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01. Juli 2012

Trend zur Effizienz

Mit mehr Glück als Verstand stolpert das Energiesystem in die richtige Richtung

Dank technischer Durchbrüche wird in den USA so viel Gas und Öl gefördert wie lange nicht. Manche Analysten halten sogar eine vollständige Energiesicherheit des Landes für möglich. Nur dürfte die Freude von kurzer Dauer bleiben, wenn Amerika nicht stringente Strategien für eine größere Energieeffizienz entwickelt.

Es waren zwei neue Technologien, die zu einer wahren Revolution im Energiebereich geführt haben. „Hydraulic Fracturing“ (bei dem unter hohem Druck und mit Hilfe von „FRAC“-Flüssigkeiten Risse im Gestein verursacht werden) und Horizontalbohrverfahren („Horizonal Drilling“) ermöglichten die Förderung von bislang unzugänglichem Schiefergas. Die „Shale Gas Revolution“ hat zu einem Überangebot an Erdgas mit weitreichenden Folgen geführt – so lagen die heimischen Preise nun bei einem Fünftel ihrer zuletzt 2005 und 2008 erreichten Höchststände. Die Kerntechnologien, die den Abbau von Schiefergas ermöglichen, werden nun auch verstärkt eingesetzt, um wachsende Mengen von zuvor unzugänglichem Schieferöl zu fördern. Zusammen mit steigenden Pumpmengen aus Tiefseebohrungen und einer vermehrten Herstellung von Biokraftstoffen können die USA heute die höchste Förderrate flüssiger Brennstoffe in 20 Jahren verzeichnen. Analysten halten es nicht für ausgeschlossen, dass die USA, bislang einer der größten Energieimporteure der Welt, bis zum Jahr 2020 zum weltgrößten Erzeuger von Öl, Gas und Biokraftstoffen werden.

Der Erdgasboom führt zum Überangebot

Erdgas hat lange Zeit eine wichtige Rolle im amerikanischen Energiemix gespielt. Weil es wegen seiner niedrigen Energiedichte im Transportsektor kaum genutzt wird, blieben die Preise relativ niedrig. Erdgas ist um das Sechsfache billiger als Erdöl, dessen Preis derzeit bei 100 Dollar pro Barrel liegt. Im Bereich der Privathaushalte ist es ein günstiger und hervorragender Energieträger zum Heizen und Kochen. In der Industrie ist es sowohl ein wichtiger chemischer Rohstoff als auch Hauptquelle von Prozesswärme. Und im Bereich der Elektrizitätserzeugung bietet der Treibstoff eine bezahlbare Alternative zur Kohle, die sauberer sowie CO2-ärmer ist und eine erheblich größere operative Flexibilität ermöglicht. Erdgasbetriebene Kraftwerke sind zur Aufrechterhaltung einer umfassenden Netzstabilität wichtig, denn sie können in Zeiten des Spitzenbedarfs hochfahren, sich aber häufig über Nacht, wenn der Energiebedarf geringer ist, komplett ausschalten.

Vor der Einführung neuer Technologien zur Gewinnung von Schiefergas stand die US-Erdgasförderung kurz vor ihrem Ende. Wie beim Öl waren die am leichtesten zu erreichenden herkömmlichen Vorkommen erschlossen und die meisten bekannten Felder ausgebeutet. Unkonventionelles Gas aus „festen“ Gesteinsformationen sowie Flözgas sah man als Möglichkeit, den Niedergang der Branche zu verzögern, ohne ihn jedoch aufhalten können. Die Gewinnung von Schiefergas änderte alles. In weniger als einem Jahrzehnt wuchs dessen Anteil an der gesamten amerikanischen Gasförderung von weniger als 1 Prozent auf 25 Prozent. In der neuesten Prognose der Energy Information Administration (EIA) des amerikanischen Energieministeriums soll Schiefergas im Jahr 2035 die Hälfte der Gesamtförderung beisteuern. Dadurch dürfte aber gleichzeitig die Gesamtnachfrage ansteigen. Schauen wir auf die derzeitigen Entwicklungen im Flüssiggasbereich (LNG), dann lässt sich ablesen, welche Dimensionen die „Shale Gas Revolution“ hat: Vor dem Schiefergasboom wurde eine Zahl von amerikanischen Flüssiggasanlagen gebaut, um importiertes LNG für den heimischen Gebrauch zu regasifizieren. Nachdem sie nun längere Zeit nicht genutzt wurden, sollen einige dieser Anlagen jetzt sogar nachgerüstet werden, um in den USA gefördertes Gas zu exportieren. Zwar gibt es einige Bedenken, weil sich der Export von Erdgas womöglich auf die Preise und die amerikanische Energiesicherheit auswirken könnte. Aber allein die Umrüstung der Anlagen von Import auf Export lassen die veränderten Angebotserwartungen erkennen.

Dass der Erdgasboom günstig für den amerikanischen Verbraucher ist, lässt sich also nicht bestreiten. Dass er auch den derzeit schwächelnden energie­intensiven Industrien einen Schub versetzen könnte, wie einige Experten glauben, ist hingegen ein Irrtum. Nur ein kleiner Teil der amerikanischen Hersteller vermeldet Energiekosten, die 5 Prozent ihrer Umsätze übersteigen. Die betroffenen Industrien, vor allem die Hersteller von Aluminium, Stahl, Glas, Papier und Chemikalien, profitieren sicherlich von niedrigeren Erdgaskosten – aber nur eine dramatische Ausweitung ihrer geschäftlichen Aktivitäten hätte eine wirkliche Auswirkung auf die verarbeitende Industrie als Ganzes. Billiges Erdgas mag also die Strompreise senken. Aber es gibt keinerlei Anzeichen, dass es größere Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der USA im Bereich Herstellung haben wird.

Verlierer Kohle

Wesentliche Veränderungen aber werden wir im Bereich des Energiemixes der USA sehen – und wie bei jeder Revolution wird es mit der „Schiefergasrevolution“ neben den Gewinnern auch Verlierer geben. Der größte Verlierer bislang ist die Kohle. In den letzten zwei Monaten des Jahres 2011 fiel der Anteil von Kohle an der US-Energieerzeugung zum ersten Mal seit März 1978 unter 40 Prozent; im ersten Quartal 2012 sank er sogar noch weiter. Kohle mag noch immer die wichtigste Einzelkomponente bei der Erzeugung von Strom sein; das aber dürfte sich vor allem im Bereich des heimischen Verbrauchs ändern. Die Preise für Kohle sind merklich gefallen; Gewinne sind in diesem Sektor nur noch schwer zu machen und trotz des niedrigeren Preises wird die mittel- bis langfristige Nachfrage nach Kohle in den USA wohl nicht wieder steigen. Die Baukosten eines neuen Kohlekraftwerks in den Vereinigten Staaten übertreffen die eines erdgasbetriebenen um ein Dreifaches, und das Betriebsrisiko wird noch verschärft, solange noch nicht klar ist, welche CO2-Regulierungen in Zukunft in Kraft gesetzt werden könnten. Ältere Kraftwerke gingen ohnehin schon vom Netz, nachdem die US-Umweltschutzbehörde (EPA) neue Regelungen zur Reduzierung von Schwefeldioxid, Quecksilber und anderen Emissionen für bereits bestehende Kohlekraftwerke erlassen hat. Anstatt Milliarden in Anlagen zu stecken, die sich schon amortisiert haben, ziehen es viele Versorger vor, lieber ihre Verluste niedrig zu halten. Und Versorger, die tatsächlich neue Kohlekraftwerke bauen würden, sind mit dem wachsenden Widerstand von Kohlegegnern konfrontiert.

Keine Unterstützung für Erneuerbare

Für die erneuerbaren Energien sieht es nicht viel besser aus. Die Kapazität existierender Wind- und Solaranlagen ist in den vergangenen fünf Jahren um etwa 400 beziehungsweise 1000 Prozent gewachsen. Jetzt, da billiges Erdgas zur Verfügung steht und die Förderungsprogramme für Erneuerbare (durch Steuervergünstigungen und Subventionen) auslaufen, ist ein solches Wachstum eher unwahrscheinlich. Auf eine Fortführung der Subventionen für Erneuerbare können sich die Parteien in Washington nicht einigen – aller politischen Polarisierung zum Trotz aber gibt es in beiden Lagern Unterstützung für die Erdgasförderung. Rettung für die Erneuerbaren könnte in der Gestalt der so genannten „Renewable Portfolio Standards“ (RPSs) nahen, die schon von 29 Bundesstaaten und dem District of Columbia verabschiedet wurden. Sie schreiben fest, dass ein bestimmter Stromanteil bis zu einem bestimmten Datum aus nachwachsenden Rohstoffen erzeugt werden soll. So hat Kalifornien verfügt, dass bis 2020 ein Drittel der Energie aus Erneuerbaren stammen muss. In den USA sind RPSs im Allgemeinen beliebter als Subventionen, da sie nur geringe Staatsausgaben erfordern und marktorientierter sind.

Die USA müssen energieeffizienter werden

Sollen Erdgas und erneuerbare Energien zukünftig die amerikanischen Hauptstromquellen werden, dann muss noch mehr weit mehr im Bereich der Nachfragesteuerung getan werden. Es gibt schlichtweg keine Alternative: Die USA müssen energieeffizienter werden. Zum Vergleich: Die Bevölkerung der EU ist fast zwei Drittel größer als die der USA, verbraucht aber rund 20 Prozent weniger Strom. Das mag zu einem Teil wirtschaftlichen und klimatischen Unterschieden geschuldet sein. Hauptursache aber bleibt eine von divergierenden Strompreisen angetriebene Ineffizienz. Der durchschnittliche EU-Haushaltsstrompreis lag 2011 über 50 Prozent höher als in den Vereinigten Staaten – das ist ein triftiger Grund, Energie zu sparen und in den effizienteren Verbrauch von Haushaltsgeräten, Unterhaltungselektronik oder anderer energieintensiver Geräte zu investieren. Auch gestaffelte Preisregelungen erfahren in Europa mehr Akzeptanz. Verbraucher werden dadurch angeregt, ihren Konsum, wenn möglich, in die Zeiten geringerer Auslastung zu verlegen. Dadurch wird die Nachfragekurve geglättet und der Bedarf an zusätzlichen, zu Hauptlastzeiten hochfahrenden Kraftwerken gemildert, die ja wegen der geringen Zeit, in der sie am Netz sind, äußerst teuren Strom erzeugen. In den USA sind 10 Prozent aller Produktionsanlagen weniger als 400 Stunden jährlich oder weniger als 5 Prozent der Zeit aktiv.

Umfassende, ausgeklügelte Nachfragesteuerung hat das Potenzial, den ­US-Energiesektor zu revolutionieren. Sie wird erforderlich sein, wenn Bundesstaaten wie Kalifornien ihre ambitionierten Ziele im Bereich der erneuerbaren Energien erreichen wollen, ohne signifikante Energiepreiserhöhungen einzuführen. Energiequellen wie Wind und Sonne sind unstet, zum jetzigen Zeitpunkt sind erhebliche Standby-Kapazitäten erforderlich, wenn kein Wind weht oder die Sonne nicht scheint.

Die Förderung von Öl steigt, die Nachfrage sinkt

Amerikas heiße Liebesaffäre mit dem Öl zeigt keinerlei Zeichen der Abkühlung. Selbst optimistische Umweltschützer meinen, dass der Verbrennungsmotor den Transportsektor auf Jahre hinaus weiter dominieren wird. Elektroautos werden immer beliebter, stellen aber nur einen kleinen Prozentsatz am Anteil der amerikanischen Autoflotte. Immerhin sind Verbesserungen bei der Fahrzeugflotteneffizienz und beim Verbrauch festzustellen. Leider werden sie oft übersehen oder nicht ausreichend zur Kenntnis genommen, denn es ist der Ölboom, der derzeit Schlagzeilen macht.

Der US-Konsum liegt bei fast 20 Millionen Barrel Öl pro Tag, was mehr als einem Fünftel der globalen Nachfrage entspricht. Obwohl drittgrößter Ölproduzent der Welt, importierten die USA im Jahr 2005 (dem Höhepunkt) etwa 60 Prozent, und 2011 etwa 45 Prozent ihres Gesamtverbrauchs. Seit fünf Jahren geht der Import stetig zurück, was einer höheren heimischen Förderung und einer geringeren Nachfrage geschuldet ist. So konnte die Förderung von Tiefseeöl im Golf von Mexiko Rückgänge in weit ausgeschöpfteren Förderquellen ausgleichen. Besonders wichtig aber sind Förderungen auf dem Festland, wie in der Bakken-Formation Nord-Dakotas. Dort werden nach konservativen Schätzungen etwa 300 Milliarden Barrel Öl vermutet, die allerdings in Gestein mit sehr geringer Durchlässigkeit eingeschlossen liegen. Erst die in der Schiefergasförderung eingesetzten Techniken des „Fracking“ und des Horizontalbohrverfahrens würden eine kommerzielle Förderung in einem Umfang von etwa 20 Milliarden Barrel ermöglichen. Ende 2011 wurden dort mehr als eine halbe Million Barrel täglich gepumpt. Eine Förderrate von 1,5 Millionen Barrel täglich über etwa 25 Jahre ist durchaus realistisch.

Die Entwicklung auf der Angebotsseite wird auch von steigenden Beiträgen von Biokraftstoffen beeinflusst. 2011 erreichte der Anteil von Ethanol an der amerikanischen Benzinversorgung 10 Prozent, ausgehend von gerade einmal etwas über 1 Prozent im Jahr 2000. Dadurch wurde die nationale Nachfrage nach Rohöl gesenkt. So lange die EPA aber die Grenze für Beimischungen bei 10 Prozent setzt, wird der Biokraftstoff keinen echten Durchbruch erlangen. Und diese„Beimischmauer“ wird vermutlich erhalten bleiben, bis nur noch ein kleiner Teil der vor 2001 gebauten Autos auf der Straße ist.

Die gute Nachricht ist: Die Mehrheit der Politiker weiß inzwischen um den immensen Wert einer verbesserten Effizienz bei Autos, es gibt bereits ausgearbeitete Pläne auf diesem Gebiet, und auch die Hersteller arbeiten an energiesparenden Technologien – schließlich steigt die Nachfrage nach verbrauchsärmeren Fahrzeugen nicht nur im Inland, sondern auch auf den ausländischen Märkten. Im vergangenen Jahr zum Beispiel verkaufte General Motors mehr Autos in China als in den USA. Neben der Verbesserung der Effizienz bei leichten Nutzfahrzeugen kommt gerade bei den mittelschweren und schweren Fahrzeugflotten Erdgas eine wachsende Bedeutung zu. Städtische Verkehrsbetriebe haben schon seit längerem ihre Flotten auf kostengünstigeres Erdgas umgestellt. Jetzt betanken Transportfirmen, deren LKWs feste und lange Routen befahren, auch ihre Flotten mit LNG anstatt mit Diesel. Das beachtliche Preisgefälle zwischen den zwei Treibstoffen macht eine schnelle Amortisierung der höheren Fahrzeugkosten möglich.

Bewegung in die richtige Richtung

Das amerikanische Energiesystem stolpert in die richtige Richtung – mehr aufgrund von Innovationen und Glück als durch kluge Politik. Der Erdgasförderboom leitet den Abschied von der Kohle ein; höhere Energieeffizienz und ausgeklügeltere Nachfragesteuerung im Energiesektor sollen den Anstieg des Strompreises bremsen und das Wachstum der Nachfrage begrenzen. Aber auch wenn die steigende US-Ölförderung die Arbeitslosenquote im Bundesstaat Nord-Dakota auf beneidenswerte Tiefstände drückt, hat sie nur geringe Auswirkungen auf die Preise an den Zapfsäulen. Der Kraftstoffverbrauch ihrer Fahrzeuge wird für die Amerikaner nun zum wichtigen Thema; für diesen Sommer erwartet man, dass die Nachfrage nach Benzin ein Zehn-Jahres-Tief erreicht – mit weiteren Rückgängen 2013. Diese Trends mögen ohne ein ehrgeizigeres Eingreifen der Regierung anhalten, was gleichermaßen gut ist, da die Neulinge im Kongress wenig Interesse gezeigt haben, Regulierungsstrategien zu entwickeln, die die Nachhaltigkeit des Energiesystems weiter fördern würden. Wir werden die Folgen der dieses Jahr anstehenden Präsidentschaftswahlen abwarten müssen, um ein wirkliches Gefühl dafür zu bekommen, ob Interesse daran besteht, gute Politik über Parteipolitik zu stellen.

IAN MUIR ist Non-Resident Junior Fellow beim Climate & Energy Program des German Marshall Fund of the United States.
 

Bibliografische Angaben

IP Länderporträt 2, Juli/ August 2012, S. 58-63

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