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29. Apr. 2024

USA 2040: Katerfrühstück mit Hamilton

Die Zeit wird kommen, die schlimmsten Fehler der Trump-Jahre zu korrigieren und die Nation wieder zusammenzuführen. Dazu gehört dann auch eine neue Partei.

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Gemälde: Porträt von  Alexander Hamilton
Retten seine Ideen die USA erneut vor dem Zerfall? Alexander Hamilton gehört zu den amerikanischen Gründervätern – 2040 könnte, zumindest in der Fiktion, eine neue Partei sein Erbe fortführen.
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Am 14. Oktober 2041, dem zweiten Montag des Monats, einem strahlenden, viel zu warmen Wintertag, fand im Hafen von Baltimore im US-Bundesstaat Maryland ein bemerkenswerter Festakt statt. Was einst als „Columbus Day“ ein nationaler Feiertag war, wurde zum ersten Mal offiziell als „Re-Discovery Day“ begangen – als Tag, an dem die Wiedergeburt einer dem Bürgerkrieg knapp entgangenen Nation erst würdevoll und dann ausgelassen gefeiert wurde. 

Zwei Tage zuvor war der frisch aus der Generalüberholung gekommene Flugzeugträger „USS George H. W. Bush“ unter der nagelneuen Francis Scott Key Bridge hindurch in Amerikas wichtigsten Überseehafen eingelaufen, um als schwimmende Bühne für das Feiertagsschauspiel am Containerterminal festzumachen. Schon das Einlaufen war ein Spektakel gewesen. Hunderttausende hatten sich auf der neuen Brücke und den Docks und Piers versammelt, um die Ankunft des Schiffes zu bejubeln, auf dem die Wiedergeburt der Nation vollzogen werden sollte. Die Brücke selbst war erst im Sommer zuvor eröffnet worden, nachdem sich die Bauarbeiten zu ihrer Wiederrichtung nach dem Einsturz im März 2024 doppelt so lange hingezogen hatten wie erwartet. Beobachter waren sich einig, dass in Baltimore an diesem Tag Geschichte geschrieben wurde. Doch wie so oft war auch diesmal der historische Tag selbst nur Endpunkt und Symbol dessen, was sich eigentlich zugetragen hatte und was leicht, statt zu Wiedergeburt, zu Zerfall und Niedergang hätte führen können. Was war geschehen?

Im November 2024 hatte Donald Trump einen knappen, aber unanfechtbaren Sieg bei den Präsidentschaftswahlen errungen. Deutlich mehr Schwarze und Latinos als erwartet hatten Trump gewählt, und auch unter Frauen und Erstwählern hatten sich überraschend viele gegen Amtsinhaber Joe Biden entschieden. 

Die Vollstrecker des Präsidenten Trump wähnten sich auf der Siegerstraße – aber nicht für lange 

In den folgenden vier Jahren bis zu Trumps plötzlichem Tod kurz vor den Präsidentschaftswahlen 2028 hatten er und sein Team Ernst gemacht und einen weitgehenden Umbau des politischen Systems in die Wege geleitet. Mit dem ­Argument, man müsse die ursprüngliche, von den Gründervätern der Verfassung gewollte Machtbalance zwischen Legislative und Exekutive wiederherstellen, hatten Trumps Vollstrecker zunächst einen großen Teil der Beamtenschaft entlassen. Alle Ministerien, aber auch zahlreiche nachgeordnete Bundesbehörden wie der Nationale Wetterdienst, das Katastrophenschutzamt FEMA, die Umweltbehörde EPA sowie Forschungseinrichtungen und regierungseigene Watchdogs wurden zusammengestutzt, aufgeteilt und teilweise komplett abgewickelt. Die Idee dahinter war einfach: Der Kongress als eigentlicher Vertreter der Bürger im Land sollte seine Verantwortung wieder Ernst nehmen und nicht stillschweigend durch Nichtstun einen großen Teil seiner Aufgaben de facto an die Regierung delegieren, die genau dadurch zu einem aufgeblähten und unkontrollierbaren Moloch geworden war. 

Schon bald nach Trumps Amtsantritt im Januar 2025 kam es dabei zu ersten erbitterten Auseinandersetzungen – aber nicht nur zwischen Trumpisten und dem „deep state“, sondern vor allem innerhalb der neuen Regierung. Es stellte sich nämlich schnell heraus, dass Trumps engstes Umfeld von einer Stärkung des Parlaments, die ein großer Teil der libertären, verfassungspatriotischen Konservativen anstrebte, nichts wissen wollte. Ihr Ziel war es, die Stellung des Präsidenten im System maximal zu stärken, und zwar sowohl gegenüber dem Kongress als auch gegenüber dem Verwaltungsapparat und dem Civil Service. In ihren Augen bestand die neue Verantwortung des Kongresses vor allem darin, Trump nicht im Wege zu stehen, sondern ihm ausreichend Haushaltsmittel zu überlassen. 

Tatsächlich konnten sich die Vollstrecker des Präsidenten schon bald auf der Siegerstraße wähnen. Durch die Entlassungs- und Einsparungswelle wurde die Exekutive innerhalb kürzester Zeit deutlich geschwächt und die Macht des Präsidenten über seinen Verwaltungsapparat vergrößerte sich spürbar. Gleichzeitig verlagerte sich, ebenfalls wie von den Trumpisten ersehnt, viel exekutive Macht in die Bundesstaaten, die nun zum Teil auffangen mussten, was von Washington nicht mehr geleistet werden konnte. 


Neue Machtfülle der Bundesstaaten

Dieser Trend wurde zusätzlich verstärkt durch Urteile des Obersten Gerichtshofs, der keine Gelegenheit ausließ, die „states rights“ auf Kosten der Kompetenzen der Zentralgewalt auszuweiten. Zahlreiche Gesetzgebungs- und Vollzugskompetenzen wurden an die Staaten delegiert, die ihre neue Machtfülle nicht ungenutzt liegen ließen und nur durch mangelnde eigene Haushaltsmittel daran gehindert wurden, sie noch umfänglicher auszukosten.

Bereits in der zweiten Hälfte von Trumps zweiter Amtszeit wurde durch diese ent­fesselten Kräfte die Rechtslandschaft der USA erheblich uneinheitlicher und zerklüfteter. Steuerpolitik und Umweltregulierung, Bildungswesen und Krankenversicherung, Verbraucherschutz und Bankenaufsicht, Kartellrecht und sogar Strafrecht – der Rechtsraum zersplitterte zusehends, wobei sich die Teilung in republikanische „Red States“ und demokratische „Blue States“ in zwei verfeindete Lager zeitgleich ebenfalls vertiefte. 

Womit die Trumpisten nicht gerechnet hatten, war, dass man die Macht des ­bürokratischen Verwaltungsapparats nicht endlos beschneiden kann, ohne irgendwann auch die Machtbasis des Präsidenten anzugreifen. Schließlich sind die Beamten Teil der Exekutive, also seine eigenen Truppen. Viele der von Trump in Ämter gehievten Loyalisten erwiesen sich schnell als inkompetent und konnten selbst von einem dezimierten Beamtenkorps neutralisiert werden. Unterm Strich ergab sich aus Mittelkürzungen, Entlassungen, Machtverlagerung in die Bundesstaaten und Kompetenzverlust sehr rasch ein massives Machtvakuum in der Zentralregierung, das auch den Präsidenten erfasste. 

Trump allerdings erlebt die nun folgenden Turbulenzen nicht mehr. Im September 2028 erstickte er an einem hastig heruntergeschlungenen Brocken Leberkäse seiner neuen Lieblings-Fast-Food-Kette „Bavarian Burger“, die seit dem Frühjahr im Rosengarten des Weißen Hauses einen Food Truck betreiben durfte. Vizepräsident J.D. Vance, der die republikanischen Primaries bereits für sich entschieden hatte, übernahm die Amtsgeschäfte und gewann dann auch, mit knappster Mehrheit im Electoral College, die Wahlen 2028. Doch den von Trump entfesselten Sturm bekam Vance nicht mehr in den Griff. 

Als einige Bundesstaaten mit großem Außenhandelsvolumen begannen, offen die „Commerce Clause“ der Verfassung anzugreifen, entglitt dem neuen Präsidenten die Dynamik der von ihm mit herauf­beschworenen Bewegung. Die Commerce Clause legt fest, dass die Bundesebene den Handel nicht nur mit dem Ausland, sondern auch zwischen den Bundesstaaten regelt. Was etwas trocken anmutet, ist in Wahrheit der Superkleber, der den Föderalismus gegen seine eigenen Fliehkräfte zusammenhält. Handelsstarke Staaten wie Texas und Kalifornien wollten aber ihre eigene Handelspolitik machen und nahmen den Trumpismus beim Wort.  

Auch Staaten mit weniger Wirtschaftskraft fanden nun Wege, der Zentralgewalt zuzusetzen. Georgia, Virginia und North Carolina ließen den Präsidenten wissen, dass sie nicht länger gewillt seien, Truppenentsendungen von Militärbasen auf ihrem Territorium ohne Mitspracherecht hinzunehmen. Arkansas, New Mexico und Missouri schlossen sich bald an. Die Botschaft war klar: Bevor der Oberbefehlshaber den nächsten Einsatzbefehl unterzeichne, möge er die entsprechende Genehmigung dafür doch bitte erst einmal vor Ort einholen. Man wäre durchaus bereit, diese – beispielsweise gegen ein freundliches Entgegenkommen in Haushaltsfragen – auch zu erteilen. Das Pentagon protestierte, ein paar tausend Offiziere traten zurück, in West Virginia wurde die Nationalgarde mobilisiert.


Wiederherstellung der Zentralgewalt 

Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde auch verstockten Ideologen klar, dass mehr auf dem Spiel stand als ein bisschen MAGA. Die Regierung zu schwächen, das war das eine; das Land zu sprengen etwas ganz anderes. Wieder erwies sich die zeitloseste aller amerikanischen politischen Regeln als wirksam: Wo Druck ausgeübt wird, da entsteht Gegendruck.

Schon seit einiger Zeit hatte sich Widerstand gegen den Trumpismus nicht mehr nur auf die linksliberalen Hochburgen beschränkt. Jetzt wuchs der Widerstand auch dort, wo der Trumpismus sichere ­Alliierte wähnte: in den Bundesstaaten, die durch ihn so viel an Macht gewonnen hatten. Nicht nur den demokratischen „Blue States“, auch immer mehr republikanische „Red States“ erkannten, dass ihnen ihre ganze neue Machtfülle nichts nutzte, wenn zeitgleich die USA zerbröselten. 

Wichtigste intellektuelle Strömung unter moderat gesinnten Amerikanern in beiden Parteien wurden nun die „Neo-­Hamiltonians“, eine Gruppe, die sich, angelehnt an den Gründer der amerikanischen Zentralbank, Alexander Hamilton, für „fortified federalism“ einsetzte (manchmal auch „democracy with chest hair“ genannt), was nichts anderes war als die Stärkung der Zentralgewalt und eine (behutsame) Wiederherstellung des von Trump eingerissenen Regulierungsstaats. 

Die Präsidentschaftswahlen von 2032 konnte noch einmal ein Republikaner für sich entscheiden, ein Latino, Kind mexikanischer Einwanderer, der dem Trumpisten Vance die Kandidatur entrungen hatte, allerdings um den Preis einer Verleugnung Trumps, dessen Erbe den Republikanern nun anfing, schwer im Magen zu liegen. 2036 gewann eine schwache Demokratin die Wahlen, ins Amt gespült davon, dass den Republikanern in den Neo-­Hamiltonians ein ernsthafter Konkurrent erwachsen war und eine Gruppierung namens „AI – Artifical Independents“ einen 100-prozentigen Klon Elon Musks als Kandidaten auf den Wahlzettel gebracht hatte. Die Trump-Revolution war offiziell beendet, aber mit ihr hatten sich auch ein Land und seine beiden Parteien erschöpft und aufgerieben.

Die demokratische Präsidentin konnte mit der verzweifelten Kraft des Katers nach einer entglittenen Party einige der schlimmsten Fehler der Trump-Zeit korrigieren. Richtig zu sich kam das Land aber erst, als die Neo-Hamiltonians, nun eine breit angelegte, zentristische Partei, fiskal konservativ und gesellschaftspolitisch liberal, gemäßigt freihändlerisch und international gesinnt, den Wirtschaftsboom der Post-Trump-Jahre einfahren und mit einem Prozess des „national healing“ die wesentlichen Polarisierungen des Trump-Populismus lockern konnte. „It’s morning in America“ zitierte die 2040 ins Amt gewählte Präsidentin der Neo-Hamiltonians einen ihrer Amtsvorgänger (ein vormaliger Schauspieler aus Kalifornien), der diesen Satz genau 60 Jahre vor ihr im Wahlkampf verwendet hatte. Zehn Monate später, auf dem Flugdeck der USS Bush am „Re-Discovery Day“ in Baltimore, sagte sie: „Nichts, was immer schon groß war, muss erst wieder groß gemacht werden.“ Noch am selben Tag zogen Oregon seinen Antrag auf Austritt aus den USA und Vermont seinen Antrag auf Aufnahme in die Europäische Union zurück.  

 

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, Mai/Juni 2024, S. 56-59

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Jan Techau ist Director Europe bei der Eurasia Group in Berlin und Senior Fellow beim Center for European Policy Analysis in Wa­shington, D.C.

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