Schöner leben im Labor?
Vom Recht, die Welt zu verändern
Die Debatte über Geo-Engineering ist nicht aufzuhalten. Starke Interessen drängen auf Forschung und experimentelle Anwendung. Geo-Engineering ist bestenfalls ein Spiel auf Zeit, immer aber auch eine gefährliche Ablenkung von Emissionsminderung und Anpassung an den Klimawandel. Richtig geführt kann die Debatte dazu beitragen, zentrale Fragen der Gestaltung internationaler Institutionen zu klären.
Vielleicht war es Neugier, vielleicht Abenteuerlust, die Goethes Zauberlehrling die Geister rufen ließ – doch die Not war groß, ,,die Geister, die er rief, ward er nun nicht los“. Wie der verzauberte Besen, der Wasser zum Bade holte und nicht abließ, bis das ganze Haus überschwemmt war, so verhalfen Kohle, Öl und Gas vielen Menschen zu Wohlstand weit über das notwendige und für das globale Klima verträgliche Maß hinaus. In Goethes Gedicht wird der Besen vom Hexenmeister wieder in die Ecke gestellt. Doch welcher alte Meister soll uns aus der Abhängigkeit von fossilen Energien und deren schädlichen Auswirkungen befreien?
In dieser Rolle sehen sich wohl die Befürworter von Geo-Engineering, die glauben, den Zustand der Erde mit großtechnischen Maßnahmen zur Beeinflussung des Klimas plan- und absichtsvoll verändern zu können, stünden ihnen nur die notwendigen Mittel zur Verfügung. Doch möchten sie nicht den Besen stoppen, der das Wasser bringt; sie möchten einen zweiten Besen zum Leben erwecken, um mit dessen Hilfe die vom ersten verursachten Schäden zu beseitigen. Befürworter von Geo-Engineering fordern Mittel und Freiräume für die Forschung, was zunächst vernünftig und harmlos klingt. Aber diese Forschung wird und kann nicht in einem abgeschlossenen Raum stattfinden. Der ganze Planet Erde müsste als Labor dienen.
Flucht in die Zukunft?
Zu den Befürwortern von Geo-Engineering zählen Nobelpreisträger und andere ernsthafte und verantwortungsvolle Wissenschaftler. Auch die American Meteorological Society hat durchaus sinnvolle Empfehlungen angemahnt wie „eine Erforschung des wissenschaftlichen und technischen Potenzials für Geo-Engineering, inklusive der Erforschung gewollter und ungewollter Nebenwirkungen; die Erstellung einer breit angelegten Studie über historische, ethische, rechtliche und soziale Implikationen, die internationale, interdisziplinäre und zukünftige Generationen betreffende Aspekte berücksichtigt sowie eine Analyse der Politikoptionen, um für eine transparente internationale Kooperation zu sorgen und rücksichtslose Versuche der Manipulation des Klimasystems zu verhindern“.
Den aktiven Kern der Befürworter von Geo-Engineering bilden konservative, der Wirtschaft und vor allem der Kohle- und Ölindustrie nahestehende Think-Tanks in den USA. Sie haben dafür gesorgt, dass sich hochrangige Wissenschaftsberater der britischen Regierung mit dem Thema genauso befassen wie der US-Kongress, der in den kommenden Monaten gleich eine ganze Reihe von Anhörungen durchführen wird (vgl. den Beitrag von Konrad Ott, S. 58 ff.). Damit wurde ein wichtiges Ziel der Befürworter erreicht: Das Thema Geo-Engineering wird ernst genommen, mit politischer Legitimität ausgestattet und eine Legalität des Unternehmens suggeriert. Die Vorstellung, man könne damit das Weltklima wie ein Heizungsthermostat, wenn nötig, kurzfristig und zu vertretbaren Kosten neu einstellen, hat an Glaubwürdigkeit gewonnen.
In der bisherigen Debatte werden einige wesentliche Aspekte vernachlässigt. Dass man mit planvollen Großversuchen das Weltklima verändern könne, lenkt von den Folgekosten fossiler Energieträger inklusive des politischen Problems der Abhängigkeit von politisch instabilen bis feindseligen Staaten ab. Und nicht nur das: Solche rein technischen Lösungen erhöhen noch die Akzeptanz von fossilen Brenn- und Treibstoffen – wobei sich die meisten Optionen des Geo-Engineering ohnehin nur auf den Klimawandel und nicht etwa die Versauerung der Meere beziehen. Der Appell an die Technikgläubigkeit zielt darauf, Verantwortung an Experten zu übertragen, wobei viele Befürworter eine staatliche Kontrolle per se als schlecht ablehnen. Der Glaube an die Allmacht der Technik nährt trügerische Hoffnungen und könnte es rechtfertigen, Maßnahmen zur Emissionsverminderung zu verschieben oder für gänzlich überflüssig zu halten. Hinzu kommt die Komplexität der meisten Optionen eines Geo-Engineering, deren Folgen überdies schlecht eingeschätzt werden können. Das erschwert eine demokratische Beteiligung an und die Kontrolle von Entscheidungen in diesem Bereich enorm.
In der bisherigen Debatte über Geo-Engineering wird oft suggeriert, dass die Politik versagt habe, die natürlichen Lebensgrundlagen vor den Folgen der Industrialisierung zu schützen, und dass andere Kräfte, nämlich die Befürworter von Geo-Engineering, nun freie Hand bekommen sollten. Die Schuldigen von gestern würden so zu den Rettern von morgen stilisiert.
Wer entscheidet?
Anders als in anderen Bereichen verfügen einzelne Staaten oder Staatengemeinschaften wie die Europäische Union noch nicht über maßgebliche Erfahrungen im Umgang mit den Techniken, den Risiken und den rechtlichen und politischen Problemen von Geo-Engineering. Vielleicht muss erstmals in der Geschichte nun von Anfang an ein globaler Regulierungsrahmen geschaffen werden.
Da es sich um globale Fragestellungen handelt, kommen für die Entscheidung der Frage, wer wann unter welchen Bedingungen über den Einsatz, den Nichteinsatz oder die Beendigung eines Einsatzes von Geo-Engineering entscheiden darf, eigentlich nur die Vereinten Nationen und dort letztlich die Generalversammlung in Betracht.
Alle Ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats haben Atomtests durchgeführt und verfügen deshalb über Erfahrungen mit dem Einsatz von Techniken, die die Welt verändern. China, Russland und die USA besitzen auch die Macht und Fähigkeit, unilateral Geo-Engineering-Maßnahmen zu ergreifen – wer wollte sie abhalten, wenn sie es täten? Alle drei Staaten haben bereits Versuche unternommen, das Wetter aktiv zu beeinflussen. Sie sammeln also schon seit geraumer Zeit Erfahrungen mit „Geo-Engineering im kleinen Maßstab“. Damit sei nicht gesagt, dass der UN-Sicherheitsrat sich mit diesem Bereich befassen muss: Allerdings könnte dies im Interesse der Ständigen Mitglieder liegen – schon um zu verhindern, dass das Thema an anderer Stelle verankert wird, wo die Machtstellung dieser Staaten schwächer ist.
Da Geo-Engineering derzeit primär für die internationale Klimapolitik von Belang ist, kommen auch das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und der UN-Klimarat (IPCC) sowie die verschiedenen Gremien der Klimarahmenkonvention UNFCCC, des Kyoto-Protokolls sowie möglicherweise weiterer Instrumente unter der UNFCCC, in Frage. Die Erforschung von Geo-Engineering-Optionen und die Abschätzung möglicher Folgen können im Grunde nirgendwo anders koordiniert werden als über das IPCC und die Wissenschaftsnetzwerke, die sich mit globalen Umweltveränderungen beschäftigen.
Internationaler Regelungsrahmen
Vor dem Klimagipfel in Kopenhagen vom Dezember 2009 wurde bereits vereinzelt gefordert, die Frage nach einem internationalen Regelungsrahmen für Geo-Engineering auf die Agenda der Verhandlungen zu setzen. In den Vorbereitungen für die offiziellen Verhandlungen spielte das Thema jedoch eine untergeordnete Rolle und wurde nur auf Nebenschauplätzen verhandelt. Trotz des massiven Interesses an Geo-Engineering bei einigen Akteuren ist die Diskussion über den Regelungsrahmen noch stark unterentwickelt. Dass ein Bereich wie Geo-Engineering klarer, speziell zugeschnittener Regelungen bedarf, sollte auf der Hand liegen. Erstaunlich ist allerdings, dass dies trotz der Dringlichkeit des Themas bislang nicht geschehen ist.
Derzeit existieren mehrere internationale Organisationen mit wissenschaftlichen oder umweltbezogenen Mandaten, die auch den Bereich des Geo-Engineering berühren: allen voran die World Meteorological Organization (WMO) und das Umweltprogramm der Vereinten Nationen. Beide betrachten sowohl die politischen als auch die wissenschaftlichen Aspekte von Geo-Engineering. Dabei ist zunächst zu klären, ob es tatsächlich um Methoden des Geo-Engineering im weiteren Sinne geht oder „nur“ um andere Maßnahmen zur Abkühlung der Durchschnittstemperatur der Erde, und wie diese beiden Ansätze und Methoden klar voneinander getrennt werden können. Von der Antwort auf diese Frage hängt ab, ob einer allgemeinen Definition auch ein weiter gefasster Regelungsrahmen folgen muss, der eine breite Palette von Geo-Engineering-Maßnahmen abdeckt.
Der im Augenblick bestehende Rahmen für eine internationale Ko-operation spiegelt politische Entscheidungen der Vergangenheit wider, lässt aber durchaus nachvollziehbare Erwartungen der Staatengemeinschaft an die künftige Entwicklung erkennen. Wenn es darum geht, neue Politikoptionen zu entwickeln und jeweils auszuwählen, muss dieser Rahmen unbedingt beachtet werden.
Explizit geregelt ist so etwas wie Geo-Engineering in der ENMOD-Konvention von 1978, die eine recht weite Definition von Maßnahmen zur Veränderung der natürlichen Umwelt enthält. Darin geht es um „jegliche Technologie, die durch eine absichtliche Manipulation natürlicher Prozesse das Kräftespiel, die Beschaffenheit oder Struktur der Erde verändern würde. Dies umfasst Flora und Fauna, (Biota), die Erdkruste (Lithosphäre), die Hydro- und die Atmosphäre“. Die Konvention ist eine Reaktion auf Wetterveränderungen durch die Streitkräfte der USA während des Vietnam-Krieges und sie verbietet solche Maßnahmen. Auch wenn sie „nur“ den militärischen Einsatz von wetterverändernden Maßnahmen regelt und damit nur begrenzte Wirkung entfaltet, dürften Definition und Intention dieser Konvention doch einen Widerhall in künftigen internationalen Vereinbarungen zur Regelung von Geo-Engineering finden.
Die Erwartungen an einen internationalen Regelungsrahmen werden auch durch etablierte Schlüsselprinzipien geformt, allen voran durch das im internationalen Recht und auch in der Praxis häufig verwendete Vorsorgeprinzip, das auch in der Rio-Erklärung von 1992 und der Klimarahmenkonvention seinen Platz hat. Umstritten ist allerdings schon, wie das Vorsorgeprinzip im Rahmen eines Geo-Engineering verstanden werden soll. Derzeit wird dieses Prinzip gerne als Argument für ein Geo-Engineering herangezogen: Wie (und wodurch) sich ein Klimawandel auswirken würde, sei zwar wissenschaftlich (angeblich) nicht gesichert. Doch wäre das potenzielle Risiko dennoch so groß, dass Optionen eines Geo-Engineering erforscht und damit die Grundlage für künftige Entscheidungen über den Einsatz geschaffen werden sollten.
Ebenso ließe sich das Vorsorgeprinzip aber auch als Argument gegen ein Geo-Engineering anführen. Die längerfristigen Folgen von klimaändernden Maßnahmen sind weder bekannt noch verlässlich abschätzbar oder beherrschbar. Sie können sich positiv, aber auch negativ auf das Weltklima auswirken. Erschwerend kommt hinzu, das Optionen des Geo-Engineerings nicht verlässlich im kleinen Maßstab getestet werden können, um deren tatsächliche Folgen abschätzen zu können. Jeder „Versuch“ hätte ganz reale Auswirkungen auf den gesamten Planeten.
Die Wirkung des Vorsorgeprinzips auf die Geo-Engineering-Diskussion ist damit zwiespältig. Die Rechtswirkung des Vorsorgeprinzips in internationalen Abkommen und als Teil des Gewohnheitsrechts – und damit die Pflichten von Staaten, etwas zu tun oder zu unterlassen – ist ebenfalls nicht abschließend geklärt. Angesichts der breiten Anerkennung und wachsenden rechtlichen Wirkung dieses Prinzips kann es jedoch nicht ignoriert werden und muss bei politischen und wissenschaftlichen Überlegungen zum Geo-Engineering berücksichtigt werden.
Andere umweltpolitische Prinzipien und Regelungen scheinen nahezulegen, dass vor dem Einsatz von Geo-Engineering-Maßnahmen (auch zu Forschungszwecken) umfassende Umweltverträglichkeitsprüfungen durchzuführen wären. Alle potenziell betroffenen Staaten – im Zweifel alle Staaten der Welt – müssten nach vorheriger Information dieser Maßnahme vorab zustimmen. Auch hier gilt, dass die Rechtswirkung dieser Prinzipien im Detail nicht geklärt ist, dass sie aber dennoch soweit etabliert sind, dass Staaten mit Recht erwarten können, vor Geo-Engineering-Maßnahmen konsultiert und in die Umsetzung eingebunden zu werden.
Ein letzter Punkt betrifft den Teil der internationalen Regeln, nach denen alle Staaten verpflichtet sind, dafür zu sorgen, dass alle Aktivitäten auf ihrem Gebiet und unter ihrer Kontrolle die Umwelt in anderen Staaten und internationalen Gebieten nicht beeinträchtigen. Es wäre im Zweifel einfach, eine Geo-Engineering-Maßnahme auch dann einem Staat oder einer Gruppe von Staaten zuzurechnen, wenn sie außerhalb des Staatsgebiets durchgeführt wird. Schwierig wäre es allerdings, die potenziellen Folgen einer solchen Maßnahme einem bestimmten Verursacher zuzuschreiben. Die Betroffenen müssten damit recht große Unwägbarkeiten (und im Zweifelsfall Kosten) in Kauf nehmen. Wie dieses zu vermeiden, vermindern oder auch nachträglich zu kompensieren wäre, müsste vor dem Einsatz von Geo-Engineering-Maßnahmen zumindest in Grundsätzen geklärt werden.
Internationale Regelwerke, vor allem im Bereich des Umweltrechts, und Institutionen, die sich mit der Möglichkeit und den Auswirkungen von Geo-Engineering beschäftigen können, existieren also bereits. Allerdings reichen der Umfang und deren Befugnisse noch nicht aus, um die mit einem Geo-Engineering verbundenen Risiken zu beherrschen und Konflikte zu vermeiden. Angesichts des gegenwärtigen Wissens- und Diskussionsstands scheint es verfrüht, eine Änderung einzelner Regelungen oder die Schaffung eines neuen Abkommens eigens zu Geo-Engineering zu fordern. Zu diesem frühen Zeitpunkt wäre es sinnvoll, ein Moratorium für alle unilateralen und multilateralen Maßnahmen auszusprechen. Ausgenommen werden sollten nur jene im Bereich Landnutzung sowie Schutz und Nutzung der Wälder, die durch das Kyoto-Protokoll oder anderweitig unter der UNFCCC geregelt sind oder werden.
Das Moratorium sollte für international koordinierte, multilateral veranlasste, einmalige und experimentelle Geo-Engineering-Maßnahmen so lange gelten, bis ein verbindliches Forschungsprotokoll vereinbart wurde. Das große Forschungsinteresse wird dann einen gewissen Druck erzeugen, ein solches Forschungsprotokoll auszuhandeln, in dem festgelegt ist, wie Geo-Engineering-Forschung koordiniert wird, und in dem man sich auf wesentliche Aspekte wie Transparenz und internationale Beobachtung oder Beteiligung, Zugang zu Daten und die Nutzung von Ergebnissen und geistigem Eigentum einigt. Für Geo-Engineering-Maßnahmen einzelner Staaten, Unternehmen oder Individuen, ob im kommerziellen oder militärischen Interesse, sollte das Moratorium so lange bestehen bleiben, bis ein umfassender internationaler Regelungsrahmen geschaffen wurde. Mitarbeit: Ralf Czarnecki
Internationale Politik 1, Januar/Februar 2011, S. 70 - 75
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