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01. Jan. 2007

Tante-Emma-Läden oder Supermarkt?

Ökonomie

Die globale Architektur der Entwicklungshilfe muss reformiert werden

Ein Supermarkt hier, eine Vielzahl von Tante-Emma-Läden dort: Die Empfänger von multilateraler Entwicklungshilfe können sich für eigentlich jede Art von Finanzhilfe und Beratung an Weltbank und Währungsfonds – den Bretton-Woods-Supermarkt – wenden. Diesem stehen die Tante-Emma-Läden, Verzeihung: Agenturen, der Vereinten Nationen gegenüber. Dazu gesellen sich regionale Entwicklungsbanken und zunehmend so genannte Themenfonds, wie der zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria. Die meisten Mittel stammen von den bilateralen Gebern: Drei Viertel der Entwicklungshilfe kommen nach wie vor aus ihren Töpfen. Weit höher ist freilich der Anteil, der durch die multilateralen Institutionen geschleust wird, zunehmend auf freiwilliger Basis.

Aus der Empfängerperspektive mutiert der globale Ausbruch an Spendenbereitschaft in ein Chaos an multilateralen Institutionen, bilateralen Gebern, Themenfonds und privaten Spendern. Man versetze sich in die Lage eines hohen Beamten einer Planungsbehörde: Wir erschlagen ihn mit unserer Hilfsbereitschaft. Das gilt für die Geberdarlings, nicht für die Geberwaisen. Vietnam, ein Darling der Geber, hat daher die UN aufgefordert, in seinem Land gebündelt mit einer Agentur aufzutreten, um seinen knappen Regierungsapparat zu schonen. Die UN geben in Vietnam etwa zwei Prozent der Hilfe aus. Doch sie halten sich dort elf (sic!) UN-Agenturen, mit eigener Flagge und anderem diplomatischem Schmückwerk.

Inzwischen ist die Einsicht gereift, dass die UN und die globale Architektur der Entwicklungshilfe nur von außen reformiert werden können. Über Jahrzehnte hinweg wurden die entwicklungspolitischen Aktivitäten der UN kräftig ausgeweitet. Insgesamt zählt man heute 38 Unterorganisationen. Das bedeutet: Duplikation, Fragmentierung, Kosteninflation. Als Folge des big push in der Entwicklungshilfe wissen die armen Länder nicht mehr, wie sie der wuchernden Programme und Fonds Herr werden sollen. Daran sind nicht allein die Vereinten Nationen schuld. Aber sie sind noch Teil des Problems, nicht Teil einer Lösung. Aufgrund der byzantinischen Struktur der UN, des Universalprinzips und des bürokratischen Wasserkopfes werden die UN von den reichen Ländern nur sehr zögerlich genutzt. Das Rosinenpicken favorisierter Programme und die Unterfinanzierung zentraler UN-Aufgaben sind an der Tagesordnung. Ein Land, eine Stimme: Was so nett klingt, funktioniert in der Regel nicht, da die Zahlmeister und die Begünstigten des UN-Systems ihre Interessen nicht bündeln. Es gilt immer noch: Kompetenz und Haftung gehören zusammen! Da an diesem Prinzip aber nicht gerüttelt wird, werden die UN in ihrer 60-jährigen Geschichte bislang im Schnitt alle acht Jahre reformiert, Frequenz steigend.

Die versprochene Verdoppelung der Entwicklungshilfe bis 2010 hat die Bedenken verstärkt, dass der Wildwuchs der Hilfsarchitektur eine effiziente Zuleitung der Mittel torpediert. Die Durchführung wurde zu komplex; die Bürokratiekosten wurden zu hoch; Anweisungskompetenzen sind unklar; Mandate und Aktivitäten überlappen sich. In Rom z.B. finden sich drei UN-Organisationen (FAO, WFP und IFAD), die der Nahrungssicherung in den armen Ländern dienen sollen. Auch bei den Bereichen Nahrungsqualität, Kinder, Wasser, Kapazitätsbildung, Armut, Vertriebene ist eine klare Arbeitsteilung im UN-System nicht erkennbar. So schnellen die Koordinierungskosten in die Höhe: OCHA, welche die humanitären Hilfsaktionen innerhalb des UN-Systems koordiniert, beschäftigt 400 Akademiker und kostet mehr als 100 Millionen Dollar pro Jahr.

Ein prominent besetztes Gremium – u.a. mit den drei heutigen Premierministern Mosambiks, Norwegens und Pakistans und mit dem britischen Schatzkanzler Gordon Brown – hat am 9. November 2006 Reformvorschläge vorgelegt; Auflösung oder Zusammenschlüsse von UN-Agenturen wird man vergebens suchen. Der Titel, unter dem die Empfehlungen gesammelt wurden, wird wohl Wunsch bleiben: Delivering as One. In qualliger Sprache, welche die Angriffsfläche klein halten will, wird empfohlen, die Vielzahl der UN-Entwicklungsprogramme unter der Hoheit der Empfängerländer zu bündeln. Der Gesprächspartner seitens der UN wäre danach ein Koordinator vor Ort; dieser könnte im Idealfall auf ein vereinheitlichtes Millenniumsziele-Budget zurückgreifen, das auf mehrere Jahre vorfinanziert würde. Das Ganze würde dann noch von einem internationalen Aufsichtsgremium kontrolliert. Das Prinzip „Eine UN-Behörde, ein Aufsichtsgremium, ein Budget“ soll bis 2012 in allen armen Ländern wirksam sein.

Abgesehen von konkreten Einsparungshinweisen unterlässt der UN-Report auch, der operationellen Rolle der UN und ihren komparativen Vor- und Nachteilen im Konzert der internationalen Organisationen nachzuspüren. Die Neutralität und Universalität der UN weisen ihr durchaus einige Aufgaben zu: die Bereitstellung globaler öffentlicher Güter, der Wiederaufbau in Nachkriegsländern oder die Unterstützung bei der Bildung einer öffentlichen Verwaltung. Den UN wäre auch gedient, alle ihre Aktivitäten unter die Erfüllung der Millenniumsziele zu stellen, sowohl global als auch auf der jeweiligen Landesebene. Am Ende wären die Vereinten Nationen gestärkt. Und die Empfängerländer könnten auf zwei Supermärkte der multilateralen Hilfe zurückgreifen.

Prof. Dr. HELMUT REISEN, geb. 1950, arbeitet als Counsellor am Entwicklungszentrum der OECD in Paris und ist Titularprofessor an der Universität Basel. Er publiziert vor allem zu Fragen der Entwicklungs- und Währungspolitik sowie zur Globalisierung.
 

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar 2007, S. 88 - 89.

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