Unheilvoller Nachbar
Tadschikistan ist kein Garant für Stabilität in Zentralasien
Tadschikistans autoritärer Präsident Rahmon regiert mit harter Hand, unterdrückt jegliche moderate islamische politische Opposition und treibt viele Muslime dem radikalen Islam zu. Das ist nicht nur ein innenpolitisches Problem. Die 1300 Kilometer lange Grenze zu Afghanistan ist auch ein Schwachpunkt für die Sicherheit in ganz Zentralasien.
Emomali Rahmon, Staatspräsident Tadschikistans, spricht gern von demokratischen Werten. Doch seine Präsidentschaft ist geprägt von wirtschaftlicher Stagnation, Korruption und Misswirtschaft. Die einzige Oppositionspartei von Bedeutung, die Partei der Islamischen Wiedergeburt (PIW), wurde zu einer terroristischen Organisation erklärt und verboten. 2015 haben manipulierte Wahlen und Dutzende Festnahmen politische Gegner verstummen lassen; einer der Oppositionsführer wurde im März im türkischen Exil ermordet. Aktivisten haben Angst vor Verfolgung und die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen ist gefährdet.
Nur hat das harte Durchgreifen die Lage für den Staatspräsidenten nicht verbessert. Der Verwaltungs- und Sicherheitsapparat ist schwach, die Folgen des Bürgerkriegs zwischen 1991 und 1997 in der Gesellschaft spürbar. In einigen Gebieten, die während der Kämpfe von der Vereinigten Tadschikischen Opposition (VTO) kontrolliert wurden, hat sich die Zentralregierung auch nach dem Friedensabkommen von 1997 nie vollständig durchsetzen können. Ein russischer Diplomat vermutet, dass die Regierung tatsächlich nur 30 Prozent des Landes kontrolliert. Ehemals loyale Anhänger des Regimes desertieren: Der Chef der Polizei-Spezialkräfte, Gulmurod Khalimov, lief im Mai 2015 zum so genannten Islamischen Staat über; der stellvertretende Verteidigungsminister Abduhalim Nazarzoda soll für eine Terrorattacke auf eine Polizeistation im September vergangenen Jahres verantwortlich gewesen sein, wurde von Sicherheitskräften verfolgt, verhaftet und später wegen Landesverrats angeklagt. Rahmons drakonische Reaktionen auf politische Opposition, den zivilen Protest und islamische Gruppierungen verschärfen die Lage.
Verbot islamischer Parteien
Das Friedensabkommen von 1997 beendete nach fünf Jahren die Kämpfe zwischen Regierungs- und Oppositionstruppen, die 60 000 bis 100 000 Tote gefordert und die Wirtschaft zerstört haben. Das Friedensabkommen sah ein Mehrparteiensystem vor, das die Aktivitäten des politischen Islam und anderer Teile der Gesellschaft in legale Bahnen lenken sollte. Im Jahr 2000 gewann die Partei der Islamischen Wiedergeburt (PIW) zwei der 63 Unterhaussitze im Parlament, während ehemalige VTO-Mitglieder im Rahmen der Machtteilung Posten in Regierung und im Sicherheitsdienst erhielten. Die begrenzte politische Teilhabe der PIW bildete die Grundlage des Friedensabkommens. Staatspräsident Rahmon misstraute jedoch weiterhin den Verbindungen einiger ehemaliger VTO-Kommandeure. Er fürchtete den Gegenwind aus Regionen, die sich weiterhin gegen die Zentralregierung stellten.
Nach dem Tod des PIW-Führers Said Abdullah Nuri im Jahr 2006 rückte ein moderater Islamist, der gebildete und redegewandte Mukhiddin Kabiri, an dessen Stelle. Von diesem Zeitpunkt an empfand Präsident Rahmon die Partei der Islamischen Wiedergeburt als direkte Gefährdung seiner Macht. Vor den Parlamentswahlen am 1. März 2015 wies die Regierung Imame an staatlich registrierten Moscheen an, in ihren Predigten dazu aufzurufen, nicht für die als „Kriegspartei“ bezeichnete PIW zu stimmen. In „offenkundig manipulierten“ Wahlen erhielt die PIW nur 1,5 Prozent der Stimmen und verlor ihre beiden Parlamentssitze. Da ihr Anführer Kabiri befürchtete, verhaftet zu werden, floh er in die Türkei. Im August verbot die Regierung die PIW und erklärte sie zur terroristischen Vereinigung.
Nachdem ehemaligen Anhängern der Vereinigten Tadschikischen Opposition eine formale politische Repräsentation im Parlament vorenthalten wurde und die Regierung versuchte, einen moderaten Islam „von oben“ zu propagieren und durchzusetzen, wurden radikalere Alternativen besonders für junge Islamisten attraktiv.
Überläufer zum IS
Dass der Chef der Spezialkräfte der tadschikischen Polizei, Oberst Gulmurod Khalimov, zum IS überlief, war ein schwerer Schlag für den Präsidenten. Khalimov, der in den USA und Russland ausgebildet worden war, galt als loyal. Niemand hatte Kontakte zur Opposition vermutet. Im Mai 2015 tauchte aber auf YouTube ein Video auf, in dem er drohte: „Hört zu, ihr Hunde, Präsident und Minister. Wenn ihr wüsstet, wie viele junge Männer, unsere Brüder, hier sind, die sich danach sehnen, zurückzukehren, um die Scharia wieder einzuführen. … Wir kommen zu euch, so Gott will, um euch niederzumachen … Hört zu, ihr amerikanischen Schweine, ich war drei Mal in Amerika und ich habe gesehen, wie ihr Kämpfer ausbildet, um Muslime zu töten. So Gott will, werde ich mit dieser Waffe in eure Städte kommen, in eure Häuser, und wir werden euch töten.“
Überläufer Khalimov wetterte gegen die repressive Religionspolitik der Regierung Rahmon und forderte ganz gezielt unzufriedene Gruppierungen im Regierungsapparat und unter Wanderarbeitern zum Sturz des Präsidenten auf. Bemerkenswert ist, dass Khalimov vor allem auf die Unterdrückung einer freien Religionsausübung von Muslimen einging. Es gibt keinen Hinweis, dass die Masse der Bevölkerung gewaltsamen religiösen Extremismus unterstützt. Die harschen Maßnahmen der Regierung gegen den Islam an sich haben den Unmut religiöser Tadschiken geschürt und gemäßigte Gläubige radikalisiert.
Der Anteil islamistischer Extremisten unter Tadschikistans 8,2 Millionen Einwohnern ist relativ gering. Dennoch sind sie ein beachtliches potenzielles Risiko. Hunderte Tadschiken sollen sich dem IS angeschlossen haben, und das ist einem OSZE-Mitarbeiter zufolge noch eine „extrem konservative“ Schätzung. Die schwarzen Flaggen des IS wurden in mehreren Gebieten gesehen, vor allem nahe der afghanischen Grenze. Ein UN-Mitarbeiter erklärt: „Die potenzielle Radikalisierung der tadschikischen Jugend ist ein Grund zur Sorge … Der IS hat ein sehr gewieftes Rekrutierungssystem, und das Gefühl von Stabilität und Zusammengehörigkeit, mit dem tschetschenische Russen werben, hat sich als effektiv erwiesen … Das Leben in Tadschikistan ist schwieriger geworden und ohne finanzielle Perspektive. Der Reiz und die Anziehungskraft des IS sind verständlich.“
Die lange Grenze zu Afghanistan
Die 1300 Kilometer lange tadschikisch-afghanische Grenze ist ein Schwachpunkt für Sicherheit in Zentralasien, denn sie steht unter wachsendem Druck durch die Taliban, die die nordafghanischen Distrikte auf der anderen Seite kontrollieren. Es besteht das Risiko, dass kampferprobte militante Islamisten sich mit einer kleinen Anzahl von potenziellen Verbündeten in Tadschikistan zusammentun. Die Stärke der tadschikischen Armee, die eine zweite Verteidigungslinie hinter den 16 000 Grenzsoldaten bildet, ist nicht überzeugend. Wenn Militante in Richtung Norden auf Usbekistan vorstoßen würden, würde wahrscheinlich die von Moskau geführte Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) um Unterstützung gebeten werden. Aufgrund seiner Lage zwischen Afghanistan und Usbekistan und seines derzeit fragilen Zustands ist Tadschikistan sowohl ein Konflikt- wie ein Destabilisierungsrisiko.
Zentralasiatische Regierungen mögen die Gefahren durch islamistische Extremisten zuweilen übertreiben, um sich wichtiger zu machen, finanzielle Vorteile zu erlangen oder interne Repressionen zu rechtfertigen. Zu unterschätzen ist diese Gefahr jedoch nicht. Die teilweise revidierte Ankündigung der USA, Truppen aus Afghanistan abzuziehen, und Pakistans Entscheidung, Kämpfer in Nordwasiristan nahe der afghanischen Grenze anzugreifen, erhöhen dieses Risiko noch. Unter anderem führte es dazu, dass ausländische Kämpfer, darunter Tadschiken, Usbeken, Kirgisen, Tschetschenen und Uighuren, in die afghanische Badachschan-Provinz vorrückten, von wo aus sie Angriffe gegen die afghanische Armee in den Provinzen Kundus, Badachschan, Baglan, Faryab und Tachar verübten.
Ein ehemaliger hochrangiger Beamter des kirgisischen Verteidigungsapparats vermutet, dass Kämpfer in Nordafghanistan innerhalb von „zwei oder drei Jahren“ versuchen könnten, nach Zentralasien vorzustoßen. Innerhalb der Islamischen Bewegung Usbekistans (IBU) haben sich jetzt einige Fraktionen dem IS angeschlossen, andere den Taliban in den Grenzgebieten zu Tadschikistan. Ihr eigentliches Interesse gilt zwar weiterhin Usbekistan; trotzdem könnten sie versuchen, die Schwäche Tadschikistans zu nutzen, um dort Fuß zu fassen.
Der russische Präsident, Wladimir Putin, schätzt die Situation an der afghanisch-tadschikischen Grenze als kritisch ein und hat deshalb militärische Unterstützung zugesagt. Russlands Militärbasis in Tadschikistan – die größte im Ausland – soll bis 2020 von 5900 auf 9000 Soldaten aufgestockt werden. „Hochentwickelte Kampfflugzeuge, Angriffshubschrauber und unbemannte Drohnen“ wurden als Teil einer „dreistufigen Verteidigung“ dorthin abkommandiert. Außerdem hat Russland seine militärische Präsenz in der Nähe der Hauptstadt Duschanbe verstärkt, was nahelegt, dass es sich der vielfältigen Bedrohungen in Tadschikistan bewusst ist. „Tadschikistan kann legale Hilfe von Russland bekommen, wenn die Bedrohung von außerhalb kommt“, so ein russischer Diplomat. „Das Problem ist, wenn der Gegner von innen kommt und wir kein Mandat zur Intervention haben … Das ist Rahmons internes Problem. Wir können ihn nicht retten, wenn er die falschen innenpolitischen Maßnahmen ergreift.“
Ein Friedensabkommen in Afghanistan könnte Risiken für Tadschikistan nach sich ziehen: Gruppierungen mit ausländischen Kämpfern wie die Islamische Bewegung Usbekistans würden vermutlich ausgeschlossen und manche Kämpfer so dazu verleitet, nach Zentralasien vorzustoßen, wo die Staaten auf die Rückkehr von militanten Kämpfern nicht vorbereitet sind. Jedes Friedensabkommen sollte daher ausländische Kämpfer kooptieren.
Florierender Drogenhandel
Auch der Drogenhandel ist weiterhin ein großes Problem, denn die wichtigste Route für afghanisches Opium nach Europa führt durch Tadschikistan. Dies hat direkte Auswirkungen auf die Sicherheit der tadschikischen Grenzen und die innere Stabilität des Landes. Die Erträge aus den Drogengeschäften sind beträchtlich und machen 20 bis 30 Prozent des BIP aus; das Geld kommt in den Wirtschaftskreislauf und wird so gewaschen. Das Fehlen echter wirtschaftlicher Entwicklung in Tadschikistan hat Folgen für Politik und Sicherheit; die Kontrolle lukrativer Märkte führt zu Rivalitätskämpfen zwischen regionalen Eliten und innerhalb der korrupten Sicherheitsdienste.
Westliche und russische Unterstützung bei der Sicherung von Grenzen und bei der Bekämpfung des Drogenhandels haben bislang nur wenig Wirkung gezeigt. Schätzungen zufolge betrugen die Kosten für das von der EU finanzierte Border Management for Central Asia (BOMCA)-Programm, für die OSZE-Stabsakademie für Grenzmanagement (OSCE Border Management Staff College), für die Projekte der Internationalen Organisation für Migration der UN und für bilaterale, meistens von den USA finanzierte sicherheitspolitische Maßnahmen und Trainingsprogramme zwischen 2005 und 2013 rund 83 Millionen Dollar. Doch es fehlt an der „aktiven Umsetzung“ dieser Projekte auf Seiten Tadschikistans, heißt es.
Die Außenpolitik der Vereinigten Staaten in Zentralasien wird seit über zehn Jahren von den militärstrategischen Zielen in Afghanistan überschattet. Die USA und einige EU-Länder haben in der Region mit repressiven Regimen eng zusammengearbeitet, um logistische Unterstützung für Militäroperationen in Afghanistan zu erhalten; bei Menschenrechtsverletzungen wurde da oft ein Auge zugedrückt.
Doch ausbleibende Fortschritte bei der Bekämpfung des Drogenhandels und eine immer repressivere Politik in Tadschikistan sollten zu einer Neubewertung der Situation führen. Die Vereinigten Staaten haben in Tadschikistan Millionen Dollar in Programme zur Bekämpfung des Drogenhandels investiert. Den Empfängern dieser Gelder werden allerdings Menschenrechtsverletzungen wie Folter und außergerichtliche Hinrichtungen vorgeworfen. Ein Kritiker sagt: „Die USA dürfen das Verhalten der tadschikischen Regierung nicht einfach so hinnehmen. Von Amerikanern trainierte tadschikische Kampfeinheiten unterstützen den Präsidenten, schützen den Drogenhandel und erpressen und foltern Menschen.“
Russlands Einfluss
Auch wenn die Europäische Union, die USA und China in Tadschikistan weniger Einfluss haben als Moskau, sollten sie in Betracht ziehen, gemeinsam mit Russland kurz- und mittelfristige Maßnahmen zur Konfliktprävention in die Wege zu leiten. Rahmons autoritäres Regime ist eine genauso große Gefahr für das Land wie eventuelle Angriffe aus dem benachbarten Afghanistan.
Moskau wird nicht versuchen, Rahmon zu politischen Reformen zu bewegen; doch die Strategie, den Status quo zu erhalten, um Stabilität zu fördern und eigene Einflussmöglichkeiten zu sichern, könnte die Situation weiter verschärfen.Die EU und die USA haben wenig politisches Gewicht und es außerdem versäumt, ihre technische Hilfe und Kooperationsprojekte an klare Bedingungen zu knüpfen. Das EU-Partnerschafts- und Kooperationsabkommen von 2010 beinhaltet „die Unterstützung wirtschaftlicher Reformen in Tadschikistan und die Förderung integrativer, wirtschaftlich und sozial nachhaltiger Entwicklungsprozesse“. Dieser Ansatz ist für zentralasiatische Staaten wie Tadschikistan nur wenig effektiv, da es ihnen an Exportprodukten sowie Reformwillen fehlt.
Mehr als nur Sicherheit
Die Zusammenarbeit mit den USA konzentriert sich hauptsächlich auf die Bereiche Verteidigungspolitik und Rechtshilfe, lokale Verwaltung und Transparenz; doch Reformen werden den Prioritäten in Afghanistan untergeordnet. Dass Menschenrechtsverletzungen im strategisch wichtigeren Usbekistan nicht genauso bemängelt werden wie in Tadschikistan, stellt die Unparteilichkeit der USA in Zentralasien infrage.
Der Westen sollte sich auf Rechenschaftspflicht, Menschenrechtsverletzungen, Korruption und den beständig schrumpfenden demokratischen Freiraum konzentrieren. Russland sollte die Sicherheitspolitik stärken, indem es Präsident Rahmon dazu drängt, sich an die Zielsetzungen des Friedensabkommens von 1997 zu halten, wirtschaftliche Reformen zur Arbeitsplatzbeschaffung durchzuführen und den Druck auf gläubige Muslime zu mindern. Moskau muss endlich den Zusammenhang zwischen politischen und religiösen Verfolgungen, wachsender Radikalisierung, Zerfall des Sicherheitsapparats und Fragilität des Staates verstehen.
Es liegt im Interesse Russlands, des Westens und der direkten Nachbarn Tadschikistans, dass Rahmons autoritärer Führungsstil gemildert wird. Angesichts des Zusammenhangs zwischen Repression und fehlender Sicherheit müssen alle auf einen friedlichen Übergang zu einer weniger autoritären Ära nach Rahmon hinarbeiten.
Eine Einigung darüber, wie die Grenzen Afghanistans zu sichern sind, ist auch im Hinblick auf die führende Rolle der OVKS von zentraler Bedeutung. Russland sollte sich ebenfalls wieder an internationalen Bemühungen zur Eindämmung des Drogenhandels beteiligen. Bedenken hinsichtlich Moskaus regionaler Ambitionen sind anderswo durchaus angebracht – Konfliktprävention in Tadschikistan ist jedoch in jedermanns Interesse.
Deirdre Tynan ist Programmdirektorin für Zentralasien bei der International Crisis Group in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek. Zuvor berichtete sie als Journalistin aus der Region.
Internationale Politik 2, März/April 2016, S. 88-93