Mitglied der Strategic Advisors Group des Atlantic Council. Von 2007 bis 2010 war er stellvertretender Generalsekretär der NATO und von 2001 bis 2006 ranghoher politischer Beamter im Pentagon. Dieser Artikel gibt seine persönliche Meinung wieder.
 

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 6, November/Dezember 2011, S. 38-47

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