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01. März 2007

Unser Markt in Moskau

Handel durch Annäherung: Deutsch-russische Wirtschaftskooperation

Russlands Anteil am Weltbruttosozialprodukt wächst rasant. Nicht nur als Absatzmarkt mit 143 Millionen Verbrauchern, auch als einer der attraktivsten Investitionsstandorte Europas steht das Land im Fokus deutscher Unternehmen. Die deutsch-russische wirtschaftliche Zusammenarbeit ist ein Kernstück des Prozesses der gegenseitigen Öffnung.

„Wir haben eine strategische Partnerschaft mit Russland“: Diese klare Aussage von Bundeskanzlerin Angela Merkel begleitete den Auftakt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft Anfang dieses Jahres. Sie gilt auch für die deutsche Wirtschaft. Diese verfolgt ihr Engagement in Russland langfristig und lässt sich dabei von temporären Rückschlägen wie Ende der neunziger Jahre nicht aufhalten. Die Frage der strategischen Partnerschaft stellt sich dabei nicht nur auf dem Energiesektor, auch wenn sie in der öffentlichen Diskussion weitgehend auf dieses Thema reduziert wird. Eine strategische Partnerschaft geht viel weiter. Die Strategie der deutschen Wirtschaft gegenüber Russland setzt sich aus einem Dreiklang gemeinsamer Werte, gemeinsamer Interessen und gemeinsamer Ziele zusammen.

1. Gemeinsame Werte: Prozess statt Vorbedingung

Die in Deutschland und der Europäischen Union geführte Wertediskussion gegenüber Russland ist auch für die deutsche Wirtschaft wichtig. Dabei geht es einerseits nicht nur um Fragen der Demokratieentwicklung, der Medienfreiheit und der Menschenrechte, sondern auch um handfeste unternehmerische Entscheidungen: Wie sicher sind Investitionen in Russland? Wie ungehindert kann sich ausländisches Kapital entfalten? Wie verlässlich sind meine Partner? Andererseits braucht Demokratie ein festes wirtschaftliches Fundament. Die Position der deutschen Wirtschaft ist in dieser Hinsicht klar: Gemeinsame Werte können nicht nur abstrakt postuliert werden, sondern müssen sich in politischer Stabilität, verlässlichen Rahmenbedingungen und effektiven, transparenten Institutionen niederschlagen. All das sind wichtige Voraussetzungen für ein langfristiges und erfolgreiches unternehmerisches Engagement.

Russland hat dabei in den letzten 15 Jahren einen erfolgreichen Weg zurückgelegt. Diese Fortschritte werden in der öffentlichen Diskussion insbesondere der USA oftmals nicht ausreichend gewürdigt. Im wirtschaftlichen Bereich sind westliche Werte der „Corporate Governance“, der „Corporate Social Responsibility“ und der Transparenz eindeutig auf dem Vormarsch. Die Regierung Putin hat seit dem Jahr 2000 ein wahres Reformfeuerwerk abgebrannt, u.a. durch ein klares und einfaches Steuersystem, die Einführung von Sonderwirtschaftszonen, einen neuen Bodenkodex, die Bankenaufsicht und einen Einlagensicherungsfonds oder ein Bündel von Maßnahmen zur Mittelstandsförderung. Im Blickpunkt wird nun das neue Gesetz über die Investitionen ausländischer Unternehmen in strategische Branchen und Firmen stehen. Wichtige Prinzipien jeder Neuregelung müssen zwei Kernpunkte sein: zum einen ein klarer Bestandsschutz und zum anderen ein Maximum an Offenheit für Kapitalzuflüsse ausländischer Unternehmen.

Wir sehen aber auch deutlich die bestehenden Probleme und Mängel. Dazu gehören der Schutz bereits getätigter Investitionen, die Einhaltung vereinbarter Rahmenbedingungen und die Gleichbehandlung mit Inländern. Reformbedarf besteht insbesondere bei der staatlichen Verwaltung. Diese arbeitet oft unabgestimmt, die eigentlich richtigen Gesetze werden nicht einheitlich und klar genug umgesetzt. Diese institutionelle Herausforderung ist für die meisten Transformationsländer in Mittel- und Osteuropa typisch, aber in Russland besonders virulent. Zudem sind wir der Meinung, dass das geplante neue Gesetz zur Beschränkung von ausländischen Investitionen in strategischen Bereichen und beim Zugang zu den Bodenschätzen eine Ausnahmeregelung bleiben muss, die klar definiert ist und bereits bestehende Investitionen nicht antastet. Doch bei aller berechtigten Kritik werden wir gegenüber unseren russischen Gesprächspartnern nichts erreichen, wenn wir mit einem erhobenen Zeigefinger auftreten. Veränderungen können wir nur durch konstruktiven und fallbezogenen Rat bewirken.

Kritische Punkte werden vom Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft angesprochen, etwa im Rahmen der deutsch-russischen Regierungskonsultationen oder der bilateralen „Strategischen Arbeitsgruppe für finanzielle und wirtschaftliche Fragen“. Aufgrund der deutsch-russischen Geschichte, des sowjetischen Erbes und der, historisch gesehen, kurzen Reformperiode muss aber auch klar sein, dass eine vollständige Übereinstimmung unserer Werte nicht die Vorbedingung für Zusammenarbeit sein kann: Diese Werte müssen gemeinsam in einem langfristigen Prozess erarbeitet werden. Die Strategie der Bundesregierung „Verflechtung und Integration“ wird von uns unterstützt. Diese Verflechtung sollte keine Einbahnstraße sein. Wir begrüßen deshalb das Engagement russischer Unternehmen auf dem deutschen und europäischen Markt, natürlich unter Einhaltung unserer Regularien.

2. Gemeinsame Interessen: Modernisierung, Diversifizierung, Kooperation

Die gemeinsamen Werte können jedoch nur verwirklicht werden, wenn sie auf gemeinsamen Interessen beruhen. Für deutsche Unternehmen ist Russland inzwischen weit mehr als nur ein Energielieferant. Projekte aus der neueren Zeit in den Bereichen Luft- und Raumfahrt, Informationstechnologie und Telekommunikation, Logistik und Transport, Kommunalwirtschaft sowie Automobil- und Zulieferindustrie belegen das eindrucksvoll. So hat die erwähnte Strategische Arbeitsgruppe deutsch-russische Projekte mit einem Volumen von über zehn Milliarden Euro behandelt. Dazu gehören u.a. die Ostsee-Pipeline „Nord Stream“, der Bau eines VW-Werkes in Kaluga und die Beteiligung von EADS am russischen Flugzeughersteller Irkut. Daneben haben viele Investitionen kleinerer und mittlerer Unternehmen eine Rolle gespielt.

Russland als Absatzmarkt

Was macht nun die gestiegene Attraktivität des russischen Marktes aus, welches sind die Gründe für das zunehmende Interesse gerade von mittelständischen Unternehmen, wo liegen die künftigen Potenziale des russischen Marktes? Wir sprechen von einem Markt mit 143 Millionen Verbrauchern, die bei stetig steigenden Reallöhnen und wachsendem privaten Konsum zunehmend Waren und Dienstleistungen westlicher Qualität nachfragen. Diese Entwicklung belegt auch der für 2006 prognostizierte Handelsumsatz zwischen Deutschland und Russland von erstmals über 50 Milliarden Euro. Deutsche Unternehmen konnten ihre Ausfuhren nach Russland in nur wenigen Jahren verdoppeln und exportieren heute Produkte wie Maschinen, Anlagen und chemische Erzeugnisse, mit denen sie maßgeblich zur Modernisierung der russischen Wirtschaft beitragen. Die hohe Zahl von 4500 Unternehmen mit deutscher Beteiligung in Russland unterstreicht die Nachhaltigkeit des Engagements gerade auch im Vergleich zu den USA, Großbritannien und Frankreich. Viele deutsche Unternehmen erzielen heute schon 20 Prozent und mehr ihres Umsatzes mit Lieferungen nach Russland.

Russland als Produktionsstandort

Russland gehört zu den BRIC-Ländern (Brasilien, Russland, Indien, China) mit einem stürmisch wachsenden Anteil am Weltbruttosozialprodukt. Im Mittelpunkt stehen natürlich Energie und Rohstoffe. 85 Prozent der russischen Exporte sind Ausfuhren in diesem Bereich. Dies wird auf Dauer nicht ausreichen, um ein nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum von über sechs Prozent pro Jahr zu erzielen. Russland darf nicht den Weg anderer öl- und gasexportierender Länder gehen, sondern muss schnell schlagkräftige industrielle Bereiche entwickeln und damit an die hohe Technologieorientierung früherer Jahre anknüpfen. Die noch vorhandenen Strukturen in vielen Gegenden Russlands sind immer noch Zeuge stärkerer industrieller Prägung.

Russland ist als Produktionsstandort hochinteressant. Das Land zählt inzwischen zu den attraktivsten Investitionsstandorten Europas. Das liegt nicht nur an den Arbeitskosten, die immer noch sehr günstig sind. Gleichzeitig sind große Teile der Bevölkerung auch gemessen an westlichen Standards gut ausgebildet. Hinzu kommt, dass Russland erkannt hat, dass Modernisierung und Diversifizierung nur durch ausländische Investitionen und neue Technologien gelingen kann. Damit bieten sich auch deutschen Unternehmen große Möglichkeiten auf dem russischen Markt. So wird allein der Fahrzeugbau in Russland mittelfristig einen Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts von 50 Milliarden Euro generieren. Die russische Stromwirtschaft verfolgt ein laufendes Modernisierungsprogramm in Höhe von 75 Milliarden Euro bei gleichzeitiger Öffnung für ausländische Beteiligungen. Eile ist geboten.

In vielen Branchen liegt die russische Industrie rund 20 Jahre hinter westeuropäischen Standards. Die Zeit läuft gegen die russische Wirtschaft, wenn sie nicht schnell den Anschluss an die westlichen Wettbewerber sucht. Zumal die in absehbarer Zeit bevorstehende Mitgliedschaft Russlands in der WTO  den Wettbewerbsdruck erhöhen wird. In den Bereichen Automobil- und Zulieferindustrie, Elektrotechnik/Elektronik, Bauwirtschaft und Papierindustrie wird der Ost-Ausschuss im Verlauf dieses Jahres deutsche und russische Unternehmen im Rahmen konkreter Projekte zusammenbringen, um Möglichkeiten einer engeren Zusammenarbeit auszuloten. Darüber hinaus wollen wir nach zwei erfolgreichen deutsch-russischen Mittelstandskonferenzen im Dezember 2006 und im Oktober 2004 die Zusammenarbeit zwischen dem deutschen und russischen Mittelstand weiter intensivieren und ausbauen.

3. Gemeinsame Ziele: Sicherung der Zukunftsfähigkeit

Wenn wir die hier beschriebenen gemeinsamen Interessen umsetzen wollen, brauchen wir auch eine gemeinsame Zielorientierung. Die deutsch-russische Zusammenarbeit ist für die Sicherung der Zukunftsfähigkeit beider Länder im globalen Wettbewerb entscheidend. Durch Bevölkerungsrückgang und Überalterung stehen wir vor ähnlichen Herausforderungen im demographischen und sozialen Bereich – mit unmittelbaren Auswirkungen auf unsere Wirtschaftskraft. Das wichtigste Kapital unserer beiden Länder sind die Menschen. Die Kontakte zwischen Russen und Deutschen müssen verstärkt, das Kennenlernen und der gegenseitige Austausch gefördert werden. Wir unterstützen daher alle auf dieses Ziel gerichteten Initiativen. Die deutsche Wirtschaft beteiligt sich aktiv am zivilgesellschaftlichen Dialog im Rahmen des „Petersburger Dialogs“. Wichtiges gemeinsames Ziel bleibt auch die Einbettung der deutsch-russischen Partnerschaft in die europäisch-russische Partnerschaft. Die bisherigen vertraglichen Beziehungen, die noch aus dem Jahre 1997 herrühren, müssen im Rahmen der Verhandlungen über ein neues Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und Russland auf eine neue umfassende Grundlage gestellt werden. Der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft hat konkrete Empfehlungen zur Ausgestaltung dieses Abkommens erarbeitet. Sie betreffen den Abbau von Handels- und Investitionshemmnissen und eine vertiefte Zusammenarbeit in den Bereichen Energie, Luft- und Raumfahrt, Transport/-Logistik, Finanzdienstleistung und Agrarwirtschaft. Wenn noch während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft mit den Verhandlungen begonnen werden kann, würde ich mir wünschen, dass ein Abschluss der Verhandlungen während der Amtszeit von Präsident Putin gelingt. Es ist ein sehr ehrgeiziges Ziel, das wir allerdings auch brauchen, um unseren russischen Partnern die Märkte zu öffnen. Es darf nicht sein, dass dies am egoistischen Auftreten einzelner EU-Partner scheitert.

Die Europäische Union will bis 2010 die wettbewerbsfähigste Region der Welt werden. Russland hat sich das Ziel gesetzt, bis zu diesem Zeitpunkt sein Bruttosozialprodukt zu verdoppeln. Diese Ziele können wir nur erreichen, wenn Russland sich für Europa und Europa sich für Russland öffnet. Die deutsch-russische wirtschaftliche Zusammenarbeit ist ein Kernstück dieses Prozesses.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, März 2007, S. 70 - 74.

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