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01. Sep 2008

Schluss mit schmutzig

Warum wir die Unternehmen zu unserem Glück zwingen müssen

Ob Kinderarbeit bei Zulieferern deutscher Textilhändler, die Missachtung von Gewerkschaftsrechten in der Computerproduktion, die illegale Bespitzelung von Mitarbeitern, milliardenschwere Korruptionsfälle oder Steuerhinterziehung: Die Liste skandalöser Unternehmenspraktiken ließe sich beliebig verlängern. Immer wieder geraten nationale und transnationale Unternehmen mit Verletzungen von Menschen-, Arbeits- oder Umweltrechten in die Schlagzeilen. Einige Unternehmen haben aus ihren Fehlern gelernt und produzieren heute verantwortungsbewusster als vor 20 Jahren. Andere haben sich bessere PR-Strategien ausgedacht, und wieder andere interessieren sich nach wie vor nicht für die „Kollateralschäden“ ihrer Aktivitäten.

Die Frage nach „guten“ und „bösen“ Unternehmen trifft aber nicht den Kern. Denn das Problem liegt woanders: Die Logik des „Shareholder Value“-Kapitalismus und der politisch geschaffene Wettbewerb auf den globalisierten Märkten steht verantwortungsbewusstem Wirtschaften entgegen. Gerechtigkeit, soziale Teilhabe und ökologische Nachhaltigkeit sind keine marktgängigen Güter und kommen ohne staatliche Vorgaben und gesellschaftlichen Druck in den Unternehmenskalkulationen nicht vor. Ist dieser Druck zu schwach, bauen Unternehmen – ganz legal und in ihrem Kerngeschäft, nicht etwa nur in den Skandalfällen der „schwarzen Schafe“ – ihre gesellschaftliche Macht weiter aus. Sie treiben nichtzukunftsfähige Produktions- und Konsummuster voran und setzen ihre Interessen durch: innerbetrieblich per Entlassungsdruck und in der Politik durch Lobbying oder Verlagerungsdrohungen.

Gut, dass wir darüber geredet haben

Natürlich, dieser Befund ist nicht neu. Doch mittlerweile gibt es Gegenwehr: Nach dem zunächst fast vollständigen Zurückdrängen regulatorischer Ansätze in der internationalen Politik der achtziger Jahre schwingt seit Ende der neunziger Jahre das politische Pendel langsam wieder zurück. Das absolut konzernfreundliche Multilaterale Investitionsabkommen (MAI) scheiterte 1998. Seither wird wieder verstärkt nach Mechanismen gesucht, um transnationale Unternehmen zumindest an international akzeptierte Mindeststandards zu binden. Die internationale Zivilgesellschaft und eine relevante Minderheit von Verbrauchern verlangen nach Produkten, an denen weder Blut noch Pestizide kleben. Die Unternehmen begreifen, dass sie sich diesen Forderungen nicht mehr ganz entziehen können. In dieser Konstellation versteht sich die Politik jedoch häufig nicht als Regulierungsinstanz, sondern eher als Mahnerin und Mediatorin für einen Interessenausgleich. Runde Tische werden eingerichtet, Dialoge initiiert, Best Practice-Preise vergeben, die Einhaltung von freiwilligen Kodizes angeregt und mahnende Worte an Unternehmen und Manager gerichtet. Zwar erkennt sogar ein ehemaliger IWF-Direktor als Kehrseite der sauberen Wirtschaftselite die Fratze eines hässlichen „Monsters“. Doch dem Zeitgeist entsprechend bleibt bei der Suche nach Auswegen das Prinzip der Freiwilligkeit noch weitgehend unangetastet. Mit Corporate Social Responsibility (CSR) wird die Quadratur des Kreises versucht. Statt staatlicher Vorgaben sollen von der Wirtschaft überwiegend selbst entwickelte Standards eingehalten werden. Das ist bequem und innovativ zugleich: Forderungen der Verbraucher und Wähler werden scheinbar aufgegriffen, ohne die Unternehmen wirklich zu belasten. Dies entspricht auch dem Leitbild des modernen Staates, der nicht reguliert und einschränkt, sondern koordiniert und Potenziale erschließt („enabling state“). Aber: Genügt das?

Mit dem Global Compact ist die CSR-Bewegung jetzt auf der obersten Ebene des internationalen Systems angelangt: Dieser von UN-Generalsekretär Kofi Annan initiierte Prozess führt inzwischen über 5800 Mitglieder, darunter über 4300 Unternehmen aus 120 Ländern, Wirtschaftsverbände, NGOs, Gewerkschaften und einige öffentliche Institutionen zusammen. Hauptziel ist die Umsetzung von zehn Prinzipien zu den Themen Menschenrechte, Arbeitsnormen, Umweltschutz und Korruptionsbekämpfung. Der Global Compact will keine Vorgaben machen, sondern versteht sich als „Lernforum“, in dem die Unternehmen voneinander gute Verhaltensstandards und Praktiken lernen sollen. Gemessen an seiner weltweiten Mitgliedschaft und seiner Reputation in den internationalen Medien kann der Global Compact als eine Erfolgsgeschichte angesehen werden. Doch bleibt eine derartige Initiative zur „Privatisierung der Weltpolitik“ sowohl qualitativ als auch quantitativ angesichts der weltweit rund 78 000 transnationalen Unternehmen mit über 780 000 Tochterfirmen ein eher randständiges Phänomen. Schädliche soziale und ökologische Auswirkungen der Aktivitäten transnationaler Konzerne vermag sie kaum zu mindern. Strukturell ist sie dafür auch gar nicht angelegt.

Auch andere CSR-Initiativen konnten bislang allenfalls punktuelle Verbesserungen erwirken. Sie bleiben Nischenphänomene und stoßen angesichts der Machtverhältnisse und des Kostendrucks in internationalen Wertschöpfungsketten an systemische Grenzen. Zu diesem Ergebnis kommt auch die bisher umfangreichste Studie der Auswirkungen von Verhaltenskodizes auf Beschäftigte im Süden: Die für die britische Ethical Trading Initiative erstellte Untersuchung identifiziert allzu komplexe und flexible Wertschöpfungsketten sowie den Druck auf Zulieferer bei Preisen und Lieferzeiten als die Schlüsselfaktoren, die einer Verbesserung von Arbeitsbedingungen entgegenstehen. Damit ist der Kern moderner Geschäftsmodelle in Zeiten der Globalisierung angesprochen, also eine Problemdimension, die von freiwilligen CSR-Initiativen genau nicht angegangen werden kann und soll.

Und seid ihr nicht willig

Angesichts magerer Ergebnisse selbst der Avantgarde von CSR-Initiativen bedarf es einer Wende in der Diskussion um die soziale Verantwortung von Unternehmen. Die technokratische managementorientierte Sichtweise sollte von einer repolitisierten Perspektive abgelöst werden. Diese hebt wieder stärker auf die strukturellen Faktoren und institutionellen Bedingungen des internationalen Geschäftsgebarens von Unternehmen ab. Es wird nicht mehr nur gefragt: „Wie kann ein wohlklingender Verhaltenskodex aufgestellt und kontrolliert werden?“. Vielmehr heißt es: „Wie lassen sich die realen Arbeits- und Lebensbedingungen verbessern und wo liegen systemische Ursachen oder Widerstände, wenn dies nicht gelingt?“.

Nach zwei Jahrzehnten Freiwilligkeitsdiskurs wird die Notwendigkeit von verbindlichen Regeln wieder stärker anerkannt. Dies zeigt sich nicht nur in der Klima- und Verkehrspolitik, wo das Versagen von Selbstverpflichtungen der Automobilindustrie zur CO2-Reduzierung allzu offensichtlich wurde. Allerdings sind alle Versuche bislang gescheitert, verbindliche Verpflichtungen auf internationaler (UN-) Ebene zu verankern. Der innovative Ansatz der UN-Unterkommission zum Schutz und zur Förderung der Menschenrechte, die 2003 einen Katalog von verpflichtenden „Normen für die Verantwortlichkeiten transnationaler Unternehmen und anderer Wirtschaftsunternehmen im Hinblick auf die Menschenrechte“ vorlegte, wurde von den USA und anderen Staaten im Menschenrechtsausschuss blockiert.

Statt auf unzureichende freiwillige Selbstverpflichtungen oder auf kurzfristig kaum erreichbare verbindliche UN-Normen setzen zivilgesellschaftliche Netzwerke daher zunächst auf national und plurilateral realisierbare Instrumente von Corporate Accountability. Der Begriff meint in bewusster Abgrenzung zu Corporate Social Responsibility die gesellschaftliche Rechenschaftspflicht und verbindliche Regulierung von Unternehmen. Als gesellschaftlich verantwortlich gelten Unternehmen, die zumindest im Kern ihrer Geschäftspolitik zu wirksamem Klimaschutz beitragen, fundamentale Arbeitsrechte einhalten, die Arbeitswelt demokratisieren und keine immanent schädlichen Produkte vermarkten. Darüber hinaus sind die Unternehmen gefordert, die Öffentlichkeit nicht durch Werbung für überflüssigen Konsum zu manipulieren, soziale und ökologische Kosten zu internalisieren, ihre Steuern vollständig zu zahlen sowie keine Lobbyarbeit gegen öffentliche Interessen zu machen.

Corporate Accountability verlangen inzwischen europa- und weltweit zahlreiche Netzwerke von NGOs, sozialen Bewegungen, Gewerkschaften und Verbraucherverbänden. Auch in Deutschland gibt es seit 2006 das Netzwerk „CorA – Corporate Accountability – Netzwerk für Unternehmensverantwortung“ (www.cora-netz.de). Die sechs Kernforderungen der inzwischen über 40 Mitgliedsorganisationen von CorA zeichnen sich dadurch aus, dass viele von ihnen von der Bundesregierung auch im Alleingang durchgesetzt oder zumindest teilweise realisiert werden könnten. Der entschuldigende Hinweis auf die Schwierigkeiten internationaler Regulierung greift also nicht mehr. Die Forderungen im Einzelnen:

  • Rechenschafts- und Publizitätspflichten für Unternehmen, inwieweit sie Menschenrechte sowie soziale und ökologische Normen respektieren,
  • Vergabe öffentlicher Aufträge nur an Unternehmen, wenn sie und ihre Zulieferer Menschenrechte sowie soziale und ökologische Normen respektieren, tarifliche Leistungen gewähren und ihre Berichtspflicht erfüllen,
  • Verankerung von Unternehmenspflichten in internationalen Wirtschaftsabkommen und bei der Wirtschaftsförderung,
  • gerechte Unternehmensbesteuerung entsprechend der wirtschaftlichen und ökologischen Leistungen,
  • wirksame Sanktionen und Haftungsregeln für Unternehmen, die gegen Menschenrechte sowie soziale und ökologische Normen verstoßen, ihre Rechenschafts- und Publizitätspflicht verletzen oder ihre Kontrolle behindern,
  • Stärkung der Produktverantwortung und Förderung sozial- und umweltverträglicher Konsum- und Produktionsmuster

Beträchtliche Gestaltungsmach

Jeden Tag gibt die öffentliche Hand in Deutschland durchschnittlich rund eine Milliarde Euro für Liefer-, Bau- oder Dienstleistungsaufträge aus. Für das Jahr 2002 bezifferte man die Gesamtsumme dieser öffentlichen Auftragsvergabe auf etwa 360 Milliarden Euro, also rund 17 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Damit ist klar: Die rund 30 000 Vergabestellen des Bundes, der Länder und der Kommunen haben zusammen eine beträchtliche Nachfrage- und Gestaltungsmacht als wirtschaftliche Akteure am Markt. Sie könnten all jenen Unternehmen im In- und Ausland, die an öffentlichen Aufträgen interessiert sind, einen enormen ökonomischen Anreiz für Verhaltensänderungen und Innovationen bieten, damit diese sowohl Produkte als auch Produktionsbedingungen im Sinne von Zukunftsfähigkeit und guter Arbeit gestalten.

In den Niederlanden wird nach einem Beschluss des Parlaments von 2005 daran gearbeitet, bis 2010 bei 100 Prozent der Beschaffungen und Investitionen der Zentralregierung die Zukunftsfähigkeit der Produkte als eines der wichtigsten Kriterien einzuführen. Und auch hierzulande haben einzelne Kommunen begonnen, ihre Vergabepraxis zu ändern: Mehr als 120 Kommunen haben seit 2002 Beschlüsse gefasst, laut denen sie keine Produkte aus Kinderarbeit erwerben wollen. Einige Gemeinden wie die Stadt Neuss gehen noch weit über dieses Mindestmaß hinaus und versuchen, die gesamte Vergabepraxis an sozialen und ökologischen Kriterien auszurichten.

Noch in diesem Herbst wird im Deutschen Bundestag und im Bundesrat über eine Reform des deutschen Vergaberechts entschieden. Dabei sollen die Grundsätze und Regeln modernisiert werden, nach denen öffentliche Aufträge vergeben werden. Die Frage wird sein, ob ergänzend zu den Prinzipien der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit aus dem deutschen Haushaltsrecht sowie den Prinzipien des Wettbewerbs, der Transparenz und Nichtdiskriminierung aus dem EU-Recht auch wirksame soziale und ökologische Vorgaben für das Einkaufsverhalten des Staates verabschiedet werden oder nicht.

Prof. Dr. MARKUS KRAJEWSKI lehrt Völker- und Europarecht an der Universität Potsdam und ist Vorsitzender von Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung e.V. (WEED).

PETER FUCHS ist Mitarbeiter bei WEED und Mitbegründer von „CorA – Corporate Accountability. Netzwerk für Unternehmensverantwortung“.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 9, September 2008, S. 62 - 67

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