IP

02. März 2018

„Überraschend gute Ergebnisse“

Mit Flexibilität und Unternehmergeist hat Spanien die Krise überwunden

Der Geschäftsführer der Deutschen Handelskammer in Madrid, Walther von Plettenberg, erklärt im Interview mit der IP die Stärken und Schwächen der spanischen Wirtschaft. So begegnen sich in der Automobil­industrie Spanien und Deutschland auf Augenhöhe, während es bei der Digitalisierung noch viel Potenzial im gegenseitigen Austausch gibt.

IP: Herr von Plettenberg, die spanische Wirtschaft hat in letzter Zeit stark zugelegt. Ist die Krise überwunden?
Walther von Plettenberg: Es ist tatsächlich so, dass wir seit dem Ende der sechs, sieben Jahre währenden Krise ein kontinuierliches Wirtschaftswachstum verzeichnen. Das fing 2014 mit 1,4 Prozent Wachstum an und ist in den Folgejahren auf über 3 Prozent gestiegen. Auch die Vorschau für 2018 liegt bei 3 Prozent, wenngleich das aufgrund der Katalonien-Krise zum Teil etwas nach unten korrigiert werden dürfte. Die jüngsten Prognosen der spanischen Zentralbank, die mit denen des IWF übereinstimmen, bewegen sich bei rund 2,5 Prozent. Also sollte sich auch in diesem Jahr der positive Trend fortsetzen.

IP: Wie nachhaltig ist das?
Von Plettenberg: Wir haben jüngst eine Umfrage bei über 800 deutschen Unternehmen in Spanien durchgeführt und dabei festgestellt, dass man die Geschäftslage als äußerst positiv erlebt. Deutlich über 90 Prozent der Unternehmen bezeichnen ihre Geschäftslage als gut oder sehr gut.

IP: Was sind die wesentlichen Gründe für den Aufschwung?
Von Plettenberg: Zunächst einmal haben sechs bis sieben Jahre Rosskur zu einem extremen Nachholbedarf geführt, sowohl bei Investitionen als auch beim Konsum. Und dann gibt es natürlich externe Treiber – relativ günstige Erdölpreise, niedrige Zinsen, den Tourismus. Spanien eilt hier von Rekord zu Rekord, auch aufgrund der schwierigen Sicherheitslage in konkurrierenden Ländern im östlichen und südlichen Mittelmeerraum, von der Türkei bis nach Nordafrika. Wenn das Thema nicht so ernst wäre, würde man sagen dürfen, Spanien ist da gewissermaßen lachender Dritter geworden.

IP: Welchen Anteil hat der Tourismus am BIP? Und wie stark ist er gewachsen?
Von Plettenberg: 2016 betrug der Anteil des Tourismus etwas über 11 Prozent am BIP; 2010 waren es 10,2 Prozent. Der Anteil an der Beschäftigung ist noch mehr gestiegen, von etwas über 11 Prozent im Jahre 2010 auf 13 Prozent 2016. Der Tourismus macht ungefähr die Hälfte der Dienstleistungsbilanz aus. Er ist ein ausgesprochen wichtiger und nachhaltiger Wirtschaftszweig, der sich kaum ersetzen lässt – Sonne, Wasser, relativ vernünftige Preise und logistisch gute Anbindung an viele Quellmärkte. Es spricht also viel für Spanien; ich glaube nicht, dass die Zeiten für die klassischen Konkurrenten leichter werden.

IP: Welche weiteren Sektoren sind für die spanische Wirtschaft wichtig?
Von Plettenberg: Eine herausragende Rolle spielt zweifelsohne die Automobilindustrie, insbesondere im Verhältnis zu Deutschland. Das gilt für den Export wie für den Import, Spanien liegt in der Automobilindustrie bei elf Milliarden Euro an Exporten und zwölf Milliarden an Importen praktisch auf Augenhöhe. Aber international geht es nicht nur um Automobile. In der Chemieindustrie etwa, einschließlich Pharmazie, hat Spanien 2016 Güter im Wert von über drei Milliarden Euro nach Deutschland exportiert, das ist sehr ordentlich. Allerdings ist die Bilanz nicht ausgeglichen – Spanien hat hier mehr als sechs Milliarden Euro Waren aus Deutschland importiert. Interessant sind auch kleinere Sektoren, z.B. der Luftfahrtsektor mit fast 1,5 Milliarden Euro sowie Werkzeugmaschinen, insbesondere aus dem Baskenland, die im mittleren Preissegment international sehr gut aufgestellt sind.

IP: Wie sieht denn heute die Leistungsbilanz aus?
Von Plettenberg: Seit 2013 erzielt Spanien regelmäßig einen Leistungsbilanz­überschuss – das ist eine absolute Neuheit. Mit seiner neuen Wirtschaftspolitik ist Spanien in der Lage, die Auslandsverschuldung langsam, aber sicher abzubauen. Dabei spielt der Tourismus eine wichtige Rolle, aber auch andere Dienstleistungen, die – neben dem ebenfalls steigenden Warenexport – ins Ausland verkauft werden. So ist das Land ausgesprochen stark bei internationalen Infrastrukturprojekten. Vom Panama-Kanal über in den USA betriebene Autobahnen bis zum Hochgeschwindigkeitszug zwischen Medina und Mekka. Die großen Ingenieur-Gesellschaften haben in der Wirtschaftskrise von 2008 bis 2013 ihr Glück mit Erfolg draußen in der Welt gesucht und damit aus der Not eine Tugend gemacht. Und jetzt gewinnen die Spanier viele internationale Ausschreibungen – sofern diese ordnungsgemäß und fair durchgeführt werden.

IP: Ein Erfolg auch von Ministerpräsident Mariano Rajoy?
Von Plettenberg: Das darf man wohl so sagen. Als Rajoy sein Amt antrat, nahm er in Windeseile Reformen in Angriff, die man ohne eine absolute Mehrheit, wie er sie damals hatte, niemals durchgebracht hätte. Rückenwind kam weiterhin vom günstigen Erdölpreis und von niedrigen Zinsen. Last not least ist viel dem spanischen Innovationsgeist zu verdanken. Wenn der Bausektor im eigenen Land zusammenbricht, dann geht man halt ins Ausland und verdient dort sein Geld. Auch aus der Textil- und Modebranche lassen sich erfolgreiche Beispiele wie Inditex und Mango nennen. Diese Unternehmen beweisen, dass man sich immer wieder neu positionieren und neue Bereiche erobern kann.

IP: Spielt die Kolonialgeschichte noch eine Rolle für die Handelsbeziehungen?
Von Plettenberg: Die gemeinsame Sprache ist, verbunden mit einer gewissen historischen Sensibilität, ein entscheidender Vorteil. Das gilt gerade für Lateinamerika. Im arabischen Raum spielt die gemeinsame Geschichte des Islams in Spanien eine wichtige Rolle. So ist der ehemalige König Juan Carlos als Botschafter der Wirtschaft durch die arabische Welt gereist und konnte den reichen Monarchien der Arabischen Halbinsel, die seit Jahren historische Investitionen gerade in der Infrastruktur angestoßen haben, auf Augenhöhe begegnen. Da haben Politik, Geschichte und Sprache sehr schön zusammengespielt und Spanien die Aufgabe, sich zu internationalisieren, wesentlich erleichtert.

IP: Ein Blick in die Zukunft – wie ist Spanien bei der Digitalisierung von Wirtschaft und Handel aufgestellt?
Von Plettenberg: Das ist ein großes Thema, Industrie 4.0 ein weltweiter Hype, der auch in Spanien angekommen ist. Umfragen zeigen, dass hier noch einiger Nachholbedarf besteht. Und das, obgleich uns allen bewusst ist, welche Umwälzungen die Digitalisierung für die Wirtschaft bedeutet und dass Spanien es sich nicht leisten kann, hier zurückzufallen.

IP: Können Sie ein prägnantes Beispiel nennen?
Von Plettenberg: Da wäre etwa der Corte Inglés, vergleichbar mit dem Kaufhof in Deutschland. Er war jahrelang eine Referenz für hervorragendes Qualitätsmanagement; plötzlich steht das Unternehmen vor einer Situation, in der Digitalisierung und Online-Kauf das gesamte Geschäftsmodell bedrohen. In Spanien muss hier viel Aufholarbeit geleistet werden. Aber ein sehr hohes Ausbildungsniveau in Sachen IT, viele IT-Experten und auch sehr gute Firmen werden dabei helfen, z.B. Indra, ein Unternehmen, das die europäischen Radare verwaltet. Aber auch dank der starken internationalen Vernetzung der spanischen Industrie geht es voran. Firmen wie Siemens oder Amazon, um nur zwei herauszugreifen von den Tausenden Multinationalen, die in Spanien präsent sind, die in der Digitalisierung eine führende Rolle bekleiden, haben Tochtergesellschaften in Spanien, und über diese werden weitere Fortschritte in Sachen Digitalisierung im Gastland gefördert.

IP: Wie kann man sich das konkret vorstellen?
Von Plettenberg: Digitale Vorreiter bringen ihre Kunden und Lieferanten lokal in Zugzwang. Vor wenigen Tagen las man in der spanischen Wirtschaftspresse, dass der erwähnte Corte Inglés im Gespräch mit Google sei – das hat neue, digitale Geschäftsmodelle zum Ziel. Über diese marktgetriebenen Entwicklungen hinaus gibt es aber auch eine Vielzahl direkter Kanäle zwischen den Unternehmen, die explizit das Voneinanderlernen, den Austausch von Best Practices zum Gegenstand haben. So haben wir in den vergangenen zwei Jahren einige spanische Delegationen nach Deutschland geführt, etwa nach Ostwestfalen-Lippe, einem der Spitzencluster für die Industrie 4.0. Bei dieser Reise war insbesondere das Baskenland mit Teilnehmern vornehmlich aus dem Maschinenbau, der in Spanien eine herausragende Rolle spielt, vertreten.

IP: Gibt es ein spanisches Start-up, das man im Ausland kennt?
Von Plettenberg: Es gibt rund 2000 Start-ups, aber sie liegen noch unter der Aufmerksamkeitsgrenze. Wir schreiben einen Start-up-Preis aus und finden interessante Firmen in allen Bereichen. Auch in Spanien gibt es einen ­Google-Start-up-Campus; South Summit in Madrid hat sich als eine Referenz unter den Start-up-Messen etabliert. Die AHK-Kollegen aus Tschechien haben 2017 einen Wettbewerb veranstaltet, den hat ein spanisches Unternehmen gewonnen. Wir haben bereits einige deutsche Unternehmen mit spanischen Start-ups zusammengeführt. Es gibt also viel Bewegung, auch wenn es in seinem Niederschlag auf makroökonomische Zahlen, als Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt, bislang nicht sonderlich relevant ist. Aber es geht in die richtige Richtung.

IP: Womit tut sich Spanien besonders schwer?
Von Plettenberg: Mit den Themen Innovation, Forschung und Entwicklung. Weder in den Jahren der Krise noch danach war das Land imstande, so viel in Forschung und Entwicklung zu stecken wie andere Staaten. Das hat auch damit zu tun, dass ausländische Unternehmen, etwa in der Automobilindustrie oder in der Chemie- und Pharmaziebranche, ihre Forschung und Entwicklung im Wesentlichen in ihren Mutterhäusern betreiben und nicht in Spanien. Der Staat versucht, mehr in die Grundlagenforschung zu investieren; aber unternehmensrelevante Forschung und Entwicklung können eben nur durch die Unternehmen selbst angestoßen werden. Die geringe Zahl von spanischen Unternehmen, die dem größeren Mittelstand angehören, und von spanischen Großunternehmen wirkt sich für diese Kennzahlen also eher negativ aus.

IP: Was zeichnet die Spanier demgegenüber positiv aus, auch im Vergleich mit Deutschland?
Von Plettenberg: Der wesentliche Unterschied liegt möglicherweise darin, dass die Spanier in der Lage sind, flexibler zu reagieren, auch kurzfristig erfolgreich zu planen und durchzuführen. Dies trägt sicherlich wesentlich dazu bei, dass Spanien heute so überraschend gute Ergebnisse in Spanien selbst, aber auch im internationalen Wettbewerb vorweisen kann.

Die Fragen stellten Hennig Hoff und Uta Kuhlmann.

Bibliografische Angaben

IP Wirtschaft 1, März - Juni 2018, S. 44 - 47

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