IP

28. Febr. 2014

Strategische Ausrichtung

Mexiko nutzt die Vorteile einer offenen Volkswirtschaft

Mexiko will die einseitige Abhängigkeit vom nordamerikanischen Markt verringern und seine außenwirtschaftlichen Beziehungen ausweiten. Dafür hat das Land ein Dutzend von Freihandelsabkommen mit Ländern in Europa, Asien und Lateinamerika unterzeichnet. Besonders vielversprechend scheint die neue Pazifische Allianz zu sein.

Mexikos Rolle in der Weltwirtschaft hat sich im vergangenen Jahrzehnt stark verändert. Dies ist nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass Mexiko einen merklich anderen Pfad eingeschlagen hat als die meisten anderen lateinamerikanischen Staaten. So hat sich Mexiko früher vom wirtschaftspolitischen Irrweg der Importsubstitution verabschiedet – der in den dreißiger Jahren von vielen Ländern Lateinamerikas als vermeintlich alternativlose Industrialisierungsstrategie eingeschlagen worden war – und seine Wirtschaft für den internationalen Wettbewerb geöffnet. Dies ermöglichte es dem Land, den Abstand zu den Vereinigten Staaten im Zeitraum 1950 bis 2010 schneller als andere lateinamerikanische Länder zu verringern, und heute einen Anteil am Welteinkommen zu erzielen, der mit 2 Prozent etwa halb so hoch wie der deutsche Anteil ausfällt.  

Wo steht Mexiko, der viertgrößte Automobilexporteur der Welt, heute? Sein Anteil am Welthandel, der noch 1990 bei 0,8 Prozent lag, stieg bis 2011 auf 2,1 Prozent. Im selben Zeitraum hat sich die Bedeutung des Außenhandels für die mexikanische Wirtschaft fast verdreifacht, und zwar von 11 auf 29 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (gerundete Zahlen). Legt man die Daten des internationalen Warenhandels zugrunde, so stellt sich heraus, dass der Anteil der Rohstoffe und der rohstoffintensiven Güter, der 1990 gut 60 Prozent der Gesamtausfuhren ausmachte, im Jahr 2011 auf weniger als ein Viertel gesunken ist. Gleichzeitig nahmen die Anteile der Produkte zu, die der mittleren Technologie (etwa Kraftfahrzeuge und ihre Teile, von 28 auf 37 Prozent) und der Hochtechnologie (etwa Elektronik, von 4 auf 26 Prozent) zuzuordnen sind. Mexiko erzielt seine außenwirtschaftlichen Erfolge derzeit hauptsächlich mit Produkten der verarbeitenden Industrie (mittlere und Hochtechnologie) und mit Rohstoffen (zum Beispiel Erdöl).

Angesichts der geografischen Nähe zu den USA überrascht es nicht, dass der mexikanische Außenhandel überwiegend mit nur einem einzigen Partner abgewickelt wird – und das nicht erst seit Inkrafttreten des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) im Jahr 1994. Machte dieser Austausch schon 1990 ca. 71 Prozent der Gesamtausfuhren aus, so stieg er bis 2010 auf fast 84 Prozent an. In diesem Zeitraum fand eine eher marginale Verschiebung zugunsten von Kanada statt: von 1,2 (1990) auf 4,3 Prozent (2010). Allerdings hatte NAFTA im Hinblick auf den Handel mit dem Rest der Welt einen deutlichen Umlenkungseffekt. Davon betroffen war u.a. die Europäische Union. Nahm sie 1990 noch ca. 11,5 Prozent der mexikanischen Exporte auf, fiel dieser Anteil nach Unterzeichnung des NAFTA-Vertrags auf 3,6 Prozent (1995). Das Freihandelsabkommen mit der EU, das im Jahr 2001 zustande kam, hat zwar zu einer geringfügigen Zunahme der mexikanischen Exporte in die EU geführt, konnte jedoch das Niveau von 1990 nicht einmal annähernd wieder erreichen (2010: nur 4,8 Prozent der mexikanischen Ausfuhren). Der Handel mit Deutschland blieb trotz der Handelsumlenkung in den nordamerikanischen Wirtschaftsraum recht stabil.

Im Zeitraum 1990 bis 2010 konnte Mexiko gegenüber den NAFTA-Ländern durchgehend einen Exportüberschuss erzielen. Aus der EU und Deutschland hingegen importierte es wesentlich mehr, als es dorthin exportierte. Aufgrund des Gewichts von NAFTA für den mexikanischen Außenhandel ist die Produktionsstruktur stark auf den nordamerikanischen Markt ausgerichtet. Ein Indikator dafür ist das Bestehen eines Zusammenhangs zwischen den Schwerpunkten des Außenhandels einerseits und den Schwerpunkten der Innovationsaktivitäten bzw. des Wissensimports andererseits.

Während Mexiko im Außenhandel auf mittlere und Hochtechnologie sowie Rohstoffe spezialisiert ist, konzentrieren sich seine Patent­anmeldungen auf Rohstoffe, rohstoffintensive Produkte, niedrigere und mittlere Technologie. Insgesamt importiert Mexiko mehr Wissen (Lizenzen, um ausländische Patente zu nutzen) als es exportiert, vor allem im Hochtechnologiebereich. Wichtigster Investor und zugleich wichtigster Handelspartner sind die USA. Das Wissen wird aus den Vereinigten Staaten eingeführt, von wo auch die zugehörigen Direkt­investitionen stammen. Unternehmen der Hochtechnologie haben ihren Standort in Mexiko und exportieren von dort aus Produkte der Hochtechnologie in die USA. Ein Großteil des Wissens zu den mittleren Technologien ist jedoch deutschen Direktinvestitionen geschuldet. Deutschland ist mit ca. 1000 Unternehmen und einem geschätzten Volumen von 25 Milliarden Dollar vertreten.

Die starke Präsenz ausländischer Unternehmen in Mexiko deutet auf bestehende Standortvorteile hin: Mexiko hat sich erfolgreich als Teil von internationalen Wertschöpfungsketten positioniert und bietet mit einer Bevölkerung von rund 112 Millionen Menschen mit mittlerem Einkommen einen attraktiven Binnenmarkt an. Für Unternehmen aus den USA spielen Lohn- und Steuervergünstigungen sowie die Verfügbarkeit von Rohstoffen eine zentrale Rolle bei der Standortentscheidung, wobei sie in Mexiko überwiegend Güter für den NAFTA-Raum produzieren. Für andere ausländische (etwa deutsche) Unternehmen stehen diese Standortfaktoren ebenso im Mittelpunkt wie die Möglichkeit, den ungehinderten Zugang Mexikos zum nordamerikanischen Markt für sich zu nutzen. Direktinvestitionen tragen dazu bei, dass die verarbeitende Industrie einen Anteil von knapp 20 Prozent an der Bruttowertschöpfung hat und dass Mexiko mit Industriestandorten in Lateinamerika (Brasilien), Europa (Deutschland) und Asien (Südkorea, Japan und China) konkurrieren kann.

Ein enges regionales und internationales Kooperationsgeflecht

Im Zuge der mexikanischen Handelsliberalisierung seit den neunziger Jahren hat das Land zwölf Freihandelsabkommen (FHA) mit insgesamt 44 Ländern Lateinamerikas, Europas und Asiens gezeichnet (Stand: 2013) und ist so zu einer der weltweit offensten Volkswirtschaften geworden. Chile, Costa Rica, Kolumbien, Nicaragua, das Nördliche Dreieck (El Salvador, Guatemala und Honduras), Peru und Uruguay sind Mexikos FHA-Partner. Derzeit befindet sich ein Abkommen mit den Ländern Zentralamerikas im Ratifizierungsprozess, das die FHA mit Costa Rica, Nicaragua und dem Nördlichen Dreieck ersetzen soll. Außerdem hat das Land Teilverträge mit dem Mercosur (Kraftfahrzeuge), der Latin American Integration Association (LAIA) und einzelnen Ländern aus der Region ausgehandelt, die die gute Abdeckung der lateinamerikanischen Handelspotenziale durch die FHA ergänzen.

Vielversprechend scheint die Pazifische Allianz zu sein, die wichtigste regionale Integrationsinitiative seit der Gründung des Mercosur, die Mexiko gemeinsam mit Chile, Kolumbien und Peru im Juni 2012 ins Leben gerufen hat, um die Handelshemmnisse, die zwischen den Teilnehmern bestehen, abzubauen. Diese Organisation könnte den echten Integrationsgedanken wiederbeleben, der in den meisten regionalen Initiativen Lateinamerikas zugunsten einer rein politischen Ausrichtung verloren gegangen ist.

Neben Latein- und Nordamerika spielen FHA auch in den Außenwirtschaftsbeziehungen mit der EU, der Europäischen Freihandelsassoziation und Israel eine Rolle. Seit Oktober 2012 nimmt Mexiko an den Verhandlungen für eine Transpazifische Partnerschaft (TPP) teil, an der auch Australien, Brunei, Chile, Kanada, Malaysia, Neuseeland, Peru, Singapur, die Vereinigten Staaten und ­Vietnam beteiligt sind. Der Handel Mexikos mit Ländern, die der NAFTA nicht angehören, erreichte in der Vergangenheit Anteile von durchschnittlich nur 10 bis 15 Prozent der Gesamtexporte. Die große Herausforderung für Mexiko wird es sein, diesen Anteil graduell zu erhöhen und andere Länder Lateinamerikas von den Vorteilen einer offenen Volkswirtschaft zu überzeugen.

Die mexikanische Wirtschaft hat nicht nur Stärken. Zu ihren Schwächen zählen die Unternehmensstruktur, das Bildungssystem und die Folgen der ­demografischen Entwicklung. Neben den ausländischen Unternehmen und einigen wenigen mexikanischen Großunternehmen gibt es eine hohe Anzahl einheimischer Firmen, von denen über 95 Prozent weniger als zehn Arbeitskräfte beschäftigen und von denen etwa ein Drittel dem so genannten informellen Sektor angehören. Die kleinen Unternehmen sind – sofern sie der verarbeitenden Industrie angehören – durch eine eher niedrige Kapitalausstattung und vergleichsweise einfache Qualifikationsprofile der Beschäftigten gekennzeichnet; sie weisen kaum Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten auf. In der Regel erstellen diese Firmen einfache Vorleistungen für mittlere und größere Unternehmen im formalen Sektor und sind von kommerziellen und staatlichen Finanzdienstleistungen weitgehend ausgeschlossen. Die Informalität ist für den Staat und die Gesellschaft Mexikos ein großes Problem. Da die betroffenen Unternehmen bei den Behörden nicht registriert sind, gestaltet sich ihre Besteuerung sehr schwierig. Arbeitskräfte im informellen Sektor müssen ohne rechtsgültige Arbeitsverträge auskommen und sind daher vielen Risiken ausgesetzt.

Die Informalität hat, wie die massive Auswanderung von Arbeitskräften in die USA, ihren Ursprung unter anderem in der demografischen Entwicklung mit den Rahmenbedingungen der Importsubstitution. Letztere sollte in Mexiko zum Aufbau einer modernen Industrie beitragen, die Importe aus den Industrieländern überflüssig macht. Hierzu hat sich das Land mithilfe hoher Handelshemmnisse von den dreißiger bis in die achtziger Jahre hinein von der Weltwirtschaft mehr oder weniger abgekoppelt. Die im Land begünstigte Ansiedlung von Industrie kam überwiegend aus dem Ausland, brachte neue Technologien mit und produzierte sehr kapitalintensiv. Infolge dieser Strategie wuchs die Nachfrage nach Arbeitskräften verschiedener Qualifikation nur sehr verhalten. Die Bevölkerungszahl jedoch stieg rapide. Weil die Importe substituierende Industrie die auf den Arbeitsmarkt strömenden Menschen nicht alle aufnehmen konnte, richtete sich ein Teil dieser Arbeitskräfte im informellen Sektor ein, während andere in die USA auswanderten, wo viele von ihnen jahrelang ohne offizielle Papiere arbeiteten.

Mexiko ist auf bestem Wege, seine Abhängigkeiten in drei zentralen Bereichen zu verringern, um sein Wirtschaftspotenzial zu entfalten: Es ist ernsthaft bemüht, die einseitige Abhängigkeit vom nordamerikanischen Markt zugunsten einer breiten Diversifizierung seiner außenwirtschaftlichen Beziehungen abzubauen. Es sind wirtschaftspolitische Maßnahmen eingeleitet worden, die die Abhängigkeit der Staatseinnahmen von der Erdölwirtschaft reduzieren sollen. Und die Abhängigkeit von ausländischem Wissen soll durch eine Bildungs­reform und Anreize für private und öffentliche Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten verringert werden.

Prof. Dr. 
Federico Foders 
ist Leiter des Zentrums Fundraising und Außenbeziehungen und Mitglied des Direktoriums des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel.

Bibliografische Angaben

IP Länderporträt Mexiko 1, März/April 2014, S. 11-15

Teilen