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01. Sep 2011

Systemversagen

Washington ist handlungsunfähig

Der Schuldenkompromiss kann nicht über die lähmende Wirkung der politischen Blockade in Washington hinwegtäuschen. Demokraten und Republikaner sind so zerstritten wie nie. Um die Regierung wieder handlungsfähig zu machen, wird das Land nicht um Reformen im politischen System herumkommen.

Am 5. August stufte die Ratingagentur Standard & Poor’s die Kreditwürdigkeit der USA von AAA auf AA+ herab. Ein peinlicher Vorgang für die größte Wirtschaftsnation der Welt. Die beiden Parteien im Kongress reagierten nach dem bekannten Muster: mit gegenseitigen Schuldzuweisungen. Der Republikaner John Boehner, Sprecher des Repräsentantenhauses, machte die Demokraten verantwortlich, die nicht bereit seien, bei den teuren Sozialprogrammen zu sparen. Die Demokraten konterten, die Schuld läge bei den Republikanern, würden diese doch notwendige Steuererhöhungen blockieren und so die Sanierung des Haushalts verhindern.

Über das politische Hickhack ignorieren die politischen Entscheidungsträger in Washington die eigentliche Message der Ratingagentur: Get your act together! Denn Standard & Poor’s hat den USA die Topbonitätsnote nicht nur aufgrund des unzureichenden Umfangs der Sparmaßnahmen entzogen. „Die Herabstufung spiegelt unsere Meinung wider, dass sich die Effektivität, Stabilität und Berechenbarkeit der politischen Entscheidungsträger und Institutionen der USA verschlechtert haben.“1

Unabhängig davon, ob die Entscheidung einer Herabstufung gerechtfertigt ist, ein Aspekt der Analyse trifft in jedem Fall zu. Das politische System der USA ist gelähmt wie selten zuvor. Vor diesem Hintergrund steht nicht nur in Frage, ob es dem Kongress gelingen wird, den Schuldenkompromiss in einen umfassenden fiskalpolitischen Konsolidierungsplan umzusetzen. Vielmehr hat die Blockade im Kongress inzwischen einen Grad erreicht, der insgesamt Zweifel an der Problemlösungsfähigkeit der amerikanischen Regierung aufkommen lässt.

Anstatt das Problem zu lösen, hat der im Budget Control Act of 2011 erzielte Schuldenkompromiss die schwierige Entscheidung zunächst nur in die kommenden Monate verschoben. Geeinigt haben sich Demokraten und Republikaner erst einmal auf Sparmaßnahmen in Höhe von etwa einer Billion Dollar über die kommenden zehn Jahre. Bei Verteidigungsausgaben, Infrastrukturentwicklung, Energiepolitik, Bildung, Forschung und Gesundheit soll fortan der Gürtel enger geschnallt werden. Die großen Sozialprogramme, die den Haushalt in den kommenden Jahren besonders belasten werden – Medicare (Krankenversicherung für Senioren) und Social Security (die gesetzliche Rentenversicherung) – blieben hingegen vorerst ebenso verschont wie Steuerbegünstigungen für Reiche. Fakt ist aber, dass sich der Schuldenberg nicht ohne eine Reform der sozialen Sicherungssysteme und Anhebung der Steuern abtragen lässt.

Der Kongress hofft daher auf die Vorschläge einer Superkommission (Joint Select Committee on Deficit Reduction), die weitere Einsparungen in Höhe von 1,5 Billionen Dollar bringen sollen. Warum nun ausgerechnet dieser Kommission gelingen soll, woran sich bisher so viele ohne Erfolg versucht haben, leuchtet nicht unmittelbar ein. Im vergangenen Herbst gelang es Obamas überparteilicher Nationalen Kommission für haushälterische Verantwortlichkeit und Reform auch nicht, mehrheitsfähige Vorschläge vorzulegen. Zwar enthält der nun erreichte Kompromiss ei-nen starken Anreiz für beide Seiten, sich zu einigen. Um sich selbst zu überlisten, hat der Kongress einen scharfen Automatismus im Budget Control Act verankert: Sollte eine Einigung scheitern, werden automatisch Pauschalkürzungen bei allen Haushaltstiteln in Kraft treten – ohne Rücksicht auf politische Sensibilitäten. Das alleine ist jedoch noch keine Garantie für die Überwindung der Blockade. Ob für einen Kongress, der die USA an den Rand der Zahlungsunfähigkeit gebracht hat, automatische Ausgabenkürzungen als Drohkulisse reichen, ist alles andere als sicher.

Die Kompromissfindung gestaltet sich so schwierig, da Demokraten und Republikaner grundsätzlich unterschiedliche Auffassungen vertreten, was eine gute Fiskalpolitik ausmacht: Während die Demokraten fordern, dass höhere Steuern – vor allem für Besserverdienende und Unternehmen – Teil der Sanierung des Haushalts sein müssen, wollen die Republikaner das Defizit allein über die Ausgabenseite in den Griff bekommen. Glauben die Republikaner, dass ein schlanker Staat die beste Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum ist, sind Demokraten der Meinung, dass der Staat die Wirtschaft mit Investitionen in Infrastruktur oder auch Bildung unterstützen sollte.

Kompromissloser Machtkampf

Ideologische Differenzen hat es schon immer gegeben. Sie alleine erklären also nicht den Gridlock in Washington – so wird die politische Blockade genannt. Das Problem besteht darin, dass das amerikanische System der Gewaltenteilung die Bereitschaft zu überparteilichen Kompromissen voraussetzt. Die ist jedoch gerade den Republikanern zunehmend abhan-dengekommen. Senator Mitch McConnell, Minderheitsführer im Senat, gab öffentlich zu, seine erste Priorität sei es, die Wiederwahl von Präsident Obama zu verhindern. Damit stellt er den Machtwillen seiner eigenen Partei explizit über das Wohl Amerikas. Bereits in den ersten zwei Jahren von Obamas Amtszeit nutzten die Republikaner ihre Sperrminorität im Senat, um mit Hilfe des Filibuster – im Senat ist eine Mehrheit von 60 Stimmen notwendig, damit ein Gesetz zur Abstimmung gebracht werden kann – wichtige Gesetzesinitiativen des Präsidenten zu blockieren.

Die zahlreichen der Tea Party nahestehenden Abgeordneten im Repräsentantenhaus verschärfen das Problem noch zusätzlich. Die Mobilisierung konservativer Wähler durch die Bewegung hatte entscheidend zum Erfolg der Republikaner bei den Kongresswahlen 2010 beigetragen. Die Tea-Party-Abgeordneten verfolgen seitdem eine radikale Agenda: Am liebsten würden sie die Kreditaufnahme des Staates ganz verbieten, indem sie einen ausgeglichenen Haushalt in der Verfassung vorschreiben.

Ginge es nach ihnen, sollten zudem Steueranhebungen nur noch möglich sein, wenn eine Zweidrittelmehrheit im Kongress diesen zustimmt. Statt auf Kompromiss setzten sie auf Prinzipientreue. Dabei sind sie bereit, noch weiter zu gehen als das republikanische Establishment. Selbst die drohende Zahlungsunfähigkeit entfaltete für die Vertreter der Tea Party keine abschreckende Wirkung, denn sie hielten steigende Schulden für schlimmer als eine temporäre Aussetzung des Schuldendiensts und die damit verbundene Herabstufung der amerikanischen Kreditwürdigkeit. Ihre Bereitschaft, für ihre Agenda auch das Risiko einer Rezession in Kauf zu nehmen, ist eine neue Eskalationsstufe der Blockadepolitik. Da nützte es wenig, dass die republikanische Parteiführung, insbesondere ihr Sprecher John Boehner, erkannte, dass das Scheitern eines Kompromisses auch der eigenen Partei schaden würde. Das Resultat für den politischen Prozess ist fatal: Der Kongressforscher Norman Ornstein von der Brookings Institution hat dem gegenwärtigen Kongress schon jetzt attestiert, der schlechteste in der amerikanischen Geschichte zu sein.2

Kleine Reformschritte

Mittelfristig muss daher verstärkt über Reformen im politischen System nachgedacht werden. Die institutionellen Hürden für Verfassungsänderungen sind so hoch, dass grundlegende Änderungen des Entscheidungsprozesses praktisch ausscheiden.

Auch weitreichende Reformvorhaben, die keiner Verfassungsänderung bedürfen, haben es schwer. Eine zurzeit diskutierte Möglichkeit, der Politik wieder mehr Handlungsspielräume zu eröffnen, wäre eine grundlegende Reform der Wahlkampffinanzierung. Denn der Einfluss der Tea-Party-Ideologen ist auch deswegen so groß, weil sie finanzkräftige Interessengruppen hinter sich wissen. Zum Beispiel setzt der libertäre Aktivist Grover Norquist mit seiner Organisation „Americans for Tax Reform“ republikanische Kongressmitglieder unter Druck, sich zur Ablehnung jeder Art von Steuererhöhungen zu verpflichten. Da seine Unterstützung wahlentscheidend sein kann, wagen es nur wenige Republikaner, sich seinen Wünschen zu widersetzen. Hier könnte eine stärker auf öffentlichen Geldern gestützte Wahlkampfförderung den Kandidaten mehr Unabhängigkeit verschaffen. Doch obwohl es in beiden Parteien Unterstützer für eine Reform der Wahlkampfinanzierung gibt, ist ihr Erfolg ungewiss. Denn die mächtigen Lobbies der Wirtschaft wollen auf diese Einflussmöglichkeit nicht verzichten und versuchen daher, die Reform zu stoppen.

Die Bemühungen, die Macht von Unternehmen in Wahlkämpfen und Volksentscheiden einzuschränken, erhielten letztes Jahr einen zusätzlichen Dämpfer. In der Entscheidung Citizens United vs. Federal Election Commission entschied der Oberste Gerichtshof, dass Unternehmen unter dem Recht auf politische Meinungsäußerung die gleichen Privilegien genießen wie Einzelpersonen. Durch die Entscheidung wurden gesetzliche Beschränkungen der Finanzierung politischer Werbung durch Unternehmen für verfassungswidrig erklärt.

Was bleibt, ist eine Reformpolitik der kleinen Schritte. Ein Vorschlag, mit einer kleinen Änderung im Wahlverfahren der fortschreitenden Polarisierung der Parteien entgegenzuwirken, ist eine Reform der Vorwahlen. Gegenwärtig werden Kandidaten in den meisten Bundesstaaten nur von den eigenen Parteianhängern gewählt. Diese tendieren zu Extrempositionen und geben häufig radikaleren Kandidaten den Vorzug. Ein Ansatz, das zu ändern, besteht in den so genannten „Top-2-Vorwahlen“. Darin müssen sich Kandidaten allen Wählern in ihrem Wahlbezirk stellen; die beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen werden unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit zu den Hauptwahlen zugelassen. Dies würde den Kandidaten einen stärkeren Anreiz bieten, sich an der politischen Mitte zu orientieren. Kalifornien, das häufig eine Vorreiterrolle übernimmt, hat bereits Vorwahlen nach diesem Muster eingeführt.

Gerade konservative Amerikaner beklagen den Verlust einer amerikanischen Führungsrolle. Wichtigste Voraussetzung, um den Einfluss der USA in der Welt auch zukünftig zu sichern, ist die Handlungsfähigkeit des politischen Systems. Sie ist zwar noch keine Garantie für den Erfolg Amerikas, aber ohne sie ist der Misserfolg garantiert.

Dr. STORMY-ANNIKA MILDNER ist Mitglied der Institutsleitung der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.

Dr. des. JOHANNES THIMM ist Mitarbeiter der Forschungsgruppe Amerika der SWP.

  • 1Standard & Poor’s: United States of America Long-Term Rating Lowered to ‘AA+‘ on Political Risks and Rising Debt Burden; Outlook Negative, Global Credit Portal, 5.8.2011.
  • 2Norman Ornstein: Worst. Congress. Ever., Foreign Policy, www.foreignpolicy.com/artic- les/2011/07/19/worst_congress_ever.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, September/Oktober 2011, S. 96-99

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