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01. Nov. 2004

Transformation und Entwicklung messen

Zur Relevanz des Bertelsmann-Transformationsindexes für die Entwicklungspolitik

Entwicklungshilfe wird immer wieder kritisiert, weil sie angeblich ineffektiv sei. Doch um diese
Frage beurteilen zu können, muss man einen Vergleichsmaßstab für „Entwicklung“ oder „Transformation“
besitzen. Siegmar Schmidt, der an der Universität Koblenz-Landau lehrt, stellt einen
neuen Transformationsindex vor, den die Bertelsmann-Stiftung entwickelt hat. Dieser Transformationsindex
weist einige Vorteile gegenüber bisherigen Indices auf.

Welche Staaten haben die größten Fortschritte in Richtung auf eine marktwirtschaftliche Demokratie in den zurückliegenden Jahren erreicht? In welchen Staaten waren demgegenüber Stagnation oder sogar Rückschritte zu verzeichnen? Welche Faktoren waren jeweils für diese Erfolge oder Rückschritte maßgeblich?

Auf diese allgemeinen und daher um so komplexeren Fragen beabsichtigt ein neuer Indexwissenschaftlich fundierte Antworten zu geben. Der Index ist dabei das Ergebnis eines seit 1996 laufenden Projektes der Bertelsmann-Stiftung. Der Bertelsmann-Transformationsindex (BTI)1, der öffentlich im Mai 2004 vorgestellt wurde, misst und vergleicht die Entwicklungs- und Transformationsleistungen von 116 Staaten auf allen Kontinenten zwischen 1998 und 2003. Ausgenommen vom Sample waren die OECD-Länder sowie kleinere Staaten mit einer Bevölkerung von unter drei Millionen2 sowie nicht als Staaten anerkannte Gebiete. Wie auch andere Indices zur Messung von Demokratie basiert der BTI auf einer normativen Grundannahme: Die Entwicklung zu Demokratie und zu einer Marktwirtschaft mit sozialer Komponente gilt als erstrebenswert und ist hinsichtlich Partizipation, sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Effizienz anderen politischen und wirtschaftlichen Systemen überlegen. Diese Annahme ist auch weitestgehend Konsens unter den im Entwicklungshilfeausschuss (Development Assistance Committee, DAC) der OECD vertretenen Staaten, wenngleich zwischen den Gebern durchaus Unterschiede hinsichtlich der konkreten Verwirklichung der einzelnen Prinzipien bestehen.

Im Folgenden werden zunächst die einzelnen Bestandteile des neuen Index kurz skizziert. Daraufhin werden einige Ergebnisse des aus dem Index abgeleiteten Ranking vorgestellt. Der Schwerpunkt dieses Beitrages liegt aber auf der Frage nach der Relevanz bzw. dem Mehrwert des Index für die entwicklungspolitische Debatte. Die Anlage und Ergebnisse des BTI werden, so lautet die grundlegende These dieses Beitrags, der entwicklungspolitischen Diskussion neue Impulse verleihen, denn die Frage nach den Bedingungen einer erfolgreichen bzw. fehlgeschlagenen Entwicklung gehört zu den Kardinalfragen der Entwicklungspolitik und wird sowohl von der Entwicklungsländerforschung als auch in der praktischen Entwicklungszusammenarbeit (EZ) seit Jahrzehnten kontrovers diskutiert. Vorweggenommen sei an dieser Stelle, dass der BTI als ein neues Kriterium politisches Management in die entwicklungspolitische Diskussion, die zunehmend um den Begriff Good Governance kreist, einbringt. Der BTI bietet eine Möglichkeit, den Begriff von Good Governance zu operationalisieren und kann damit der entwicklungspolitischen Praxis Ansatzpunkte liefern.

Der BTI besteht im Grunde genommen aus drei verschiedenen Indices:

1. Statusindex. Der Statusindex misst den Stand der rechtsstaatlichen Demokratie und der Marktwirtschaft. Der Statusindex setzt sich zusammen aus der Addition zweier Teilindices zu Marktwirtschaft und Demokratie.

2. Trendindex. Dieser Index erfasst die Wegstrecke d.h. das Ausmaß der positiven und negativen Veränderungen im Zeitraum zwischen 1998 und 2003.

3. Managementindex. Der Index misst die politischen Steuerungs- und Gestaltungsleistungen von Regierungen in Richtung auf eine marktwirtschaftliche Demokratie.

Den einzelnen Teilindices liegen insgesamt die folgenden 23 Kriterien zugrunde:

Für die Bewertung der 23 Kriterien wurden über 60 sowohl qualitative als auch quantitative Indikatoren ausgewählt. Für die Bewertung der Kriterien lag den über 100 Ländergutachtern eine Liste mit Indikatoren und Erläuterungen als Richtschnur für ihre Gutachten vor. Damit wurde eine möglichst weitgehende Standardisierung der Gutachten erreicht, um eine gute Vergleichbarkeit zu ermöglichen. Die Ländergutachten, die von ausgewiesenen Experten erstellt wurden, wurden kritisch von Zweitgutachtern aus den jeweiligen Ländern gegengelesen und daraufhin teilweise verändert. Für die einzelnen Kriterien wurden numerische Bewertungen von 1 (Kriterium erfüllt) bis 5 (Kriterium nicht erfüllt) vergeben.4 Es ist an dieser Stelle nicht möglich, die Kriterien ausführlich zu erläutern.5 Trotzdem sollen einige innovative Kriterien zumindest erwähnt werden.

Innovative Kriterien

Das Kriterium „Staatlichkeit“ des Demokratieindex umfasst die Indikatoren „Vorhandensein eines staatlichen Gewaltmonopols“, „Nation-Building“ und die „Existenz arbeitsfähiger, effizienter Verwaltungsstrukturen“. Damit werden die zahlreichen Prozesse des Zerfalls oder der Erosion von Staatlichkeit gerade in Subsahara-Afrika und die Schwierigkeiten beim Nation-building in den GUS-Staaten besonders berücksichtigt.

Traditionelle, z.B. klientelistische oder familiale Strukturen in vielen Ländern werden durch Indikatoren im Rahmen der Kriterien „Politische und gesellschaftliche Integration“ und „Welfare Regime“ ausdrücklich berücksichtigt. Während es im ersteren Fall darum geht, inwieweit klientelistische Strukturen Parteiensysteme unterminieren oder – im Gegensatz dazu – auch stabilisieren können, wird beim Kriterium „Welfare Regime“ danach gefragt, ob neben den staatlichen Strukturen andere effektive Mechanismen sozialer Sicherheit existieren, z.B. familiale Netzwerke. Der Index ist insgesamt gegenüber indigenen Institutionen und Verfahren neutraler und daher weniger OECD-zentriert als andere.

Die Indikatoren für das Kriterium nachhaltige Entwicklung decken nicht ausschließlich den Bereich des Umwelt- und Ressourcenschutzes ab, sondern fragen auch nach Einrichtungen für Bildung und Ausbildung, die einen Teil der Zukunftsfähigkeit von Gesellschaften bilden.

Mit dem Trendindex wird das Ausmaß und die Richtung der Veränderungen hinsichtlich der normativen Bezugsgröße marktwirtschaftliche Demokratie erfasst. Dabei erhalten Länder, deren Transformationsstrecke länger war, die tendenziell höheren Bewertungen. Hierbei war auch die Frage nach den Ursachen für eventuelle Blockaden der Transformation und Entwicklung zu beantworten.

Während die Qualität der Demokratie und der Stand der Marktwirtschaft auch in anderen Indices erfasst werden, stellt der Managementindex ein Novum dar. Um eine angemessene, d.h. die jeweilige spezifische Situation eines Landes berücksichtigende Bewertung zu ermöglichen, wurde das Kriterium „Schwierigkeitsgrad“ in den Managementindex eingeführt. Dem Kriterium „Schwierigkeitsgrad“ liegt die Annahme zugrunde, dass die Qualität des Transformationsmanagements von der besonderen Problemkonstellation und den vorhandenen Entwicklungspotenzialen abhängig ist. Konkret bedeutet dies, dass strukturelle Problemlagen wie niedriger Bildungsstand, geringes Pro-Kopf-Einkommen, ethnische und religiöse Fragmentierung, das Fehlen zivilgesellschaftlicher und demokratischer Traditionen eine Transformation erschweren bzw. im umgekehrten Fall erleichtern können. Das Kriterium „Schwierigkeitsgrad“ wurde unter den Managementkriterien besonders gewichtet, was dazu führt, dass die Transformationsleistung von Ländern mit ungünstigen strukturellen Voraussetzungen wie massiver Armut, langjährigen Bürgerkriegen bei gutem Management höhere Gesamtbewertungen im Managementindex erhalten als die Länder mit besseren Ausgangsbedingungen. Die fünf verbleibenden Kriterien des Managementindex orientieren sich an folgenden Leitfragen:

–  Zielsicherheit: Verfolgt und vermittelt die Regierung strategische, konsistente Reformziele?

–  Effektive Ressourcennutzung: Nutzt die Regierung die verfügbaren ökonomischen, kulturellen und personellen Ressourcen auf optimale Weise?

–  Gestaltungsfähigkeit: Steuert die Regierung die Reformen in politisch kluger Weise und kann sie ihre politischen Prioritäten auch gegen politische Widerstände realisieren?

–  Konsensbildung: Stellt die Regierung einen breiten Konsens mit anderen gesellschaftlichen Akteuren über die Reform her, ohne ihre Reformziele aufzugeben?

–  Internationale Zusammenarbeit: Sind die inländischen politischen Akteure bereit, mit Nachbarstaaten sowie externen Unterstützern und Akteuren zu kooperieren?

Der Managementindex geht davon aus, dass Entwicklung und Transformation selbst unter ungünstigen Rahmenbedingungen möglich ist. Letztlich ist das Konzept damit im Grunde genommen optimistisch und akteursspezifisch: Der Regierung als zentralem politischem Akteur wird unterstellt, dass sie die Transformation gestalten kann, sofern

–  eine angemessene, politisch kluge Strategie gewählt wird,

–  so weit wie möglich innenpolitischer Konsens hergestellt wird, indem die Inklusion anderer Akteure z.B. durch der Bildung von Reformkoalitionen erfolgt,

–  die vorhandenen ökonomischen, politischen und kulturellen6 Ressourcen zielgerichtet für Entwicklung eingesetzt werden und

–  mit externen Gebern konstruktiv kooperiert wird, d.h. Lernfähigkeit und verantwortungsvoller Umgang mit den von außen zur Verfügung gestellten Ressourcen erfolgt sowie eine kooperative Rolle im regionalen Umfeld eingenommen wird.

Die Annahme, dass ein Management von Transformation, oder in anderen Worten die politische Gestaltungsleistung individueller oder kollektiver Akteure zentral ist, unterstreicht die Bedeutung von Politik, verstanden als der Wille zu gestalten. Das Axiom, auf dem der Managementindex fußt, widerspricht damit fundamental den eher pessimistischen Annahmen der in den siebziger Jahren so populären Dependencia-Ansätzen, die gegenwärtig in der Globalisierungsdiskussion wiederbelebt werden: Denen zufolge verhindern die strukturell ungerechten Bedingungen des (global-)kapitalistischen Weltwirtschaftssystems die Entfaltung von Entwicklungspotenzialen der Länder der Peripherie und perpetuieren deren Ausbeutung durch den Norden. Es soll aber keineswegs geleugnet werden, dass außenwirtschaftliche Abhängigkeiten oder die protektionistische Agrarpolitik des Nordens Entwicklungshemmnisse darstellen können und den Handlungsspielraum von Regierungen in vielen Ländern beschneiden. Dies wurde in vielen Ländergutachten ausdrücklich angemerkt. Entscheidend ist, dass trotzdem Fortschritte sowohl vor allem im Hinblick auf Demokratie als auch die Verwirklichung marktwirtschaftlicher Prinzipien möglich sind.

Vorteile gegenüber anderen Indices

Mit den drei Teilindices ist der BTI wesentlich umfassender als andere Indices. Die meisten Indices konzentrieren sich entweder nur auf einen bestimmten Aspekt7 oder die Messung von Demokratie oder Marktwirtschaft und erheben keine Daten zu beiden Bereichen gleichzeitig. Neuland betritt der Index mit vergleichender Messung des Trends und des Managements bzw. in einem weiteren Sinn Good Governance. Die Vorteile des breiten Ansatzes werden besonders deutlich beim Vergleich mit dem vielbeachteten und etablierten Freedom House Index. Seit Ende der 70er Jahre misst der Freedom House Index den Stand der demokratischen Freiheiten und fasst die komplexe politische Realität in vielen Staaten in drei Bewertungsstufen – free, partly free and unfree zusammen. Der Nachteil dieser übersichtlichen Bewertung liegt in der geringen Trennschärfe der Bewertungen gerade zwischen den beiden Kriterien partly free und free. Im Jahr 2000 wurden allein 60 Staaten, ein knappes Drittel der untersuchten Staaten, als „partly free“ eingeordnet. Weiterhin werden von den insgesamt knapp über 30 Experten, die Expertise für Freedom House liefern, in erster Linie nur das Ausmaß bürgerlicher Freiheiten sowie die Wahlen mittels einer Checkliste von Kriterien abgefragt.8 Ausgeklammert bleiben u.a. die Leistungsfähigkeit demokratischer Institutionen sowie die Frage der gesellschaftlichen Integration durch Parteien und Interessengruppen. Marktwirtschaft und Management werden überhaupt nicht berücksichtigt.

Im Rahmen dieses Beitrages ist es nicht möglich die Ergebnisse des BTI im Einzelnen zu referieren, geschweige denn zu interpretieren. Doch bereits die folgenden Tabellen mit den jeweils 15 am höchsten bewerteten Ländern im Status- und Managementindex zeigen überraschende Ergebnisse.9

Während vor allem mittelosteuropäische Staaten die höchsten Werte im Statusindex aufweisen, liegen mit Estland und Lettland nur zwei baltische Staaten an vorderer Stelle im Managementindex, gefolgt von den schwarzafrikanischen Staaten Mali und Botsuana sowie den lateinamerikanischen Staaten Chile und Uruguay. Am unteren Ende des Rankings (ohne Abbildung) liegen sowohl beim Status- als auch Managementindex die „zerfallenden“ schwarzafrikanischen Länder Liberia, Somalia und die Demokratische Republik Kongo (DRK) sowie Afghanistan und die entwicklungslosen Diktaturen, Laos, Myanmar (Birma) und Irak mit Werten zwischen 1,9 und 2,3.

Im Falle der hohen Bewertungen für die mittelosteuropäischen Staaten ist wahrscheinlich, dass die Nähe zur EU und die Anstrengungen, die im Hinblick auf die Mitgliedschaft in der EU unternommen worden sind, sich positiv auf die Festigung demokratischer und marktwirtschaftlicher Prinzipien ausgewirkt haben. Doch bedarf diese These noch einer weiteren Überprüfung. Falls sie belegbar ist, bedeutet dies, dass erfolgreiche Prozesse regionaler Integration durch die Möglichkeit von Staaten, quasi daran „anzudocken“, eine Chance zur Stärkung von Demokratie und Marktwirtschaft darstellen. Für die Entwicklungspolitik würde dies bedeuten, dass eine verstärkte Förderung regionaler Integrationsprozesse demokratischer Staaten sinnvoll wäre. Das eigentlich Überraschende des Managementindex sind die hervorragenden Steuerungsleistungen der Länder mit mittlerem Einkommen Chile, Uruguay, Botsuana, aber auch von Mali, einem der ärmsten Länder der Welt. Das Ländergutachten zu Mali argumentiert, dass die wirtschaftspolitische Bilanz des Landes zwar gemischt ist, doch die Stärken des Managements vor allem im politischen Bereich liegen. In Mali zwischen 1998 und 2002, so das Gutachten, „gibt es gelungene Strategien der Herstellung eines breiten prodemokratischen Konsenses, einen ausgeprägt inklusiven Politikstil, eine Reform des Wahlsystems und der Parteienfinanzierung sowie der Konsolidierung der demokratischen Institutionen.“10 Für die entwicklungspolitische Diskussion von Bedeutung ist die Entwicklung in Mali, da das Land demonstriert, dass selbst bei extrem ungünstigen Ausgangsbedingungen und regionaler Instabilität eine Stabilisierung demokratischer Herrschaft möglich ist. Dieser Befund könnte auch der um sich greifenden Resignation bezüglich den Wirkungen von Entwicklungspolitik entgegenwirken, der auf Seiten der Politik in der viel zitierten „Gebermüdigkeit“ seinen Ausdruck gefunden hat.

Detaillierte Analysen bedürfen Fragen bezüglich von Zusammenhängen zwischen marktwirtschaftlich erfolgreicher Politik und der Einkommenshöhe pro Kopf auf der einen und der Festigung der Demokratie auf der anderen Seite. Dazu gehört auch die Frage, inwieweit die Staaten, die auf Weltmarktintegration setzten und die Vorteile der Globalisierung nutzen wollten, besser oder schlechter hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen und möglicherweise auch politischen Entwicklung abgeschnitten haben.

Im Hinblick auf den Trendindikator bleibt das Bild uneinheitlich: Lediglich sechs Staaten – Estland, Indonesien, Kenia, Niger, Nigeria, Peru, Serbien und Montenegro11 – schafften den Übergang zur Demokratie zwischen 1998 und 2002 und in weiteren 18 Staaten (u.a. der Türkei) gab es deutliche Fortschritte bei der Verankerung bürgerlicher Freiheitsrechte oder hinsichtlich der Stabilität demokratischer Institutionen. In der gleichen Anzahl von Ländern verschlechterten sich die Bedingungen für marktwirtschaftliche Demokratie, darunter, besonders gravierend in der Elfenbeinküste, Nepal, Georgien und Venezuela. Der Anfang der neunziger Jahre vorherrschende Optimismus einer quasi unaufhaltsamen dritten Welle der Demokratisierung (Samuel Huntington), die ihren Anfang mit der Nelkenrevolution 1974 in Portugal genommen hatte, lässt sich durch den BTI nicht bestätigen. Das Beharrungsvermögen autoritärer Systeme ist insbesondere in einem breiten Staatengürtel von Nordafrika bis den Nahen und Mittleren Osten sowie die asiatischen GUS-Republiken erheblich.12

Mit dem BTI steht eine frei verfügbare („downloadbare“) Vielzahl von neu erhobenen Daten zur Verfügung, wie sie vergleichbar nur bei der Weltbank und der UNDP zu finden ist. Im Unterschied zu den genannten Institutionen umfasst und bewertet der BTI auch politische Entwicklungen, was für die Weltbank aufgrund ihres in der Satzung verankerten „Politikverbotes“ bislang allerhöchstens implizit in Veröffentlichungen möglich ist. Wie bereits angemerkt, ist der BTI weitaus umfassender als bisher vorliegende Indices. Eine weitere Stärke des BTI liegt in der hohen Anzahl von Fällen, wodurch Aussagen generalisierbarer werden und Vergleiche z.B. durch die Bildung von regionalen oder kontinentübergreifenden Ländergruppen und durch Neuanordnung der Daten ergiebiger sein können.

Basierend auf seiner normativen Grundannahme, dass eine marktwirtschaftliche Demokratie erstrebenswert sei, kann der BTI einen Beitrag zur Diskussion um die Identifikation von Erfolgs- und Problemfällen, von so genannten „good performers“ oder „poor“ bzw. „bad performers“13 leisten. Durch die vergleichende Analyse wird es einfacher sein, auf der einen Seite erfolgreiche Steuerungsmechanismen und Verfahren, „best practices“ zu erkennen und auf der anderen Seite zur Problemanalyse beizutragen. Dies ist die Voraussetzung für eine Optimierung der entwicklungspolitischen Anstrengungen.14 Die soll an einem Beispiel verdeutlicht werden: Die Auswertung des BTI für die anglo- und lusophonen Staaten Afrikas zeigt,15 dass Defizite hinsichtlich der politischen Gestaltungsfähigkeit vor allem in der häufig nur schwach entwickelten Fähigkeit, Reformen zu planen und zu implementieren, bestehen. Weiterhin ist der Bereich der Rechtsstaatlichkeit, nicht nur in Schwarzafrika, laut BTI häufig defizitär. Während die deutsche EZ bereits capacity building und die Förderung von Rechtsstaatlichkeit als Ziele erkannt und dementsprechende Maßnahmen eingeleitet hat,16 lassen sich durch den BTI weitere Defizite für die Ländergruppe anglo- und lusophones Afrika auch in den Bereichen Staatlichkeit (Aufbau eines effektiven Staates) und in sozialer Grundversorgung sowie der sozialen Abfederung von wirtschaftlichen Liberalisierungsmaßnahmen erkennen.

Die vergleichende und standardisierte Analyse des BTI könnte auch eine Rolle bei der erforderlichen fortlaufenden Anpassung der Länderliste des BMZ spielen. Im Jahr 2000 wählte das BMZ 32 Partner- und 38 Schwerpunktländer17 aus und benannte weitere potenzielle Kooperationsländer. Bislang ist unklar, auf welcher Basis die Zuordnung erfolgt bzw. welche Kriterien für die Auswahl maßgeblich waren. Insbesondere für die Frage, inwieweit eine Kooperation möglich und entwicklungspolitisch sinnvoll ist, könnte der BTI Hinweise liefern.

Neue Aspekte für Good Governance

Der Begriff Good Governance ist im Laufe der neunziger Jahre zu einem Schlüsselbegriff der entwicklungspolitischen Diskussion der westlichen Geberstaaten avanciert. Mehr schlecht als recht lässt er sich mit dem Begriff der „guten Regierungsführung“ oder der „guten Staatsführung“ ins Deutsche übersetzen. Der Begriff ist sehr vage und kann mit unterschiedlichen Inhalten gefüllt werden, was wohl eher seine Popularität noch erhöht hat. Ursprünglich stammt er von der Weltbank. Unter „governance“ versteht die Weltbank in einer Veröffentlichung 199218 „die Art und Weise, wie beim Management der wirtschaftlichen und sozialen Ressourcen für Entwicklung Acht ausgeübt wird“. Die Betonung von Management verweist eindeutig auf ein technisches Begriffsverständnis. Dies spiegelt sich auch in den vier von der Weltbank identifizierten Elementen bzw. Prinzipien von Good Governance wider: effizientes Management von Entwicklung, Rechenschaftspflicht staatlicher Institutionen gegenüber der Öffentlichkeit, Rechtsstaatlichkeit und Transparenz des Regierungshandelns. Im Unterschied zum technischen Verständnis der Weltbank wurde in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre der Begriff von bilateralen Gebern wie auch der OECD bzw. des DAC politischer interpretiert: Dezentralisierung, lokale Demokratie, Beachtung der Menschenrechte und demokratische Prinzipien wurden zu Bestandteilen bzw. zur Voraussetzung von Good Governance erklärt.19

In der deutschen Entwicklungspolitik wurde Good Governance zu einem zentralen Kriterium bei der Vergabe von Mitteln der EZ aufgewertet. Bereits 1991 verabschiedete das Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) noch unter Leitung des CSU-Politikers Carl Dieter Spranger folgende fünf Kriterien für die Vergabe von Fördermitteln aus der EZ:20

1. Achtung der Menschenrechte, Indikatoren: Freiheit von Folter, Rechte bei Festnahme und im Justizverfahren, Anwendung des Grundsatzes „Keine Strafe ohne Gesetz“, Religionsfreiheit und Minderheitenschutz.

2. Die Beteiligung der Bevölkerung am politischen Prozess. Indikatoren: demokratische Wahlpraxis, freie Äußerungsmöglichkeit der politischen Opposition innerhalb und außerhalb des Parlamentes, Vereinigungsfreiheit für Parteien, Verbände etc., Presse- und Informationsfreiheit.

3. Die Gewährleistung von Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit. Indikatoren: Unabhängigkeit der Justiz, Prinzip „Gleiches Recht für alle“, Transparenz und Berechenbarkeit staatlichen Handelns

4. Die Schaffung einer „marktfreundlichen“ Wirtschaftsordnung mit sozialer Komponente. Indikatoren: Schutz des Eigentums, Art des Bodenrechts, Preisfindung durch den Markt, Gewerbe- und Niederlassungsrecht, Wettbewerb, realistische Wechselkurse

5. Die Entwicklungshilfeorientierung des staatlichen Handelns. Indikatoren: Ausrichtung der Regierungspolitik auf die Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage der ärmeren Bevölkerungsteile, Korruptionsbekämpfung, angemessene Militärausgaben im Verhältnis zu Ausgaben für Gesundheit und Bildung, bevölkerungspolitische und umweltbezogene Maßnahmen.

Als unmittelbare Folge der fünf Kriterien wurden Projekte und Programme zur Förderung von Menschenrechten und Demokratie sowie zur Reform von Verwaltungen deutlich ausgeweitet. Die fünf Kriterien sind von der rot-grünen Koalitionsregierung ausdrücklich bestätigt worden und werden vom BMZ seit einigen Jahren in direkten Zusammenhang mit der Good Governance gestellt. An dieser Stelle soll weniger die Praxis bei der Anwendung der fünf Kriterien in Sinne einer Konditionierung der EZ stehen – sie war in zahlreichen Fällen selektiv21 –, sondern vielmehr der Zusammenhang mit dem BTI aufgezeigt werden.

BTI als systematische Grundlage

Der BTI könnte sowohl durch den Statusindex als auch den Managementindex eine Grundlage für die systematische Bewertung der fünf Kriterien darstellen, zumal dem BMZ bislang operationalisierte Kriterien fehlen. Der Statusindex Demokratie berücksichtigt durch die zahlreichen ihm zugrunde liegenden Indikatoren weitestgehend die ersten drei BMZ-Kriterien. Der Bereich marktfreundliche Wirtschaftsordnung wird im Teilindex des Statusindex abgebildet. Das fünfte und am unschärfsten gefasste BMZ-Kriterium entspricht hinsichtlich der sozialen Komponente und der Nachhaltigkeitsdimension zu einem Teil dem vierten Kriterium des BTI Marktwirtschaftsindex, zum anderen Teil ist es durch die Betonung von entwicklungsorientierter Regierungspolitik im Managementindex enthalten.

Der Managementindex ergänzt die deutsche und internationale Good-Governance-Diskussion aber noch um einen weiteren Aspekt. Die gegenwärtige Diskussion über die Bedeutung von Good Governance und seine Indikatoren konzentriert sich sehr stark auf Institutionen. Konsens herrscht in der wissenschaftlichen Diskussion, so Joachim Betz, darüber, „dass gute Institutionen als langfristiger Reflex von Regierungsführung in erheblichem Maße den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt von Ländern und die diesbezüglichen Unterschiede zwischen ihnen mitbestimmen.“22

Der BTI-Managementindex berücksichtigt zwar ebenfalls Institutionen – so wird beispielsweise beim Kriterium „effektive Ressourcennutzung“ nach effizienter Verwaltungsorganisation und der Qualität der öffentlichen Dienstleistungen gefragt, hingegen konzentriert sich der BTI-Managementindex in hohem Maße auf Regierungsführung im Sinne politischen Verhaltens. Untersucht wird das konkrete Verhalten der Regierung bzw. der Entscheidungsträger und der Regierungsinstitutionen. Dies wird insbesondere bei den Kriterien Gestaltungsfähigkeit (u.a. durch den Indikator Lernfähigkeit) und Konsensbildung (u.a. Indikator Förderung der Solidaritätsbereitschaft unter den Bürgern) deutlich. Der BTI bringt Akteursverhalten als eine zusätzliche und komplementäre Variable in die Good-Governance-Diskussion ein. Diese Dimension wird bislang weitgehend ausgeklammert bzw. findet sich nur sehr verkürzt in neueren Studien zur Bestimmung von Governance wieder.21

Der BTI könnte auch einen Beitrag zur Good-Governance-Diskussion der EU leisten. Die EU verzichtet auf eine allgemeine Definition von Good Governance und benennt vielmehr allgemeine Kriterien. Im Anhang zum Cotonou-Abkommen, dem Herzstück der Kooperation zwischen EU und 77 afrikanischen, pazifischen und karibischen Ländern, wird die Bewertung von Good Governance u.a. an der Nutzung der vorhandenen Ressourcen festgemacht.22 Dies deckt sich weitestgehend mit dem BTI-Kriterium „Effektive Ressourcennutzung“, wobei der BTI Indikatoren benennt und damit einen Schritt weiter bei der Operationalisierung von Good Governance als die EU ist.

Die Resultate des BTI werden sowohl der wissenschaftlichen Diskussion als auch der entwicklungspolitischen und im weiteren Sinne auch außenpolitischen Diskussion neue Impulse verleihen. Der BTI leistet einen innovativen Beitrag zur seit Jahren laufenden Diskussion um Messung von Erfolg und Misserfolg von Transformation und Entwicklung sowie deren jeweiligen Ursachen. Eine genauere Auswertung der Ergebnisse wird auch Aufschluss darüber geben, inwieweit die Frage der Außenunterstützung von Demokratisierungsprozessen neu zu diskutieren ist.

Insgesamt kann der BTI aber nicht ausschließlich Impulse für die Diskussion in der Entwicklungsländerforschung (die hier weitgehend ausgeklammert wurde) und Entwicklungspolitik, insbesondere über Good Governance, liefern, sondern auch konkrete Hilfestellung bei der Identifizierung von Stärken und Schwächen von Entwicklungs- und Transformationsprozessen geben. Im Zusammenhang damit kann er auch Entscheidungshilfe dafür bieten, entweder die Kooperation mit einem Land zu intensivieren oder zu reduzieren, zu beginnen oder im Extremfall sogar abzubrechen. Die Diskussion über Kriterien für den Einstieg bzw. den Ausstieg aus der entwicklungspolitischen Kooperation, wie sie gegenwärtig im Deutschen Entwicklungsdienst (DED) geführt wird, steht erst am Anfang. Um derart schwerwiegende Entscheidungen wie einen Ausstieg aus der Kooperation zu fällen, bedarf es allerdings zusätzlicher Informationen über die Situation in einem Land.23 Darüber hinaus muss vermieden werden, dass die Bevölkerung durch den Entzug von Mitteln „doppelt bestraft“ wird. Dies ist aber in erster Linie nicht Aufgabe einer langfristig orientierten und auf Kooperationspartner angewiesenen Entwicklungspolitik, sondern fällt eher in den Bereich der humanitären (Not-)Hilfe.

Anmerkungen

1 Vgl. Bertelsmann-Stiftung (Hrsg.), 2004: Auf dem Weg zur marktwirtschaftlichen Demokratie. Bertelsmann Transformation Index 2003, Gütersloh. Die kompletten Ergebnisse sind unter <http://www.bertelsmann-transformation-index.de&gt; abrufbar.
2 Aufgrund ihrer Bedeutung sind jedoch u.a. Bahrain, Botsuana, Jamaika, Mazedonien, Mongolei, Namibia, Slowenien und die baltischen Staaten berücksichtigt worden.
3 Bei autoritären Systemen ist die Frage irrelevant und der Wert Null wurde eingetragen.
4 Vgl. das Kapitel Kriterien und Methodik des Bertelsmann Transformation Index, a.a.O.
5 Vgl. ebenda die Kriterienaufstellung.
6 Kulturelle Ressourcen können beispielsweise in Traditionsbeständen demokratischer Erfahrungen, in von der Mehrheit geteilten kollektiven Erfahrungen liegen oder durch Integration traditioneller Entscheidungsfindungsprozesse in moderne Strukturen, wie z.B. der traditionellen Gesprächsforen (Kgotla-System) in Botsuana, genutzt werden.
7 So z.B. der Perzeptionsindex zur Korruption von Transparency International.
8 Vgl. zur Methodologie Freedom in the World 2003: Survey Methodology, abrufbar unter: <http://www.freedomhouse.org/research/freeworld/ 2003/methodology.htm>.
9 Die Ergebnisse finden sich im weltweiten Vergleich und für die einzelnen Kontinenten bzw. Ländergruppen detailliert im 2004 Transformation Index oder sind unter <http://www.bertelsmann-transformation-index.de&gt; abzurufen.
10 Zitat aus dem Gutachten zu Mali, ebenda.
11 Hierbei ist die Qualität der Demokratien allerdings höchst unterschiedlich, und die neuen demokratischen Systeme sind noch fragil.
12 Vgl. zu möglichen Ursachen Schmidt, Theoretische Überlegungen zum Konzept „Politische Stabilität“, in: Sigrid Faath (Hrsg.), 2003: Stabilitätsprobleme zentraler Staaten: Ägypten, Algerien, Saudi-Arabien, Iran, Pakistan und die regionalen Auswirkungen, Hamburg, S. 9–39.
13 Vgl. Stephan Klingebiel/Huria Ogbamichael, Poor Performing Countries – Ausgrenzung oder Förderung durch Entwicklungszusammenarbeit?, in:Nord-Süd aktuell, Bd. 17/2003, Heft 2.
14 Hierbei kann es nicht um ein bloßes Kopieren erfolgreicher Steuerungselemente und Prinzipien gehen, sondern vielmehr ist eine mögliche Adaption an unterschiedliche Länderkontexte im Einzelfall zu diskutieren.
15 Vgl. Anglo- und lusophones Afrika, in: Bertelsmann-Stiftung (Hrsg.) 2004, S. 219 ff.
16 Vgl. BMZ-spezial: Good Governance, Bonn, Juni 2002: Publikationsnummer 044, S. 8 f.
17 Während sich die deutsche EZ in Schwerpunktländern auf drei Schwerpunkte konzentrieren sollte, war für Partnerländer ein Schwerpunkt vorgesehen, vgl. Auszüge der Länderliste in: Entwicklung & Zusammenarbeit, Nr. 9/2000, S. 248.
18 Vgl. World Bank, Governance and Development, Washington, DC, 1992, S. 1.
19 Vgl. hier Thomas Conzelmann, Auf der Suche nach einem Phänomen: Was bedeutet Good Governance in der europäischen Entwicklungspolitik?, in: Nord-Süd aktuell, a.a.O. (Anm. 13), S. 468–477, hier S. 470 f.
20 Vgl. BMZ-spezial: Good Governance, Bonn, Juni 2002: Publikationsnr. 044, S. 8.
21 Häufiger wurden Staaten stärker sanktioniert, an denen nur geringere wirtschaftliche oder politische Interessen bestanden als im Falle wichtiger Handelspartner oder politischer Schwergewichte wie China. Franz Nuscheler sprach deshalb schon früh von Doppelstandards, vgl. ders., Menschenrechtliche Doppelstandards in der Entwicklungspolitik, in: Peter Haungs (Hrsg.), Civitas, Paderborn 1992, S.457–468.
22 Joachim Betz, Die Qualität öffentlicher Institutionen und die sozioökonomische Entwicklung, in: Nord-Süd aktuell, a.a.O. (Anm. 13), S. 456–467.
23 Vgl. hier das umfangreiche Projekt der Weltbank zur Bestimmung von Governance (good und bad governance), das sich durch den aus zahlreichen Größen zusammengesetzten Indikator Government Effectiveness teilweise mit dem BTI-Managementindex überschneidet. Vgl. Daniel Kaufmann u.a., Governance Matters III: Governance indicators for 1996-2002, World Bank, Washington, DC, 2003, <http://www.worldbank.org/wbi/governance/ pdf/govmatters3.pdf>.
24 Vgl. Conzelmann (Anm. 17), S. 473.
25 Z. B. durch Human Rights Watch, <http://www.hrw.org&gt;. Die Länderberichte bieten eine detaillierte Darstellung der jeweiligen Menschenrechtslage.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 11-12, November/Dezember 2004, S. 103‑114

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