Gegen den Strich

01. März 2017

Sanktionen

Fünf Thesen auf dem Prüfstand

Wenn es darum geht, Druck auf andere Staaten auszuüben, gelten Sanktionen als probates Mittel unterhalb der Schwelle militärischer Gewalt. Mit Recht? Handelt es sich bei diesen Strafmaßnahmen nicht um reine Symbolpolitik? Und treffen sie am Ende nicht die Regierenden, sondern nur die Bevölkerung? Fünf Thesen auf dem Prüfstand.

Sanktionen sind ein innovatives Instrument und Ausdruck moderner Außenpolitik

Weder noch. Der Einsatz von Sanktionen gehört seit mehr als 2000 Jahren zum Standardrepertoire internationaler Politik. Diplomatische Beziehungen, militärische Zusammenarbeit, Handels- und Finanztransaktionen, Transport- und Kommunikationsströme: Die Liste der Austauschverhältnisse, die sich mit Hilfe von Sanktionen teilweise oder ganz unterbrechen lassen, ist lang. Zudem wurden und werden Sanktionen seit der Antike als flankierende Maßnahmen für weitergehende Aktionen verhängt – etwa als Ergänzung zu militärgestützten Belagerungen oder Seeblockaden.

Die verheerenden Erfahrungen zweier Weltkriege haben in den westlichen Gesellschaften ab Mitte des 20. Jahrhunderts zu einer weitgehenden Ächtung militärischer Gewaltanwendung als Mittel der Außenpolitik geführt. Völkerrechtlich fand das Eingang in der Charta der Vereinten Nationen; gesellschaftlich spiegelte es sich dadurch wider, dass die Bevölkerung immer weniger bereit war, eigene Kriegsopfer zu akzeptieren.

All das führte dazu, dass der Einsatz militärischer Gewalt fortan nur noch als Ultima Ratio infrage kam. Ein Wandel, der auch den Einsatz von Sanktionen beeinflusste. Je weniger Krieg eine Option der Politik war, desto stärker griff man auf Sanktionen zurück – nun nicht mehr als ergänzende Maßnahme, sondern als Ersatz. Während die (Atom-)Waffen der Supermächte im Kalten Krieg schwiegen, verschärfte der langjährige Einsatz von Sanktionen durch die USA und ihre Verbündeten die Schwierigkeiten der Länder des Ostblocks – und brachte sie dem wirtschaftlichen Zusammenbruch Ende der achtziger Jahre näher.

Sanktionen treffen Unbeteiligte

Diese Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen. Dass umfassende Sanktionen gravierende humanitäre Folgen haben und immenses Leid für die Zivilbevölkerung bringen können, zeigte sich in den neunziger Jahren am Beispiel Irak. Seither ist ein so umfassender Einsatz von Sanktionen, wie er damals praktiziert wurde, weithin geächtet. Man greift zu diesem Mittel im Großen und Ganzen nur noch selektiv. So richten sich Finanz- und Reisebeschränkungen gegen einzelne Personen, Organisationen und Einrichtungen, die des Terrorismus, der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, der Verletzung von Menschenrechten oder neuerdings auch der Durchführung von Cyberangriffen beschuldigt werden.

Neben diesen außen- und sicherheitspolitischen Bedrohungen werden Sanktionen auch auf Tatbestände der transnational organisierten Kriminalität angewandt, etwa, um Korruption, Geldwäsche oder Steuerhinterziehung zu bekämpfen. Ganz neu ist ein selektiver Einsatz in Form so genannter intelligenter Sanktionen („smart sanctions“) keineswegs. Bereits im Zweiten Weltkrieg führten die Vereinigten Staaten und Großbritannien schwarze Listen für deutsche, italienische und japanische Unternehmen, mit denen amerikanische und britische Firmen unter Strafandrohung keine Geschäftsbeziehungen unterhalten durften.

Doch auch die intelligentesten Sanktionen bieten keine Gewähr dafür, dass Unbeteiligte verschont bleiben. Das hat damit zu tun, dass die Auswirkungen von Sanktionen sich über ausgesprochen verschlungene und schwer berechenbare Pfade entfalten. Die Folgen können politischer, wirtschaftlicher und ­sozialpsychologischer Natur sein. Präzise voraussagen lassen sie sich nicht. Statt der gewünschten Wirkungen treten dann meist unvorhergesehene und ungewollte Kollateralschäden auf.

Mit Finanzsanktionen lassen sich unerwünschte Nebenwirkungen vermeiden

Leider auch nur bedingt. Dieses wegen seiner angeblich chirurgischen Präzision oft gerühmte Sanktionsinstrument hat ebenfalls seine Tücken. Das hat vor allem mit der dominanten Stellung westlicher Währungen, insbesondere des US-Dollars, im internationalen Finanzsystem zu tun. Denn dadurch mangelt es an sicheren und komfortablen Alternativwährungen für die Abwicklung von Zahlungen, dem Tätigen von Investitionen und der Aufbewahrung von Guthaben. Finanzsanktionen lassen sich also kaum unterlaufen, und damit entfalten sie eine weit durchschlagendere Wirkung als klassische Handelssanktionen wie Import- und Export­beschränkungen von Gütern und Dienstleistungen.

Zudem erfordert ihre Umsetzung nur eine schlanke staatliche Bürokratie. Die personalintensive Überwachung von weltweit tätigen Unternehmen wird nämlich von den Firmen selbst geleistet – vornehmlich aufgrund der Angst vor empfindlichen Strafen, die bei aufgedeckten Verstößen drohen. Dazu zählen neben hohen Geldbußen und langjährigem Freiheitsentzug auch die existenzbedrohenden Folgen einer „Listung“ wegen der Umgehung von Sanktionen.

Je ausufernder und komplexer die Sanktionsbestimmungen nun aber ausfallen, desto wahrscheinlicher wird es für Unternehmen, mit den Falschen in Kontakt zu kommen und einen Sanktionsverstoß zu riskieren, der sie teuer zu stehen kommt. Angesichts dieser Ungewissheit kann es dann trotz an sich günstiger Geschäftsaussichten wirtschaftlich sinnvoll erscheinen, sich aus Märkten zurückzuziehen, in denen gelistete Personen, Organisationen und Einrichtungen tätig sind.

Ein solches Verhalten, das man nach wirtschaftswissenschaftlichen Kategorien als „risikobasiert“ bezeichnen würde, ist zunächst einmal völlig nachvollziehbar. Doch die Hoffnungen auf politische Feinsteuerung, die bisher mit dem Einsatz selektiver Sanktionen einherging, erhalten dadurch einen empfindlichen Dämpfer.

So weigerten sich etwa internationale Banken Ende 2012, die Lieferung medizinischer Güter an den Iran zu finanzieren, worauf es zu Engpässen bei lebensrettenden Medikamenten kam. Zur gleichen Zeit nahm aufgrund von Einschränkungen des Imports petrochemischer Erzeugnisse die Qualität der Treibstoffe für Kraftfahrtzeuge im Land dramatisch ab – mit der Folge, dass die Luftverschmutzung im Großraum Teheran lebensbedrohliche Ausmaße annahm. Zudem trafen die Sanktionen auch Mitarbeiter humanitärer Organisationen vor Ort und iranische Studierende im Ausland: Aus Angst vor möglichen Verletzungen des unübersichtlichen Sanktionsgeflechts sperrten Banken ihre Konten in vorauseilendem Gehorsam.

Statt also ein gewünschtes Verhalten wirksam zu befördern, kann der Einsatz von Finanzsanktionen das Geschäftsklima selbst unter lediglich indirekt betroffenen Marktteilnehmern nachhaltig eintrüben. Damit werden die weltoffenen und am wirtschaftlichen Austausch interessierten Teile der Bevölkerung weiter geschwächt. Die politischen Eliten dagegen profitieren von der neuen Lage, weil sie sich mithilfe des unvermeidlich entstehenden Schwarzmarkts bereichern können. Entstehen wie im Fall Iran Engpässe bei medizinischen Produkten, kann die Wirkung eines selektiven Einsatzes den fatalen Folgen von umfassenden Sanktionen ziemlich nahe kommen.

Im Übrigen zeigt das Beispiel Russland, dass der Trend zu immer kleinteiligeren und selektiveren Sanktionen nicht zwangsläufig ist. In Reaktion auf die Ukraine-Politik des Kremls verhängten die Vereinigten Staaten und die Europäische Union so genannte sektorale Sanktionen. Diese unterbinden den Transfer von Hochtechnologie zur Erschließung neuer Erdölquellen sowie den Zugang zu westlichem Kapital. Ob die Aussicht auf eine langfristige Schwächung der russischen Volkswirtschaft den Kreml zu einem Kurswechsel in seiner gegenwärtigen Ukraine-Politik bewegen wird, scheint allerdings ungewiss.

Sanktionen befördern Verhaltensänderungen

Jedenfalls nicht die gewünschten. Wenn Sanktionsbefürworter erklären, welche Art von Strafmaßnahmen eine echte Verhaltens­änderung bewirken können, dann stützen sich ihre Empfehlungen auf die weitverbreitete, aber unbegründete Annahme, dass dafür der mit Sanktionen erzeugte wirtschaftliche Schaden nur hoch genug ausfallen müsse.

Daran ist soviel richtig, dass die Verwundbarkeit des „Empfängers“ umso größer ist, je stärker die Wirtschaftskraft zwischen „Sender“ und „Empfänger“ auseinanderklafft. Doch damit ist keineswegs garantiert, dass ein Einsatz von Sanktionen zur Verhaltensänderung führt. Im Gegenteil, die Erfahrungen mit Sanktionen aus ganz unterschiedlichen Bereichen – von der Kindererziehung über den Umgang mit Straftätern bis hin zur Politik – nähren beträchtliche Zweifel daran, dass sich durch Zwang eine gewünschte Verhaltensänderung herbeiführen lässt. Kriminologische Studien zeigen, dass positive Anreize weitaus wirksamer sein können. In sozialpsychologischen Gruppenexperimenten wurde nachgewiesen, dass Sanktionen die Kooperationsbereitschaft ihrer Empfänger eher herabsetzen und dadurch gewünschtes Verhalten behindern.

Entscheidend dafür, ob der Empfänger einlenkt oder nicht, ist gar nicht so sehr die Intensität von Sanktionen. Es sind weit mehr die Beweggründe, die dem sanktionierten Verhalten zugrunde liegen, und die subjektive Wahrnehmung, wie groß der dadurch erzeugte Schaden ist. Das Kosten-Nutzen-Kalkül fällt je nach sozialer Beziehung zwischen Sender und Empfänger höchst unterschiedlich aus – denn es macht einen Unterschied, ob es ein Verbündeter, ein Rivale oder Gegner ist, der eine Verhaltensänderung fordert.

Unter Verbündeten, die grundsätzlich die gleichen strategischen Ziele haben, dürfte ein geschickter Einsatz von Sanktionen der weiteren Zusammenarbeit im Zweifel nicht schaden – im Idealfall sogar nutzen. Unter rivalisierenden Handelspartnern wiederum wird es darum gehen, durch Sanktionen den Marktzugang für eigene Unternehmen zu gewährleisten oder durch Schutzzölle unliebsame Konkurrenz abzuwehren.

Ganz anders verhält es sich beim Einsatz von Sanktionen in der Auseinandersetzung mit Gegnern. Grundsätzlich gilt hier: Je bescheidener das Ziel formuliert wird, desto wirksamer können Sanktionen sein. Das gilt etwa, wenn die Kosten für sanktionswürdiges Verhalten erhöht werden oder wenn ein Gegner im internationalen Wirtschaftsverkehr durch öffentlichkeitswirksame „Listungen“ an den Pranger gestellt wird.

In den meisten Fällen dienen Sanktionen jedoch einem weitaus anspruchsvolleren Ziel: Man will das Verhalten eines Gegners in eine gewünschte Richtung steuern. Das kann gelingen, wenn es nur darum geht, die für ein unerwünschtes Verhalten notwendigen wirtschaftlichen Ressourcen zu entziehen. Dafür eignen sich strikte Exportkontrollen und -verbote sowie Finanzsanktionen, die den Handlungsspielraum ihrer Empfänger einschränken.

Soll der Einsatz von Sanktionen jedoch von einem unerwünschten Verhalten abschrecken oder mögliche Nachahmer warnen, dann wird es schon deutlich schwieriger. Einreiseverbote oder Kontosperren bewirken wenig bei Menschen, die nicht ins westliche Ausland reisen oder ihr Vermögen bei ausländischen Finanzinstituten deponiert haben.

So gut wie unmöglich schließlich ist es, mit Sanktionen eine regelrechte Verhaltensänderung zu bewirken. Meist geht es dabei um Zugeständnisse, die für den Empfänger mit hohen politischen Kosten verbunden sind – mit Kosten, die selbst durch gravierendste wirtschaftliche Nachteile nicht aufgewogen werden können. Dazu zählen etwa Forderungen, die den Nationalstolz verletzen, die Frage der staatlichen Souveränität betreffen oder die Existenz eines Regimes bedrohen.

Statt eines gewünschten Verhaltens kann der Einsatz von Sanktionen die Entstehung einer Wagenburgmentalität fördern. Das würde den politisch Verantwortlichen in die Hände spielen, sind doch Sanktionen für sie ein willkommener Sündenbock, um vom eigenen Missmanagement abzulenken. Anstatt Massenproteste auszulösen, die letztlich zum Regimewechsel führen können, stärken Sanktionen nach dieser Lesart eher die Solidarität der Bevölkerung mit den jeweiligen Eliten. Und so spricht vieles dafür, dass auch deutlich verschärfte Sanktionen den Kreml nicht dazu bewegen können, die völkerrechtswidrige Annexion der Krim rückgängig zu machen. Gleiches gilt für die Forderung gegenüber der iranischen Führung, ihr Atomprogramm dauerhaft einzustellen.

Weitaus wirksamer lassen sich Sanktionen taktisch einsetzen, wenn durch ihre zeitlich begrenzte oder dauerhafte Aufhebung positive Anreize gesetzt werden. Ein aktuelles Beispiel dafür bietet das Atomabkommen mit dem Iran. Hierbei wurde im Gegenzug für eine streng überwachte Begrenzung der Urananreicherung und Plutoniumproduktion ein Großteil der internationalen Sanktionen aufgehoben.

Letztendlich ist es kaum möglich, nachzuweisen, ob und wann Sanktionen eine Verhaltensänderung bewirken. In der internationalen Politik herrschen keine Laborbedingungen, unter denen sich kurz-, mittel- und langfristig auftretende direkte und indirekte Wirkungen von Sanktionen auf verschiedenen Ebenen nachweisen lassen. Dafür müssten neben den zeitgleich stattfindenden Eingriffen des Senders wie der Androhung militärischer Gewalt und verdeckter Sabotage- oder Kommandooperationen auch die makroökonomischen Entwicklungen isoliert werden – ein aussichtsloses Unterfangen.

Sanktionen sind schädliche Symbolpolitik

Nicht so schnell. Als außenpolitische Allzweckwaffe erschöpfen sich die möglichen Zielsetzungen von Sanktionen nicht darin, den Empfänger von unerwünschtem Verhalten abzuschrecken oder gewünschtes Verhalten zu befördern. In der Tat bleiben die gewünschten Verhaltensänderungen häufig aus. Das heißt aber nicht, dass Sanktionen unwirksam, sinnlos oder gar schädlich sind. Eine solche Sicht vernachlässigt all jene Zwecke von Sanktionen, die nicht auf eine Verhaltensänderung ihrer Empfänger zielen, sondern darauf, das Selbstbild der Sender aufrechtzuerhalten.

So lässt sich mit der Ankündigung, Sanktionen zu verhängen, öffentlichkeitswirksam der Eindruck von Geschlossenheit und Einigkeit vermitteln. Das zeigt sich regelmäßig in den Ankündigungen neuer Sanktionsbeschlüsse durch die Europäische Union oder die Vereinten Nationen, die in mehr oder weniger stark verwässerter Form zuweilen nur den kleinsten gemeinsamen Nenner widerstreitender Interessen markieren.

Darüber hinaus scheint der Einsatz von Sanktionen dann geboten, wenn es darum geht, weitaus unattraktivere Alternativen zu vermeiden. Wenn es um schwerwiegende Normbrüche oder menschliches Leid geht, könnte eine ausbleibende Reaktion schnell als Einverständnis mit den Tätern und als Verrat an den Opfern interpretiert werden. Durch die Verhängung von Sanktionen lässt sich der immense Handlungsdruck abbauen, der auf außenpolitischen Entscheidungsträgern in Krisensituationen lastet. Ist ein Militär­einsatz ausgeschlossen, können mithilfe von Sanktionen wirksam Handlungsfähigkeit demonstriert und eine unfreiwillige Komplizenschaft vermieden werden. Durch die Erzeugung hoher wirtschaftlicher Kosten lässt sich ein regelwidriges Verhalten wenn nicht verändern, so doch fortlaufend bestrafen. Die in Kauf genommenen eigenen Kosten signalisieren zudem eine deutliche Distanzierung und dienen als Preisschild für die eigenen Werte.

Sascha Lohmann ist Stipendiat in der Forschungsgruppe Amerika der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März/April 2017, S. 54-59

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