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01. Mai 2007

Sicherheit schaffen – aber wie?

Buchkritik

Fünf Neuerscheinungen diskutieren die Entstehung einer europäischen Sicherheitspolitik, fragen nach Möglichkeiten der demokratischen Kontrolle der wiedererstarkenden Geheimdienste, loten die Folgen der Privatisierung von Sicherheitsvorsorge aus und prüfen die Tauglichkeit alter und neuer Instrumente der Außenpolitik.

Europa wird in der Außen- und Sicherheitspolitik nicht immer, aber immer öfter allein handeln: So lautet die Kernthese des Sammelbands „The Changing Politics of European Security“. Sie wurzelt – das betonen die Autoren nachdrücklich – weder in einem antiamerikanischen Affekt noch in einer romantischen Überschätzung europäischer Stärke. Als Ursache dieses Trends identifizieren sie die langsame Abwendung Amerikas von Europa, die wachsende Bedeutung von „nichtmilitärischen“ Sicherheitsfragen (Organisierte Kriminalität, Terrorismus, Migration, soziale Instabilität), die zunehmende Institutionalisierung der Sicherheitspolitik in der EU und die parallele Auflockerung des atlantischen Verteidigungsbündnisses zu einer Dachorganisation für „Koalitionen der Willigen“. Von einer europäischen Sicherheitspolitik aber sei die EU noch weit entfernt, warnt Allen Sens. Zu unterschiedlich sei die Einstellung der Europäer zu Kooperation bei der Planung oder der Rüstungsindustrie, zu weit auseinander lägen die Interessen und Werte.

Mehr als eine gute Einführung ins Thema leistet der schmale Band aber nicht, dafür beschränkt er sich allzu sehr auf Bündnisse und Institutionen. Wirklich interessant wäre eine Darstellung, die versucht, die vielen neuen (Energie, Migration) und neu alten (Territorialschutz in Zeiten des Terrorismus) Themen europäischer Sicherheitspolitik mit einzubeziehen. Vielleicht könnte man ja dann auch ein paar neu-europäische Autoren zu Wort kommen lassen?

Das aufziehende 21. Jahrhundert erlebt eine Renaissance der Geheimdienste. Das liegt zum einen an der wachsenden Bedeutung von Prävention und Risikomanagement im Zusammenhang mit nichtmilitärischen und zunehmend entstaatlichten Gefahren; und zum anderen an der Erkenntnis, dass die raffiniertesten Methoden der technischen Datensammlung wenig wert sind, wenn die so gewonnenen Informationen von Menschen nicht richtig interpretiert werden (wie zuletzt im Irak-Krieg). Es ist ein Paradoxon der offenen, freiheitlichen Demokratie, dass die „Dienste“ zum Arsenal der staatlichen Selbstverteidigung gehören – aber den Staat auch untergraben können, wenn sie nicht hinreichend kontrolliert werden. Wie dieser Grundwiderspruch aufzulösen ist, untersucht der Sammelband „Geheimhaltung und Transparenz.

Demokratische Kontrolle der Geheimdienste im internationalen Vergleich“ an den Beispielen Europa, USA und Israel. Dass die Autoren überwiegend erfahrene Praktiker sind, verleiht den Texten eine erfreuliche Unaufgeregtheit, ist aber auch eine Schwäche: Hier pflegen die Technokraten das Zwiegespräch. Höchste Zeit, dass auch hierzulande Politologen, Historiker und Soziologen sich dieses Themas auf ähnlich hohem Niveau annehmen, wie das in den USA und Großbritannien schon lange geschieht.

Die Privatisierung der Sicherheit – und mit ihr die Rückkehr der Privatarmeen – ist eine Folge der Entstaatlichung von Risiko und Krieg; insofern haben die Herausgeber der Anthologie „Private Military and Security Companies“ Recht, wenn sie hier einen langfristig andauernden Trend diagnostizieren. Humanitären Helfern, Soldaten und Journalisten sind diese modernen Söldnertrupps spätestens seit den Balkan-Kriegen der neunziger Jahre als zunehmend präsente und fast immer höchst zwiespältige Begleiterscheinung ihrer Arbeit geläufig. Die Autoren, in der Mehrzahl Wissenschaftler, aber auch Praktiker, geben einen breit gefächerten Überblick über das Thema, von der historischen Entwicklung über Fallstudien und die Ökonomie der privaten Sicherheitsvorsorge bis hin zu einer umfassenden Analyse der damit verbundenen juristischen Fragen. Die Beiträge sind von sehr durchwachsenem Niveau; aber für Experten bergen sie viel Zündstoff. Man muss ihn nur suchen.

Das Ende des Kalten Krieges hat der Welt bekanntlich entgegen einer seinerzeit populären Prophezeiung weder den Ewigen Frieden noch das Ende der Geschichte gebracht; stattdessen läutete es viele blutige neue Kriege ein. Die Optimisten verlegten sich alsbald auf die Hoffnung, es sei möglich, Zyklen der Gewalt durch den tätigen Wiederaufbau von Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit zu durchbrechen. Neun Fallstudien aus Lateinamerika, Afrika und dem Balkan (herausgegeben in einem Band des liberalen Washingtoner Think-Tanks U.S. Institute of Peace) überprüfen diese These auf ihre Haltbarkeit. Ihre Antwort lautet: „ja, aber“. Ja, weil in El Salvador, Ruanda, Südafrika oder dem Kosovo tatsächlich Institutionen geschaffen wurden, die dazu beigetragen haben, geschundenen Gesellschaften zu mehr Recht zu verhelfen.

Nein, weil die bittere Erkenntnis damit verbunden war, dass Kulturen schwerer zu ändern sind als Institutionen und Recht allein noch keinen dauerhaften Frieden bringt. Und doch geben alle diese Fälle Anlass zu Hoffnung, schreibt der Herausgeber Charles T. Call: weil die von (allzuoft ebenso naiven wie überheblichen) internationalen Helfern angeschobenen Transformationsprozesse tatsächlich Reformen bewirkt haben, die nicht mehr rückgängig zu machen sind.

Die 37 Autoren des Essaybands „Leashing the Dogs of War“ schließlich (darunter die meisten bekannten Köpfe der internationalen Konfliktforschung) sind keineswegs Radikalpazifisten. Das militärische Instrument gehört für sie zum Werkzeugkasten der Außenpolitik, und das nicht nur zum Zweck der Abschreckung. Ihr Thema ist vielmehr, wie die einmal entfesselte Gewalt – die „dogs of war“ des Titels – wieder unter Kontrolle zu bringen ist. Das Rezept der Herausgeber: „Smart Power“ oder das Zusammenwirken von Diplomatie, Konfliktmanagement und militärischen Mitteln, was man getrost als Kritik an der US-Außenpolitik der vergangenen sechseinhalb Jahre verstehen darf.

Stefan Gänzle, Allen Sens (Hrsg.): The Changing Politics of European Security: Europe Alone? Houndmills/New York: Palgrave Macmillan 2007, 242 Seiten, 69,95 $

Wolbert K. Smidt u.a. (Hrsg.): Geheimhaltung und Transparenz. Demokratische Kontrolle der Geheimdienste im internationalen Vergleich. Bd. 1. Münster u.a.: LIT-Verlag 2006, 368 Seiten, 29,90 €

Thomas Jäger, Gerhard Kümmel (Hrsg.): Private Military and Security Companies:Chances, Problems, Pitfalls and Prospects. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften 2007, 502 Seiten, 59,90 €

Charles T. Call (Hrsg.): Constructing Justice and Security After War. Washington D.C.: United States Institute of Peace Press 2007, 432 Seiten, 50,00 $

Chester A. Crocker u.a. (Hrsg.): Leashing the Dogs of War. Conflict Management in a Divided World. Washington, D.C.: United States Institute of Peace Press 2007, 767 Seiten, 45,00 $

Dr. Constanze Stelzenmüller, geb. 1962, leitet seit Juli 2005 das Berliner Büro des German Marshall Fund of the United States. Zuvor war sie im innenpolitischen Ressort der ZEIT für Sicherheits- und Verteidigungspolitik zuständig.
United States Institute of Peace Press 2007, 767 Seiten, 45,00 $
 

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, Mai 2007, S. 128 - 130.

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