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01. Mai 2016

Rüstungswettlauf in der Arktis

Welche Gefahren bestehen für Sicherheit und Stabilität im Hohen Norden?

Auch wenn derzeit nicht mit einem militärischen Zusammenstoß zu rechnen ist, bergen der Rüstungswettlauf in der Arktis und die Ansprüche der Anrainerstaaten Russland und Kanada Konfliktpotenzial. Angesichts der Folgen des Klimawandels, der alle arktischen Staaten trifft, überwiegt jedoch der Zwang zu Kooperation.

Seit der Verkündung der neuen Arktis-Strategie für Russland durch Präsident Wladimir Putin im Februar 20131 ist in der Arktis ein beunruhigender Rüstungswettlauf zu beobachten. Die russischen Streitkräfte sind dabei, alte Sowjetstützpunkte an der sibirischen Küste und auf den vorgelagerten Halbinseln und Inseln wieder in Betrieb zu nehmen. In den eisfreien Monaten transportieren Marine und Luftwaffe große Mengen an militärischem Material in die Nord­gebiete, um aufgelassene Flugfelder, verlassene Barackensiedlungen und mit Schrott gefüllte Häfen wieder funktionsfähig zu machen. Außerdem werden moderne Überwachungs- und Kommunikationszentren errichtet.

Die „Nachrüstung“ der westlichen Arktis-Staaten wirkt dagegen sehr bescheiden. Norwegen, ein Nachbar Russlands, beschränkt sich auf einen organischen Aufwuchs seines in den nördlichen Provinzen stationierten militärischen Potenzials, hat jedoch seine Übungstätigkeit – vor allem mit den NATO-Partnern – verstärkt. Seit der Ukraine-Krise wurden aber gemeinsame Übungen mit russischen Streitkräften ausgesetzt.

Da die kanadische Regierung den Schwerpunkt auf die Gewährleistung ihrer Souveränität und Sicherheit legt, hat sie vor allem ihre aus indigenem Personal bestehende Rangertruppe verstärkt und lässt sie vermehrt zusammen mit den kanadischen Streitkräften üben, um ihre Einsatzfähigkeit zu erhöhen. In den USA wächst der Druck, insbesondere seitens der aus Alaska stammenden Senatoren, zusätzlich zu dem mittleren, meist als Forschungsschiff genutzten Eisbrecher „Healey“ neue für den Einsatz in der Behring- und der Beaufortsee geeignete schwere Eisbrecher zu beschaffen bzw. die eingemotteten Schiffe der Küsten­wache „Polar Star“ und „Polar Sea“ wieder flott zu machen.

Viele Beobachter sehen in den Konflikten in der Ukraine und in Syrien neue Beweise für eine gestiegene Aggressivität der russischen Politik. Könnte die Arktis zu einem „Nebenschauplatz“ globaler Krisen werden? Oder könnte es zu einem Kampf um Rohstoffe kommen?

Im Hohen Norden ist die Gefahr eines militärischen Konflikts aber nicht gestiegen. Der größte Teil der für Russland interessanten Lagerstätten von Rohstoffen befinden sich auf seinem Territorium, auf dem Kontinentalschelf oder in der Exklusiven Wirtschaftszone Russlands. Auch die arktischen Seegrenzen sind nicht strittig. Die Meinungsverschiedenheiten über den Status der Territorialgewässer um die norwegische Spitzber­gen-Inselgruppe dürfte Russland ebenfalls kaum gewaltsam zu regeln versuchen. Bei einer Machtprobe mit der norwegischen Küstenwache in einem Fischereistreit hat Moskau vor einigen Jahren sehr schnell eingelenkt.

Angesichts der engen politischen und militärischen Verbundenheit zwischen den USA und Kanada ist eine militärische Lösung auch beim Streit zwischen den beiden nordamerikanischen Staaten über den Verlauf der Seegrenze in der Beaufort-See schwer vorstellbar. Zu Spannungen zwischen den USA und Kanada kommt es aufgrund der unterschiedlichen Auffassungen zum völkerrechtlichen Status der Nordwest-Passage (NWP), die durch den arktischen Archipel Kanadas führt. Ottawa betrachtet diesen als nationalen Seeweg; es beansprucht die Hoheit über diesen und macht die Durchfahrt von einer vorherigen Genehmigung abhängig. Die USA und die meisten anderen Staaten gehen dagegen davon aus, dass es sich um einen internationalen Wasserweg gemäß UN-Seerechtsübereinkommen (SRÜ) von 1982 handelt. Inzwischen haben sich die USA und Kanada auf die gesichtswahrende Formel eines „agree to disagree“ geeinigt, d.h. sie erkennen an, dass sie in dieser Frage unterschiedlicher Auffassung sind.

Gravierender sind die Ansprüche Moskaus auf den der sibirischen Küste vorgelagerten Lomonossow-Meeresrücken, an dessen Nordwestabhang der Nordpol liegt. Hier ist ­russisches Prestigedenken involviert und damit ein Kompromiss schwierig. Auch sind Russlands Ansprüche größtenteils durch eine Klausel im UN-Seerechtsübereinkommen gedeckt, wonach Küstenstaaten unter bestimmten Voraussetzungen Ansprüche auf Schelfgebiete erheben können, die Verlängerungen ihres Festlandsockels darstellen.

Ein konfliktfreier Raum

Die Arktis ist derzeit jedoch ein weitgehend konfliktfreier Raum. Weder der Streit zwischen den USA und Kanada in der Beaufortsee noch die Kab­belei Ottawas mit Dänemark/Grönland über die nationale Zugehörigkeit der Hans-Insel in der Nares-Straße dürften zwischen den beiden mit­einander verbündeten Ländern gewaltsam geregelt werden. Es wurde bereits erläutert, warum weder Kanada noch Russland versuchen dürften, ihre Meinungsverschiedenheiten ­militärisch zu lösen. Insgesamt bedeutet dies, dass es in der Arktis zwar Spannungsherde gibt, die betreffenden Länder jedoch einer friedlichen Regelung den Vorzug vor einer gewaltsamen Austragung geben.

Zu den kooperativen Beziehungen zwischen den Arktis-Anrainern haben zwei Entwicklungen beigetragen. Zum einen betreffen der Klimawandel und die damit einhergehende Erwärmung und deren Folgen alle arktischen Staaten in einer Weise, die nur gemeinsame Lösungen erlaubt. Zum anderen können sie sich eines in den neunziger Jahren zu diesem Zweck geschaffenen regionalen institutionellen Instrumentariums bedienen.

Dem Erhalt des menschlichen Lebensraums und der Biosphäre diente die Verabschiedung einer arktischen Umweltstrategie (AEPS), aus der sich 1996 als Koordinierungsgruppe der Arktische Rat (AR) entwickelt hat. Gegründet zur Umsetzung der AEPS, wurde er zu einem wichtigen Abstimmungsforum unter den acht Arktis-Staaten: Dänemark mit Grönland, Island, Finnland, Kanada, Norwegen, Russland, Schweden und die USA. Obwohl als zwischenstaatliches Konsultationsforum und nicht als supranationale Organisation errichtet, ist die Zusammenarbeit eng. In seinem Rahmen wurden von den arktischen Staaten mehrere Verträge vereinbart, die dann in nationaler Verantwortung abgeschlossen wurden. Dazu gehören der Vertrag über Seenotrettung, das Übereinkommen zur Verhütung von Meeresverschmutzung durch Schiffsöl und ein verpflichtender „Polar Code“ mit Vorschriften für die Schifffahrt in arktischen Gewässern.

Mit der Institution der Senior Arctic Officials als ständiges Beamtengremium zur Vorbereitung der zweijährlichen Ministertreffen und zur Implementierung seiner Beschlüsse, der Etablierung eines Sekretariats in Tromsø und der Ernennung ­eines ­Isländers zum Generalsekretär erhielt der Rat stärkere institutionelle Strukturen. Die von den nordischen Staaten, insbesondere von Schweden, gewünschte weitere Institutionalisierung ist bisher jedoch am Widerstand der nordamerikanischen Partner sowie Russlands gescheitert. Diese wollen keine Einschränkungen ihrer Souveränität im Hinblick auf ihre arktischen Gebiete akzeptieren.

Die Ukraine-Krise hat bisher wenig Einfluss auf die friedliche Situation in der arktischen Region gehabt. Interessanterweise waren es die USA, die, als sie im Mai 2015 den Vorsitz im Arktischen Rat übernahmen, darauf drängten, dass die Spannungen mit Russland nicht ausufern sollten. Washington wirkte dahingehend auf die kanadische Regierung ein, sodass sich diese auf symbolische Gesten beschränkte. So entsendet ­Ottawa nur noch hochrangige Beamte anstatt des Außenministers zu den Sitzungen des AR und seiner Gremien, wenn an diesen auch russische Vertreter teilnehmen.

Die norwegische Regierung sagte gemeinsame Manöver mit russischen Streitkräften ab. Moskau nahm seinerseits seine Pa­trouillenflüge über dem Atlantik wieder auf und verstärkte im Innern den politischen Druck auf internationale und vom Ausland finanzierte Institutionen, die es zur Registrierung als „foreign agent“ aufforderte und deren Tätigkeit es beschränkte. Dieses Gesetz brachte RAIPON, die russische Organisation der indigenen Völker des Nordens, in Schwierigkeiten. Da sie von der Russischen Föderation finanziell kaum unterstützt wird, kann sie ihre internationale Arbeit nur mit Unterstützung ihrer Partnerorganisationen im Ausland durchführen. Die arktische Region selbst ist aber von Konflikten in anderen Regionen weitgehend abgeschirmt geblieben.

Gründe für kooperatives Verhalten

Ein besonderer Erfolg war 2010 der Vertrag über die Beendigung des Konflikts zwischen Norwegen und Russland betreffend den Verlauf der gemeinsamen Grenze in der Barentssee. Nach über 40 Jahre währenden Verhandlungen konnte er 2010 mit dem norwegisch-russischen Barents-­Abkommen einvernehmlich geregelt werden. Die Motive für den Abschluss des Barentssee-Vertrags und die Bereitschaft Russlands zu einem Kompromiss lassen sich leicht erklären. In der 2008 veröffentlichten Studie des Geografischen Dienstes der USA war darauf hingewiesen worden, dass die Region des Nordatlantiks und die Barentssee zu den weltweit vielversprechendsten Öl- und Gaslagerstätten zählen. Vor der norwegischen Küste und in der Finnmark stießen die Geologen auf äußerst ergiebige Gasfelder. Besonders bekannt ist „Snøhvit“ (Schneewittchen), an das weitere Lagerstätten grenzen. In zum Teil unter dem Meeresspiegel errichteten Anlagen wird das Gas verflüssigt und auf spezielle Flüssiggas-Tanker geladen und verschifft.

Auch in der östlichen Barentssee vor der Halbinsel Nowaja Semlja wurden mehrere große Gasfelder prospektiert. Für die Erschließung beispielsweise des Shtokman-Feldes benötigt Russland aber westliche Technologien und Kredite. Investitionen ausländischer Unternehmen sind jedoch nur dann möglich, wenn zuvor die Besitzverhältnisse geklärt worden sind. Dies war das wichtigste Motiv für das Einlenken Moskaus im Grenzstreit. Wirtschaftliche Interessen sprachen für einen Kompromiss in der Grenzfrage und erleichterten die Vereinbarung mit Oslo.

Möglichkeiten der Zusammenarbeit

Ein Meilenstein der Zusammenarbeit war die 2015 für die Schifffahrt getroffene Vereinbarung im Rahmen der Internationalen Meeresorganisation eines verpflichtenden maritimen „Polar Code“, der Richtlinien zur Konstruktion, Ausrüstung und Bemannung von Schiffen auf Fahrt in den Polarregionen festlegte. Vertragspartner sind aber nicht nur die arktischen Staaten, sondern der Kodex steht allen seefahrenden Nationen zum Beitritt offen. Allerdings haben die arktischen Staaten die Verhandlungen entscheidend vorangetrieben und geprägt.

Ein eher symbolischer Erfolg war die Verabschiedung einer Erklärung, in der sich die fünf Anrainerstaaten verpflichteten, so lange auf kommerziellen Fischfang im zentralen Bereich des Arktischen Ozeans zu verzichten, bis ein regionales Fischerei­abkommen abgeschlossen worden ist. Sie konnten dies auch leicht tun, da es in diesem Gebiet bisher kaum ­Fischfang gibt. Ein weiterer gemeinsamer Schritt war die Etablierung eines Coast-Guard-Forums zur Koordinierung der Arbeit der nationalen Küstenwachen, das erstmals im Oktober 2015 in der amerikanischen Coast-Guard-Akademie in Connecticut tagte. Aufgaben der Küstenwache sind es, Verletzungen des nationalen Hoheitsgebiets zu verhindern, ein unerlaubtes Eindringen von Terroristen und Migranten in diese zu unterbinden und in Seenotfällen rasche Hilfe zu leisten.

Große praktische Bedeutung für die Schifffahrt im Hohen Norden hat das von den AR-Mitgliedern über Jahre hinweg verhandelte Seenotrettungs-Abkommen (SAR), in dem sich die arktischen Staaten verpflichten, in Seenot geratenen Schiffen oder verunglückten Flugzeugen sowie ihren Besatzungen und Passagieren zu Hilfe zu kommen. Bei der Ausarbeitung wachten die AR-Staaten darüber, dass dieses Abkommen nur von ihnen selbst ausgearbeitet wurde. Angebote an Rat und Unterstützung von der britischen und deutschen Regierung, die beide über große Erfahrungen auf dem Gebiet der SAR verfügen, wurden zurückgewiesen.

Angesichts der langen und nur spärlich bewohnten arktischen Küsten Russlands und Kanadas ist die Implementierung des Abkommens jedoch mit Schwierigkeiten verbunden. Während es Kanada und den USA an hochseetauglichen Eisbrechern für den Rettungseinsatz mangelt, fehlt es Russland vor allem an einer geeigneten Logistik an den sibirischen Küsten entlang des Nördlichen Seewegs. Auch die Beseitigung der großen Mengen an russischem Atomschrott – ausgemusterte und in der Behringsee versenkte oder in den Häfen vor sich hin rottende Atomunterseeboote, zum Teil mit noch funktionsfähigen Reaktoren an Bord, sowie radioaktive Seezeichen – ist in einem überschaubaren Zeitraum nur mit internationaler Hilfe, beispielsweise mit norwegischer und deutscher Unterstützung möglich. Allerdings ist die Regierung in Moskau bemüht, dies nicht an die große Glocke zu hängen. Ein Eingeständnis des eigenen Unvermögens widerstrebt der Führung eines Landes, das stets bemüht ist, seine Überlegenheit herauszustellen, da es sich in der Rolle eines von Feinden umzingelten Opfers sieht.

Russland rüstet auf

Mit Besorgnis verfolgen viele Beobachter den Aufwuchs der russischen Rüstung in der Arktis, die sowohl an den Küsten der Barentssee als auch entlang des Nördlichen Seewegs und der Sibirien vorgelagerten Inseln und Halbinseln bis hin nach Tschukotka und der Bering-Straße vorangetrieben wird. Nach dem Ende der Sowjetunion wurden die Stützpunkte aufgelöst, die Soldaten abgezogen und Berge an Schrott, verrosteten Schiffen und leeren Ölfässern hinterlassen. Die Bunker, in denen einst Atomraketen lagerten, wurden zu touristischen Sehenswürdigkeiten.

Im Sommer 2014 begann jedoch ein reger Schiffsverkehr zum Transport von militärischen Ausrüstungen zwischen den wenigen Häfen an der Küste und den vorgelagerten Inseln. Während der eisfreien Monate des darauffolgenden Jahres arbeiteten die russischen Streitkräfte intensiv an der Wiederherstellung der alten Flugplätze, Beobachtungsstationen und Unterkünfte.

Wenn man versucht, die Gefahren der russischen Aufrüstung einzuschätzen, ist es wichtig, zwischen Fähigkeiten, Möglichkeiten und Absichten zu unterscheiden. Ein genauer Blick auf die militärischen Maßnahmen bestätigt zunächst die russische Versicherung, es handele sich um strikt defensive Maßnahmen. Die russischen Stützpunkte an den Küsten Sibiriens, am Weißen Meer und auf der Kola-Halbinsel sowie auf den vorgelagerten Inseln, die in der Tat substanziell sind, seien zur Sicherung der Passage ebenso erforderlich wie zur Umsetzung des im Arktischen Rat vereinbarten Seenotrettungs-Abkommens. Natürlich verfolgt Russland mit seiner Rüstung in der Arktis aber auch das Ziel der Machtprojektion und der Absicht, den Westen von einer Einmischung abzuhalten.

Besorgnis könnten jedoch die weitreichenden Ansprüche Russlands auf Teile des arktischen Küstenschelfs auslösen. Viele Beobachter fürchten, Moskau könnte sich im Fall eines aus russischer Sicht negativen Bescheids der UN-Festlandsockel-Grenzkommission über die Zugehörigkeit des Lomonossow-Rückens diesem Rechtsspruch widersetzen und damit einen Konflikt auslösen. Da die UN-Kommission jedoch von Anträgen gemäß UN-Seerecht überhäuft ist, dürften bis zu einer Entscheidung noch ca. fünf Jahre vergehen.

Wie würde dieser aussehen? Es ist vorstellbar, dass dann ein Trupp russischer Fallschirmjäger in dem umstrittenen Gebiet landet und die russische Flagge auf dem Eis hisst. Da eine derartige Aktion jedoch keine Rechtswirkung hätte – ebenso wenig wie die Platzierung einer Plakette mit den russischen Nationalfarben im Mai 2007 unter dem Nordpol – würden die anderen Staaten mit Ansprüchen auf dieses Gebiet (Kanada und Dänemark für Grönland) kaum zu militärischen Gegenmaßnahmen greifen. Sie würden vielmehr geharnischte Protestnoten an Moskau senden – die ebenfalls ohne Wirkung blieben. Erschwert würden nur die lukrativen touristischen Fahrten russischer Atomeisbrecher mit vorwiegend gut zahlenden europäischen Gästen zum Nordpol.

Nationale Interessen gehen vor

Die Bereitschaft zur Kooperation zwischen den arktischen Staaten endet jedoch stets dort, wo entweder andere Kerninteressen ins Spiel kommen oder die nationale Souveränität über ihre arktischen Gebiete tangiert wird. Besonders Kanada, Russland und die USA sind stets darauf bedacht, keine Hoheitsverletzungen in ihren großen, nur dünn besiedelten und wenig erschlossenen arktischen Territorien zuzulassen. Besonders Kanada nutzt seine meist aus einheimischen Inuit rekrutierte Rangertruppe primär zur Souveränitätsbehauptung nach dem Motto seines ehemaligen Präsidenten Stephen Harper: „Use it or loose it.“

Kanada ist auch derjenige arktische Staat, der die Durchfahrt durch seine Passagen am stärksten reglementiert hat. Auf seine Initiative hin wurde dem UN-Seerechtsübereinkommen der Paragraph 234 eingefügt, nach dem arktische Staaten besondere Regeln für die Durchfahrt durch eisbedeckte Meeresflächen und Passagen erlassen können.

Auch Russland hat spezifische Vorschriften für Einfahrt in und Transit durch den Nördlichen Seeweg erlassen. Die bis vor einigen Jahren geltende Vorschrift, dass jedes einzelne Schiff eines Konvois von einem Eisbrecher begleitet werden müsste, diente vor allem dem Ziel, höhere Gebühren zu erhalten. Auch weiterhin werden Gebühren erhoben, die jedoch etwas sachgerechter erscheinen. Die Ausstellung von Visen und Genehmigungen für die Anlandung von Expeditions- und Kreuzfahrtschiffen lässt sich Russland ebenfalls teuer bezahlen – und behält sich gleichzeitig vor, bereits genehmigte Routen und Anlandungen kurzfristig zu ändern.

Das raue arktische Klima, die mehrere Monate währende Dunkelheit und die tosenden Stürme tragen weiter dazu bei, Schifffahrt und menschliche Aktivitäten in der Polarregion zu beschränken. Das allmähliche Abtauen der Gletscher und des Meeres­eises wirkt sich nicht nur dahingehend aus, dass der Lebensraum von Eisbären und anderen Meeres- und Landbewohnern beschränkt wird, sondern trägt auch zur Desta­bilisierung und zum Rückzug der Küstenlinien bei. An Land führt das Abschmelzen des Permafrosts zum Freiwerden von großen Mengen an Kohlendioxid; es untergräbt die ­Stabilität von Verkehrswegen, Öl- und Gasleitungen und menschlichen Behausungen.

Da die Herausforderungen durch die Folgen des Klimawandels alle Arktis-Anrainer betreffen, können sie diese auch nur gemeinsam bewältigen. Dies zwingt die Staaten – zumindest in der Nordregion – zum Verzicht auf militärische Drohungen. Sie haben einen größeren Nutzen von gegenseitiger Abstimmung und Kooperation.

Prof. Dr. Helga Haftendorn lehrte bis Ende 2000 Internationale ­Beziehungen an der FU Berlin.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, Mai/ Juni 2016, S. 109-115

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