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01. Jan. 2021

Wahre Freiheit

Warum wir Forschungskooperation und Dialogprogramme mit Nicht-Demokratien neu denken sollten. Von roten Linien und eigenen Werten.

Nach dem Ende des Kalten Krieges sahen sich Europa und der Westen mit ihrem Modell liberaler Demokratie und der offenen Gesellschaft als klare Sieger der Geschichte. Der Rest der Welt, so die weit verbreitete Annahme, würde sich nach und nach demokratisieren. Die verbliebenen autoritären Regierungsmodelle würden sich bald auf dem Müllhaufen der Geschichte wiederfinden.



Forschungskooperation und Dialogprogramme mit Nicht-Demokratien orientierten sich an dieser Konvergenzannahme. Zusammenarbeit und Austausch sowie die Förderung zivilgesellschaftlicher Akteure, so die Erwartung, würden die Angleichung nicht-demokratischer Systeme an westliche Demokratien beschleunigen und liberal-demokratische Elemente in Übergangsgesellschaften stärken. Dass 1989 auch das Jahr war, in dem die Machthaber Chinas die eigene Demokratiebewegung auf dem Platz des Himmlischen Friedens massakrierten, konnte dem Glauben an die Alternativlosigkeit des demokratischen Modells wenig anhaben. Entsprechend selbstbewusst und sorglos gingen Stiftungen, Think Tanks, NGOs und Universitäten Kooperationsprojekte an, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass Kooperationspartner auch eine eigene Agenda haben könnten.



Fast drei Jahrzehnte später stellt sich das als dramatische Fehleinschätzung heraus. Wir können nicht mehr davon ausgehen, dass Forschungskooperation sowie Dialog- und Austauschprogramme mit Nicht-Demokratien wie Russland, China oder der Türkei dazu führen, dass diese sich in Richtung liberale Demokratien und offene Gesellschaften entwickeln. Autoritäre Systeme wie in China verhärten sich, andere Staaten wie die Türkei bauen liberal-demokratische Elemente ab und entwickeln sich in Richtung autoritäre Systeme. Sie schränken die Freiheit und Bewegungsräume zivilgesellschaftlicher Organisationen und Medien sowie der Wissenschaft systematisch ein. Dies hat drastische Konsequenzen für Kooperations- und Austauschprojekte. Nicht wenige Partner westlicher Stiftungen, NGOs und Think Tanks finden sich im Gefängnis wieder. Der Druck nimmt zu, Kooperations- und Austauschprojekte nur mit regierungskonformen Partnern und thematisch eng gefasst durchzuführen. Länder wie Iran nehmen ausländische Forscher (wie die französische Wissenschaftlerin Fariba Adelkhah) unter Vorwand als Geiseln, um sie als diplomatische Verhandlungsmasse zu nutzen. Peking hat diesen Weg ebenso eingeschlagen mit der Geiselnahme der beiden Kanadier Michael Spavor und Michael Kovrig, der als Forscher für die NGO International Crisis Group arbeitet – als Vergeltung für die Festsetzung der Tochter des Huawei-Gründers in Kanada. Auch an Washington sandte China eine klare Warnung: Die USA sollten von der juristischen Verfolgung von Vergehen chinesischer Forscher in den USA ablassen, die sich dort unter anderem wegen Diebstahl geistigen Eigentums verantworten müssen. Sonst „könnten sich auch US-Bürger in China in Verletzung chinesischer Gesetze wiederfinden“.



Auch in einzelnen EU-Staaten wie Ungarn wird die Freiheit von Universitäten und NGOs stark eingeschränkt. Gleichzeitig wird immer deutlicher, dass Staaten wie China sehr strategisch vorgehen in der Gestaltung westlicher Austausch- und Kooperationsbeziehungen jeglicher Art. Es gibt klare Vorgaben, wie diese Projekte dem eigenen Machterhalt und der internationalen Imagepflege des Regimes dienen sollen. Das Vorgehen offizieller Partner in Dialog- und Austauschprogrammen ist oft zentral abgestimmt und ausgesprochen selbstbewusst. Autoritäre Staaten wie China nehmen auch selbst Geld in die Hand und fördern Aktivitäten in Think Tanks und Universitäten oder sichern sich die Dienste einzelner Wissenschaftler. Sie nutzen die Visavergabe als Hebel gegenüber Wissenschaftlern, um diese gefügig zu machen. Dabei ist die Herausforderung durch China eine besondere. Pekings autoritärer Hochtechnologie-Staatskapitalismus straft die bislang dominante Erwartung Lügen, dass nur offene Gesellschaften innovativ sein können. Peking beweist, dass man technologische Fortschritte erzielen und gleichzeitig die Wissenschaftsfreiheit immer stärker einschränken kann. Heute lechzen gerade die Natur- und Technikwissenschaften in Europa nach Zugang zu Chinas wissenschaftlichen Talenten, Laboren und Datenschatz. Gleichzeitig steigt in Staaten mit gebührenfinanzierten Hochschulen (wie Australien und Großbritannien) die Abhängigkeit von zahlenden Studierenden aus China.



Kein „Weiter so“

Ein einfaches „Weiter so“ ist als Reaktion auf diese neuen Rahmenbedingungen für Forschungskooperation und Dialogprogramme ebenso fehlgeleitet wie weitverbreitet. Das Brüsseler Center for European Policy Studies (CEPS) behauptete noch im Juni 2020, dass Austauschprogramme „erfolgreich Europas ‚soft power‘ in den klügsten Köpfen von Chinas nächster Generation Geltung verschafft“ hat. Allzu viele richten sich noch nach dem Motto „Jeder Dialog ist ein guter Dialog“, ganz gleich, nach welchen Regeln er gestaltet ist. Annette Schavan, die als Bundesministerin für Wissenschaft und Bildung Deutschland und China „gemeinsam auf dem Weg des Wissens“ wähnte, leitet heute mit dieser Einstellung gemeinsam mit ihrem ehemaligen chinesischen Amtskollegen Wan Gang das Deutsch-Chinesische Dialogforum. Schavan verfolgt die Gründung einer deutsch-chinesischen Jungen Akademie, ohne dass klar wäre, wie dabei die Wissenschaftsfreiheit gewährleistet ist. Diese spielt auch für die Leopoldina in ihrer Kooperation mit China eine untergeordnete Rolle. In der gemeinsam mit der Chinesischen Akademie der Wissenschaften verfassten „Pekinger Erklärung zur Grundlagenforschung“ aus dem Jahr 2019 findet sich wenig Handfestes zur Forschungsfreiheit, dafür aber Xi Jingping-Sprache zur „gemeinsamen Zukunft der gesamten Menschheit“. Dieser Schulterschluss der „ältesten Akademie der westlichen Welt und der stärksten Akademie des Ostens“ servierte dem Parteistaat einen Propagandaerfolg auf dem Silbertablett.



Trotz der Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit in Ungarn, wo Premier Viktor Orbán die Central European University aus dem Land vertrieben hat, sprach Bundeskanzlerin Angela Merkel im Sommer 2019 gegenüber Orbán davon, „miteinander eine noch sichtbarere Wissenschafts- und Forschungsagenda zu entwickeln“. Kurz zuvor hatten sich noch die Leiter der zehn führenden deutschen Wissenschaftsorganisationen in einem offenen Brief gegen Orbáns Angriffe auf die Ungarische Akademie der Wissenschaften gewandt. Merkels Intervention sendet ein fatales Signal: Die Regierungschefin tritt nicht für die Wissenschaftsfreiheit ein, wenn es bei einem parteipolitisch befreundeten Staatschef außenpolitisch etwas kostet. Merkels Diktum „Doch Wissenschaft ist nie national. Wissenschaft dient der Menschheit“, das sie in einer Regierungserklärung zur Corona-Politik prägte, mag das normativ Wünschenswerte zum Ausdruck bringen. Empirisch taugt die Aussage wenig, da viele mächtige Entscheidungsträger (auch in Demokratien) Wissenschaft als Instrument zur Verfolgung nationaler Interessen sehen.



Selbst der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD), der Wissenschaftsfreiheit ins Zentrum seiner Bemühungen stellt und wichtige Beratungsleistungen für Kooperation mit Nicht-Demokratien bereitstellt, hat sich noch nicht komplett von den Illusionen der Zeit nach 1989 befreit. Das DAAD-Motto „Wandel durch Austausch“ verspricht: „Kooperation trägt zu politischem und sozialem Fortschritt bei.“ Doch dieses Fortschrittsversprechen wird in vielen Nicht-Demokratien allzu oft nicht eingelöst.



Trotzdem wäre es falsch, als Antwort mutwillig alle Brücken zu Nicht-Demokratien einzureißen. Diesen Ansatz verfolgte die Trump-Regierung gegenüber China. Opfer war zum Beispiel das Fulbright-Austauschprogramm mit China und Hongkong. Trotz oder gerade wegen der erschwerten Bedingungen ist die Arbeit mit Partnern in zunehmend autoritären Staaten weiterhin sehr relevant. Was also tun?



Erstens gilt es, zivilgesellschaftliche Partner nicht im Stich zu lassen und weiterhin Freiräume zu nutzen, egal wie klein sie sind. Zweitens sind zwischengesellschaftliche Dialogkanäle gerade im Zuge steigender politischer Spannungen zwischen Staaten von zentraler Bedeutung, ganz im traditionellen Sinne der Völkerverständigung. Dabei geht es um ein besseres Verstehen des Gegenübers, nicht fehlgeleitetes Verständnis. Der US-Forscher James Milward ist  eine der stärksten Stimmen gegen Repression in Xinjiang. Gleichzeitig sagt er, es sei heute wichtiger denn je, kulturelle und wissenschaftliche Beziehungen zu China aufrechtzuerhalten. Drittens gibt es Kooperationsnotwendigkeiten bei grenzüberschreitenden Herausforderungen wie dem Klimawandel, bei denen man sich Kooperationspartner nicht nach Regimetyp aussuchen kann.



Deshalb hat Merkel recht, wenn sie sagt: Die „Tatsache, dass uns sehr Grundsätzliches trennt, sollte jedoch kein Argument gegen Austausch, Dialog und Zusammenarbeit sein – ganz besonders nicht in einer Zeit, in der wir eine an Schärfe zunehmende Auseinandersetzung zwischen den USA und China erleben. Vielmehr ist offener, kritisch-konstruktiver Dialog wichtiger denn je, um unsere europäischen Werte und Interessen zu behaupten.“ Das trifft nicht nur auf China, sondern auch auf andere Nicht-Demokratien wie Russland und die Türkei zu. Doch um europäische Werte und Interessen zu behaupten, müssen wir Forschungskooperation und Dialogprogramme mit Nicht-Demokratien überdenken. Dazu haben wir in unserer Studie „Risky Business“ eine Agenda entwickelt.

Grundlage aller Kooperationsprojekte sollte ein gutes Verständnis der eigenen Werte sein. Zu den grundlegenden Werten gehören Menschenrechte, Wissenschaftsfreiheit sowie Forschungsintegrität, wie sie durch den „European Code of Conduct for Research Integrity“ definiert ist.



Einstehen für rote Linien

Darauf basierend müssen Institutionen rote Linien definieren. Beispiele: keine Kooperationspartner in Gefahr zu bringen („do no harm“), gegen Zensur bei Kooperationsprojekten vorzugehen, keine Daten zu verwenden ohne Herkunftsprüfung sowie gegen Diskriminierung Einzelner in Kooperationsprojekten anzugehen. Letzteres heißt bei Begegnungsprogrammen etwa, die gesamte Veranstaltung abzusagen, wenn einzelnen Teilnehmern aus politischen Gründen Visa verwehrt werden. Es gibt keinen Grund, eigene Werte präventiv für die Kooperation mit Nicht-Demokratien weichzuspülen, wie es Robin Niblett, der Direktor des Londoner Think Tanks Chatham House, vorschlägt – außer sich als Empfänger für Geld aus solchen Ländern attraktiv zu machen. Demokratien sollten öffentlich für Werte und Prinzipien einstehen, so wie es deutsche Stiftungen etwa im Falle der Verfolgung ihres Kooperationspartners Osman Kavala durch die Erdoğan-Regierung tun.



Wissenschaftsorganisationen wie der DAAD haben eine stärkere Nutzung des „Academic Freedom Index“ ins Auge gefasst, der eine wichtige Ergänzung zu den gängigen Hochschulrankings liefert, bei denen die Wissenschaftsfreiheit kein Kriterium ist. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung schlägt heute ganz andere Töne an als unter Schavan. Ministerin Anja Karliczek setzte im Oktober mit der „Bonner Erklärung für Forschungsfreiheit“, die alle EU-Amtskolleginnen und -kollegen unter deutscher Ratspräsidentschaft unterzeichneten, einen klaren Akzent. Forschungsfreiheit solle „sichtbare Grundlage jedes politischen Dialogs über Forschung und Innovation sowie jeder Forschungszusammenarbeit“ sein, so die Erklärung, in der sich die Minister „zum Schutz der Forschungsfreiheit verpflichten, insbesondere in Zeiten, in denen weltweit und auch in Europa immer häufiger von Verletzungen dieser Freiheit berichtet wird“. Ein sehr wichtiges Signal.



Besserer Umgang mit Risiken

Zu den Risiken der Kooperation mit Partnern aus nicht-demokratischen Staaten gehören zuvorderst Abhängigkeiten in puncto Finanzen und Zugang zu wissenschaftlicher Infrastruktur. Dies kann zu Selbstzensur, Beeinflussbarkeit mit Blick auf Agenda-Setting und Curriculum sowie zum Ignorieren weiterer Risiken führen. Deshalb gilt es, Abhängigkeiten zu minimieren. Universitäten, Think Tanks und NGOs sollten keine finanziellen Mittel aus nicht-demokratischen Staaten für eigene Aktivitäten annehmen. Sie sollten auch die Bestimmungen jeglicher Kooperationsvereinbarungen transparent machen. Der Fall der vom chinesischen Parteistaat finanzierten Professur an der FU Berlin ist ein Paradebeispiel dafür, wie man es nicht machen sollte. Staatliche und private Förderer wie Stiftungen sollten klare Anreize setzen und diejenigen Institutionen, welche keine Gelder aus autoritären Quellen annehmen, bevorzugen. Think Tanks sollten einen Verhaltenskodex für Kooperation mit Nicht-Demokratien erarbeiten.



Handlungsbedarf besteht auch bei Dialog- und Austauschprogrammen mit Nicht-Demokratien. Hier findet zu wenig Qualitätskontrolle und Erfahrungsaustausch unter Praktikern statt. Es gilt, mehr in die Vor- und Nachbereitung zu investieren. Es ist sinnvoller, in weniger, aber besser vorbereitete Dialogformate zu investieren. Insbesondere politische Stiftungen müssen sehr vorsichtig abwägen, wann und wie ihr Engagement vor Ort noch Sinn hat. Die Friedrich-Naumann-Stiftung entschloss sich 2020 im Zuge der Repressionen durch das neue Sicherheitsgesetz, das Büro in Hongkong zu schließen. Andere Stiftungen haben gute Gründe, ihre Aktivitäten auch unter immer repressiveren Bedingungen vor Ort aufrechtzuerhalten. Aber für die innere Unabhängigkeit und eine bessere Verhandlungsposition gegenüber offiziellen Vertretern aus Nicht-Demokratien muss die Exit-Option immer auf dem Tisch sein.

Für Kooperation mit Nicht-Demokratien sollte gelten: ohne finanzielle Abhängigkeiten, ohne Illusionen, dafür mit Prinzipientreue und besseren Strategien zur Risikominimierung. All das gibt es nicht zum Nulltarif. Das setzt nicht nur einen Kulturwandel, sondern auch finanzielle Investitionen voraus. Aber es lohnt sich, um unsere Kanäle in Nicht-Demokratien auf eine bessere Grundlage zu stellen.

 

Asena Baykal ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Global Public Policy Institute (GPPi) in Berlin.

Thorsten Benner ist Direktor des GPPi. Dieser Text basiert auf der von der Stiftung Mercator geförderten Studie „Risky Business. Rethinking Research Cooperation and Exchange with Non-Democracies“.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar-Februar 2021, S. 97-101

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