Wallungen des Grolls
Stunde der Populisten und Nationalisten: Gefahr für die "jungen" Demokratien?
Viele neue EU-Bürger sind nach dem Beitritt zur Union enttäuscht über die politischen und wirtschaftlichen Zustände in ihren Ländern. Das lassen sie ihre demokratischen Eliten spüren: Populisten und Nationalisten haben Rückenwind. Sollen die Demagogen gestoppt werden, müssen die gemäßigten Kräfte programmatische Offerten entwickeln.
Die Alarmglocken schrillen. In Budapest konstituiert sich die „Ungarische Garde“, eine paramilitärische Organisation zum „Schutz der Nation“. In Warschau und Bratislava bilden sich Regierungsbündnisse, die von sozial- bzw. nationalpopulistischen Gruppierungen dominiert werden und nationalistische Demagogen unterschiedlicher Couleur einschließen. Die Kaczynski-Zwillinge wollen Polen in eine von „Pathologien“ gesäuberte „IV. Republik“ umwandeln. Der slowakische Regierungschef Fico wettert gegen die marktwirtschaftliche Reformpolitik seiner Vorgänger und nimmt zur Sicherung seiner Herrschaftsgelüste die antiungarische Nationalpartei und den ob seiner quasiautoritären Machenschaften verschrienen Expremier Vladimír Meciar mit ins Koalitionsbett. Starke nationalistische Formationen aus den beiden jüngsten EU-Beitrittsländern, die bulgarische Ataka und die rumänische Großrumänien-Partei, ermöglichen die Entstehung einer Fraktion der radikalen Rechten im EU-Parlament.
Diese Sachverhalte aus dem politischen Kalender der letzten zwei Jahre werden vielfach als Vormarsch des Nationalismus im östlichen Teil Europas, gar als Gefahr für die „jungen“ Demokratien gedeutet. In der Tat. Auch wenn sich da keine Flut neoautoritärer Regime abzeichnet, so haben wir es zumindest mit einer ansehnlichen Welle massiver innenpolitischer Verwerfungen zu tun. Und diese haben nicht nur Folgen für die betroffenen Länder, sondern auch für deren Partner und für die Europäische Union.
Die Menschen im östlichen Teil des Kontinents haben genügend Gründe, mit den politischen Verhältnissen in ihren Ländern unzufrieden zu sein. Immer noch wurde der allerorten zu verbuchende Aufschwung nicht breitenwirksam. Die Kluft zwischen einigen boomenden großstädtischen Agglomerationen und ländlicher Peripherie hat im Laufe des Transformationsgeschehens eher zu- als abgenommen. Innerhalb und zwischen Politik, Administration und Big Business haben sich mächtige, intransparente Netzwerke etabliert, zu deren Betätigungsfeldern etwa die Organisation des Privatisierungsprozesses, die Vergabe von Posten oder die Manipulation des Gesetzgebungsverfahrens gehört. Dank mannigfacher Skandale, selbstherrlicher Beamter, schlichter Funktionsstörungen und einer chronischen, allgegenwärtigen Bestechlichkeit scheint der postkommunistische Staat nicht Dienstleister für seine Bürger, sondern eher für die Interessen zu sein, die imstande sind, ihn zu instrumentalisieren.
Nun sind all diese Faktoren nicht neu, sondern seit dem großen Umbruch von 1989/90 präsent. Und auch all die Spezifika, die demokratische Politik und elektorale Auseinandersetzung in den vormals monozentristischen Staaten kennzeichnen, sind wohlbekannt: eine polarisierte Form des Konfliktaustrags, ein ruppiger Umgang mit dem politischen Gegner, volatile Wählerschaften, die ohne die Verwurzelung in gefestigten Milieus von einer Partei zur nächsten springen, ein hohes Maß an Personalisierung, Parteien, die häufig als One-Man-Shows oder politische Einwegflaschen ein kurzes Dasein fristen. Warum also schlägt die Kombination aus Unmut und politischer Fluidität gerade jetzt durch? Warum können die Missstimmungen nicht mehr von den moderaten Gruppierungen aufgefangen werden – wie dies über gut anderthalb Dekaden hinweg mit wenigen Ausnahmen (etwa in Meciars Slowakei oder bei den sozialnationalen Koalitionen im südosteuropäischen Raum) funktioniert hat?
Enttäuschung, Ungeduld und Repolitisierung
Natürlich geht es – wie bei jedem politischen Projekt – um Führungspersönlichkeiten, um Artikulationsfähigkeit und die Kraft, Ressourcen zu bündeln. Doch unabhängig davon ist es das Zusammenspiel zumindest dreier Elemente, die es „Nicht-Standard-Parteien“ ermöglichen, gegenwärtig in der Osthälfte des Kontinents zu reüssieren.
Die erste, frühe Woge gesellschaftlichen Grolls entlud sich an den demokratischen, antikommunistischen Eliten, die nach 1989 die Kommandohöhen der Politik erklommen hatten. Ihre wirtschaftlich-fiskalischen Rosskuren, aber auch ihre neue Lust an der Macht ließen vielerorts den Ruf nach einem politischen Denkzettel und der Abkehr von der Philosophie der Schocktherapie erklingen. Hiervon profitierten in mehreren Ländern die sozialdemokratisch umgeprägten Postkommunisten, die teils beeindruckende Wahlsiege erzielen konnten. Doch die Aleksander Kwaćniewskis und Gyula Horns rückten nicht von der Linie ihrer Vorgänger ab: Statt einer sozial- und wirtschaftspolitischen Neuausrichtung forcierten sie die makroökonomische Transformation und hielten an der Westintegration ihrer Länder fest. Die Enttäuschung über die unterlassene Kurskorrektur entfremdete Teile der Gesellschaften von der Politik und dürfte unter anderem für die zum Teil erschreckend niedrige Wahlbeteiligung verantwortlich sein. Doch hatte dieser zweite Desencanto auch die Suche nach einer neuen politischen Option zur Folge: Andere Kräfte als die Formationen des Übergangs und die exkommunistischen Epigonenparteien waren gefragt. Derzeit scheinen die Populisten für viele Stimmbürger die einzige unbefleckte Alternative zu sein.
Der Beitritt zur EU generierte nicht nur eine Art inhaltliches Vakuum, er hatte auch einen neuen Erwartungsdruck zur Folge. Die Aufnahme in die Union symbolisiert gleichsam die Zugehörigkeit zum wohlhabenden Teil Europas – nur konnte die Prosperität noch nicht in alle Winkel der vormals kommunistischen Welt vordringen. Bestand in der Periode der Vorbereitung und Annäherung noch ein Mindestmaß an Akzeptanz der Reformunbill, wurden nun die Unterschiede zur alten EU – von Lohndifferenzialen bis zum Zustand des politisch-administrativen Systems – augenfällig. Die weiterhin hohe Zustimmung zur europäischen Integration zeigt, dass sich die Ernüchterung über diese Diskrepanzen nicht gegen Brüssel, sondern gegen die heimischen Lenker des Reformprozesses richtet.
Die Politik der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umgestaltung ist seit der kurzen „visionären“ Phase der Transition in einen nüchtern-rationalen Transformationsdiskurs eingebettet. Spätestens als sich in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre die Beitrittsperspektive zur EU verdichtete, hatte sich in fast allen Ländern der Region ein Reformkonsens der staatstragenden Parteien herausgebildet, der aus einem Katalog von Anpassungsleistungen und Innovationserfordernissen bestand. So wichtig die Umsetzung dieser Aufgabenliste war, führte sie aber auch zu einer Verengung der politischen Debatte, ja zur Austrocknung programmatischer Auseinandersetzungen über Grundsatzfragen des Gemeinwesens. Was liberale Politiker aus Ostmitteleuropa mittlerweile kritisch als „technokratischen Nihilismus“ oder „voluntaristische Politik von Modernisierungseliten“ beschreiben, generierte gewissermaßen eine Nachfrage nach Repolitisierung. Genau dieses – nach dem Erreichen des Generalziels EU-Mitgliedschaft nochmals gewachsene – Bedürfnis befriedigen viele der nationalistischen oder populistischen Parteien. Mit ihren „Projekten“, ihrer Fundamentalkritik und ihren maximalistischen Offerten werfen sie gleichsam farbige Blüten in das politische Brachland des posttransformativen Raumes.
Die Nutznießer
Es sind keineswegs nur „Nationalisten“, die aus dieser Gemengelage Kapital schlagen. Ein Blick auf die jüngsten Wahlen in den neuen EU-Mitgliedstaaten verdeutlicht, dass ganz unterschiedliche Ausprägungen „nonkonformistischer“ Politik in der Lage sind, das Unruhepotenzial für sich abzurufen.
Da wären erstens die sozialkonservativen Traditionalisten. Prototypen dieser Richtung sind die Kaczynski-Zwillinge mit ihrer Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) oder Viktor Orbáns Fidesz in Ungarn. Mit Parolen wie „soziales Polen“ oder „solidarisches Ungarn“ bieten sie einen empathischen Konservatismus an, der die Forderung nach Big Government mit einer Rückbesinnung auf traditionelle Werte und Gemeinschaften (Familie, Kirche[n], Nation) kombiniert. In ihrem Kampf gegen die neue „Aristokratie“, die exkommunistische „Luxuslinke“ und die liberale Intelligenz sehen sie eine Voraussetzung zur Gesundung des Gemeinwesens und des Staates.
Eine zweite Strömung mit Oberwasser sind Linksnationale vom Schlage des polnischen Agrarpopulisten Andrzej Lepper oder – als mildere Variante – des Slowaken Robert Fico. Für diesen sind „Globalisierung, Liberalisierung und Privatisierung“ Waffen in einem weltweiten Kampf um Macht, Einfluss und Rohstoffe, der dem faschistischen Großmachtstreben während des Zweiten Weltkriegs ähnele. Anders als die Sozialkonservativen, die eine Art „positive“ Identitätspolitik betreiben, propagieren diese Politiker das Nein zu Modernisierung und Globalisierung ohne ein ausdifferenziertes gesellschaftliches Zukunftsvorhaben. Im Zentrum ihrer elektoralen Versprechungen stehen daher sozialpolitische Abfederungsmaßnahmen und ein wirtschaftlich aktiver Staat.
Schließlich können immer wieder diverse „Populisten per se“ punkten. Ähnlich wie die beiden anderen Typen prangern auch sie Korruption, Seilschaften und Misswirtschaft an, doch haben sie darüber hinaus kein ambitioniertes politisches Umbauprojekt. Zu dieser Kategorie gehören einerseits gemäßigte Saubermann-Gruppierungen wie die Neue Ära in Lettland oder die als Volksbewegung Simeon II. gegründete „Zarenpartei“ in Bulgarien, vermutlich auch die noch junge Partei Bürger für eine Europäische Entwicklung Bulgariens des Sofioter Oberbürgermeisters Bojko Borissov. Zumindest die erstgenannten Vereinigungen haben sich vor allem nach ihrer Einbindung in Regierungsverantwortung rasch zu unspektakulären konservativen bzw. liberalen Parteien gewandelt. Andererseits sind auch demagogische Antiestablishmentparteien und -Politiker in diese diffuse Rubrik einzureihen. Ein frühes Exemplar dieser Variante stellte der Exil-Pole und Kandidat bei den ersten freien Präsidentschaftswahlen Stan Tyminski dar; aus den letzten Jahren sind kontroverse Persönlichkeiten wie der vormalige litauische Staatspräsident Paksas oder sein Landsmann Uspaskich zu nennen, die sich durch Unregelmäßigkeiten und dubiose Kontakte selbst disqualifizierten.
Haben diese Richtungen eine politische Zukunft? Parteien der dritten Option sind zumeist ephemere Erscheinungen. Entweder „normalisieren“ sie sich oder sie verschwinden dank ihres suspekten Führungspersonals von der Bildfläche. Linksnationale haben bessere Karten, besteht doch allerorten ein beachtlicher Resonanzboden für ihre Postulate. Allerdings stehen sie unter hohem Erfolgsdruck, sozialpolitisch zu „liefern“, was angesichts budgetärer Restriktionen schwierig bleibt. Hier können die Sozialtraditionalisten punkten: Ihr solidarisch-egalitärer Appell, ihr Eintreten für Recht und Ordnung sowie ihr Bekenntnis zur Wahrung nationaler und kultureller Souveränität verleiht ihnen üppige Mobilisierungs- und Loyalitätschancen. Den erfolgreichen Vertretern dieser Kategorie ist es denn auch gelungen, eine Anhängerschaft hinter sich zu sammeln, die weit über die Gruppe der Transformationsverlierer hinausgeht. Sie umfasst ebenso diejenigen, die zwar nicht am Rande der Gesellschaft stehen, die aber den Anschluss an die neue, urbane Middle-Class verpasst haben und als „verhinderte Mittelschicht“ mit den politischen Realia in ihrem Land hadern. Und sie beinhaltet all die, die in der kalten Welt des Systemwandels mehr „Gemeinschaft“ suchen. Die Zusammenführung des Gerechtigkeits- und des Identitätselektorats sowie die Etablierung eines mächtigen egalitär-nationalen Poles in der politischen Landschaft ist der eigentliche Erfolg der „plebejischen“ Politik der Orbáns und Kaczynskis. Offen ist, wie gefestigt dieser Pol ist.
Die Folgen
Inwieweit sich Traditionalisten und Linkspopulisten konsolidieren können, hängt davon ab, wie sie den Sprung in die Regierungsverantwortung bewältigen. Dort zeigt sich auch, ob und in welcher Form sie eine Herausforderung für die Außenwelt darstellen. Die akutesten Fälle sind sicherlich das Polen der Kaczyn skis und die Slowakei unter Robert Fico. Was ist in diesen Ländern zu beobachten?
Außen- und europapolitisch sind die Konsequenzen recht unterschiedlich. Robert Ficos Regierung ist europapolitisch unspektakulär, begrüßte den Verfassungsvertrag und hält das Land in Sachen Euro-Zonen-Beitritt auf Kurs. Hingegen sind seine Antiglobalisierungsrhetorik, das betont freundschaftliche Verhältnis zu Russland und die ambivalent-pragmatische Haltung gegenüber autoritären Regimen Ausdruck einer neuen strategischen Akzentsetzung. Anders die Regierungen der PiS in Polen. Dass diese bei europäischen Großthemen wie Abstimmungssystem oder EU-Russland-Beziehungen kantig sind, hat nur sehr begrenzt mit einem Kaczynski-Effekt zu tun, da in diesen Fragen in der polnischen Außenpolitik weitgehend Übereinstimmung besteht – nicht unbedingt über die Methode, aber über die Ziele. Allerdings mehren sich die Fehden, die mit der Brüsseler Kommission bzw. vor dem Europäischen Gerichtshof ausgefochten werden; dies kann auch darauf zurückgeführt werden, dass zahlreiche Sachthemen – etwa der Kampf um Subventionen für die Danziger Werft – zu nationalen Essentials stilisiert werden. Problematischer ist hingegen die aus mangelnder Expertise, verfehlter Personalpolitik, Ideologisierung und Historisierung resultierende Konzeptlosigkeit in der Außenpolitik, die das Land vielfach schwer berechenbar macht. Eine negative Auswirkung lässt sich nicht zuletzt dort ausmachen, wo sensitive bilaterale Beziehungen betroffen sind: So sind der Stillstand in den deutsch-polnischen Beziehungen und so manche Eintrübung in den slowakisch-ungarischen Beziehungen direkte Konsequenzen der Präsenz „patriotischer“ oder nationalistischer Parteien in den Regierungen.
Keine desaströsen Implikationen lassen sich einstweilen im Bereich Wirtschaft und Soziales erkennen. Weder in Warschau noch in Bratislava haben Regierungen durch eine generöse Sozial- und Finanzpolitik unkontrollierte Defizite ausgelöst. Zwar wird bei der Privatisierung großer Staatsunternehmen gebremst (wie bei der vereitelten Übernahme des Flughafens Bratislava durch österreichische Konkurrenz), gibt es Versuche, die Notenbank zu gängeln (so in Polen, wo ein gefügiger, aber wenig kompetenter Kandidat Zentralbankchef wurde) oder werden sozialpolitische Wohltaten gestreut (Auszahlung einer jährlichen Sonderzahlung an Rentner in der Slowakei). Dies alles hält sich jedoch im Rahmen und konnte das jeweils robuste Wachstum nicht gefährden.
Am stärksten scheinen die Konsequenzen mit Blick auf die Innenpolitik. Tatsächlich geben insbesondere die Kaczynski-Zwillinge Anlass, näher hinzuschauen. Ihre Politik der konsequenten Machtkonzentration, ihre Kritik, ja Bevormundung der Gerichte, ihr extensiver Rekurs auf Geheimdienste und Polizeistrukturen, ihr manichäisches Weltbild lassen zumindest aufhorchen. Dabei ist eines klar: Die Demokratie steht nicht zur Disposition, jedoch entwickelt sich in Ansätzen eine Art polarisierte Majorzdemokratie heraus, bei der die Regierung sich konsequent auf ihre (angebliche) Mehrheit beruft, um ohne Bemühen um Konsens ihre Vorhaben durchzusetzen. Ein zweites, die inneren Verhältnisse betreffendes Phänomen geht mit dem Aufstieg populistischer Parteien einher und wirkt sich negativ auf die Handlungsfähigkeit dieser Länder aus: Die Ausweitung von Patronagepraktiken und Klientelverhältnissen. National- und linkspopulistische Parteien, oft gerade wegen ihrer Antikorruptionsparolen gewählt, tendieren häufig dazu, nach Übernahme von Regierungsverantwortung neue Netzwerke zu stricken. Der Fall Lepper in Polen zeigt dies deutlich, etwas sublimer das (schwer nachzuweisende) angebliche Nahverhältnis Ficos zu diversen Industriegruppen.
Müssen Partner in der EU den Entwicklungen in den neuen Mitgliedsländern, den populistischen Wellen tatenlos zusehen und Regierungen wie die der Kaczynskis schlicht aussitzen? In der Tat gibt es kaum effiziente äußere Hebel. Natürlich ist zu intervenieren, wenn individuell oder kollektiv diskriminiert wird oder elementare Standards von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit missachtet werden. Die EU kennt entsprechende Regeln, und ihre Institutionen müssen bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen tätig werden. Diese Situationen werden jedoch die große Ausnahme sein. Externes politisches Engagement ist ebenfalls ein riskantes Unterfangen, da Isolationsversuche sehr leicht gerade denen Rückenwind geben können, die eigentlich in ihre Schranken verwiesen werden sollen. Der einzig prospektive Weg, um den nationalistischen und populistischen „Nicht-Standard-Parteien“ das Wasser abzugraben, ist die inhaltliche Aufwertung ihrer innenpolitischen Konkurrenz. Die moderaten Parteien liberaler, christ- und sozialdemokratischer Couleur müssen die programmatische Lufthoheit zurückgewinnen und eigene Angebote für eine Repolitisierung des öffentlichen Diskurses entwickeln. Hierbei geht es zum einen um die in der alten EU bekannten Reformfragen, etwa der sozialen Sicherungssysteme, zum anderen muss die Rolle des Staates und seiner Funktionsfähigkeit thematisiert werden. Und schließlich müssen auch die gemäßigten Parteien eine Antwort auf die Frage nach postkommunistischer Identitätspolitik finden. Die Aufgabe des alten Europa besteht darin, die konstruktiven Akteure bei dieser Suche zu unterstützen und ihnen die Chance zu geben, ihre nationalen Spezifika in der EU zur Geltung zu bringen.
KAI-OLAF LANG, geb. 1967, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsgruppe EU-Integration bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.
Internationale Politik 10, Oktober 2007, S. 58 - 63.