Sprecht mit ihnen
Deutschlands Außenpolitik hat den Austausch mit den Bürgerinnen und Bürgern entdeckt, ob im Amt in Berlin oder vor Ort, etwa im Ruhrgebiet. Doch die Bürgerdialoge zu internationalen Themen ließen sich effizienter gestalten. Einige Vorschläge.
Diplomaten im Dialog“ und Bürgerwerkstätten im Auswärtigen Amt, „Europa, mein Revier“ im Ruhrgebiet, ein vom Bundestag beauftragter Bürgerrat zu Deutschlands Rolle in der Welt bei Zoom: Der Austausch mit den Bürgerinnen und Bürgern zu internationalen Themen hat Konjunktur in Deutschland. Damit ist ein Trend in der Außenpolitik angekommen, der bei anderen Themen schon seit zwei Jahrzehnten erkennbar ist: Vielerorts wird mit neuen Konsultations- und Beteiligungsformaten experimentiert, um sinkendem Vertrauen in die Politik, Desinformation und Populismus zu begegnen.
In der Außenpolitik verbinden verschiedene Akteure mit diesen neuen Dialogformaten ganz unterschiedliche Hoffnungen und Ziele. Das Auswärtige Amt legt seit den „Review 2014“-Reformen verstärkt Wert darauf, direkt mit Bürgern ins Gespräch zu kommen. Dies geschieht durch eine – vor Corona – jährlich stattfindende „Bürgerwerkstatt“ mit rund 120 Teilnehmenden in Berlin, in sogenannten „Open Situation Rooms“ zum Durchspielen einer Krisensituation sowie durch die erwähnte Veranstaltungsreihe „Diplomaten im Dialog“ mit Diskussionsrunden in ganz Deutschland, oft in Kooperation mit lokalen Medien oder Vereinen. Ziel dieser Maßnahmen ist in erster Linie, außenpolitisches Handeln zu erklären und so den „Graben zwischen außenpolitischen Eliten und breiter Öffentlichkeit“ zu verkleinern, wie es 2014 der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier formulierte.
Informationen vermitteln, zuhören und das Vertrauen in Politik und Demokratie stärken sind auch Ziele der meisten zivilgesellschaftlichen Organisationen und Thinktanks, die Bürgerdialoge zu außenpolitischen Themen organisieren. Für eine Studie zu „Bürgerdialog und Außenpolitik“ fand ich gemeinsam mit Cornelius Adebahr und Melissa Li mehr als 120 Organisationen in Deutschland – NGOs, Stiftungen, Vereine –, die das Gespräch mit Bürgerinnen zu internationalen Themen suchen, die Mehrzahl davon allerdings in traditionellen Formaten wie Podiumsdiskussionen.
Nur wenige, aber dafür sehr sichtbare Bürgerdialoge zum Thema Außenpolitik haben explizit das Ziel, Empfehlungen zu entwickeln, die direkt in die Politik einfließen sollen. Dazu gehörten der Bürgerrat „Deutschlands Rolle in der Welt“, der, vom Bundestag beauftragt, Anfang 2021 organisiert wurde, sowie das vom Auswärtigen Amt veranstaltete Nationale Bürgerforum, das Anfang 2022 Empfehlungen in der europaweiten „Konferenz zur Zukunft Europas“ entwickelte. Jeweils rund 160 respektive 100 im Zufallsverfahren ausgewählte Teilnehmende haben sich hier engagiert – aufgrund der Pandemie online.
Während all diese Formate den wachsenden Enthusiasmus für das Thema zeigen, gibt es auch Kritik an den Dialogen. Die einen bemängeln insbesondere an den Dialogen des Auswärtigen Amtes, dass diese nicht genuin Bürgermeinungen aufnehmen wollten, sondern nur die eigene Politik des „Mehr Verantwortung übernehmen“ legitimieren sollten. Andere Akteure, darunter einige Entscheidungsträgerinnen, befürchten, dass die Dialoge in erster Linie lange Wunschlisten produzieren dürften, die in sich widersprüchlich und am Ende nicht umsetzbar seien. Das werde zu noch mehr Enttäuschung gegenüber der deutschen Außenpolitik führen.
Beide Kritikpunkte sind in einem gewissen Maße berechtigt. Doch die Lösung liegt nicht darin, den Dialog mit den Bürgern zu beenden, sondern darin, diese Formate gezielter einzusetzen. Insbesondere drei Punkte sind hier wichtig: das Zusammenspiel von Zielen, Formaten und Zielgruppen; die Auseinandersetzung mit politischen Dilemmata; und die ergänzende Nutzung für die Meinungsforschung über den jeweiligen Gruppenprozess hinaus.
Ziele, Erwartungen, Formate
Für alle, die Bürgerdialoge zu außenpolitischen Themen veranstalten, ist es wichtig, die eigenen Ziele genau zu reflektieren und Formate, Kommunikation und Erwartungsmanagement an diese anzupassen. Vor allem für politische Entscheidungsträger gilt: Wer weder die Absicht noch die Kapazität hat, Bürgermeinungen wirklich aufzunehmen und zu verarbeiten – und sei es nur durch ein Feedback dazu, warum bestimmte Empfehlungen nicht umgesetzt werden können –, der sollte auch nicht suggerieren, dass dies geschehen werde.
Die Partizipationsforschung zeigt, dass die Enttäuschung über ungenügende Beteiligungsverfahren das Vertrauen der Teilnehmenden stärker senkt, als wenn sie gar nicht erst an einem solchen Prozess teilgenommen hätten. Klarer kommunizieren müssen also vor allem staatliche Stellen; doch auch zivilgesellschaftliche Veranstalter sollten realistisch darstellen, welchen Nutzen die Teilnahme an ihren Veranstaltungen den Bürgerinnen bringt: Dieser liegt oftmals eher im Austausch und gegenseitigen Lernen als in einem eventuellen direkten Einfluss auf die Politik.
Darüber hinaus könnten die Organisatoren Formate, Ziele und Zielgruppen besser aufeinander abstimmen. So ist es das erklärte Ziel vieler Dialoge, Fakten zu vermitteln und Vertrauen in die Politik zu stärken. Doch die meisten Formate basieren auf Eigeninitiative der Teilnehmenden, das heißt: Es kommen vor allem diejenigen, deren Vertrauen in die Politik bereits vergleichsweise hoch ist. Stärker in Schulen und Ortsvereine zu gehen oder über Themen wie Fußball internationale Themen anzusprechen, wie es das DGAP-Projekt „Europa, mein Revier“ im Ruhrgebiet versucht hat, ist eine Möglichkeit, sich neue Zielgruppen zu erschließen. Auch die Kooperation des Auswärtigen Amtes mit Youtubern geht in diese Richtung.
Eine andere (wenn auch deutlich teurere) Möglichkeit ist es, verstärkt Teilnehmende per Zufallsauswahl anzuschreiben und möglichst repräsentativ auszuwählen. Auch hier müssen sich die Bürgerinnen am Ende aktiv für eine Teilnahme an einem auf Kompromiss zielenden Prozess entscheiden, weshalb extreme Meinungen oft unterrepräsentiert sind. Dennoch werden auf diese Weise auch solche Bürger direkt angesprochen, die sich nicht vorher schon für das Thema interessieren.
Für die oben genannten Zwecke – erklären, Meinungen aufnehmen, Politikempfehlungen entwickeln – ist es hilfreich, wenn die Fragen, das Format und die Moderation die Bürger dazu bringen, verschiedene Optionen abzuwägen und zu priorisieren, anstatt alle ihre Präferenzen isoliert aufzulisten. Zu diesem Schluss kamen auch die Evaluatoren des Bürgerrats „Deutschlands Rolle in der Welt“, die eine Konkretisierung auf „für die Teilnehmenden ‚greifbare‘ Dilemmata“ als sinnvoll erachtet hätten. Ein Beispiel: In zwei Bürgerdialogen, die ich zuletzt beobachten konnte, brachten die Teilnehmenden unter dem Eindruck der Corona-Pandemie die Meinung zum Ausdruck, dass Europa möglichst viele – oder gar alle – Produkte selbst produzieren können müsse, um weniger oder gar nicht von anderen Ländern abhängig zu sein. Natürlich ist das eine Meinung, die für Entscheidungsträger interessant ist. Aber noch spannender würde es, wenn die Bürger zwischen diesem Wunsch und den Folgekosten im Alltag abwägen müssten. Bleibt die Haltung auch bestehen, wenn einige Produkte deutlich teurer, andere gar nicht mehr vorhanden wären? Wenn Bürgerdialoge thematisch weniger überfrachtet wären und sich auf Einzelfragen und Dilemmata konzentrieren könnten, wären sie für die Politik relevanter und würden ein deutlich größeres Verständnis der Komplexität von Außenpolitik schaffen. Das erfordert, Komplexität zu reduzieren und sich bei Themenwahl und Fragestellung stark zu fokussieren.
Dünne empirische Basis
Um Bürgerdialoge zu außenpolitischen Themen gezielter zu nutzen, könnte man sie überdies enger mit der Meinungsforschung verzahnen. Denn obwohl sich der außenpolitische Diskurs in Deutschland oftmals darum dreht, was „die“ Bürger mittragen oder nicht, ist die empirische Basis zu deren Einstellungen gegenüber außenpolitischen Fragen ziemlich dünn. Nur ein Beispiel: Die beiden jährlichen Bevölkerungsumfragen zu außen- und sicherheitspolitischen Fragen der Körber-Stiftung und des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) ergeben gegensätzliche Antworten: Je nach Fragestellung und Methodik ist hier seit Jahren eine Mehrheit gegen (Körber-Stiftung) oder für (ZMSBw) eine aktivere Außenpolitik.
Was versteht die durchschnittliche Bürgerin eigentlich unter „mehr Verantwortung“ in der deutschen Außenpolitik? Warum bewerten einzelne Altersgruppen in den gängigen Umfragen manche Mittel der deutschen Außenpolitik deutlich anders als andere Kohorten? Welchen Unterschied macht es, wenn Bürger mehr Information zur Außenpolitik oder zu bestimmten Konflikten und Abwägungsentscheidungen erhalten? Führt ein größeres Verständnis der Komplexität außenpolitischer Entscheidungen überhaupt zu mehr Vertrauen in die (Außen-)Politik?
Wer gezielter Außenpolitik vermitteln möchte, würde enorm davon profitieren, auf solche Fragen Antworten zu erhalten. Nicht nur könnten Politik und NGOs, die bereits Bürgerdialoge durchführen, zu einer deutlich besseren Datenlage beitragen, indem sie ihre Formate intensiver auswerten. Es gäbe auch neue Formate, die sie ausprobieren könnten, wie etwa das sogenannte „deliberative polling“. Hierfür debattiert eine Gruppe zufällig ausgewählter Bürger eine bestimmte Fragestellung mit Expertinnen und untereinander und wird vorher und nachher zu ihren Einstellungen befragt. Diese Art von informierter öffentlicher Meinung könnte die außen- und sicherheitspolitische Debatte in Deutschland bereichern.
Neue Formate gezielt ausweiten
Es steht zu erwarten, dass es künftig immer mehr Bürgerdialoge zu außenpolitischen Themen geben wird, nicht zuletzt weil Beteiligungsprozesse ein Anliegen der neuen Bundesregierung sind. Dass die Bürgerinnen daran interessiert sind, haben die bisherigen Formate gezeigt. Ministerien wie das Auswärtige Amt, das Verteidigungs- und das Entwicklungsministerium und zivilgesellschaftliche Organisationen können solche Dialoge effektiver betreiben, wenn sie sich über ihre Ziele im Klaren sind, gutes Erwartungsmanagement betreiben, sich auf die Abwägungsentscheidungen in der Außenpolitik konzentrieren und die Formate stärker nutzen, um ein differenzierteres Bild von Bürgermeinungen zu Außenpolitik zu erhalten.
Sarah Brockmeier ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) in der Forschungsinitiative „ConTrust – Vertrauen im Konflikt“.
IP Special 3, März 2022, S. 30-33