IP

01. Okt. 2007

Tausend Terror-Todesarten

Technologie

Tausen Terror-Todesarten sind vorstellbar: über das ABC des Schreckens

Über 3000 Menschen starben, als am 11. September 2001 ein himmelhoch aufragendes Symbol einstürzte und das Verteidigungsministerium der Supermacht direkt angegriffen wurde. Der größte Schock für die Terrorexperten aber war die Methode: Die hatten sie nicht auf dem Radar. Dabei war sie, rückblickend, recht simpel: Eine kleine Schar junger Männer ließ sich in den USA zu Piloten ausbilden, kaperte vier voll getankte Flugzeuge und lenkte sie in prominente Ziele. Nun fragt sich die Welt seit sechs Jahren: What’s next?

Rohe Gewalt geht immer. Es hat seither weltweit tausende Anschläge gegeben, für die Sprengstoff in Fahrzeuge gepackt oder um menschliche Körper gewickelt wurde. Im Irak geschieht das regelmäßig. Auch anderswo wurde in die Menge gebombt: in Bali, Istanbul, Madrid, London. Der Großraum Frankfurt sollte ein Ziel sein, erfuhren wir jetzt. Mit einer Riesenladung Triacetontriperoxid, dem Terror-Cocktail TATP. Schon standen in einem Häuschen im Hochsauerland blaue Fässer mit 700 Litern des Grundstoffs Wasserstoffperoxid bereit. Die 35-prozentige Lösung gibt es als „Problemlöser“ im Schwimmbadshop – „zur kurzen und kräftigen Desinfektion“, ab 3,28 Euro pro Liter.

Nach solchen Funden betonen Experten regelmäßig, für den Bau einer solchen Bombe reiche das „Wissen aus dem Chemieunterricht der zehnten Klasse“. Flüssigsprengstoffe wie Kinepak oder Astrolite G kann angeblich „jeder mit einer Internetverbindung“ brauen. Gleichwohl bedarf es selbst für TATP beträchtlicher Logistik. Man benötigt größere Mengen Aceton und Säure. Das Handling ist tückisch. Die deutschen Bombenbastler fielen schon beim ersten Ausspionieren auf. Der Erwerb der Substanzen wurde überwacht. Denn der Verkauf hochprozentiger Lösungen wird recht gut kontrolliert. Überall erhältliche Mixturen, die früher Bombengrundstoffe enthielten, Unkrautvernichter etwa oder Dünger, werden heute anders komponiert. Auch benötigt der Bombenbauer Fachwissen und Laborerfahrung, spezielle Kolben, Vakuumpumpen, Kühlanlagen. Alles zu beschaffen, doch nur mit beträchtlichem Aufwand.

Ist klassischer Sprengstoff überhaupt die zentrale Bedrohung? Hat der 11. September 2001 nicht vielmehr gelehrt, dass es ganz ohne Bombe möglich ist, die Welt zu erschüttern? Regelmäßig werden seither in zahllosen Foren die vielen verwundbaren Winkel der westlichen Zivilisation abgesucht. Manchmal scheint es, als überböten sich die Terrorexperten mit Alpträumen. Doch auch das hat 9/11 gelehrt: Was eben noch als mieser Horrorplot galt, den jeder Filmregisseur ablehnen würde, kann binnen Minuten Wirklichkeit werden.

Ein Kurzüberblick gliedert sich wie von selbst: ABC – atomar, biologisch, chemisch. Die simpelste atomare Bedrohung: ganz konventionell auf einem Atomkraftwerk oder einem nuklearen Zwischenlager abstürzen. Viele Atomanlagen sind dagegen nicht oder nur mangelhaft geschützt. Der Terrorist braucht dafür nur eine möglichst schwere Boeing, wahlweise einen Airbus. Alptraum zwei: die so genannte „dirty bomb“. Ein konventioneller Sprengkörper, bepackt mit radioaktivem Material, das durch Explosion in die Umgebung geschleudert wird und blitzschnell eine ganze Stadt verseuchen kann – unsichtbar, unriechbar. Eine solche Bombe würde nicht unmittelbar Tausende töten, aber dennoch ideal als Terrorwaffe wirken, weil sie Schrecken und ein tiefes Gefühl von Verwundbarkeit erzeugte. Geeignetes Strahlenmaterial wie Cäsiumchlorid ist nicht allzu schwer zu beschaffen. Option drei: die echte Atombombe. Schon eine kleine A-Ladung könnte in einer Stadt wie Manhattan sofort über 200 000 Todesopfer fordern. Gewiss: Man braucht Wissenschaftler, Geräte und hochangereichertes Uran oder Plutonium. Auch der Transport ist problematisch. Überall stehen inzwischen Sensoren, die selbst auf Kleinstmengen reagieren. Neulich wurde eine Krebspatientin nach einer Strahlenbehandlung in einem New Yorker Tunnel gestoppt. Die Gefahr ist gleichwohl vorhanden.

Abteilung B sieht nicht besser aus: Biosubstanzen sind sehr schwer zu orten. Supergifte wie Ricin, Erreger wie Anthrax oder auch Pockenviren entfalten schon in Kleinstmengen maximale Wirkung. Pocken, sagen Terrorexperten, seien der ideale Killer für eng besiedelte Industriestaaten: Eine Infektion von 100 000 Menschen könnte binnen vier Monaten 30 Millionen Menschen umbringen. Längst wird erwogen, große Bürogebäude mit „Superfiltern“ zu bestücken und unter leichtem Überdruck zu halten, damit nichts Unerwünschtes einströmt. Allein in den USA zählt die Umweltbehörde 123 Einrichtungen, wo eine Attacke potenziell jeweils über eine Million Menschen verletzten oder töten könnte.

Horrorszenarien lassen sich überall konstruieren: eine Großverseuchung des Trinkwassers. Oder der jähe Zusammenbruch aller Computerinfrastruktur durch eine E-Bombe, der den realen Kollaps aller Versorgungsstränge zur Folge hätte. Ständig rätseln Experten, welches Leichtflugzeug wohl wo als Großflächen-Sprühgerät für tödliche Erreger eingesetzt, von welchem rostigen Frachter aus welche umgebaute chinesische Rakete in welches Ziel gelenkt werden könnte. Die unbequeme Quintessenz: Es gibt tausend Terroroptionen. „Die heutigen Sicherheitsmaßnahmen fangen die Dummen und schlecht Vorbereiteten“, sagt US-Sicherheitsguru Bruce Schneider. „Die einzige perfekte Abwehrmaßnahme gegen Terrorismus ist, sich nicht terrorisieren zu lassen.“

TOM SCHIMMECK, geb. 1959, schreibt als freier Journalist über Politik und Wissenschaft für Zeitungen, Magazine und fürs Radio.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 10, Oktober 2007, S. 128 - 129.

Teilen

Themen und Regionen

Mehr von den Autoren